Hochwasser, Murgänge, Erdrutsche, Erdbeben, Lawinen – wie werden solche Umweltrisiken von uns Menschen wahrgenommen? Und wie beeinflusst das unser Verhalten?
Text: Erik Freudenreich
Auch in der Schweiz gibt es Umweltgefahren. Und auch hier kosten sie viel Geld und manchmal sogar Menschenleben. Wie jüngst die Erdrutsche im Misox (GR) im Sommer 2024. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) beliefen sich die Schäden durch Naturkatastrophen zwischen 1972 und 2023 auf durchschnittlich 306 Millionen Franken pro Jahr. Allein durch das Hochwasser im August 2005 entstanden Rekordschäden in Höhe von 3,3 Milliarden Franken (inflationsbereinigt, auf der Basis der Preise von 2023). Wegen des Klimawandels werden solche Ereignisse wohl häufiger und intensiver und treffen auch bislang verschonte Landesregionen. Was macht das mit uns?
Klimaerwärmung und Naturgefahren

Wie der Klimawandel die Risikowahrnehmung der Bevölkerung beeinflusst
Über 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung nimmt starke Klimaveränderungen wahr. 48 Prozent sehen leichte Veränderungen und nur 11 Prozent gar keine. Das ergab eine 2023 vom BFS durchgeführte Umfrage. Paradoxerweise spiegeln sich diese Einschätzungen nicht unbedingt im Verhalten der befragten Personen wider, wie die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben.
Die Forschenden erklären dies damit, dass es für den oder die Einzelne nicht einfach ist, ein komplexes Problem zu erkennen. Stattdessen wird dieses je nach Situation verdrängt oder verharmlost. «Generell ist das Risikobewusstsein je nach persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichem Kontext sehr unterschiedlich», erklärt Elisabeth Maidl, Soziologin und Autorin verschiedener Studien zu diesem Thema. «Bei Personen, die in Gebieten leben, die bereits von Katastrophen betroffen waren, ist das Risikobewusstsein tendenziell stärker ausgeprägt. Allerdings handelt es sich nicht um ein lineares Verhältnis. Auch weitere Faktoren wie die Möglichkeit, die Ereignisse zu beeinflussen, das Vertrauen in die Behörden und das Ausmass des gesellschaftlichen Engagements fallen stark ins Gewicht.»
In den alpinen Gebieten haben die Menschen wegen der von Generation zu Generation weitergegebenen Erfahrungen häufig ein erhöhtes Risikobewusstsein. «Umgekehrt ist dieses Bewusstsein etwa im Mittelland, wo die Bevölkerungsdichte höher und die Infrastrukturen umfangreicher sind, geringer», sagt Maidl. «Und dies, obwohl die potenziellen Schäden dort grösser wären.» Weitere Schlüsselfaktoren, die die Bevölkerung motivieren, Vorsorgemassnahmen zu ergreifen, sind persönliche Erfahrungen und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Komplexe Kaskadenwirkungen
Dazu kommt, dass der Klimawandel komplexe und kaskadenartige Situationen hervorruft, wie Stéphane Losey, Sektionschef Rutschungen, Lawinen und Schutzwald beim BAFU, erklärt. «Das gilt besonders in Berggebieten, wo beispielsweise ein Erdrutsch wegen der Erwärmung des Permafrosts anschliessend mehrere weitere Prozesse auslösen kann.» Die Zusammenarbeit zwischen Forschenden, lokalen Behörden und der Bevölkerung sei wesentlich, um im Umgang mit sich ändernden und zunehmend unvorhersehbaren und intensiveren Phänomenen wirksame Strategien zu erarbeiten.
Indessen ist das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Behörden gross, was die Kommunikation über alte und neue Gefahren erleichtert. Doch damit sind auch hohe Erwartungen an Schutz und Risikomanagement verbunden. «Die Behörden müssen mit der Bevölkerung einen kontinuierlichen und offenen Dialog führen, damit die getroffenen Massnahmen verstanden und akzeptiert werden», sagt Elisabeth Maidl. Beispielsweise könnten Initiativen wie eine partizipativ erstellte Gefahrenkarte dazu beitragen, die Bevölkerung stärker miteinzubeziehen und die Sicherheitskultur zu fördern.
Kommunikation in beide RichtungenBeispiel Brienz (GR): Dort wurde letztes Jahr das Leben auf den Kopf gestellt. Das Dorf musste zeitweise evakuiert werden, weil sich vom Berghang über der Ortschaft an die 1,2 Millionen Kubikmeter Felsbrocken lösten. Um die Rutschung oberhalb des Dorfes abzubremsen, soll ein Entwässerungsstollen gebaut werden. Doch die Ungewissheit, was die Geologie angeht, schafft bei den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Atmosphäre der Unsicherheit.
Die Behörden haben eine Hotline eingerichtet, um Anfragen zu kanalisieren und die Bevölkerung zu informieren. Auf dem Höhepunkt der Krise gingen täglich mehrere Hundert Anrufe ein. Zahlreiche hilfsbereite Menschen aus der ganzen Schweiz boten den Betroffenen Unterkünfte an. Die Hotline habe bei der psychosozialen Unterstützung eine wichtige Rolle gespielt, sagt Jürg Maguth, Psychotherapeut und Hotline-Verantwortlicher. So konnte man den Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner Gehör schenken und die Anrufe zu den zuständigen Personen umleiten. «Die Hotline war ein wertvolles Vermittlungsinstrument, um Konflikte zu lösen und eine Eskalation der psychosozialen Spannungen zu vermeiden», sagt Maguth. «Auch diente sie als Kontaktstelle zwischen dem Gemeindeführungsstab und der Bevölkerung und garantierte den Informationsfluss in beide Richtungen.»
