Partizipation: Gemeinsam Landschaft schaffen

Die Schweizer Landschaften stehen unter Druck: Die Siedlungsfläche nimmt zu, Strassen und Schienen zerschneiden die Lebensräume immer stärker. Damit eine Trendwende gelingt, setzt das BAFU im Auftrag des Bundesrates die politischen Leitplanken für eine qualitätsvolle Landschaftsentwicklung. Mitreden wollen hier aber einige.

Text: Lucienne Rey und Peter Bader

Das BAFU beteiligt zahlreiche Ansprechgruppen an seinen Projekten, zum Beispiel bei der Landschaftsentwicklung.

Als «Unort» wurde er bezeichnet, «potthässlich und fussgängerunfreundlich», gar als «Schandfleck Zürichs». Die Rede ist vom Escher-Wyss-Platz, einem Verkehrsknotenpunkt, der sich unter den Betondeckel der darüber führenden Hardbrücke duckt. 1973 fertiggestellt, steht diese für eine gänzlich auf das Auto ausgerichtete Verkehrspolitik. Doch trotz des düsteren Standorts, der sich selbst durch mehrere Aufwertungsprojekte nicht aufhellen liess, erhält die Location in gewissen Kreisen freundlichere Bewertungen: «Schnappschüsse wie diesen liebe ich – das wahre Gesicht Europas hinter den historischen Bauten», so ein Kommentar zu einer Aufnahme des Platzes auf der Fotoplattform Flickr. «Ich mag das irgendwie wegen der brutalen städtischen Ehrlichkeit», ergänzt eine andere Person.

Seit jeher beeinflussen Bilder unsere Sehgewohnheiten. Das Wort «Landschaft» fand über die barocke Malerei Eingang in den Wortschatz des gebildeten Bürgertums; als «künstlerische bildliche Darstellung einer Gegend» definiert es denn auch das grimmsche Wörterbuch. Generationen englischer Gärtnerinnen und Gärtner nahmen sich die durchkomponierten, in dramatisches Licht getauchten Landschaftsbilder von Claude Lorrain (1600–1682) zum Vorbild, wenn sie weitläufige Pärke gestalteten. 

Landschaft, das war lange Zeit die idyllische, malerische Gegend. Sie war es auch, welche die Menschen in der Schweiz zu frühem natur- und landschaftsschützerischem Engagement veranlasste (siehe auch Text ab S. 44). Auch das BAFU trug einst die Landschaft im Namen, als es nochBundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) hiess. 

Von dieser primär ästhetischen Sicht hat sich das 2013 von der Schweiz ratifizierte Europäische Landschaftsübereinkommen verabschiedet. Ihm zufolge bedeutet Landschaft «ein Gebiet, wie es vom Menschen wahrgenommen wird und dessen Charakter das Ergebnis der Wirkung und Wechselwirkung von natürlichen und/oder menschlichen Faktoren ist». Mithin gehören auch Städte und Agglomerationen, Gewerbegebiete oder eben ein Verkehrsknotenpunkt wie der Escher-Wyss-Platz zur Landschaft. Daniel Arn von der Sektion Landschaftspolitik beim BAFU spricht deshalb von der Alltags- und Gebrauchslandschaft: «Wir wohnen, arbeiten, bewegen uns in der Landschaft und verbringen unsere Freizeit darin.» 

Vielfalt in Einklang bringen

Die Leistungen der Landschaft sind also mannigfaltig. Jenseits des ästhetischen Genusses und der Gefühle von Verbundenheit, die sie den Menschen bietet, ist sie auch Wirtschaftsstandort und Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Diese Vielfalt ist konfliktträchtig, denn nicht immer lassen sich die unterschiedlichen Landschaftsleistungen und die damit verbundenen Anforderungen unter einen Hut bringen.

Die Behörden müssen den vielfältigen Nutzungsansprüchen im Umgang mit der Landschaft Rechnung tragen – und dabei auch noch die für dieBiodiversität besonders wertvollen und die dasSchönheitsempfinden der Menschen ansprechenden Landschaften schützen. Auf letztere Aufgabe ausgerichtet ist beispielsweise das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). 

Doch allein mit dem Bewahren des Status quo ist es nicht getan. Denn die Landschaft ist einem beständigen – und immer schnelleren – Wandel unterworfen. Die Siedlungsfläche hat sich in den letzten 50 Jahren etwa verdoppelt. Die Verkehrsinfrastruktur wurde ausgebaut, die Zerschneidung und Zersiedelung der Landschaft hat zugenommen; Landwirtschaft wird intensiver und grossflächiger betrieben und verändert damit den Charakter ganzer Regionen. 

