Vogelsichere Stromleitungen: Vögel vor dem Stromtod schützen

Wenn sich ein grösserer Vogel auf einen Strommast setzt, riskiert er einen tödlichen elektrischen Schlag. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solche Unfälle zu verhüten. Eine technische Knacknuss blieben bisher die Mastschalter. Bei manchen Masten sind sie zuoberst angebracht – also da, wo Vögel gerne landen. Im Auftrag des BAFU skizziert eine Schweizer Firma nun auch dafür Lösungen.

Text: Hansjakob Baumgartner

Uhu
Wer trägt die Verantwortung für Umweltbelastungen im Ausland?
© sda-ky

Der Uhu ist ein Ansitzjäger. Seine Augen sind als hochauflösendes Nachtsichtgerät konstruiert. Damit sucht er von erhöhter Position aus das Gelände nach Beutetieren ab – Vögel oder Säugetiere der Grössenklassen von der Maus bis zum Hasen. Stromleitungsmasten bieten ihm eine gute Rundsicht. Vor allem im strukturarmen Gelände, wo Bäume und Hecken weitgehend fehlen, lässt sich der Uhu gerne auf ihnen nieder. Doch nicht selten droht dann die Gefahr, dass der Jäger selbst zum Opfer wird: Berührt der Uhu beim An- oder Abflug gleichzeitig zwei stromführende Drähte, so kommt es zu einem Kurzschluss. Und nach der Landung kann es passieren, dass er flügelschlagend einen Stromleiter touchiert und so einen Erdschluss auslöst. In beiden Fällen trifft ihn ein tödlicher Schlag.

Stromschläge gehören für hiesige Uhus zu den häufigsten Todesursachen. Von 36 Jungvögeln, die Forschende nach dem Jahr 2000 in der Schweiz mit Sendern versahen und danach mittels Peilgerät verfolgten, starben sieben auf diese Weise. Der häufige Tod an Strommasten ist vermutlich der Hauptgrund dafür, dass der Uhubestand im Schweizer Alpenraum seit Jahren stagniert. Manche geeignete Reviere bleiben unbesetzt.

Uhu und Storch besonders gefährdet

Auch für den Storch sind Strommasten lebensgefährlich. Dies ergab eine Analyse der Totfunde von in der Schweiz beringten Weissstörchen. Zwei Fünftel von ihnen kamen durch einen elektrischen Schlag ums Leben.

Nicht alle Masten stellen eine Gefahr dar. Im Hochspannungsnetz sind die Abstände zwischen Mastkopf und Leitungen – beziehungsweise zwischen den Leitungen – meist so gross, dass auch grössere Vögel weder einen Kurz- noch einen Erdschluss auslösen können. Anders verhält es sich bei den Masten von Mittelspannungsleitungen, die in der Regel der regionalen Stromverteilung für städtische Quartiere, Dörfer sowie kleine und mittlere Industriebetriebe dienen. Hier betragen die Abstände zwischen geerdeten und spannungsführenden Elementen im Bereich des Mastkopfs meist weniger als 90 Zentimeter. Uhus haben eine Flügelspannweite von 180 Zentimetern. Auch bei Masten, welche die Fahrleitungen von Bahnen tragen, besteht für sie ein Stromschlagrisiko.

Zuweilen trifft es auch seltene Arten. Im Juni 2016 verunglückte ein aus Frankreich eingeflogener Mönchsgeier südlich von Visp (VS) auf einem Leitungsmast. Bei der Landung berührte er mit dem linken Flügel das stromführende Kabel. Der Kurzschluss tötete das Tier – und bewirkte einen Stromausfall in der Gemeinde Saastal.

Trend zum Erdkabel

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Mittelspannungsnetz stromschlagsicher zu gestalten. Idealerweise verlegt man die Kabel in die Erde. Das wird zurzeit in der Schweiz ohnehin meist getan. «Im Mittelspannungsbereich werden heute kaum mehr Freileitungen gebaut», sagt Urs Huber vom Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI). Und dies nicht primär aus Gründen des Vogel- oder Landschaftsschutzes: Freileitungen sind häufiger von Störungen und Unterbrüchen betroffen als die im Boden gut geschützten Erdkabel. Die einschlägige Verordnung sieht denn auch vor, dass Leitungen mit einer Spannung unter 220 Kilovolt grundsätzlich erdverkabelt werden müssen, wenn dies nicht mehr als doppelt so teuer zu stehen kommt wie eine Freileitungsvariante.

Der Trend zur Verkabelung lindert auch ein anderes Problem: Noch häufiger als auf Masten sterben Vögel nach Kollisionen mit Freileitungen. Im Flug nehmen sie die Drähte oft nicht rechtzeitig wahr, besonders bei Nebel, Regen oder in der Dämmerung. Auch Zugvögeln, die nachts unterwegs sind, droht Gefahr. Gemäss einer Schätzung des deutschen Naturschutzbundes (NABU) sterben allein in Deutschland jährlich 1,5 bis 2,8 Millionen Vögel durch Kollisionen mit Freileitungen.

