Der Medienwandel ist weit mehr als ein Informationentransfer von der Zeitung ins Internet. Auf dem Spiel stehen die Qualität des Journalismus und die Medienvielfalt. Und damit die Demokratie. Mark Eisenegger, Leiter des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft, ordnet ein.
Interview: Jean-Luc Brülhart
Die digitale Nutzung von Medien schreitet rasant voran. Woran ist das zu erkennen?
Mark Eisenegger: Es ist zum Beispiel daran zu erkennen, dass in der Schweiz 2017 erstmals Online-Newssites in Kombination mit sozialen Medien die Hauptkanäle für den Bezug von Informationen waren. Sie haben das Fernsehen und das Radio hinter sich gelassen – und zwar über die gesamte Bevölkerung gesehen. Bei jungen Menschen bewegt sich die Marktdurchdringung bei über 80 Prozent. Rein unterhaltende Informationen werden stärker genutzt als seriöse Informationen, also Hardnews. Der Newskonsum geschieht online und über mobile Geräte. Die Schweiz ist – im internationalen Vergleich – ein ausgesprochen «mobiles» Land. Es reicht ein Blick in den Waggon einer S-Bahn ...
Unter der flüchtigen Mobilnutzung leidet vermutlich auch die Treue zu einzelnen Medien.
Bis vor relativ kurzer Zeit war die Treue zu bestimmten Medienmarken das dominante Muster, sie beginnt sich in jüngster Zeit aber aufzulösen. Es wird zum zentralen Trend, aus vielen auch flüchtigen Quellen rasch Informationen zu ziehen. Derzeit sind es vor allem die Jüngeren, die Inhalte primär über soziale Medien oder über Google konsumieren. Das Medienerlebnis entsteht dynamisch – auf dem Handy des Nutzers, den Gesetzen der Tech-Giganten folgend. Wir sprechen auch von einer Plattformisierung.
Wie zeigt sich die Macht von Plattformen wie Facebook, Google und anderen sozialen Medien?
Diese Plattformen schwächen den professionellen Informationsjournalismus, denn ein grosser Teil der Online-Werbegelder fliesst zu Tech-Giganten wie Google ab und nicht in die Medienunternehmen. Das ist mit ein Grund für die Beschleunigung der Konzentration – Zusammenlegung von Redaktionen oder Abbau – bei den herkömmlichen Medien. Die Plattformen verändern aber auch die Kommunikationslogik in der Öffentlichkeit. Soziale Medien sind Emotionsmedien: People, Dramen, Emotionen – das läuft gut, wird geliked, kommentiert, geht viral. Je mehr sich der Journalismus daran orientiert, desto dominanter wird die Emotionslogik in der digitalen Öffentlichkeit. Wir sind schon weit fortgeschritten. Algorithmen bestimmen, welche Inhalte überhaupt die Chance haben, Bedeutung zu erlangen.
Sie sprechen gar von einem digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit ist von grosser Tragweite. Er stellt die Gesellschaft, den professionellen Informationsjournalismus und die Demokratie vor substanzielle Herausforderungen. Das Internet hat sich unter Einschluss der sozialen Medien zur zentralen Instanz der Öffentlichkeit entwickelt, und wir haben es mit immer mehr pseudojournalistischen Informationsangeboten zu tun. Das Medienangebot ist sehr komplex, und die Nutzerinnen und Nutzer müssen selber entscheiden, was relevant ist und was nicht. Gleichzeitig schreitet im Bereich der professionellen Informationsmedien eine beschleunigte Konzentration voran, während laufend neue semi- und nicht professionelle Informationsanbieter entstehen, die sich nicht oder nur partiell an Qualitätsstandards orientieren.
Kann die Konzentration im Informationsjournalismus mit der Medienvielfalt im Internet kompensiert werden?
Das ist nicht möglich, denn man hat es mit unterschiedlichen Anbietern zu tun. Professionelle Medien sind da, um eine Fremdbeschreibung zu machen. Sie stellen aus möglichst unabhängiger Warte dar, was in der Gesellschaft passiert, und ordnen ein. Wenn sich nun aber zum Beispiel ein Politiker auf seinem Youtube-Kanal zu einem Thema äussert, dann haben wir es mit PR oder Selbstbeschreibung zu tun. Das ist eine ganz andere Form der Kommunikation. Im zweiten Fall werden partikuläre Interessen verfolgt. Wer sich ausgewogen informieren will, kommt auch in Zukunft nicht um die herkömmlichen Medien herum. Wenn wir davon überzeugt sind, dass professionelle Informationsmedien eine für unsere Gesellschaft unverzichtbare Basisinfrastruktur darstellen, ist es an der Zeit, über neue Fördermodelle nachzudenken, etwa über eine direkte Medienförderung.
