Wegen der Corona-Pandemie blieben viele Beschäftigte im Homeoffice. Auch in Zukunft werden die Leute aus dem Dienstleistungssektor vermehrt in den eigenen vier Wänden arbeiten. Mit allen Vor- und Nachteilen, welche das Homeoffice mit sich bringt: Für die Umwelt sind die Auswirkungen positiv, wie Berechnungen des BAFU zeigen.
Text: Bettina Jakob
Es ist Dienstagmorgen um 7.15 Uhr: Frau Schweizer geht zur Arbeit. Sie nimmt ihre Teetasse vom Küchentisch, tritt ins Zimmer nebenan und startet den Laptop. Sie ist an diesem Tag im Homeoffice und steht damit beispielhaft für viele Erwerbstätige im Land, die seit Ausbruch der Corona-Pandemie von zu Hause aus arbeiten. Ihre Zahl hat deutlich zugenommen: Während vor dem Februar 2020 knapp ein Viertel der gut 5 Millionen Beschäftigten im Land mindestens einen halben Tag pro Woche daheim arbeitete, sollen es nun 34 Prozent und damit rund 460 000 Personen mehr sein.
Dies geht aus einer 2020 durchgeführten Umfrage der Beratungsfirma Deloitte hervor. Frau Schweizer kommt dadurch zu einer halben Stunde mehr Schlaf – und das Klima zu einer Verschnaufpause: «Wenn 34 Prozent der Beschäftigten im Inland durchschnittlich einen Tag pro Woche im Homeoffice arbeiten, lassen sich damit die Treibhausgasemissionen einer Stadt mit über 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern einsparen», sagt Josef Känzig, Leiter der Sektion Konsum und Produkte beim BAFU. «Dies entspricht der Bevölkerung von Biel.»
Beachtliche CO2-Reduktion
Kohlendioxid (CO2) ist mengenmässig das wichtigste vom Menschen verursachte Treibhausgas. Es entweicht vor allem beim Verfeuern von fossilen Brenn- und Treibstoffen in die Atmosphäre. Auf ein Jahr betrachtet, ist das Reduktionspotenzial imposant. So wird der Ausstoss durch einen Homeoffice-Tag pro Woche schweizweit um über 260 000 Tonnen reduziert.
Laut Schätzungen des BAFU fallen derzeit an Werktagen aufgrund von Homeoffice täglich mehrere Millionen Pendlerkilometer mit Auto, Motorrad, Tram und Zug weg. Die höchste Umweltbelastung verursacht dabei das Auto, mit dem etwa die Hälfte der Pendelnden unterwegs sind. Ihre Fahrten belasten die Umwelt mindestens fünfmal so stark wie die gleichen Wege mit dem öffentlichen Verkehr. «Aus rein ökologischer Sicht schneidet Homeoffice aufgrund des eingesparten Arbeitswegs besser ab als im Büro zu arbeiten», folgert denn auch Josef Känzig. «Je länger der Arbeitsweg, desto eindeutiger fällt die Umweltbilanz zugunsten des Homeoffice aus.»
Videokonferenzen: gute Ökobilanz
Kurz vor dem 10-Uhr-Meeting greift Frau Schweizer nach ihrem Kopfhörer für den Videoanruf. Für den Arbeitsplatz daheim hat sie Drucker, Headset und einen Bildschirm angeschafft. «In der Corona-Krise wurden zwar zusätzliche elektronische Geräte gekauft, aber viele Haushalte verfügten bereits über eine gute IT-Infrastruktur», sagt Josef Känzig. Die neu erworbenen USB-Multiplikatoren, Bildschirme und weiteres Zubehör würden die gute Gesamtökobilanz des Homeoffice nicht wesentlich schmälern, weil sie mehrere Jahre im Einsatz stünden und ebenfalls dem Privatgebrauch dienten, hält der Konsumexperte fest.
Die Ökobilanz des Homeoffice berücksichtigt auch den Energieverbrauch durch die Elektronik und die Datenübertragung. Auch wenn bei Videomeetings grössere Datenmengen fliessen als beim Mailen, sind deren Auswirkungen weniger belastend als oft angenommen. «Eine zweistündige Videokonferenz mit zwei Personen beeinträchtigt die Umwelt deutlich weniger als ein einziger mit dem Auto gefahrener Kilometer auf dem Weg zur Besprechung vor Ort», stellt Josef Känzig fest. «Wenn man nach der Begrüssung die Kamera vorübergehend ausschaltet, fällt die Datenmenge kleiner aus, und die Umweltbilanz wird noch besser.»
Ökologischer Fussabdruck zu Hause
Für ihre Mittagspause um 12.25 Uhr kocht sich Frau Schweizer eine kleine Mahlzeit. «Das individuelle Kochen im Homeoffice verbraucht tendenziell etwas mehr Energie als in der Kantine oder im Restaurant, wo für viele Gäste gekocht wird», sagt Josef Känzig. Bei der Selbstbedienung am Buffet fällt auswärts allerdings oft mehr «Food Waste» an als beim Kochen und Essen daheim. Ansonsten hängt die Menge an Lebensmittelabfällen sowohl auswärts als auch zu Hause vor allem vom Verhalten der Personen ab, die einkaufen und kochen.
