Ein neues Verfahren der Gentechnik erlaubt es, Populationen wild lebender Arten genetisch zu verändern oder gar auszurotten – so zum Beispiel Mücken, die Krankheiten übertragen. Doch sollen und dürfen wir das?
Text: Hansjakob Baumgartner
Gäbe es eine Liste der gefährlichsten Tiere, nähme Anopheles gambiae wohl einen Spitzenplatz ein. Die Mücke ist die wichtigste Überträgerin der Malaria. Der Erreger dieser Krankheit, ein Einzeller aus der Gattung Plasmodium, parasitiert das Insekt und wird bei einem Stich auf den Menschen übertragen.
Eines der ersten Heilmittel gegen das «Sumpffieber» war das aus Chinarindenbäumen gewonnene Chinin. Britische Kolonialisten in tropischen Ländern tranken regelmässig chininhaltiges «Tonic Water», gerne auch vermischt mit Gin als «Gin Tonic». So schmeckte das Getränk weniger bitter. Heute gibt es eine Reihe von Möglichkeiten der medikamentösen Prophylaxe und Therapie. Doch manche Arzneien sind teuer und damit für Personen, die sie am dringendsten benötigen, entweder gar nicht oder nur bedingt zugänglich. Auch entwickelt der Malariaerreger relativ rasch Resistenzen. Und ein Impfstoff steht trotz jahrzehntelanger Forschung derzeit noch nicht zur Verfügung – nicht zuletzt, weil die Pharmaindustrie heute kaum Interesse an einem solchen Impfstoff hat.
Ausrottungskampagne mit DDT
In den 1950er-Jahren lancierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Kampagne zur Ausrottung der Malaria. Eine zentrale Massnahme war, die Innenwände aller Häuser in den betroffenen Gebieten mit dem Insektizid DDT zu besprühen. Doch bereits 1953 traten erste Mücken auf, die gegen das Gift immun waren. Anfang der 1970er- Jahre wurde die WHO-Kampagne als gescheitert eingestellt. Dennoch kommt die Substanz insbesondere in afrikanischen Ländern weiterhin zur Malariabekämpfung zum Einsatz.
DDT zählt heute zum «Dreckigen Dutzend» der Chemikalien, die gemäss Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POP-Konvention) in ihrer Anwendung stark eingeschränkt oder verboten sind. Einzig zur Bekämpfung der Malariaüberträgerin ist das Insektengift noch zugelassen, da günstige und wirksame Alternativen zur Dezimierung der Mücken fehlen. Der weltweite Verbrauch hat jedoch stark abgenommen, weil DDT auch für Menschen, in deren unmittelbarer Nähe es versprüht wird, toxisch ist und zudem alle Insekten inklusive die Bestäuber wahllos vernichtet.
So bleibt als wirksamste Bekämpfungsmassnahme die konsequente Trockenlegung der den Mücken als Larvengewässer dienenden Pfützen im bewohnten Gebiet. Gegen Stiche helfen zudem hautbedeckende Kleider und Moskitonetze, namentlich solche, die mit Insektiziden imprägniert sind. Doch diese Massnahmen sind umständlich und werden nicht konsequent angewandt.
Die Malaria ist deshalb nach wie vor unbesiegt. Die WHO schätzt, dass jährlich über 200 Millionen Menschen erkranken, wovon knapp eine halbe Million daran sterben – mehrheitlich Kinder.
Neuer Ansatz mit Gentechnik
Jetzt weckt Gentechnik die Hoffnung, die Menschheit doch noch von der Malaria zu befreien – so zum Beispiel, indem man Resistenzen gegen das Plasmodium in das Erbgut der Anopheles-Mücke einbaut. Der Parasit durchläuft im Körper des Insekts mehrere Entwicklungsstadien. Diese könnten durch ein «Anti-Plasmodium- Gen» gezielt blockiert werden, sodass der Malariaerreger vorzeitig abstirbt. Bei einem Stich durch das genveränderte Insekt würden keine Plasmodien mehr übertragen.