Wie steht es um das Vertrauen in soziale Medien?
In den letzten Jahren hat dieses dramatisch abgenommen. Die Nutzerinnen und Nutzer sind sensibilisiert und sehen die Probleme, die ein nicht reguliertes digitales Angebot mit sich bringt. Ich denke da an Fake News, Desinformation und den Schutz von privaten Daten. Wir stellen fest, dass das Bedürfnis der oder des Einzelnen nach seriösen Informationen nach wie vor da ist; aus gesellschaftlicher Sicht hat die Notwendigkeit im Zeitalter der Digitalisierung jedenfalls zugenommen.
Die professionellen Medien als die vierte Gewalt?
Wir haben die Vorstellung, dass Medien der Politik auf die Finger schauen müssen. Das ist zwar richtig, aber sie sollen auch sich selbst und dem Internet auf die Finger schauen. Das machen sie viel zu wenig. Den professionellen Informationsmedien käme es zu, den Wildwuchs im Netz einzudämmen.
Was bedeutet der Medienwandel für die Kommunikation eines Bundesamtes?
Die Kommunikationsarbeit für Organisationen und Behörden ist komplexer geworden. Getrieben durch die Fragmentierung ist die Aufmerksamkeit des Publikums auf mehrere Kanäle aufgeteilt. Viele Nutzer und Nutzerinnen leben auf kleinen Informationsinseln. Ein Amt muss mehrere Kanäle bedienen und sich fragen: Wie erzähle ich eine Geschichte, beziehungsweise wie mache ich das sogenannte Storytelling über verschiedene Kanäle?
Und die Beiträge werden dann online geteilt.
Eine Behörde muss mit ihren Bezugsgruppen interagieren. Dafür braucht es Multiplikatoren oder Influencer, die einen Beitrag aufnehmen und in ihren Zielgruppen weiterverbreiten. Die sozialen Medien haben die Personalisierung nochmals auf eine neue Stufe gehoben. Es braucht also Gesichter, Menschen entlang von Dossiers und Kompetenzfeldern. Vor allem bei den Jugendlichen ist der Inhalt nur sekundär. Zentraler für sie ist die Frage: Von wem wurde ein Inhalt verfasst oder geteilt?
Das BAFU verbreitet alle seine Informationen auch über Twitter. Ist dieser Weg richtig?
Genau, das ist ein guter Ansatz. Aber die traditionellen Medien bleiben wichtig. Wir sprechen von einem medialen Ökosystem, wo herkömmliche und neue Medien ineinandergreifen. Hardnews, die in sozialen Medien verbreitet werden, stammen zu 90 Prozent von professionellen Medien. Die sozialen Medien sind also nur in Ausnahmefällen – ich denke da an die #metoo-Debatte – Agendasetter.
Werden wir in zehn Jahren zurückblicken und denken: Unglaublich, dieser Hype um die sozialen Medien?
Immer wenn neue Informationstechnologien aufkommen, ist am Anfang ein euphorischer Überschwang spürbar: beim Privatfernsehen, beim Internet und jetzt bei den sozialen Medien. Man hat sich jeweils mehr Demokratie erhofft. Eine Kommunikationstechnologie macht eine Gesellschaft aber nicht einfach besser, es gibt nicht einfach mehr Demokratie. Man muss gesitteten und intelligenten Diskurs auch wollen. Wir befinden uns momentan in einer Phase der gesunden Ernüchterung. Die Bedeutung der herkömmlichen Medien wird wieder stärker werden.
Auch die der gedruckten Zeitung? Immerhin wird ihr Ende schon lange prophezeit.
Ich bin überzeugt, dass die gedruckte Zeitung auch langfristig überleben wird. Sie ist physisch erfahrbarer, professioneller Journalismus, produziert von einer Redaktion. Die gedruckte und qualitativ hochstehende Zeitung wird sich aber in Richtung Luxusprodukt entwickeln, das sich nur eine Minderheit leisten will. Ich gehe davon aus, dass diese rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen wird.
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Letzte Änderung 05.09.2018