Lückenhafte Kartierung: Unbekannter Boden

Im Kanton Solothurn hat ein Fachmann kürzlich einen in der Schweiz bisher noch fast nirgends nachgewiesenen Bodentyp entdeckt. Dieser Fund belegt, wie lückenhaft das Wissen über unsere Böden immer noch ist. Dabei wäre eine gute Bodeninformation eine zwingende Voraussetzung für eine nachhaltige Bodenpolitik.

Text: Hansjakob Baumgartner

Einzelthema_Boden
Unlängst wurde im solothurnischen Breitenbach der in der Schweiz äusserst seltene Bodentyp Terra Rossa entdeckt.
© Ruedi Stähli

Am Leenenchöpfli im solothurnischen Breitenbach gedeiht ein apartes Wäldchen. Die Baumarten Tanne, Fichte, Föhre und Buche sind gut durchmischt, die Strauch- und Krautschicht ist üppig, und es gibt sehr viel Totholz. «Biodiversität auf Schritt und Tritt», verspricht eine vom Solothurner Amt für Wald, Jagd und Fischerei empfohlene Waldwanderung, die hier vorbeiführt.

Neuerdings bietet sie noch eine weitere Sehenswürdigkeit. Der Geograf und Bodenfachmann Michael Margreth vom Büro SoilCom in Zürich hat sie im Herbst 2018 entdeckt, als er im Auftrag des Kantons Solothurn die Böden Breitenbachs kartierte. Auf einer rund 6 Hektaren grossen Fläche ist die Erde bis tief in den Untergrund knallrot gefärbt. Terra Rossa heisst dieser Bodentyp, der vor allem im Mittelmeerraum und in den Tropen verbreitet vorkommt. In der Schweiz hingegen hat man ihn bisher erst an einzelnen Standorten gefunden.

Einer der ältesten Böden

Nun steht Michael Margreth am Fuss eines knapp eineinhalb Meter hohen Bodenprofils und erläutert, wie der rote Boden entstanden ist. Sein Ursprung reicht zurück ins Zeitalter des Eozäns vor 34 bis 52 Millionen Jahren. Kalksteine, die am Grunde des Paratethys-Meers durch die Ablagerung von toten Meerestieren entstanden waren, wurden nach dessen Rückzug der Verwitterung ausgesetzt. Eindringendes Wasser löste den Kalk und wusch ihn aus; übrig blieben die Lösungsrückstände aus feinen Tonmineralien und Eisenoxiden. In einer späteren, trockenen Phase bildete sich daraus der auch als Blutstein bekannte Hämatit, ein leuchtend rotes Eisenoxid. Im Zuge der Jurafaltung hoben sich die Kalkbänke, wodurch die roten Tone an die Oberfläche gelangten.

Die eiszeitlichen Gletscher, die weite Teile unseres Landes abgeschliffen und mit Moränenmaterial überschüttet hatten, waren nie bis ins solothurnische Breitenbach vorgedrungen. Und weil sich die rote Erde vermutlich in einer Kluft im massiven Kalkgestein gesammelt hatte, blieb sie auch von den Kräften der Erosion weitgehend verschont. Die Terra Rossa am Leenenchöpfli gehört deshalb zu den ältesten Böden der Schweiz.

Die Schweiz ist vielbödig

Die geografische Lage mit den beiden Gebirgszügen Alpen und Jura sowie der geologisch komplizierte Aufbau bescheren der Schweiz eine hohe Vielfalt an Bodentypen. Sie haben klingende Namen wie Rendzina, Ranker, Podsol, Buntgley oder – etwas prosaischer – Braunerde und unterscheiden sich vor allem durch ihre Entstehungsgeschichte: Je nach Ausgangsgestein wie Kalk oder Granit, Mergel oder Sandstein, Gletscher- oder Flussablagerung wurden die Weichen für die Bodenbildung anders gestellt.

Bei der Bodenkartierung bestimmen Fachleute anhand von Profilgruben und Bohrkernen den Bodentyp sowie weitere Eigenschaften. Dazu gehören etwa das Ausgangsgestein, die Farbe und Korngrösse, der Säuregrad, der Gehalt an organischer Substanz, die pflanzennutzbare Gründigkeit oder das Bodenwasser. Anhand dieser Ergebnisse werden dann die Flächen mit unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit im Feld voneinander abgegrenzt. Laut einem im Januar 2019 publizierten Bericht des Nationalen Bodeninformationssystems NABODAT gibt es derzeit allerdings nur für 13 Prozent der Landwirtschaftsflächen, die in der Arealstatistik der Schweiz als solche ausgewiesen sind, qualitativ genügende Bodenkarten. Im Wald ist der Anteil kartierter Böden sogar noch geringer.

Diese Wissenslücke wiegt schwer, denn der Boden ist eine knappe, nicht erneuerbare Ressource, auf die wir existenziell angewiesen sind. Er erfüllt vielfältige Funktionen – so etwa in den Bereichen Nahrungsmittelproduktion, Waldwirtschaft, Trinkwasserversorgung, Hochwasserschutz oder Klimaschutz. Doch die Ökosystemleistungen des Bodens stehen unter einem hohen Druck. So ist die Siedlungsfläche der Schweiz allein zwischen 1989 und 2009 um 584 Quadratkilometer gewachsen, wie die Arealstatistik belegt. Überbaute Böden sind für alle anderen Funktionen unwiederbringlich verloren. Zudem setzen auch Erosion, Verdichtung, Humusverlust, Schadstoffeinträge oder Überdüngung unseren Böden zu. Deshalb drängt sich ein schonenderer Umgang mit der Ressource Boden auf.

