«Alles hängt zusammen»

Mehrere Bürgerinitiativen setzen sich für die Förderung der Kreislaufwirtschaft ein, z. B. Zero Waste Switzerland, die Repair Cafés oder der Verein Free Go, der frei zugängliche Kühlschränke organisiert. Die Massnahmen sind aber noch nicht koordiniert und betreffen nur bestimmte Sektoren. Damit die Bewegung richtig ins Rollen kommt, müssen auch der Gesetzgeber, die Unternehmen und die Industrie mitmachen. In der Schweiz herrscht heute Aufbruchsstimmung.

Text:  Cornélia Mühlberger de Preux

Das BAFU begrüsst und fördert Initiativen von Kantonen, Gemeinden und Privaten – zum Beispiel im Bereich der Kreislaufwirtschaft.

Natalie Bino produziert ganze vier Kilogramm Abfall pro Jahr. Wie geht das? «Keine Abfalleimer mehr, Verpackungen vermeiden, gründlich sortieren und recyceln.» Familie Bino kauft beim Bauern nebenan und in Lebensmittelläden unverpackte Lebensmittel ein und Kleider in Secondhandshops. Aller Anfang ist schwer: Die Abfälle auf das absolute Minimum zu reduzieren, ist ein Kraftakt, aber die «Entrümpelung» wirkt befreiend, und man erkennt die eigentlichen Prioritäten. Natalie Bino, die Gründerin (2015) und Geschäftsführerin von Zero Waste Switzerland (ZWS), weiss, wovon sie spricht. Der Verein zählt heute etwa 800 Mitglieder, darunter 120 Kollektivmitglieder. Ziel ist es, die Schweizer Bevölkerung für die nachhaltige Abfallreduktion zu sensibilisieren. Dazu wurden drei Schwerpunkte bestimmt: Inspiration mit Konferenzen und Diskussionen, Motivation und Aktivierung im Rahmen von Workshops und Zero-Waste-Cafés, Einbeziehung der öffentlichen Hand. «Zuerst müssen die Menschen verstehen, dass alles zusammenhängt und dass ein Lebensstil, der unseren Planeten schont, überhaupt möglich ist. Wir beschränken uns nicht auf Recycling, sondern wollen Abfälle konsequent an der Quelle vermeiden», erklärt Natalie Bino.

Abfälle konsequent reduzieren

ZWS ist eine unerschöpfliche Quelle von Ideen, Projekten und Aktivitäten. Der Verein organisiert Vorträge und Workshops und begleitet Unternehmen, Gemeinden und Schulen. ZWS vermittelt auf der Website praktische Tipps und Informationen mit Links zu verschiedenen Studien, insbesondere zu den Auswirkungen von Recycling- bzw. Einmal-Verpackungen. Letztes Jahr hat der Verein einen Leitfaden über Zero Waste im Lockdown herausgegeben. Weitere Broschüren behandeln Themen wie Einkaufen im Supermarkt oder die abfallfreie Eventorganisation.

Privatpersonen, Gemeinden und Unternehmen lassen sich von ZWS beraten. Vor Kurzem wandte sich der Energieversorger Romande Energie an den Verein: In Workshops erhielten die Mitarbeitenden Hilfestellung dazu, wie man umweltbewusster (weniger und besser) konsumiert. Das breite Themenspektrum reichte vom Grillieren über Sportschuhe und Basteln bis zum Frühlingsputz! ZWS denkt unkonventionell und versucht, die Bedürfnisse der Teilnehmenden zu erahnen. Der Verein führt auch verschiedene Pilotprojekte durch. Gegenwärtig bewirbt ZWS einen Aufkleber, den Geschäfte erhalten sollen, in denen man Verpackungen reduzieren und Artikel in wiederverwendbaren Behältern kaufen kann.

Heute ist der Verein vor allem in der Westschweiz präsent. Zu den engagierten Gemeinden gehören Carouge, Genf, Lausanne, Vevey, Montreux, Yverdon, Neuenburg und Val-de-Ruz. ZWS hat auch in Basel und Bern Kontakte geknüpft und plant Workshops in den Kantonen Uri und Zug. «Man nimmt unsere Bewegung ernst, die Begeisterung ist richtig spürbar. Für uns sind diese Massnahmen aber erst der Anfang: Zero Waste ist nur der erste Schritt zu einer nachhaltigen Wirtschaft», relativiert Natalie Bino.

Das BAFU unterstützt das Konzept

Zero Waste Switzerland und das BAFU verfolgen dabei ganz klar die gleichen Ziele: Auch das BAFU macht sich seit Jahren für die Kreislaufwirtschaft stark. Wie Zero Waste plädiert das BAFU dafür, Abfälle «an der Quelle» zu vermeiden. «Der umweltfreundlichste Abfall ist eindeutig der, der gar nicht erst entsteht», so die BAFU-Vizedirektorin Karine Siegwart. Sie erinnert an die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, die sich von den noch verbreiteten linearen Produktionsprozessen unterscheiden. In der Kreislaufwirtschaft werden Produkte und Materialien im Umlauf gehalten und so weniger Primärrohstoffe verbraucht. Zudem bleibt der Wert der Produkte länger erhalten, und es fällt weniger Abfall an. Weil dabei der gesamte Kreislauf der Produkte und Materialien betrachtet wird, braucht es ein Umdenken aller Beteiligten. «Um die Stoffkreisläufe optimal zu schliessen, muss man sich auch mit der Entsorgung und der Herstellung der Produkte befassen. Zwei weitere interessante Ansätze sind das Design for Recycling und das Ökodesign», betont Karine Siegwart. Das BAFU fördert mit dem Umwelttechnologiefonds Innovationen und Pilot-Produkte, um die grüne Wirtschaft anzukurbeln und langfristig Ressourcen zu schonen.