Trotz der gravierenden Lage haben die Bewohnerinnen und Bewohner offenbar eine Art Resilienz entwickelt. «Sie haben gelernt, mit der Gefahr zu leben, und gehen pragmatisch damit um», sagt Maguth. «Zum Beispiel arbeiten die Landwirtinnen und Landwirte weiter auf den Feldern, auch wenn sich plötzlich Spalten und Risse öffnen.»
Die Gemeinde will die Hotline bis zur Stabilisierung der Situation weiter betreiben. Ihr Erfolg hat andere Gemeinden veranlasst, proaktiv ähnliche Systeme in Betracht zu ziehen. Jürg Maguth: «Darin zeigt sich auch, wie wichtig ein integrierter Ansatz ist, der Fachwissen und psychosoziale Unterstützung verbindet.»
5G – zwischen Befürchtungen und konkretem Nutzen

Wie hat sich die Akzeptanz der neuen Mobilfunktechnologie im Laufe der Zeit entwickelt?
Im Jahr 2019 sorgte die Einführung der 5G-Technologie in der Schweiz für rege öffentliche Diskussionen. Einige sahen darin einen technologischen Durchbruch, andere befürchteten potenzielle Folgen für Gesundheit und Umwelt.
Eine Studie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich identifizierte mehrere Schlüsselfaktoren, die die Risikowahrnehmung von 5G beeinflussen. «Entscheidend ist das Vertrauen in die Regulierungsbehörden: Je kleiner es ist, desto höher die Risikowahrnehmung», sagt Clara Balsiger, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Sektion Nichtionisierende Strahlung (NIS) beim BAFU. «Personen, die sich als elektrohypersensibel bezeichnen, nehmen ein grösseres Risiko wahr. Umgekehrt korreliert objektives Wissen über 5G mit einer geringeren Risikowahrnehmung.»
Grenzwerte im Strahlenschutz
Wie sich die vom Mobilfunk ausgehende Strahlung auf den Menschen auswirkt, hängt von ihrer Frequenz und Intensität ab. Derzeit nutzt 5G Frequenzen, die bereits für den Mobilfunk verwendet werden. Eine Reihe von Studien hat die gesundheitlichen oder biologischen Auswirkungen dieser Frequenzbereiche untersucht. So sind einige Auswirkungen bekannt und nachgewiesen, etwa dass der Körper oder Teile des Körpers wärmer werden. «Die Gesetzgebung schützt die Bevölkerung vor solchen Auswirkungen der Strahlung von 5G- und anderen Mobilfunkantennen», sagt Balsiger. «Überall dort, wo sich Menschen aufhalten, müssen die darin festgelegten Immissionsgrenzwerte eingehalten werden.»
Zwar hat man auch unterhalb dieser Grenzwerte einzelne biologische Auswirkungen beobachtet, aber die vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um ein Gesundheitsrisiko zu belegen. «In der Schweiz gilt das Vorsorgeprinzip: An Orten, wo Menschen sich regelmässig aufhalten, beispielsweise in Wohnungen, Schulen oder Spitälern wird die Belastung der Bevölkerung durch nichtionisierende Strahlung (NIS) weiter begrenzt», erklärt Balsiger. Das Vorsorgeprinzip ist im Umweltschutzgesetz verankert, die vorsorglichen Grenzwerte sind in der Verordnung über den Schutz vor NIS (NISV) festgelegt. Diese vorsorglichen Grenzwerte zielen daher auf eine Begrenzung potenziell schädlicher Einwirkungen ab – für den Mobilfunk sind sie zehnmal niedriger als die Immissionsgrenzwerte. Als Reaktion auf die Bedenken im Zusammenhang mit 5G hat der Bundesrat bestätigt, diese Grenzwerte nicht lockern zu wollen.
Begleitmassnahmen
Indessen verfolgt das BAFU die Forschung zu potenziellen Auswirkungen der NIS weiterhin genau mit. Insbesondere hat das Amt eine beratende Expertengruppe für nichtionisierende Strahlung (BERENIS) ins Leben gerufen, die neue wissenschaftliche Arbeiten analysiert und bewertet.
Zudem wird die Einführung von 5G von mehreren Massnahmen begleitet. «Das BAFU fördert die Forschung zu den Auswirkungen der NIS, indem es mehrere interdisziplinäre Projekte finanziert», sagt Clara Balsiger. «Und das Institut für Hausarztmedizin der Universität Freiburg hat im Auftrag des BAFU das Schweizerische medizinische Beratungsnetz für NIS (MedNIS) gegründet, das seit September 2023 Personen berät, die sich als elektrosensibel bezeichnen.»Daneben wurde ein regelmässiges Monitoring zur NIS-Exposition eingerichtet. Seit 2021 werden in typischen öffentlichen Aussen- und Innenbereichen sowie in Privatwohnungen in der ganzen Schweiz Messungen durchgeführt. Die Resultate zeigen eine moderate Exposition, die den gesetzlich geforderten Gesundheitsschutz einhält.
Schliesslich haben das BAFU, das Bundesamt für Kommunikation und das Bundesamt für Gesundheit gemeinsam eine Website aufgeschaltet, um die Bevölkerung über 5G zu informieren und zu sensibilisieren . Sie gibt Antworten auf die häufigsten Fragen zu Mobilfunk und 5G.
Weiterführende Informationen
Letzte Änderung 25.09.2024