Feldbodenkartierung: Bohren für den Schutz des Bodens

Unverbautes Land steht unter Druck. Siedlungen dehnen sich aus, und Verkehrswege beanspruchen immer mehr Platz. Dies geht zulasten von kostbarem Boden, auf den wir dringend angewiesen sind. Flächendeckende Bodendaten legen die Basis, um unverbaute Flächen künftig besser zu schützen und die Böden als zentrale Lebensgrundlage nachhaltiger zu nutzen.

Text: Lucienne Rey

Martin Zürrer entnimmt eine Bodenprobe
Umweltberater und Bodenökologe Martin Zürrer entnimmt eine Bodenprobe.
© Kilian J. Kessler | Ex-Press | BAFU

Mag die Erde auch an den Schuhsohlen kleben, so fällt es dank der Feuchtigkeit immerhin leichter, mit dem Hohlmeisselbohrer in die Tiefe zu dringen. Die Feldaufnahmen der Bodeninformationen sind nämlich auch auf weichem Grund ziemlich schweisstreibend, zumal die Augustsonne die Szenerie bescheint. Der Ingenieur-Agronom Martin Zürrer – Geschäftsleiter der auf bodenkundliche Arbeiten spezialisierten myx GmbH – und die Journalistin stehen in der «Witi». Die weite Ebene zwischen Grenchen (SO) und Solothurn stösst gegen Norden an den Jurasüdfuss und steigt im Süden zum Bucheggberg hin an. In das Grillenzirpen mischt sich ab und zu das Brummen der Kleinflugzeuge, die den nahe gelegenen Flugplatz nutzen und sich den Luftraum mit den Störchen aus Altreu (SO) teilen. Wie mit dem Lineal gezogen, verlaufen die Wege im rechten Winkel zueinander, und ebenso akkurat angelegt sind die Äcker.

Die Kulturen hingegen weichen von der Gleichmässigkeit ab. Zuckerrüben, Soja und Mais stehen nahe am Weg hoch und dicht; in der Feldmitte aber sehen die Pflänzchen kümmerlich aus. Dem Fachmann geben sie Hinweise auf Stellen, die allenfalls stärker vernässt sind. Denn der Zustand der Gewächse widerspiegelt die Beschaffenheit des Erdreichs.


Kompetenzzentrum Boden: Visualisierung einer Bodenkartierung


Umfangreiche Vorarbeiten

Den bevorstehenden Erhebungen mit dem Handbohrer gingen aufwendige Abklärungen voraus. Anhand von geologischen Karten, Entwässerungsplänen sowie Flugaufnahmen und ersten Probebohrungen galt es, zuerst günstige Standorte für die Bodenprofilgruben auszusuchen. Dabei handelt es sich um anderthalb Meter tiefe Gräben auf einer Fläche von rund einem Quadratmeter. «Wir achten darauf, die Gruben in der Nähe von Wegen anzulegen, damit wir mit dem Bagger nicht zu weit ins Feld fahren müssen», erläutert Martin Zürrer.

Etwa 40 Bodenprofilgruben hat das Team der myx GmbH auf dem rund 700 Hektaren grossen Areal ausgehoben, für dessen Kartierung es zuständig ist. Ein solches Profil gestattet es, anhand einer präzisen Anleitung den jeweiligen Boden zu klassifizieren: Anteile von Ton, Schluff und Sand in den verschiedenen Schichten, die in der Fachsprache «Horizonte» heissen, sowie Kalkgehalt, Einfluss des Wassers, Gefüge, vorhandenes Gestein – all diese und zahlreiche weitere Kriterien bestimmen den Bodentyp. Damit gestatten sie auch Rückschlüsse auf wichtige Merkmale wie zum Beispiel die «pflanzennutzbare Gründigkeit». Mindestens 50 Zentimeter muss sie in die Tiefe reichen, damit ein Boden als Fruchtfolgefläche angerechnet werden kann.

Wie die Beobachtung einer Feldbeprobung zeigt, gibt es bei dieser Arbeit einen gewissen Ermessensspielraum. Daher besprechen alle an einer Erhebung der Bodeneigenschaften Beteiligten in mehreren Umgängen ihre Ergebnisse, um eine deckungsgleiche Beurteilung sicherzustellen. «Es gibt Fragen, die immer wieder zur Sprache kommen», erzählt Anna Plotzki, die beim Amt für Umwelt des Kantons Solothurn für die Boden­kartierung zuständig ist. «Die Wasserverhältnisse sind beispielsweise nicht immer eindeutig, sodass unklar ist, ob ein Boden eher von Stau- oder Grundwasser beziehungsweise von Hangwasser geprägt ist.»

