Was wir tun, hängt bloss zum Teil von unserem Wissen ab – auch wenn es um klimabewusstes oder biodiversitätsfreundliches Verhalten geht. Denn der Mensch ist weit davon entfernt, immer rational zu handeln. Neben Wissenslücken und Halbwissen spielen Gefühle eine grosse Rolle, ebenso das Verhalten des Umfelds.
Text: Lucienne Rey

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Was können wir wissen – und wie können wir überhaupt sicher sein, etwas zu wissen? Diese Frage beschäftigt die Philosophie seit Sokrates. Die Umweltpsychologie belässt es nicht beim Gedankenexperiment, sondern schlägt die Brücke zum Handeln. Denn sie will herausfinden, wie das Wissen – und damit auch fehlendes Wissen – unsere umweltrelevanten Handlungen beeinflusst.
Wissen: mehr als eine Ansammlung von Fakten
In ihren Anfängen, während der 1970er-Jahre, ging die Umweltpsychologie von einem einfachen linearen Modell aus: Demzufolge reichte es, mit Information die Einstellung der Menschen zu verändern, um sie zu umweltfreundlichem Handeln zu bewegen. Dass diese Sichtweise zu kurz greift, belegen inzwischen Forschungsergebnisse und die Fehlschläge zahlreicher Kampagnen von Umweltbehörden und NGOs. «Informationskampagnen, die einzig Wissen vermitteln, führen nicht zu einer Verhaltensänderung», bestätigt Tobias Brosch, der an der Universität Genf als Professor für Psychologie der nachhaltigen Entwicklung eine Forschungsgruppe leitet.
Heute unterscheidet die Fachwelt verschiedene Arten von Wissen. Neben Faktenwissen – etwa über die Schäden, die Treibhausgase oder Plastikteilchen in der Umwelt anrichten – beeinflussen weitere Formen des Wissens unser Handeln. Nämlich auch Informationen darüber, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann und wie gut bestimmte Massnahmen wirken. Von Bedeutung ist zudem soziales Wissen darüber, wie sich die meisten anderen Menschen verhalten. «Erst, wenn die verschiedenen Wissensformen zusammenfliessen, beeinflussen sie das Handeln», sagt Brosch.
Unwissen verstärkt Angst Nur zu oft verleitet uns Unwissen gepaart mit Angst dazu, in der Natur Schaden anzurichten. In den Alpen wurde der Bartgeier ausgerottet, weil er im Ruf stand, Lämmer und kleine Kinder zu töten. Dabei verwertet der imposante Greif in erster Linie Aas und schlägt kaum je selbst Beute. Oder das Verhalten gegenüber Spinnen: Ekel, genährt von irreführenden Vorstellungen aus dem Kino und den Medien, lässt viele von uns zum Staubsauger greifen, wenn eine Spinne in der Wohnung auftaucht. So machen wir faszinierenden Nützlingen den Garaus, die eine wichtige ökologische Rolle erfüllen: Sie regulieren den Insektenbestand und dienen ihrerseits anderen Tieren als Nahrung.
Emotionen nicht ausser Acht lassen
Starke Gefühle weckt auch der Klimawandel. Er ist in der Forschung wie auch in der öffentlichen Diskussion allgegenwärtig, und über seine Ursachen und Auswirkungen ist vieles bekannt. Zugleich steht er für eine unberechenbare und daher umso bedrohlichere Zukunft: Bereits 1989 sprach der US-amerikanische Autor und Klimaaktivist Bill McKibben vom «Ende der Natur». Er meinte damit nicht, dass es keinen Regen mehr gibt oder die Sonne verschwindet. Vielmehr spielte er auf unsere Vorstellungen von der Welt an und vom Platz, den wir in ihr einnehmen.

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Die Unsicherheit darüber, wie es mit der Welt weitergeht, ruft – das belegen zahlreiche umweltpsychologische Studien – ein breites Spektrum an Reaktionen hervor: Während die einen im Abstreiten der Probleme Zuflucht suchen, setzen die anderen auf technische Lösungen. Wieder andere fühlen sich mutlos und paralysiert. «Tatsächlich ist es nicht hauptsächlich das Wissen, das die Menschen lähmt», nuanciert Tobias Brosch. Vielmehr nehme das Wissen «einen Umweg über die Emotionen». Doch diese können laut dem Psychologen auch eine positive Rolle einnehmen: Gesellt sich zum Fakten- und zum Handlungswissen eine positive Vision der Zukunft, kann die Kombination aus Angst und Hoffnung die Menschen darin bestärken, ihr Verhalten zu ändern.
