«Die Rettung des Planeten ist für unsere Psyche kein gutes Geschäft»

Eigentlich wissen wir alle, dass wir unser Verhalten ändern müssen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Warum tun wir dann nicht, was nötig wäre? Umweltpsychologin Cathérine Hartmann erklärt, weshalb wir uns kollektiv Ziele setzen sollten, statt nur unser eigenes Verhalten ändern zu wollen.

Interview: Florian Niedermann

Cathérine Hartmann
Cathérine Hartmann ist Umweltpsychologin. Sie arbeitet seit 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW und seit 2021 in der Geschäftsstelle des ZKSD (Zurich Knowledge Center for Sustainable Development). An der ZHAW forscht und lehrt sie im Bereich «Behaviour Change – Förderung von nachhaltigkeitsrelevantem und umweltfreundlichem Verhalten» an verschiedenen Departementen.
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Frau Hartmann, als die Corona-Pandemie über die Welt hereinbrach, trugen wir tiefgreifende Massnahmen mit, um die Bedrohung einzudämmen. Auch beim Klimawandel wissen wir alle um die grossen Risiken, und doch tun wir dagegen viel zu wenig. Wie kommt das?

Cathérine Hartmann: Bei Covid-19 wurde im Alltag konkret spürbar, dass es um Leben und Tod geht. Bei der Klimakrise geht es das zwar auch. Doch dieses Bewusstsein fehlt. Denn ihre Auswirkungen sind in unseren Breitengraden – bis auf zunehmende Extremwetterphänomene – nicht so direkt spürbar.

Dieses Bewusstsein zu wecken, wäre wohl Aufgabe der Klimaforscherinnen und Klimaforscher. Wo hakt es denn?

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun das schon sehr gut. Wir Klimaforschende könnten aber definitiv mehr Einfluss nehmen, um der Politik und der Gesellschaft klarzumachen, dass es fünf vor zwölf ist. Es gibt die Berichte des Weltklimarats, die uns das Ausmass der Krise darlegen. Aber es liegt an der Wissenschaft, entsprechende Handlungsempfehlungen mit der nötigen Dringlichkeit an die Politik zu tragen. Gut wäre, wenn diese dann auch in entsprechende staatliche Interventionen münden.

Welche Interventionen meinen Sie? Neue Gesetze?

Auch, aber nicht nur. Die Politikerinnen und Politiker müssen immer abwägen, wie sie ein Ziel erreichen können, ohne dabei die Bevölkerung vor den Kopf zu stossen. Solche Gesetze könnten dann nämlich an der Urne scheitern – wie es etwa im Fall des CO2-Gesetzes passiert ist. Es gibt andere Wege, das Verhalten zu ändern.

Woran denken Sie?

Beispielsweise die aktuelle Energiesparkampagne des Bundes. Dabei handelt es sich um sehr konkrete Empfehlungen, wie im Privaten oder als Unternehmen Energie eingespart werden kann. Wenn die Politik solches Handlungswissen für ein klimafreundliches Verhalten vermittelt, ist sie auf dem richtigen Weg.

Welche Rolle spielt die Wirtschaft?

Die Wirtschaft hat einen riesigen Einfluss darauf, ob wir es schaffen, die Klimakrise einzudämmen. Jedes Unternehmen ist angesichts unserer Lage dazu verpflichtet, nachhaltig zu arbeiten und Transparenz über sein Wirken zu schaffen, sodass die Konsumentinnen die bestmöglichen nachhaltigen Kaufentscheidungen treffen können. Mit unserem Kaufverhalten können wir das Verhalten der Wirtschaft beeinflussen.

Nur scheinen die wenigsten von uns diese Macht zu nutzen, wenn man beispielsweise an unseren hohen Konsum denkt.

