Unfruchtbare Männchen: Eine neue Methode im Kampf gegen die Tigermücke

Tigermücken können Krankheiten wie Dengue- oder Gelbfieber übertragen und verbreiten sich in den letzten Jahren auch in der Schweiz. Nun untersuchen Forschende im Tessin, wie gut sich deren Ausbreitung durch die Freisetzung von sterilen Tigermücken- Männchen bremsen lässt.

Text: This Rutishauser

Asiatische Tigermücke
Die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) kann gefährliche Viruserkrankungen übertragen und breitet sich auch in der Schweiz immer mehr aus.

Die Asiatische Tigermücke, mit lateinischem Namen Aedes albopictus, steht hoch oben in der Aufmerksamkeit der Weltgesundheitsorganisation WHO, weil sie Krankheiten wie Dengue­, Chikungunya­ oder Gelbfieber übertra­gen kann. In tropischen und subtropi­ schen Ländern – also Regionen mit mückenfreundlichem, heiss­feuchtem Klima ohne Frostnächte – kann die Übertragung dieser Krankheiten durch die Tigermücken zu vielen Todesfällen von Menschen führen.

In der Schweiz hat man im Kanton Tessin die meiste Erfahrung mit den lästigen Insekten. Denn die mediter­rane Wärme und Feuchtigkeit bieten den Tigermücken den perfekten Lebensraum. «Zum Teil können die Menschen nicht mehr in ihre Gärten gehen, weil sie so stark belästigt werden. Dann ist das Wohlbefinden dahin», sagt Basil Gerber vom Bundesamt für Umwelt BAFU. In der Sektion Biotechnologie kümmert sich der Immunologe um Wege, um die Vermehrung und Ausbreitung von Mücken zu kontrollieren.

Schwieriger Kampf gegen die Stechmücken

Denn mittlerweile können die Tiger­mücken auch in der Schweiz gut überleben. Am besten gedeihen deren Larven und Puppen in kleinsten Pfützen und Senklöchern, wie sie auch in den meisten Gärten zu finden sind. Die Eier entwickeln eine Schutz­schicht und erwachsene Tiere können in Gebäuden überwintern. «Mit der wachsenden Zahl der Mücken steigt auch das Risiko einer Krankheits­übertragung», sagt Biotechnologe Gerber. «Das Tessin ist heute der einzige Ort in der Schweiz, wo man ein gesundheitliches Risiko nicht mehr ausschliessen kann.» Immerhin: Bisher stecken sich nur wenige Personen im Ausland mit den Krankheiten an, die durch die Mücken übertragen werden, so sind diese in der Schweiz kaum im Umlauf. Zudem überwachen Behörden die Anzahl der Tigermücken.

Um die Mücken einzudämmen, testen Forschende in Feldversuchen nun eine neue, ungewöhnlich anmutende Methode: Sie sterilisieren männliche Exemplare. Denn zwar kennt man bereits wirksame Methoden zur Bekämpfung, doch diese sind aufwen­ dig. «Auf öffentlichem Grund müssen Gemeindemitarbeitende und der Zivilschutz die einzelnen Brutplätze – meist Gullys – mit hochspezifischen Giften behandeln», erklärt Eleonora Flacio von der Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUPSI). In Privatgärten sei dies Sache der Eigen­tümerinnen und Eigentümer, so Flacio. Erwachsene Tiere werden hingegen nur von erfahrenen Expertinnen und Experten mit präzis dosiertem Gift bekämpft und nur, wenn bei einer Person im Gebiet eine Krankheit diagnostiziert wurde, die von Tiger­mücken übertragen werden kann.

Sterile Mücken dank Röntgenstrahlen

Eleonora Flacio kennt das Tessin und das Verhalten von Tigermücken wie kaum eine andere in Europa. Sie bekämpft das Insekt im eigenen Kanton, forscht mit ihrem Team, aber auch in internationalen Projekten nach wirksamen Methoden für die ganze Welt. Im Sommer 2022 testete sie die neue Sterilisierungsmethode im Freien: Mit der sogenannten Sterile Insect Technique (SIT) wurden mittels Röntgenstrahlen 22 000 Tigermückenmännchen unfruchtbar gemacht, farbig markiert und freige­ setzt. So konkurrierten die sterilen Männchen mit den fruchtbaren Exem­ plaren und verminderten die Zahl der befruchteten Eier. «Wir konnten den Versuch ohne grössere Bedenken bewilligen», sagt Basil Gerber vom BAFU. Denn die Tiere überleben höchstens drei bis vier Tage und fliegen nicht weit. «Dank unserem Vorwissen haben wir extra ein Quartier in Morcote im Bezirk Lugano ausgesucht», erklärt Flacio. Umgeben von See und Berg und in grosser Distanz zur nächsten Gemeinde ist das Gebiet abgegrenzt. Ausserdem haben Gemeinde und Bevölkerung den Versuch unterstützt.

Die ersten Resultate sind vielverspre­chend. Bereits im Vorversuch im Sommer 2022 konnten die Forschen­ den mit einer ersten Freisetzung das Verhalten der sterilisierten Männchen unter örtlichen Bedingungen testen. Deren längste gemessene Flugdistanz war knapp 200 Meter. 2023 und 2024 soll das Experiment wiederholt und dann die tatsächliche Reduktion an befruchteten Eiern und Anzahl Mücken gemessen werden.

«Die Tigermückenaktivitäten sind ein Paradebeispiel für die Umsetzung des One­Health­-Ansatzes», sagt Basil Gerber vom BAFU. Dieser Ansatz berücksichtigt, dass das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen und Tieren direkt vom Zustand der Umwelt abhängen. Zudem seien im Tessin die Fachstellen für Umwelt und Gesundheit gut vernetzt, so Gerber. Finanzielle Unterstützung für das Forschungsprojekt zur Mückenbekämpfung kommt von verschiedenen Seiten. Gemeinden unterstützen die Arbeiten, aber auch zwei Crowdfunding­Initiativen von Privaten sammeln Geld dafür. Denn das Sterilisieren von Mücken ist teuer: Ein Individuum kostet 40 Rappen. Im Extremfall brauche es Millionen Individuen für eine wirksame Verdrän­gung, sagt Forscherin Flacio.

Schweizer Mitentwicklung für den Süden

Die neue Methode weckt Hoffnung bei den Gemeinden und auch in der Bevölkerung. Damit die Experimente weiter durchgeführt werden können, sind mehrere Crowdfunding­ Aktionen geplant. Trotz aller Versuche und neuer Techniken bleibt Flacio realis­tisch: «Wir können die Mücke nicht ausrotten, sie muss ein Teil unseres Lebens werden.» So wie man einen stinkenden Müllsack nicht länger als eine Woche rumstehen lassen sollte, sollten sich im Tessin alle Menschen jede Woche fünf Minuten um die Brutplätze der Tigermücken kümmern.

Die Bedeutung des Projekts reicht aber weit über die Landesgrenzen hinaus. Eleonora Flacio ist eine der wenigen Forscherinnen, die die Methodik zusammen mit der WHO vorantreiben wollen. «Gerade in Gegenden, wo die Lebensräume der Tigermücken nur schwer zugänglich sind, ist SIT eine wichtige Methode, die viele Leben retten kann», sagt Flacio. So gebe es nun eine Option mehr, um die Vermehrung und Ausbreitung der Tigermücke zu kontrollieren. «Wir forschen für uns, aber auch für viele Menschen auf der Welt, die sich die Forschung nicht leisten können.»

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Letzte Änderung 10.05.2023

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