Dazu muss aber in einem Malariagebiet die überwiegende Mehrheit der Anopheles-Mücken mit dem Anti-Plasmodium- en ausgestattet sein. Doch selbst wenn man im Labor Tausende von Mücken damit bestückt und danach freilässt, werden die resistenten Tiere nur eine winzige Minderheit der Wildpopulation ausmachen. Es braucht somit zusätzlich einen Mechanismus, der für die rasche Verbreitung des Resistenzgens sorgt. Dieser Mechanismus heisst «Gene Drive» (siehe Box). Er sorgt dafür, dass die Genveränderung an sämtliche Nachkommen vererbt wird.
Gene Drive kommt auch in der Natur vor. Der Kopiermechanismus ermöglicht es, beschädigte Gene zu reparieren – indem diese durch das intakte Allel ersetzt werden. Allerdings lassen sich die natürlichen Genscheren nur schwer umprogrammieren. Doch neuerdings steht mit CRISPR/Cas9 eine Genschere zur Verfügung, bei der dies viel leichter geht. Deren Entdeckung wurde 2015 als wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres gefeiert.
Kombiniert mit dem Gene-Drive- Mechanismus kann sich ein künstlich verändertes Gen theoretisch so rasch in einer Population ausbreiten, dass nach 20 bis 30 Generationen sämtliche Individuen Träger sind. Gelänge dies mit dem Anti-Plasmodium-Gen, wäre die fragliche Region frei von Malariaerregern.
Fortpflanzung ausschalten
Eine andere Anwendung von Gene Drive zielt darauf ab, eine Anopheles-Population massiv zu reduzieren oder gar zu eliminieren. Das Gene-Drive- Konstrukt wird in ein Fruchtbarkeitsgen des Weibchens eingebracht und das Gen damit ausgeschaltet. Die freigesetzten Weibchen sind hemizygot: Sie haben in ihrem Erbgut nebst dem ausgeschalteten noch ein funktionierendes Fruchtbarkeitsgen und sind deshalb normal fortpflanzungsfähig. Der Kopiermechanismus sorgt aber dafür, dass das Gene-Drive-Konstrukt in alle Eier und Spermien eingeschleust wird.
Anfänglich sind die hemizygoten Mücken in der Population so selten, dass sie sich fast stets mit Tieren mit intaktem Erbgut kreuzen, wobei wiederum alle Nachkommen das funktionsuntüchtige Fruchtbarkeitsgen tragen. Mit der Zeit steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei hemizygote Mücken paaren. Sämtlichen weiblichen Nachkommen fehlt dann ein funktionierendes Fruchtbarkeitsgen. Sie sind somit steril. In der Folge erlischt die Population (siehe Grafik).
Auf ähnliche Weise liessen sich eventuell das Zika- und das Denguefieber bekämpfen, zwei virale Infektionskrankheiten, die ebenfalls von Mücken übertragen werden. Das Forschungskonsortium «Target Malaria» unter der Führung des Imperial College London mit Partnerinstitutionen in Burkino Faso, Mali, Uganda und Ghana hofft, bis 2023 für erste Freisetzungsversuche bereit zu sein. Sie sind sich aber bewusst, dass bereits kleinste Fehler in der Planung, Kommunikation der Umsetzung eine Anwendung um Jahre verzögern könnte. Denkbar ist im Übrigen auch eine Anwendung des Gene-Drive-Verfahrens gegen Schadinsekten in der Landwirtschaft.
Ungelöste Probleme
Indessen ergaben Laborversuche, dass sich ein Gene Drive-Konstrukt zunächst zwar zügig ausbreitet, dann aber wieder langsam aus der Population verschwindet. Wie sich dabei herausstellte, verhindern Mutationen im Zielgen das Funktionieren der Genschere. Solche Resistenzen gegen den Gene Drive bilden noch eine Knacknuss für die Forschung. Doch sie sind nicht das einzige Problem. Ganz unbeantwortet bleibt die Frage nach den Risiken. Sie stellt sich anders als bei bisherigen Anwendungen der Gentechnik. Gentechnisch veränderte Kulturpflanzen bleiben auf den Äckern, und man ist bestrebt, eine Ausbreitung zu verhindern. Im Fall von Gene Drive ist genau dies das Ziel: Wild lebende Organismen sollen dauerhaft verändert werden. «Die Veränderung könnte auf andere Arten überspringen und sie beeinträchtigen», gibt Christoph Lüthi von der Sektion Biotechnologie im BAFU zu bedenken. «Und falls die Technik genutzt wird, um eine Art zum Verschwinden zu bringen, könnte dies unwiderrufliche negative Folgen für ein Ökosystem haben.»
