Digitaler Datenaustausch: Für Abfälle gibt es keine Freizügigkeit

Um die Schweizer Grenze rechtmässig zu passieren, benötigen gewisse Abfallkategorien eine aufwendige administrative Überwachung. Allein im Kanton Genf sind jährlich über 100 000 Dokumente von Hand zu verwalten. Doch dank eines innovativen Systems dürfte dies schon bald nicht mehr nötig sein.

Text: Anne Burkhardt

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© Michael Würtenberg | Ex-Press | BAFU

«Die Verwaltung der Dossiers ist sehr mühsam und erfordert viel Zeit», klagt Laure Müller, Chefin Projektmanagement bei der Fachstelle für Geologie, Boden und Abfall (GESDEC) des Kantons Genf. «Für jeden Lastwagen braucht es zwei bis drei neue Dokumente auf Papier oder in elektronischer Form. Eine Amtsperson muss die darin enthaltenen Informationen erfassen und sie manuell in die Tracking-Software für den Verkehr mit Abfällen eingeben.»

Ihre Dienststelle ist der Generaldirektion für Umwelt angegliedert und stellt die Überwachung und Weiterverfolgung der jährlich 50 000 Camions sicher, die – mit unverschmutzter Erde beladen – die Landesgrenze Richtung Frankreich überqueren. Diese Abfälle und weitere 400 Abfallarten geniessen in Europa keine Reisefreiheit – und zwar primär aus Gründen des vorsorglichen Umweltschutzes. Sie gelten als kontrollpflichtig, und ihre Route muss bewilligt und dokumentiert werden. Damit entsprechen sie sowohl den gesetzlichen Anforderungen des von der Schweiz unterzeichneten Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung als auch dem Beschluss des Rates der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), zu deren Mitgliedern unser Land zählt.

Zu viel Papierkram

André Hauser, Chef der Sektion Industrieabfälle in der BAFU-Abteilung Abfall und Rohstoffe, bestätigt das gute Funktionieren des gegenwärtigen Kontrollsystems. Er räumt aber ein, dass es einen zu grossen Papieraufwand verursache. Deshalb sucht das BAFU aktiv nach Lösungen: «Ende 2017 haben wir damit begonnen, mit Österreich Datenmittels eines elektronischen Systems auszutauschen. Die Ergebnisse sind sehr positiv, und weitere Länder haben ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet.» Um besser zu verstehen, weshalb eine Ausdehnung des elektronischen Datenaustausches auf zusätzliche Länder für die Schweiz von Vorteil wäre, genügt ein genauerer Blick auf die Situation in Genf. Auf der Baustelle für ein neues Gebäude führen Lastwagen in unablässigem Hin und Her ausgebaggerten unverschmutzten Aushub ab. Im Kanton fehlt der Platz für die Ablagerung solchen Materials, weshalb es teilweise in ehemalige französische Steinbrüche exportiert wird. Da es sich jedoch um kontrollpflichtigen Abfall handelt, gilt folgendes Prozedere: «Der Exporteur ist verpflichtet, eine Ausfuhrbewilligung zu beantragen», erklärt der BAFU-Spezialist André Hauser. «Dazu muss er dem BAFU Dokumente und Formulare einreichen, die wir auf ihre Vollständigkeit überprüfen. Ist sie gegeben, übermitteln wir das Gesuch an die ausländischen Behörden.» Sobald beide Länder ihre Bewilligung erteilt haben, kann der Exporteur die Abfalltransporte starten. Dabei muss jede Lieferung dokumentiert werden. Zuerst heisst es, den Transport zu avisieren. «Daraufhin bestätigt der Empfänger die Anlieferung und später dann auch die Entsorgung der Abfälle. Damit gilt die Lieferung als abgeschlossen.»

