Neue Bodenstrategie: Der Bund will die Bodenverluste stoppen

1.9.2021 - Die natürlichen Böden erbringen unverzichtbare Ökosystemleistungen. Um diese langfristig zu erhalten, soll in der Schweiz ab 2050 kein Boden mehr verloren gehen. Dieses Kernziel der neuen Bodenstrategie bedeutet jedoch nicht, dass danach nicht mehr gebaut werden darf.

Interview: Hansjakob Baumgartner

Das Grosse Moos (BE/FR) ist eine der produktivsten Agrarflächen des Landes. Doch die Schweizer Gemüsekammer ist durch stellenweises Absacken des Bodens bedroht.
© Markus Bolliger | Ex-Press | BAFU

Netto null Bodenverlust ab dem Jahr 2050: Dies ist ein Kernziel der im Mai 2020 vom Bundesrat verabschiedeten Bodenstrategie. Derzeit sind wir noch weit davon entfernt. Allein in der Beobachtungsperiode zwischen 1985 und 2009 wurden hierzulande gut 430 Quadratkilometer Boden überbaut. Das entspricht der doppelten Fläche des Neuenburgersees.

Zu diesen quantitativen Verlusten kommen die Qualitätseinbussen: An rund 40 Prozent unserer Äcker nagt die Erosion. Schwere Maschinen verursachen Verdichtungsschäden, und gänzlich schadstofffreie Böden existieren in der Schweiz vermutlich nicht mehr. Unser Umgang mit dem Boden war und ist somit alles andere als nachhaltig. Dennoch bestehen Vorbehalte gegenüber der Schweizer Bodenstrategie. «Trotz der Anstrengungen, den Bodenverbrauch zu reduzieren und sogar zu unterbinden, muss eine weitere Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung in der Schweiz möglich bleiben», verlangt der Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart in einem im Herbst 2020 eingereichten Postulat.

Doch steht die Bodenstrategie diesem Ansinnen entgegen? Ruedi Stähli von der Sektion Boden beim BAFU verneint dies. «Auch nach 2050 wird es keinen totalen Baustopp geben.» Denn das Kernziel, die Bodenverluste aufzuhalten, beziehe sich nicht auf die Fläche, sondern auf die zentralen Bodenfunktionen (siehe Box S. 65). Diese bilden die Basis für die vielfältigen Leistungen, die unsere Böden in ihrer Gesamtheit für Mensch und Umwelt erbringen. Und hier soll es spätestens ab Mitte dieses Jahrhunderts keine Abstriche mehr geben – so will es die neue Bodenstrategie.

Auf Bodenqualität achten

Selbstverständlich erfordert dieses Ziel auch einen quantitativen Bodenschutz. Die Siedlungsentwicklung nach innen und die bauliche Verdichtung bilden denn auch wichtige Anliegen sowohl der Bodenstrategie als auch des revidierten Raumplanungsgesetzes (RPG). Neu sollen bei Planungs- und Bauentscheiden vermehrt auch die Bodenqualität – bzw. die Bodenfunktionen – berücksichtigt werden. Müssen Böden einem Bauvorhaben weichen, so soll dies vorzugsweise auf bereits degradierten und ertragsschwachen Terrains geschehen oder auf solchen mit einem geringeren Wert als Lebensraum sowie einer eher unbedeutenden Regulierungsfunktion. In diesen Fällen hält sich der Verlust an Bodenleistungen nämlich in Grenzen.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Beteiligten Bescheid über die Bodenqualität wissen, was mit Bodenkarten möglich ist. Diese zeigen die chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften der Böden sowie ihre Empfindlichkeit und Nutzungseignung auf. Doch zurzeit existieren bloss für 13 Prozent der Landwirtschaftsflächen Bodenkarten in ausreichender Qualität. Noch schlechter ist die Datenlage beim Wald.

Um diesem Mangel zu begegnen, sieht die Bodenstrategie eine flächendeckende Bodenkartierung vor. Das 2019 geschaffene nationale Kompetenzzentrum Boden soll dafür einheitliche Standards erarbeiten sowie die gewonnenen Daten verwalten und verfügbar machen.

