«Meine Natur» mit Andrea Staudacher

In jeder Ausgabe von «die umwelt» äussert sich in dieser Kolumne eine Persönlichkeit zum Thema «Meine Natur». Ausgabe 3/2019.

Andrea Staudacher
Andrea Staudacher (30) ist Food Designerin. Bekannt geworden ist sie 2013 mit ihrer Bachelorarbeit, einem Insekten-Kochbuch, an der Hochschule der Künste Bern. Seither beschäftigt sie sich mit dem Essen der Zukunft: Insekten, Mikroalgen, Lebensmittelquallen, Laborfleisch oder anderen alternativen Proteinquellen. 2018 wurde Staudacher mit dem Berner Kommunikationspreis ausgezeichnet. Sie organisiert Events, gibt Kochkurse und stellt ihre Arbeiten in internationalen Museen aus. Zusammen mit ihrer 3-jährigen Tochter wohnt sie im Berner Breitenrainquartier.
© Merlin Photography LTD

Wenn mich als Kind jemand fragte, was ich werden will, antwortete ich: ‹Affenforscherin›. Mein Vorbild war die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall, die in den Kongo gereist war, um mit den Bonobos im Wald zu leben. Allein. Als Frau. Ich war schon früh Mitglied im WWF Club, und auf einem Ausflug ins Papiliorama in Kerzers (FR) hing an der Wand diese Uhr: Sie zeigte, wie viele Fussballfelder Regenwald pro Minute abgeholzt wurden. Tick, tack, tick. Ich stand da und starrte auf das Zifferblatt. Ich konnte es einfach nicht glauben.

Die Faszination fürs Ungewisse und das Abenteuer hatte mich als Mädchen fest im Griff. Und was bin ich heute? Ein Stadtmensch durch und durch. Wenn das Wasser nicht warm genug ist oder mit zu wenig Druck aus der Dusche kommt, kriege ich eine kleine Krise. In mir herrscht ein Widerspruch: Ich sehne mich nach Wildnis und Freiheit – aber sobald ich auch nur in die Nähe davon komme, wird mir angst und bange.

Ich habe immer wieder getestet, ob ich nicht doch eine Abenteurerin bin. Als ich 22 war, packte ich den Rucksack: Ich wollte von Bern ins Tessin laufen. Ohne weitere Planung. Alleine natürlich, wie die Helden in den Büchern. Die hatten dann immer spannende Diskussionen mit sich selber. Das war bei mir nicht der Fall: Nach zwei Tagen war mir langweilig. Ich hatte keinen Natelempfang. Merkte, dass ich körperlich nicht fit genug war. Als es dann in der Nacht noch an der Zeltwand rüttelte – es muss mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Kuh gewesen sein – wurde es mir zu viel. Nach vier Tagen kam ich an einem Bahnhof vorbei, stieg in den Zug und war in einer Stunde wieder in Bern.

Wenn die Leute um mich herum sagen, sie gehen in die Natur, meinen sie etwa den Bremgartenwald, eine Viertelstunde vom Stadtzentrum entfernt. Aber diese ‹Natur› ist doch auch von uns gemacht: Wir entscheiden, ob da Rehe leben oder nicht, das Wegnetz ist so dicht, dass man sich gar nicht verlaufen kann, auch wenn man möchte. Wir alle schauen gerne Tierfilme – aber dem Leoparden mal in echt begegnen, ohne Jeep und Führer, einfach so, Auge in Auge?

Man kann sich nur für etwas engagieren, das einem etwas bedeutet. Deshalb sollten möglichst viele Leute Erlebnisse in der Wildnis haben – damit sie spüren, dass es sie tatsächlich gibt. Der Mensch in unserer Kultur ist total von der ‹wirklichen Natur› abgekapselt. Was sind das für Gefühle: Hunger, Durst, Kälte? Jane Goodall ist heute 84 Jahre alt und immer noch aktiv, setzt sich dafür ein, dass an der kongolesischen Küste nicht mit Dynamit gefischt wird. Sie stellt sich den Abenteuern immer noch selber. Da kann ich in meiner gemütlichen, warmen Stube nur den Hut ziehen vor ihr.

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Letzte Änderung 04.09.2019

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