Nun also stehen wir in einem Zuckerrübenacker. Für die erste Probe schraubt Martin Zürrer seinen Bohrstock an einer feucht schimmernden Stelle mit mickrigen Pflänzchen in die Tiefe. Die herausgebohrten Erdzylinder zeigen eine obere, gräulich-braune und stark tonhaltige Lage, auf die ab einer Tiefe von 40 Zentimetern ein dunkelgrauer und äusserst kompakter Horizont folgt. Er sei zunächst ratlos gewesen, wie er dieses Material benennen solle, erzählt Martin Zürrer. Geologische Angaben halfen weiter: Nach der letzten Eiszeit hinterliess der Rhonegletscher den sogenannten Solothurnersee, von dem letzte Reste als Bieler-, Neuenburger- und Murtensee fortbestehen. Die dichte schwärzliche Schicht wurde demzufolge als Seebodenlehm identifiziert.

Spiegel der Landschaftsentwicklung

Die zwei nächsten Bohrungen folgen etwa 50 respektive 100 Meter weiter im Feld. Die Zuckerrüben gedeihen immer besser; allmählich streifen ihre sattgrünen Blätter unsere Knie, und die Pflanzenreihen schliessen sich. Auch bei diesen Proben besteht die oberste Schicht aus einem braungrauen Material mit rötlichem Schimmer. Der Fachmann erkennt darin Spuren von Eisen, das im wechselweisen Kontakt mit Wasser und Luft zu Rost oxidiert ist. Es handelt sich dabei um einen typischen Gley-Boden, der sich unter dem Einfluss von Grund- und Sickerwasser gebildet hat. Einige auf die Probe geträufelte Tropfen Salzsäure beginnen zu schäumen und zeigen damit das Vorkommen von Kalk an. Der Seebodenlehm liegt jeweils gut 10 Zentimeter tiefer als am vorgängig untersuchten Standort. Infolgedessen konnte das Wasser besser abfliessen, was der Vegetation zugutekommt. Entsprechend tiefer reicht die pflanzennutzbare Gründigkeit.

Es sei spannend, anhand der Bodenbeschaffenheit die Entstehungsgeschichte der Landschaft nachzuzeichnen, findet Martin Zürrer. Denn die vergleichsweise mächtige fruchtbare Bodenschicht ist auf Material zurückzuführen, das die Aare nach dem Verschwinden des Solothurnersees angeschwemmt hat. Bis zur Feldmitte vermochte der Fluss seine Fracht aber nicht zu transportieren, sodass sich dort die Nässe staut.

Flächendeckend informiert

Die heute vorgenommenen Bohrungen dienen dazu, die Bodenbeschaffenheit an Standorten zwischen den bereits analysierten Bodenprofilen zu ermitteln. Auf einem Luftbild markiert Martin Zürrer die Bohrstellen und vermerkt dazu die Codes der Boden­eigenschaften. Aufmerksam mustert er die Vegetation, denn sie gibt ihm Hinweise darauf, wo die Grenzen von Gebieten mit ähnlicher Bodenbeschaffenheit verlaufen. Später werden die Angaben im Büro digital erfasst. Die Arbeit wird schliesslich in eine Karte münden, welche die Bodeninformationen des untersuchten Areals flächendeckend darstellt. «Bis in gut 10 Jahren soll der ganze Kanton Solothurn bodenkundlich kartiert sein», bestätigt Anna Plotzki vom Amt für Umwelt. Alle Interessierten können die bereits erhobenen Daten auf dem kantonalen Geoportal abfragen. Sowohl Flächendaten als auch Profilstandorte lassen sich im Internet anklicken, und es erscheinen die bodenkundlichen Informationen.

Diese Angaben sind vielseitig verwendbar, insbesondere für das Ausscheiden der Fruchtfolgeflächen. Von den verschiedenen Anwendungskarten zeigt beispielsweise die Verdichtungsempfindlichkeitskarte, welche Böden im nassen Zustand besonderer Schonung bedürfen. Und erfordert ein grösseres Bauvorhaben einen Bodenabtrag, so weiss man dank der vorhandenen Informationen, welche Massnahmen zu ergreifen sind, um das Material andernorts für Bodenverbesserungen einzusetzen.