Um gesamthaft eine Entwicklung der Landschaft zu gewährleisten, die deren Qualitäten langfristig sichert, hat das BAFU im Auftrag des Bundesrates das Landschaftskonzept Schweiz (LKS) aktualisiert. Die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der Bevölkerung wurden dabei von Anfang an einbezogen. 


Bilddokumentation Landschaftswandel


Akzeptanz und Qualität 

Bei der Überarbeitung des LKS suchte das BAFU mit 13 Bundesämtern und mit den Kantonen sowie mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Forschung, der Praxis und von Interessenorganisationen das Gespräch. Den Auftakt dazu machte eine Roadshow mit Stationen in der deutschen und der französischen Schweiz. Auch hier halfen Bilder, dem Publikum den Zugang zur Landschaft und zu ihrer Entwicklung zu erleichtern: Es wurden eigens angefertigte Illustrationen präsentiert, welche die im LKS formulierten Ziele besser zu veranschaulichen vermochten, als es Fotos gekonnt hätten. Ausserdem erhielten Besucherinnen und Besucher der Präsentation Gelegenheit, Fragen zu stellen und sich mit den Fachleuten zu unterhalten. Der Start der Anhörung glückte: «Es gelang, zahlreiche neue Kreise für das Thema Landschaft zu interessieren; insbesondere aus der Sport- und Gesundheitsbranche gab es überraschend viele Rückmeldungen», hat Daniel Arn beobachtet.

Darüber hinaus fand eine viermonatige öffentliche Mitwirkung statt. Kantone, ausserparlamentarische Kommissionen, Parteien, Gemeinden, Verbände, Unternehmen und Privatpersonen reichten insgesamt 147 Stellungnahmen ein, die zu 90 Prozent positiv ausfielen. «Diese überaus deutliche Zustimmung dürfen wir auf den breiten Einbezug der Öffentlichkeit zurückführen», ist Daniel Arn überzeugt.

Vorbildliches Vorgehen

Martina Brennecke, Abteilungsleiterin Natur und Landschaft des Amts für Raum und Verkehr in der Baudirektion des Kantons Zug, nennt die Überarbeitung des LKS einen «sehr guten Prozess». Der Bund habe von Anfang an eine echte Mitsprache aller angestrebt. Unter anderem deshalb sei im aktualisierten LKS die Verknüpfung von Raumplanung und Landschaft bestens gelungen. 

Die Kantone beteiligten sich an der Umsetzung der behördenverbindlichen Ziele des LKS. Diese fliessen in die kantonalen Richtplanungen ein, an die sich die Gemeinden zu halten haben. «Letztlich geht es um die Frage: Wie bringe ich die Landschaftsanliegen den Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten näher?», erklärt Daniel Arn vom BAFU. Dazu beitragen will das BAFU unter anderem mit einem Pilotprojekt, in dem Städte und Gemeinden vom Verband für Raumplanung EspaceSuisse beraten werden (siehe Box S. 34). 

Im Kanton Zug müssen derweil alle Gemeinden ihre Raumplanungsmittel (z. B. Zonenplan und Bauordnung) bis 2025 überarbeiten. Hintergrund bilden das revidierte Raumplanungsgesetz (RPG) und die zugehörige Verordnung (RPV) sowie der vom Kantonsrat beschlossene Einzonungsstopp. Er hält die Gemeinden zu einer konsequenten, qualitätsvollen Innenentwicklung an.

«Wir vom Kanton haben den Gemeinden dazu Leitideen mit auf den Weg gegeben», sagt Martina Brennecke. «So haben wir benachbarte Gemeinden zur Zusammenarbeit angeregt und ihnen nahegelegt, Themen wie Naherholung, Freiräumen oder Langsamverkehr eine zentrale Rolle zuzuweisen. Auch haben wir empfohlen, früh die Bevölkerung miteinzubeziehen.» Die Gemeinden Zug, Baar, Cham, Steinhausen, Hünenberg und Risch haben nun genau das gemacht: Aufgrund einer gemeinsam entwickelten Vision erarbeitet jede Gemeinde ein eigenes Raumentwicklungskonzept, das sie der Bevölkerung zur Mitwirkung vorlegt. «So können wir die übergeordneten Ziele des Landschaftskonzepts bis in die einzelnen Parzellen der Gemeinden runterbrechen», ist Martina Brennecke überzeugt.