Überwachung durch Kantone

Bei unverschmutztem Aushubmaterial – wie im vorliegenden Fall – hat der Bund die Überwachung des Vorgehens an ausgewählte Standortkantone der Gesuchsteller übertragen. Konkret muss das mit der Ausfuhr der Erde von einer Baustelle beauftragte Unternehmen ein Ausfuhrgesuch an die Fachstelle für Geologie, Boden und Abfall des Kantons Genf stellen. Diese überprüft es und leitet das Gesuch an die französischen Behörden weiter. Sind die Bewilligungen erfolgt, meldet die Schweizer Firma den Behörden beider Länder sowie der französischen Abfallentsorgungsfirma den Transport an. Nach dem Eintreffen der Lastwagen bestätigt der Importeur den französischen und schweizerischen Behörden sowie der Exportfirma den Empfang und die anschliessende Ablagerung im Steinbruch.

Damit werden also mehrere Kopien derselben Dokumente an verschiedene Stellen verschickt. Diese müssen dann von Hand in mehreren Datenbanken registriert werden, was auch ein Fehlerrisiko mit sich bringt. Zudem führen unleserliche oder fehlende Bescheinigungen zu zeit- und personalintensivem Nachforschen und Nachhaken. Und letztlich kann das Ausfuhrunternehmen die hinterlegte finanzielle Sicherheitsleistung nicht einfordern, solange bei den Schweizer Behörden nicht alle Beweise für die Entsorgung der Abfälle eingetroffen sind.

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Mehr Effizienz

Einige dieser Probleme liessen sich vermeiden, wenn die am Transport und an der Entsorgung des Abfalls beteiligten Unternehmen nur mit ihren jeweiligen nationalen Behörden kommunizierten, welche ihre Daten dann automatisch unter sich austauschen würden. Deshalb arbeitet eine Gruppe von europäischen Ländern – darunter auch die Schweiz – seit rund   einem Jahrzehnt am Standardformat EUDIN (European Data Interchange for Waste Notification System) zur gemeinsamen Nutzung von Daten. Ende 2017 hat die Schweiz den Datenaustausch mit Österreich gestartet. Das System wurde mit einigen Unternehmen getestet und zwecks Fehlerkorrekturen optimiert. Sowohl auf Seiten der Behörden als auch der
Firmen waren die Anwender mit den erzielten Einsparungen sehr zufrieden. So soll das neue Kommunikationssystem beim Verkehr mit Abfällen zwischen den beiden Ländern bald zum Standard werden. Ein derartiger Effizienzgewinn weckt bei der Verantwortlichen in der Genfer Fachstelle für Geologie, Boden und Abfall reges Interesse – auch aus anderen Gründen: «Würden wir die Daten auf diese Weise mit Frankreich austauschen, könnten wir die Transporte kontinuierlich kontrollieren und an der Grenze effizientere Stichproben veranlassen, um mögliche Betrugsfälle aufzudecken », erklärt Laure Müller. «Bei einer Baustelle ist uns lediglich das Datum der ersten Lastwagenfahrt bekannt. Für die nachfolgenden Transporte erhalten wir nur die Bestätigung für die Ablagerung des Aushubmaterials – und manchmal erst noch mit Verspätung.»

Kein einheitlicher Standard

Trotz geringerem Papierkrieg und besserer Effizienz kommt der EUDIN-Standard in Europa sehr selten zum Einsatz. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens verfügt jedes Land über sein eigenes System zur Verfolgung von Abfalltransporten auf seinem Territorium und möchte dasselbe Verfahren auch für den grenzüberschreitenden Verkehr mit Abfällen verwenden. So testet beispielsweise Deutschland mit den Niederlanden und Luxemburg ein Portal namens eTFS (Transfrontier Shipment). Es umfasst eine direkte Kommunikation zwischen dem Ausfuhrunternehmen und den ausländischen Behörden sowie die Verwendung der elektronischen Signatur. Zweitens verlangt der Datenaustausch mit anderen Staaten Anpassungen der eigenen Software zur Überwachung der Abfälle und manchmal gar die Entwicklung eines solchen Programms durch Länder, die noch keines besitzen. Und drittens können die Unterzeichnerstaaten des Basler Übereinkommens, das Regeln für den Handel mit Abfällen vorgibt, selber wählen, wie sie Informationen teilen wollen.