Zurück am Computer schiebt Frau Schweizer einen Papierstapel aufs Pult ihres Gatten. Beide Berufstätigen verfügen seit Kurzem auch zu Hause über einen eigenen Arbeitsplatz. «Es ist gut vorstellbar, dass einige beim nächsten Umzug eine grössere Wohnung suchen werden, um in den eigenen vier Wänden bequemer arbeiten zu können», mutmasst Josef Känzig. Dadurch würde der ökologische Fussabdruck zu Hause grösser. Er geht aber davon aus, dass die Arbeitgeber im Gegenzug ihre Büroflächen eher abbauen. Wenn nicht immer alle Angestellten vor Ort sind, können sie einen Arbeitsplatz künftig nämlich vermehrt im «Desk-Sharing» nutzen.
Genauso sieht es etwa der Autohersteller Opel und will Büros zusammenstreichen. Er plant, alle Mitarbeitenden in Deutschland für mehr als zwei Drittel ihrer Arbeitszeit ins Homeoffice zu schicken. Möglicherweise dürften sich die Zunahme der Bürofläche zu Hause und der entsprechende Flächenrückgang beim Arbeitgeber ungefähr die Waage halten.
Doch wie sieht es mit dem Energieverbrauch in den kälteren Jahreszeiten aus? «Intelligente Heizsysteme lassen sich so steuern, dass sie die Zimmertemperatur automatisch absenken, wenn niemand daheim ist, und sie dadurch Energie sparen», erklärt Josef Känzig. Viele Haushalte hätten diese Möglichkeit aber noch nicht, und beim Verlassen der Wohnung drehten auch nicht alle ihre Radiatoren herunter. «Deshalb ist der Energieverbrauch im Homeoffice wohl kaum höher als im Büro.»
Videokonferenz statt Geschäftsreise
Ein grosser Effekt gibt es bei Geschäftsreisen. Herr Schweizer weilt gerade in Berlin, steigt aber seltener ins Flugzeug als früher, weil dieses Transportmittel besonders viel Treibhausgase ausstösst. Ein Flug von Genf nach Berlin und zurück in der Economy-Klasse belastet das Klima pro Person mit ungefähr 560 Kilogramm CO2-Äquivalenten, welche die Klimawirkung der verschiedenen Treibhausgase auf einen Nenner bringen. Mit dem Zug sind es rund 60 Kilogramm.
Besonders klimaschädigend sind Langstreckenflüge. Ein Retourflug von der Schweiz nach New York schlägt pro Person mit ungefähr 3000 Kilogramm CO2-Äquivalenten zu Buche. Eine Videokonferenz während eineinhalb Tagen verursacht im Vergleich dazu nur ein halbes Kilogramm CO2-Äquivalent pro Person. «Wenn Unternehmen und Verwaltungen nur schon einige ihrer Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzen, verbessert sich die Umweltbilanz signifikant», hält Josef Känzig fest. Der BAFU-Experte ist positiv gestimmt und zählt auf den «Effekt der unfreiwillig erfahrenen Vorteile». Durch die Homeoffice-Pflicht während der Corona-Pandemie entdeckte man neue Wege der Kommunikation, die nun viele als angenehm und effizient schätzen. Deshalb ziehen sie inzwischen ein vierstündiges Videomeeting mit New York einer zweitägigen Kurzreise über den Atlantik mit doppeltem Jetlag vor.
Homeoffice hat auch Schattenseiten
Um 17.25 Uhr fährt Frau Schweizer ihren Computer herunter. Wird sie sich ins Auto setzen und eine Runde drehen, um den eigenen vier Wänden zu entfliehen? Eine Analyse von IBM-Angestellten mit eigenem Geschäftsauto wies nach, dass diese an Tagen mit Homeoffice in ihrer Freizeit meist mehr Kilometer fuhren als an Arbeitstagen im Büro. «Obwohl nicht bei allen ein Geschäftswagen vor der Tür steht, sind solche Effekte in einem gewissen Mass zu erwarten», meint Josef Känzig. Weil die meisten Beschäftigten jedoch auch regelmässig ins Büro gehen, ist er überzeugt, dass solche Rebound-Effekte die positive Ökobilanz des Homeoffice nicht infrage stellen.
Homeoffice hat auch negative Auswirkungen wie erschwerte Zusammenarbeit, schwindendes Zugehörigkeitsgefühl, Einsamkeit, hohe Anforderungen an das Selbstmanagement und verfliessende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. «Aus rein ökologischer Sicht aber reduziert arbeiten zu Hause die Umweltbelastung und den Ausstoss von Treibhausgasen», folgert Josef Känzig. «Um unsere Bestrebungen im Klimabereich – mit dem Emissionsziel Netto-Null im Jahr 2050 – zu erreichen, braucht es die Summe vieler Massnahmen. Jede für sich genommen reicht dazu nicht aus.»
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Letzte Änderung 24.02.2022