Gemeinsam die Lähmung überwindenMenschen zu helfen, eine lähmende Angst zu überwinden, ist der Job von Michael Brodard. Er leitet im Aquatis, dem Vivarium und Aquarium von Lausanne, Workshops für Menschen, die sich vor Spinnen fürchten. «Wir sprechen in unseren Workshops viel über die Biodiversität und über die wichtige ökologische Rolle der Spinnen», erzählt Brodard. Das Faktenwissen wird durch Beobachtungen ergänzt, etwa, wenn Vogelspinne Chantal gemächlich über den Tisch krabbelt. Viele der Teilnehmenden trauen sich mit der Zeit sogar, das Tier zu berühren. Was das Überwinden der inneren Erstarrung ebenfalls unterstützt: die Anwesenheit Gleichgesinnter, die anspornen und Mut machen.
Dieses soziale Wissen, die Erfahrung also, dass man sich nicht allein einsetzt, kann auch zu tatkräftigem Engagement für den Schutz des Klimas oder der Biodiversität motivieren. Beispielsweise treffen sich Freiwillige seit 1970 einmal jährlich, um im Naturschutzgebiet Les Grangettes (VD) am östlichen Ende des Genfersees den Schilfgürtel zu reinigen. Sie räumen angeschwemmtes Holz weg, das die Pflanzen beschädigt, und beseitigen erhebliche Mengen an Abfall: 2024 sammelten sie an einem einzigen Wochenende acht Kubikmeter Müll. «Die Leute staunen, wenn sie sehen, wie viel Plastik es in einem Schutzgebiet gibt», erzählt Romain Dupraz, der das Schutzgebiet betreut. «Man findet sogar Kunststoffteile in den Sedimenten, in einer Tiefe von bis zu einem Meter.» Zu wissen, dass der «Frühjahresputz» dem Schilfgürtel viel bringt, hält die Freiwilligen bei der Stange: Seit der Jahrtausendwende konnte sich das Röhricht, eine Gesellschaft aus schilfartigen Pflanzen und Lebensraum für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, auf die doppelte Fläche ausdehnen.
Wissenslücken über den Wald schliessen
Im Waldschutz macht derzeit ein Projekt im Höhronenwald der Korporation Wollerau (SZ) Schule und animiert andere Waldbesitzerinnen und -besitzer, es zu kopieren. Das Projekt zielt darauf ab, Konflikte mit Bikern beizulegen. «Nach Corona schnellte die Zahl der Biker in die Höhe, und der Wald wurde zur Freizeitarena», sagt Förster Pirmin Schuler. Die Biker legten illegale Trails an und schreckten auch nicht davor zurück, Bäume zu beseitigen, die ihnen im Weg standen.
Um Abhilfe zu schaffen, setzte Pirmin Schuler nicht auf Verbote, sondern auf das Gespräch am runden Tisch. Gemeinsam mit den Bikern definierte er vier Korridore, in denen sie Trails anlegen durften – auf die sie sich dann aber zu beschränken hatten. Das BAFU beteiligte sich am Projekt, indem es die Hälfte der Kosten für das Monitoring übernahm und fachlichen Rat beisteuerte. Der Erfolg übertrifft die Erwartungen: 95 Prozent der Biker halten sich an die Abmachung. Dass man sich in der Szene kennt, bringt die meisten dazu, sich an die Regeln zu halten. Eine wichtige Rolle spielte auch die Wissensvermittlung: «Viele haben schlicht nicht daran gedacht, dass das Wild gestört wird. Gestresstes Wild verbraucht mehr Energie, weil es flüchten muss, und der Verbiss an den Bäumen nimmt zu.» Die Ausführungen der Förster und Wildhüter hätten bei manchem Biker einen Aha-Effekt ausgelöst, sagt Schuler.
Die Kluft zwischen Wissen und Handeln überwinden
Diese Beispiele zeigen: Wenn Fakten-, Handlungs- und soziales Wissen mit Kenntnissen über die Wirksamkeit von Massnahmen zusammenkommen, stehen die Chancen gut, dass wir Menschen unser Verhalten zugunsten der Umwelt anpassen. Doch selbst vielschichtiges Wissen reicht nicht immer, um die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken. Dieser Graben verbreitert sich, je grösser die räumliche und zeitliche Distanz zwischen unserem Tun und seinen Wirkungen ist: Werden die Folgen unserer Handlungen in weit entfernten Ländern oder erst Jahre später fühlbar, neigen wir dazu, sie zu ignorieren. Die Umweltpsychologie spricht von räumlicher und temporaler Distanz.
Auch gesellschaftliche Werte und liebgewonnene Gewohnheiten üben einen beträchtlichen Einfluss auf unsere Verhaltensweisen aus. Umso wichtiger ist es, auf der Suche nach Lösungen für Umweltprobleme nicht nur das Individuum in die Pflicht zu nehmen, betont etwa Andreas Ernst, Professor für Umweltsystemanalyse an der Universität Kassel. So konnten leistungsfähige Verkehrssysteme und mehr Kostenwahrheit beim Ressourcenverbrauch ein umweltfreundlicheres Handeln fördern.
Letzte Änderung 25.09.2024