Kompromiss in Sicht

Selbst wenn ein einheitlicher europäischer oder weltweiter Standard für die Überwachung der Verbringung von Abfällen fehlt, gibt es doch ermutigende Zeichen. So haben Frankreich und die Lombardei die Absicht geäussert, dem Beispiel Österreichs zu folgen. «Wir haben bereits mit Genfer Unternehmen Kontakt aufgenommen, die daran interessiert sind, an der Pilotphase des Datenaustausches zwischen der Schweiz und Frankreich teilzunehmen. Die französischen Behörden haben damit begonnen, ihre Software zur Überwachung der Verbringung von Abfällen so anzupassen, dass sie Daten nach EUDIN-Standard mit der Schweiz teilen können», freut sich Laure Müller. Für die Schweiz wäre es jedoch noch vorteilhafter, mit Deutschland auf diese Art zusammenzuarbeiten, denn der nördliche Nachbar ist ihr wichtigster Partner bei der Ausfuhr von Abfällen. André Hauser folgert denn auch pragmatisch: «Jeder möchte so weiterfahren, wie er angefangen hat. Müssten wir wie Deutschland eine elektronische Signatur verwenden, würde dies mit einer bedeutenden Investition einhergehen.» Nun versucht eine EU-Arbeitsgruppe, einen Kompromiss zwischen EUDIN-Standard und eTFS-Format zu finden. «Ich denke, dies ist möglich, doch werden noch ein paar Diskussionen nötig sein. Die Schweiz leistet mit ihrem technischen Know-how einen Beitrag dazu.» 

Das Abfall-Business

Die Schweiz exportiert jährlich 4,2 Millionen Tonnen kontrollpflichtige Abfälle – davon handelte es sich 2016 um 3 Millionen Tonnen sauberen Aushub. Die Ausfuhren können gefährlich sein oder eine Spezialbehandlung erfordern. Zudem sind sie beim Export einer Anmeldung und einer strikten Überwachung unterworfen. Ihr Anteil an den 87,7 Millionen Tonnen Abfall, die in unserem Land jährlich entstehen, macht 4,8 Prozent aus. Andere Abfallarten wie etwa Papier können ohne Kontrollen frei ausgeführt werden; deshalb sind die betreffenden Mengen nicht bekannt.

Abgesehen von der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen ist der Handel mit Abfällen ein Business wie jedes andere. So können sie beispielsweise ausgeführt werden, weil ein ausländisches Unternehmen einen gegenüber Schweizer Verhältnissen konkurrenzfähigeren Preis anbietet. Allerdings gilt dann die Bedingung, dass die Firma bei der Entsorgung Umweltstandards einhält, welche den unseren mindestens ebenbürtig sind. Weiter kann es in der Schweiz an den nötigen Infrastrukturen zur Behandlung bestimmter Abfälle fehlen, etwa für das Recycling bestimmter Metalle wie Zink oder Kupfer. Die hiesigen Anlagen können aber auch nicht gross genug beziehungsweise vorübergehend überlastet sein, was derzeit bei Betrieben der Fall ist, die verunreinigte Böden behandeln.

Doch dem freien Handel mit Abfällen sind auch Grenzen gesetzt, gewisse Abfallarten unterliegen gar einem Ausfuhrverbot. Dazu zählen die jährlich 6,1 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle, die nur in unseren eigenen Verbrennungsanlagen verwertet werden dürfen. Weil diese über ungenutzte Behandlungskapazitäten verfügen, importiert unser Land Siedlungsabfälle – vor allem aus Süddeutschland. Verglichen mit unseren Ausfuhren nehmen sich die Einfuhren jedoch insgesamt bescheiden aus: Sie betragen lediglich 9 Prozent der grenzüberschreitenden Verbringung von kontrollpflichtigen Abfällen.

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Letzte Änderung 28.11.2018

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