Lohnender Aufwand

Aus Sicht von Fabio Wegmann von der Sektion Boden des BAFU sind präzise Angaben über die Beschaffenheit des Bodens unabdingbar. «Nur was man kennt, will und kann man schützen», ist er überzeugt. Noch wisse unsere Gesellschaft viel zu wenig über die vielfältigen Funktionen und über die Empfindlichkeit des Bodens. Abgesehen von seiner Rolle für die Landwirtschaft, hat er einen grossen Einfluss auf die Biodiversität. Auch seine Bedeutung für den Klimawandel ist kaum zu überschätzen: So hat das Nationale Forschungsprogramm «Ressource Boden» NFP 68 gezeigt, dass der Ausstoss von Kohlendioxid aus Torfböden in der Schweiz rund 14 Prozent der von der Landwirtschaft emittierten Treibhausgase ausmacht.

Doch liessen sich – im Zeitalter von Robotik und künstlicher Intelligenz – Bodendaten nicht schneller und kostengünstiger erheben als von Hand? Martin Zürrer ist skeptisch. Zwar gibt es mittlerweile Fahrzeuge für den Transport eines mit Sensoren ausgestatteten Bohrers, der den Bohrkern scannen kann. «Diese Bohrfahrzeuge funktionieren aber nur dort, wo es nicht zu steil ist, keine Kulturen wachsen, keine Steine im Boden sind und schon relativ viel über den Boden bekannt ist», erläutert der Fachmann. Dies verteuert die Bohrungen, sodass am Ende weniger gebohrt werde, was zu weniger verlässlichen Bodeninformationen führe. Mehr Potenzial zur Unterstützung der Feldarbeit ortet der Bodenexperte in Langzeit-Satellitenbildreihen, deren Auflösung zurzeit noch zu grob sei, sich aber laufend verfeinere. Allerdings gelte es, eine zu strenge Arbeitsteilung zwischen IT-Fachleuten einerseits und der Bodenkunde andererseits zu vermeiden. Es wäre nämlich fatal, die spannende Auseinandersetzung mit der Boden- und Landschaftsentstehung an die Geoinformatik zu übertragen und die bodenkundliche Arbeit im Gelände zur reinen Routinearbeit verkommen zu lassen. «Dann wäre kaum mehr Personal für Felderhebungen zu gewinnen», findet Martin Zürrer.

Fabio Wegmann sieht durchaus Potenzial in der Unterstützung durch Fahrzeuge, denkt aber nicht, dass sich die Handarbeit im Gelände ganz durch Roboter ersetzen lässt: «Auch die moderne Bodenkartierung braucht Fachleute, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung die Grundlagendaten und die Landschaft zu lesen verstehen, um so den Entstehungsprozess und die Eigenschaften des Bodens zu erkennen.» Weitere Möglichkeiten, um die Bodenkartierung zu beschleunigen und ihre Kosten zu senken, sieht er unter anderem bei Arbeiten, die im Nachgang zur Feldarbeit im Labor erfolgen. Dank fortgeschrittener Sensoren können hier gewisse aufwendige chemische Analysen entfallen.

In der Solothurner «Witi» zeigt sich die Vielfalt unseres Landes auf kleinem Raum: Ebenen mit fruchtbarem Ackerland lösen sich ab mit den angrenzenden steileren, felsig durchsetzten Hängen. Diese Landschaft bietet aus bodenkundlicher Sicht allemal eine spannende Lektüre.

Anerkanntes Informationsbedürfnis

Der im Mai 2020 vom Bundesrat beschlossene «Sachplan Fruchtfolgeflächen» zielt darauf ab, in der Schweiz so viel Kulturland zu erhalten, dass unser Land in der Lage wäre, seine Bevölkerung im Notfall selbst zu ernähren. Jedem Kanton ist ein verbindliches Kontingent an Kulturland zugewiesen, das er langfristig bewahren muss – und zwar so, dass dessen Qualität erhalten bleibt.

Überprüfen lässt sich diese «Qualitätssicherung» nur, wenn verlässliche Bodeninformationen vorliegen. Allerdings fehlen für die meisten Böden schweizweit aktuelle, nach einheitlichen Kriterien erhobene Bodenkarten im erforderlichen Massstab. Daher hat der Bundesrat das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) im Mai 2020 damit betraut, in Zusammenarbeit mit dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) ein Konzept für eine nationale Bodenkartierung zu erstellen.

Der Bund, das Kompetenzzentrum Boden und die Kantone sind aber nicht nur konzeptionell, sondern auch praktisch tätig. So planen sie für die nächsten Jahre Umsetzungsprojekte, welche die Möglichkeiten und Grenzen neuer – insbesondere datengestützter – Methoden der Bodenkartierung aufzeigen sollen.

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Letzte Änderung 24.02.2022

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