Ausrotten für den Artenschutz
Allerdings gibt es auch Gedankenspiele für Anwendungen von Gene Drive bei anderen Tieren und mit anderen Zielen. Zum Beispiel für den Artenschutz. Viele inselbewohnende Vogelarten sterben aufgrund eingeführter Ratten und Mäuse aus. Neuseeland hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, diese Nesträuber auszurotten, und will dafür in den nächsten 10 Jahren 9 Milliarden Dollar ausgeben.
Doch wie soll das gehen? Mäusegifte lassen sich nicht ohne Kollateralschäden einsetzen. Sie gelangen vielfach auch in andere Lebewesen, nicht zuletzt in Greifvögel, denen man eigentlich helfen möchte. Gene Drive könnte eine Alternative sein. In USLabors wird derzeit ein Gene Drive getestet, der eine Mäusepopulation innert Kürze eliminieren könnte, weil er dafür sorgt, dass alle Mäuse zu Männchen werden.
Was aber passiert, wenn einige dieser Männchen aufs Festland gelangen und sich der Gene Drive da ausbreitet? Mäuse bilden in manchen Ökosystemen die Basis der Nahrungspyramide. Hinzu kommen ethisch begründete Bedenken: Hat der Mensch das Recht, eine Art auszurotten?
Sind die Risiken tragbar?
«Es braucht unbedingt eine gesellschaftliche Debatte darüber, ob eine Freisetzung zu verantworten wäre und – falls ja – unter welchen Bedingungen dies geschehen soll und wer diese Entscheidungen treffen würde», findet Christoph Lüthi. Dabei gelte es, auch den Nutzen der neuen Technik einzubeziehen. «Doch selbst wenn es technisch machbar und der Nutzen gross wäre, müssten wir uns gut überlegen, ob wir die Risiken, die mit einer Gene-Drive-Anwendung verbunden sind, eingehen wollen. »
Die Frage nach dem Nutzen und den Risiken der neuen Technik stelle sich in jedem Einzelfall anders und müsse deshalb auch im Einzelfall beantwortet werden. Noch brauche es aber zusätzliche Forschung, um Erfahrungswerte zu sammeln. Ohne diese sei eine Risikoabschätzung unmöglich. «Und trotz des derzeitigen Hypes um Gene Drive müssen unbedingt alternative Ansätze weiterverfolgt werden», hält Christoph Lüthi fest.
Der Gen-Kopierer
Im Erbgut der meisten Tierarten liegen die Gene doppelt vor, separat auf zwei Chromosomen. Das eine stammt vom Vater, das andere von der Mutter. Man spricht von einem diploiden Chromosomensatz, das heisst, jedes Gen hat ein Allel (also eine unterschiedliche Ausprägungsform) auf dem anderen – dem homologen – Chromosom. Wenn die Tiere nun Eier oder Spermien ausbilden, sorgt ein spezieller Vorgang dafür, dass in den Geschlechtszellen von jedem Chromosom nur noch ein Exemplar vorhanden ist. Der Chromosomensatz ist dann haploid. Die Reduktion ist nötig, denn bei der Befruchtung kommen die Chromosomen von Ei und Spermium zusammen, womit die befruchtete Eizelle wieder einen diploiden Satz aufweist. Ohne den vorgängigen Reduktionsschritt würde sich die Chromosomenzahl in den Körperzellen der Nachkommen mit jeder Generation verdoppeln. Trägt nun eine Mücke auf einem von zwei homologen Chromosomen das Anti-Plasmodium-Gen, wird dieses nur in jedes zweite Spermium oder Ei gelangen – und nur jeder zweite Nachkomme erbt es. Das Gen wird sich in der Wildpopulation deshalb kaum ausbreiten und wahrscheinlich bald wieder verschwinden.
Anders, wenn es mit einem Gene Drive verknüpft ist. Dann schneidet eine Genschere bei der Bildung der Eier oder Spermien das unveränderte Chromosom genau an der Stelle, wo sich das Allel des Anti-Plasmodium-Gens befindet, und kopiert Letzteres ein. So wird die Genveränderung an sämtliche Nachkommen vererbt.
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Letzte Änderung 28.11.2018