Landesweite Bodenkartierung

«Gute Bodeninformation ist eine zwingende Voraussetzung für eine nachhaltige Bodenpolitik», hält Ruedi Stähli von der Sektion Boden im BAFU fest. Eine flächendeckende Bodenkartierung ist denn auch eine der Hauptforderungen des 2018 abgeschlossenen Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68). Sie sollte – auch innerhalb der Siedlungsgebiete – alle nicht überbauten, vielfältig nutzbaren Flächen erfassen: das Kulturland ebenso wie die Wälder, Moore und übrigen Flächen. Die Kosten dafür werden auf maximal 500 Millionen Franken geschätzt, verteilt auf rund 20 Jahre. Das ist sinnvoll angelegtes Geld, weil sich mit guter Bodeninformation hohe Kosten vermeiden und Mehrwerte schaffen lassen (siehe Box).

«Flächendeckende Bodeninformationen würden selbst unter sehr konservativen Annahmen dazu beitragen, dank Effizienzgewinnen und vermiedenen Umweltschadenkosten gegen 130 Millionen Franken pro Jahr einzusparen», kommt das NFP 68 zum Schluss. Mit der Gründung eines Kompetenzzentrums Boden, das im Juni 2019 seine Tätigkeit aufgenommen hat, wurden nun die institutionellen Voraussetzungen für eine Schliessung der Wissenslücke bezüglich unserer Böden geschaffen.

Mehr Wissen – tiefere Kosten

Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) zeigt in seinem Abschlussbericht die Bedeutung von guter Bodeninformation auf:

Kohlenstoffspeicher: Böden speichern im Humus insgesamt mehr Kohlenstoff als die gesamte Vegetation der Erde und die Atmosphäre zusammen. Moore sind gar Kohlendioxidsenken, denn sie akkumulieren Kohlenstoff in Form von Torf. Werden sie entwässert, setzen sie das Treibhausgas frei und tragen erheblich zum Klimawandel bei. Durch Bodenkartierungen lassen sich Standorte mit hohen und empfindlichen Kohlenstoffvorräten bestimmen und entsprechend bewirtschaften.

Wasserfilter: Dank der Filterwirkung der Böden können die Wasserversorgungen das gefasste Quell- und Grundwasser in der Schweiz meist unbehandelt ins Trinkwassernetz einleiten. Der Einsatz von Dünger und Pestiziden kann diese Bodenfunktion allerdings stark beeinträchtigen. In manchen intensiv genutzten Landwirtschaftsgebieten überschreiten die Gehalte an Nitrat und Pflanzenschutzmitteln im Grundwasser die Grenzwerte. Nicht jeder Bodentyp filtert gleich gut. Eine Bodenkartierung ermöglicht es, die für die Speisung der Grundwasservorkommen wichtigen Flächen differenziert standortgerecht zu bewirtschaften.

Bewässerung: Rund 55 000 Hektaren Agrarland werden in der Schweiz bewässert. Der Klimawandel wird den Wasserbedarf erhöhen. Gefordert ist deshalb eine effizientere Bewässerung. Detaillierte und flächendeckende Kenntnisse über die Böden und ihre Eigenschaften sind dafür unverzichtbar.

Erosion: Modellrechnungen ergaben, dass auf dem hiesigen Ackerland im Durchschnitt jährlich rund 2 Tonnen Feinerde pro Hektare verloren gehen. Nicht jeder Boden ist gleichermassen erosionsgefährdet. Bodenkarten können dazu beitragen, das Erosionsrisiko durch standortgerechte Kulturen, Düngung und Bodenbearbeitung zu minimieren. Bodenverdichtung: Verdichtete Böden erodieren durch Oberflächenabfluss stärker, sie werfen geringere Erträge ab, und die Grundwasserneubildung ist reduziert. Bodeninformationen sowie Daten zur Bodenfeuchte zeigen auf, wo die Verdichtungsgefahr durch schwere Maschinen besonders hoch ist und wo eine angepasste Nutzung diese reduzieren kann.

Düngung: Zusätzlich zum Hofdünger bringen die Schweizer Landwirte und Bäuerinnen jährlich rund 50 000 Tonnen Stickstoff und 4000 Tonnen Phosphor in Form von Mineraldünger auf ihren Feldern aus. Überschüssiger Stickstoff gelangt als Nitrat ins Grundwasser oder als Ammoniak in die Luft und überdüngt damit wertvolle Lebensräume, sodass nährstoffreiche Arten überhandnehmen. Zudem fördert überschüssiger Phosphor in Seen das Algenwachstum. Bodenkarten zeigen das Nährstoffspeichervermögen der Böden auf und geben Hinweise für eine optimierte Düngung.

Raumplanung: Bodenkartierungen identifizieren die für die Nahrungsmittelproduktion – aber auch für andere Bodenfunktionen – besonders geeigneten Ackerbauflächen. Damit kann die Raumplanung die Ausscheidung neuer Bauzonen gezielt auf Böden lenken, die sich für die Gewinnung von Nahrungsmitteln weniger eignen.

Wasserspeicher: Die unzähligen kleinen Hohlräume eines Bodens sind in der Lage, pro Quadratmeter mehrere Hundert Liter Wasser zu speichern. Diese Fähigkeit hängt von der Infiltrations- und Speicherkapazität ab. Detaillierte Kenntnisse über die Böden und ihre Eigenschaften im Einzugsgebiet der Fliessgewässer erlauben eine bessere Vorhersage von Hochwasserereignissen.

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Letzte Änderung 04.12.2019

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