Hier wäre es wiederum an der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Fleisch nachhaltiger produziert wird und wir dank höherer Preise auch unseren Konsum anpassen. Neben dem Bewusstsein für solch falsche Anreize wie zu tiefe Preise sollten die politischen Akteure – vom Bundesrat über Parlamentskommissionen bis hin zu NGOs – auch eines für die inneren Barrieren entwickeln, die uns davon abhalten, das Richtige zu tun.

Welche inneren Barrieren sind das?

Zum Beispiel unsere Gegenwarts-orientierung. Wir wollen Belohnungen wie Komfort oder soziale Anerkennung immer hier und jetzt bekommen und wenn möglich erst später dafür bezahlen. Eine verzögerte Belohnung, wie die Rettung unseres Planeten, ist für unsere Psyche ein sehr unattraktives Geschäft. Das hindert uns, den Aufwand zu betreiben, der dafür nötig wäre. Weitere Barrieren sind Zielkonflikte, oder Gewohnheiten, die ein umweltfreundliches Verhalten verhindern.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn jemand es sich etwa gewohnt ist, jeden kurzen Weg bequem im eigenen Auto zurückzulegen. Dann ist es mit grossem Mehraufwand verbunden, auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Um in diesem Fall die Leute zu einem anderen Verhalten zu bewegen, muss eine gute Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs vorhanden sein. Ausserdem muss man den Leuten die Vorteile der ÖV-Nutzung verständlich und erlebbar machen. Hier ist wiederum die Politik gefragt, aber auch Verkehrsverbände und private Anbieter des öffentlichen Verkehrs.

Die Krux ist also das Gewohnheitstier Mensch. Es muss doch Rezepte geben, mit denen man schlechte Angewohnheiten durchbrechen kann.

Das geht sicher, wenn auch langsam. Studien dazu zeigen, dass es eine grosse Wirkung hat, mit sozialem Druck und Feedback zu arbeiten. Etwa indem man Plattformen schafft, auf denen man sehen kann: «Hey, mein Nachbar spart im Vergleich zum vergangenen Jahr so und so viel Energie». Das verleitet dazu, Teil dieser Gemeinschaft werden zu wollen und sein Verhalten entsprechend zu ändern.

Man setzt also auf das Gewissen der Leute.

Das kann ein Ansporn sein. Wichtig ist, dass man gleichzeitig positive Zukunftsszenarien aufzeigt und in öffentlichen Formaten Ideen dazu entwickelt, wie wir künftig leben wollen, etwa in Podiumsdiskussionen oder in Zukunftswerkstätten, in welchen konkrete Szenarien entwickelt werden. Und schliesslich können auch Vorbilder einen positiven Einfluss auf unser Verhalten haben.

An wen denken Sie da?

Niemand Spezifisches. Man muss sich nicht zwingend an Personen orientieren, die in der Öffentlichkeit stehen. Ein Vorbild kann auch die Familie in der Nachbarschaft sein, die es selbst mit drei Kindern schafft, mit dem Zug nach Schottland in den Urlaub zu fahren. Orientieren wir uns an Leuten, die es trotz aller Hindernisse hinkriegen, klimawirksames Verhalten an den Tag zu legen!

Dann sind Vorbilder im eigenen Umfeld wichtiger als Klimapromis wie Greta Thunberg?

Auf jeden Fall mindestens ebenso wichtig. Und am besten ist es, wenn man sich gemeinsam mit Freunden oder Kolleginnen Ziele setzt, auf die man sich gegenseitig behaftet. Indem man sich beispielsweise darauf verständigt, einen Monat lang vegetarisch zu essen oder mit dem Velo zur Arbeit zu fahren.

Warum ist die Gruppe hierbei so wichtig?

Im Kollektiv besteht eine soziale Kontrolle, sich an Verpflichtungen zu halten, die man gemeinsam vereinbart hat. Es macht zudem gemeinsam auch einfach mehr Spass. Und schliesslich stärkt die Selbstwirksamkeit in der Gruppe das Gefühl, gemeinsam tatsächlich etwas erreichen zu können.

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Letzte Änderung 15.03.2023

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