«Meine Natur» mit Emmanuelle Giacometti

In jeder Ausgabe von «die umwelt» äussert sich in dieser Kolumne eine Persönlichkeit zum Thema «Meine Natur». Ausgabe 4/2020.

Emmanuelle Giacometti
Emmanuelle Giacometti (47) ist seit dem Jahr 2000 Direktorin des Espace des inventions, einer Lausanner Kulturinstitution, deren Aufgabe es ist, das Interesse der Kinder und der
Öffentlichkeit an den Natur- und Technikwissenschaften zu wecken. Mit einem Doktortitel in Naturwissenschaften und ihrer Leidenschaft für die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse erkundet sie seit mehr als 20 Jahren verschiedene Möglichkeiten, Neugier und Interesse für wissenschaftliche Themen zu wecken. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren drei Kindern im Alter von 16, 13 und 9 Jahren in Lavigny (VD).
© Bild: zVg

Ich bin in einem kleinen Dorf in der campagne genevoise aufgewachsen, kann aber trotzdem nicht behaupten, dass ich eine naturnahe Kindheit gehabt hätte. Meine Eltern waren beide Städter, die ohne echten Bezug zum Landleben wegen der Ruhe aufs Land zogen. Beide waren Akademiker, die mehrin den exakten Wissenschaften als in der Botanik oder in der Ornitho­logie zu Hause waren. Uns gegenüber wohnte Pierrot, ein Gemüsegärtner, den die Kinder des Dorfes sehr mochten: Er nahm uns mit auf seinem Traktor, und wir durften ihn begleiten, wenn er Salate an die Migros lieferte. Diese Momente waren für mich richtiggehende Abenteuer – allerdings kann man nicht sagen, dass ich dadurch eine Naturverbundenheit entwickelt hätte. 

Als ich meinen späteren Lebenspartner kennenlernte, nahm er mich mit in die Berge, um seine Leidenschaften – das Klettern und das Skitourengehen – mit mir zu teilen. Diese Ausflüge verschafften mir zum ersten Mal in meinem Leben den Genuss, Gegenden zu erleben, die zumindest dem Eindruck nach vom Menschen unberührt geblieben sind. 

Später entdeckte ich das Bergell, das wilde und geheimnisvolle Tal, aus dem die Giacomettis stammen. Obwohl ich nie dort gelebt habe und leider nicht die lokale Mundart spreche, fühle ich mich mittlerweile sehr stark an diesen Flecken Erde gebunden und besuche ihn jedes Jahr. Dort habe ich tatsächlich die Selbstbesinnung erlebt, die der Kontakt mit der unberührten Natur ermöglicht, und eine tiefe Naturverbundenheit entwickelt. 

Am Espace des inventions führen wir Ausstellungen zu verschiedenen wissenschaftlichen Themen durch. Nach einem ersten Ausflug in die Biowissenschaften mit einer Ausstellung über das Gehirn im Jahr 2011 haben wir 2018 eine Ausstellung über Bäume vorbereitet.Das war für mich persönlich eine wunderbare und sehr lehrreiche Erfahrung, die mir die Gelegenheit bot, meinen Naturbegriff ganz neu zu hinterfragen. Sie brachte mir die Vielschichtigkeit und Subtilität dieses ebenso robusten wie zerbrechlichen Systems näher,das sich erst im Laufe von Jahrmillionen zu dem entwickelt hat, was wir heute kennen. Unsere Mobiltelefone sind nur das Ergebnis der technologischen Fortschritte einiger Jahrzehnte;in der gewaltigen Komplexität des Lebens aber spiegelt sich ein unvorstellbar viel längerer Entwicklungsprozess wider. In der Demut und Ehrfurcht vor diesen unendlich langen Zeiträumen wird mir zunehmend bewusst, wie schützenswert die Natur, ihre Vielfalt und der Reichtum an Lebensformen sind.

So wenig erdverbunden ich damals als kleines Mädchen war, so tief trage ich nun heute den Drang zur Natur in mir.

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Letzte Änderung 25.11.2020

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