Gefährliche Masten sanieren

Leider ist eine Verkabelung nicht überall möglich. «Vielerorts – namentlich im Gebirge – sind Erdkabel aus topografischen Gründen schwierig oder schlicht zu teuer», sagt Elisa Baer vom BAFU. «Deshalb wäre zum Beispiel eine Kabelleitung für die Erschliessung einer abgelegenen Alp meist mit unverhältnismässig hohen Kosten verbunden. Es werden deshalb noch lange Zeit alte Masten in der Landschaft stehen und auch neue errichtet werden. Deshalb braucht es Lösungen für die Reduktion der Stromschlaggefahr an bestehenden Freileitungen.»

 Technisch ist es kein Kunststück, Mittelspannungsmasten vogelsicher zu bauen oder nachträglich zu sanieren. Man kann zum Beispiel gefährliche Stützisolatoren durch weniger problematische Hängeisolatoren ersetzen. Zudem lassen sich die Leiter oder andere stromführende Elemente mit Kunststoff oder Vogelschutzhauben isolieren, oder Vögel können durch bauliche Vorrichtungen daran gehindert werden, sich auf Strommasten niederzulassen.

Achillesferse Mastschalter

Bloss für ein Problem fehlte bisher noch eine technische Lösung. Es betrifft die Mastschalter. Mit ihnen kann der Strom im Leitungsnetz abschnittsweise abgeschaltet werden – etwa wenn Reparaturen nötig oder Revisionsarbeiten fällig sind. Betätigt wird der Schalter vom Boden aus. Die Schalter sind meist zuoberst auf dem Mastkopf angebracht. In ihnen finden sich offene, spannungsführende Drähte. Sie lassen sich nicht einfach isolieren, denn dann würde der Ein- und Ausschaltmechanismus nicht mehr funktionieren. Und die Drähte sind bloss 60 Zentimeter voneinander entfernt, weshalb auch kleinere Vögel – ab der Grösse einer Krähe – einen Kurzschluss auslösen können. Solche Gefahrenstellen sind hierzulande recht häufig. Von 1500 gefährlichen Mittelstrommasten, welche die Vogelwarte allein in der Walliser Rhoneebene inventarisiert hat, tragen 330 einen Mastschalter.

Weil die Elektrobranche bisher keine Lösung für dieses Problem anbieten konnte, lancierte das BAFU 2018 im Rahmen des Aktionsplans Biodiversität Schweiz das Projekt «Vogelsichere Mastschalter». Die Schweizer Firma Rauscher & Stoecklin, die elektrotechnische Produkte herstellt – darunter auch Mastschalter –, erhielt den Auftrag, praxisorientierte technische Lösungen vorzuschlagen. Dabei ging es sowohl um den Umbau von Schaltern auf bestehenden Masten wie auch um die Entwicklung eines vogelfreundlichen Typs für Neuanlagen.

«Namentlich die Sanierung bestehender Schalter war bei einigen Typen eine technische Herausforderung», berichtet Roger Schäuble von Rauscher & Stoecklin. «Zudem müssen die Schutzvorrichtungen gegen Stromschläge handlich und leicht sein, sodass sie ohne Kran montiert werden können und das Schaltgerät nicht umgebaut werden muss.» Auch ist es aus Sicherheitsgründen wünschenswert, dass von unten sichtbar ist, ob der Schalter offen oder geschlossen ist.

Lösung zu tragbaren Kosten

Die Firma hat ihren Bericht im Juni 2021 abgegeben. Darin werden sowohl für Alt- wie auch für Neu­anlagen verschiedene Varianten präsentiert, jeweils mit Preisangaben und der Auflistung der Vor- und Nachteile. Bei bereits installierten Mastschaltern kann eine vollständige Abdeckung der gefährlichen Teile mit Kunststoff Unfälle verhüten. Die Kosten dafür schwanken zwischen 2600 und 4200 Franken. Hinzu kommt der Aufwand für die zwei- bis dreistündige Montage. Für Neuanlagen schlägt Rauscher & Stoecklin Geräte vor, die 7700 bis 11 800 Franken kosten. Ganz neu erfinden musste die Firma das Rad dafür nicht: Ein vogelsicherer Mastschaltertyp ist in Deutschland bereits in Gebrauch. «Die Ergebnisse der Mastschalterstudie sind vielversprechend», findet Elisa Baer. «Die vorgeschlagenen Lösungen sind zwar nicht billig, aber auch nicht übermässig teuer.»

In einem nächsten Schritt will man nun mit den Netzbetreibern diskutieren, welche Lösungen praktikabel sind und ob die Bereitschaft besteht, diese auch umzusetzen. Roger Schäuble ist zuversichtlich: «Da Ideen und Konzepte von Netzbetreibern in unsere Arbeit eingeflossen sind und unsere Lösungsvorschläge die gestellten Ansprüche erfüllen, gehe ich davon aus, dass sie bei der Branche auf Akzeptanz stossen werden.»

Weiterführende Informationen

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Leitungsmasten: Damit den Uhu nicht der Schlag trifft

14.2.2018 - Manche Strommasten sind tödliche Fallen für grössere Vögel. Beim Uhu gefährden die Verluste hierzulande sogar die Bestände. Doch Abhilfe ist möglich, wie konkrete Projekte zeigen.

Vogelschutz an Starkstrom-Freileitungen

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mit Nennspannungen über 1 kV. 2009

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Letzte Änderung 24.02.2022

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