Credo der FRC: Reparieren!

Um die Ressourcenverschwendung zu begrenzen, setzt die Fédération romande des consommateurs (FRC, Westschweizer Verbraucherschutz) auf die Reparatur von defekten oder kaputten Objekten. Als Pionierin in diesem Bereich fördert und unterstützt die FRC seit 2013 die Repair Cafés. Dort stellen geschickte Bastler, Reparatur-Profis oder ­Berufsschüler ihre Zeit, ihr Know-how, ihre Werkzeuge und soweit möglich auch Ersatzteile zur ­Verfügung, um den Eigentümern zu helfen, die beschädigten Gegenstände zu reparieren. Dieses ökonomische, ökologische und soziale Konzept ermöglicht es auch, dass man sich die Gegenstände im eigentlichen Sinn wieder aneignet. Wer kennt nicht das Gefühl von Machtlosigkeit und Ärger, wenn die Kaffeemaschine tröpfelt, das Velo «eiert» oder das Smartphone stumm bleibt?

Heute ist die Bewegung mit ungefähr 160 Repair Cafés in der ganzen Schweiz vertreten. Jede Struktur, jede Veranstaltung hat ihre eigenen Besonderheiten, und die lokalen Cafés unterscheiden sich je nach Vereinen, Geschäften usw. 2016 entwickelte die FRC mithilfe des BAFU ein Starter-Kit für die Repair Cafés. Darin sind umfassende Checklisten mit vielen praktischen Tipps enthalten. Der Leitfaden kann gratis heruntergeladen werden. Ziel ist es, dass solche Initiativen Nachahmende finden. Zudem wurde auf der Website des Vereins das Verzeichnis der professionellen Reparaturwerkstätten und der Recycling-Initiativen in der Romandie aktualisiert. Reparieren und Wiederverwenden sind Schlüsselkonzepte gegen die programmierte Obsoleszenz, doch die FRC geht einen Schritt weiter: «Die Gegenstände müssen per Design nachhaltig sein, damit wir ihnen ein zweites Leben geben können.» Die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft müssen also bereits in der Designphase beachtet werden. Die FRC vertritt diese Vision auch in der Politik, damit sich das Marktangebot an dieses Erfordernis anpasst.

Keine Lebensmittel verschwenden

Zwei Drittel der Umweltbelastung gehen auf die Ernährung, das Wohnen und die Mobilität zurück. Deswegen sei es wichtig, bei allen diesen Teilsystemen anzusetzen, wie Karine Siegwart betont. Die Initiative Free Go kämpft gegen Verschwendung und übermässigen Verbrauch von Lebens­mitteln. Im Rahmen von Free Go werden frei ­zugängliche Kühlschränke mit unverkauften Lebensmitteln aus dem Handel, privaten Spenden oder mit von Firmen gesponserten Esswaren aufgestellt. Diese Dienstleistung rettet gutes Essen vor der Mülltonne – und kommt sozial bedürftigen Menschen zugute. Der Verein Free Go wurde 2019 gegründet. Die Kühlschränke sind in Läden, ­Bäckereien, Kiosken oder Cafés in verschiedenen Gemeinden untergebracht. Heute versorgt Free Go etwa 15 frei zugängliche Kühlschränke hauptsächlich im Kanton Neuenburg, aber auch im Kanton Waadt und im Kanton Bern. 2020 wurden so rund 2600 Kilogramm Waren abgegeben. Free Go möchte in der ganzen Schweiz und auch im Ausland Fuss fassen.

Das BAFU begrüsst Basisinitiativen wie Free Go. Mit anderen Bundesämtern, Kantonen und Organisationen hat das BAFU auch die Kampagne «Safe food, Fight waste» unterstützt: Damit soll die Lebensmittelverschwendung pragmatisch und spielerisch reduziert werden. «Bürgeraktionen und Kampagnen in der Bevölkerung allein genügen nicht. Wir brauchen Impulse von oben. Die Wirtschaft, die Industrie, die Unternehmen und die Grossverteiler müssen sich engagieren und organisieren, um die Stoffkreisläufe und die Recyclingsysteme zu verbessern», betont Karine Siegwart.

Gesetzliche Verankerung

«Wir verfolgen die Arbeit von Zero Waste Switzerland, die Repair Cafés und Free Go genau mit, aber uns fehlt heute eine gesetzgeberische Handhabe, um solche Projekte zu fördern», so die BAFU-Vizedirektorin. Die heutigen Gesetze basieren tendenziell auf den Grundsätzen der linearen Wirtschaft, die auf die Steigerung von Produktion und Konsum ausgerichtet ist. Doch nun möchte eine parlamentarische Initiative das Ruder herumreissen und die Kreislaufwirtschaft im Gesetz verankern, um die Voraussetzungen für einen nachhaltigen und effizienteren Ressourceneinsatz zu schaffen. Die Idee dahinter ist, dass Bund und Kantone enger mit den Organisationen der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Um die Verwendung von recycelten Rohstoffen zu fördern, müssen zudem Anreize für die Optimierung der Verpackungen und die Abfallverwertung gegeben werden. «Diese Initiative schafft einen Rahmen bzw. ein Dach für die Zukunft. Das neue Gesetz könnte Projekten wie den oben beschriebenen Aufschwung geben», freut sich Karine Siegwart. In puncto Zeitplan soll die Gesetzesvorlage noch dieses Jahr im Parlament eingereicht und wahrscheinlich 2022 im National- und Ständerat erörtert werden. Das Inkrafttreten könnte dann für 2024 anvisiert werden.

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Letzte Änderung 01.09.2021

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