Während das LKS die Landschaftsentwicklung generell in den Blick nimmt, kennt die Schweiz bei Einzelprojekten eine urdemokratische Form der Mitwirkung – nämlich diejenige an der Urne. ­Allerdings ist hier die Mitsprache insofern rudimentär, als ein Projekt entweder angenommen oder abgelehnt werden kann; inhaltliche Modifikationen lassen sich keine anbringen. «Zudem sind die Auseinandersetzungen im Vorfeld des Urnengangs oft spannungsgeladen, was sich bei einer gut moderierten Partizipation vermeiden lässt», so Daniel Arn.

Auch der Escher-Wyss-Platz ist in seiner heutigen Form das Ergebnis mehrerer Abstimmungen. 2010 lehnte die Stimmbevölkerung ein Projekt zur Belebung des Platzes ab, und 2014 hiess sie die neue Führung einer Tramlinie über die Hardbrücke gut. Nun werden die Betonstelzen am Escher-Wyss-Platz, welche die Brücke abstützen, durch zwei geschwungene Treppenaufgänge ergänzt. Sogar für Kunstwerke findet sich Raum: Fünf monumentale Skulpturen stehen am Rand des Platzes. Als Leihgabe bleiben sie der Stadt bis 2022 erhalten. Und setzen einen weiteren Blickfang, der die Vorübergehenden daran erinnert, dass die alltägliche Landschaft von vielen gestaltet wird.

Mit den Menschen sprechen

Wie lässt sich das Schloss ein bisschen mehr «ins Dorf holen»? Dank einer neuen Parkanlage mit Fusswegen, Treppen, einer Rutschbahn und einem Wasserlauf? Über solche Fragen sprachen an einem Samstagmorgen im Sommer 2019 rund 70 Dorfbewohnerinnen und -bewohner in der Schulanlage Aebnit in Riggisberg (BE). Es habe eine «lebhafte und engagierte Stimmung» geherrscht, ist auf der Gemeinde-Website nachzulesen, die Diskussion habe zu einer «Fülle von Aussagen, Gedanken und Anregungen» geführt. Die Gemeinde im Gantrischgebiet hatte zum Dorfgespräch geladen, um mit der Bevölkerung Grundsatzfragen zur Entwicklung des Ortskerns zu erörtern. Geleitet wurden die Diskussionen von externen Fachleuten des Verbandes für Raumplanung EspaceSuisse. Dieser bietet Gemeinden solche Dorfgespräche an: «Wir lösen einen kompakten und kostengünstigen Denkprozess über die Entwicklung einer Gemeinde aus, an der Bevölkerung und Behörden gleichermassen beteiligt sind», sagt Damian Jerjen, Direktor von EspaceSuisse. 

Die engen Beziehungen zu den Gemeinden prädestiniert EspaceSuisse für ein Pilotprojekt, das die Ziele des überarbeiteten Landschaftskonzepts Schweiz (LKS) umsetzen soll. Im Auftrag des BAFU stärkt der Verband in den kommenden drei Jahren bei seinen Beratungen von Städten und Dörfern die Auseinandersetzung mit den Landschaftsqualitäten, etwa in Fragen der Verdichtung und Erneuerung von Ortskernen oder der Entwicklung grosser Areale im Zentrum. Ziel sei eine hohe städtische Landschaftsqualität, wobei insbesondere Grün- und Freiräumen grosse Bedeutung zukomme, betont Damian Jerjen. «In Innenstädten ist der Quadratmeter teuer und der Wettbewerbsdruck beträchtlich. Manche Gemeinde denkt daher nicht in erster Linie an Grün- und Erholungsräume, die Anpassung an den Klimawandel oder die Biodiversität. Hier ist unsere Sensibilisierungs- und Überzeugungsarbeit gefordert.» 

Ein zweites Projekt des BAFU setzt auf Kurzberatungen, die den Gemeinden Impulse für die qualitätsvolle Entwicklung ihrer Landschaft geben sollen. In Zusammenarbeit mit Kantonen und Gemeinden sowie den massgeblichen Berufsverbänden wird derzeit ein Pool von Fachleuten aufgebaut, die für diese Beratungen angefragt werden können.

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Letzte Änderung 01.09.2021

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