Boden verschieben

Die Bezeichnung «netto» im Erhaltungsziel der Bodenstrategie impliziert, dass sich Verluste auch kompensieren lassen. «Man kann Boden zwar nicht ersetzen, aber verschieben», sagt Ruedi Stähli vom BAFU. «Indem man das auf Baustellen anfallende Erdmaterial nicht einfach in Deponien entsorgt, sondern anderswo für eine Bodenaufwertung einsetzt, lässt sich der Verlust von Bodenfunktionen insgesamt stark minimieren.»

Geboten ist dies namentlich bei der Überbauung von Fruchtfolgeflächen (FFF). Dabei handelt es sich um potenziell ackertaugliches Kulturland wie Felder, Kunstwiesen und Naturwiesen, die sich bei Bedarf ebenfalls für den Anbau von Kulturpflanzen nutzen liessen. Aufgrund eines Ernährungsplans legte der Bundesrat 1992 den Mindestumfang an FFF fest, die in der Schweiz zwingend zu erhalten sind. Im Sachplan FFF wies er jedem Kanton ein bestimmtes Kontingent der Gesamtfläche von 438 460 Hektaren zu. Dieses Ackerland würde ausreichen, um in Zeiten fehlender Lebensmittelimporte gut 8 Millionen Menschen zu versorgen. Bedingungen dafür wären allerdings stark veränderte Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung mit einem reduzierten Verbrauch an Kalorien und deutlich weniger tierischen Produkten.

Zusammen mit der Bodenstrategie hat der Bundesrat letztes Jahr den erneuerten Sachplan FFF verabschiedet. Die Kantone müssen ihre FFF-Kontingente nach wie vor erhalten. Nur bei einem höher gewichteten Interesse ist eine Überbauung von FFF zulässig. Wenn ein Kanton dadurch den geforderten FFF-Mindestumfang nicht mehr ausweisen kann, muss er den Verlust anderswo durch Bodenaufwertungen kompensieren.

Degradierte Böden aufwerten

Der Fokus richtet sich dabei auf «anthropogen degradierte» Böden, deren Funktionen also durch menschliche Eingriffe beeinträchtigt sind. Dies betrifft zum Beispiel Böden über ehemaligen Gruben, Deponien oder Installationsplätzen von Baustellen, über dem Trassee von Leitungen oder über im Tagbau erstellten Tunnelröhren. Oft erfolgte dort die Rekultivierung zu wenig sorgfältig – entsprechend schlecht ist die Bodenqualität.

Der erneuerte Sachplan FFF verpflichtet die Kantone, bis 2023 die Böden auf ihrem Gebiet zu bezeichnen, die für eine Aufwertung infrage kommen. Einige haben da schon Vorarbeit geleistet. Der Kanton Zürich hat eine «Hinweiskarte für anthropogene Böden» im Internet aufgeschaltet. Hier sind alle Böden mit Veränderungen durch menschliche Eingriffe verzeichnet. Ein Klick auf die markierte Fläche gibt Auskunft über die Art des Eingriffs. Da steht etwa «ehemalige Kiesgrube», «Auffüllung» oder «belasteter Ablagerungsstandort». Durch das Auftragen von unbelastetem Bodenmaterial kann an solchen Standorten unter Umständen wieder fruchtbares Ackerland entstehen, das den Qualitätsstandards für FFF genügt.

Derzeit fallen durch Bauvorhaben in der Schweiz jährlich 4 Millionen Kubikmeter sauberer Oberboden sowie 11 Millionen Kubikmeter Unterboden an. Schon allein das Oberbodenmaterial würde ausreichen, um die Fläche des Silsersees einen Meter hoch zuzudecken. Die Bodenstrategie strebt an, dieses Material möglichst vollständig zu verwerten.

Schrumpfende Moorböden

Degradiert sind auch manche landwirtschaftlich genutzten Moorböden. Bevor man sie unter den Pflug nahm, wurden sie entwässert. Der Torf, der sich im nassen Boden durch den unvollständigen Abbau abgestorbener pflanzlicher Substanz angereichert hatte, begann sich zu zersetzen. Durch diesen Schwund des organischen Materials sacken solche Böden allmählich ab. Dies ist zum Beispiel im Grossen Moos (BE/FR) der Fall. Das im 19. und 20. Jahrhundert trockengelegte, einstige Sumpfland bildet heute eine der produktivsten Agrarflächen des Landes, wächst hier doch ein Viertel des einheimischen Gemüses. Doch die Schweizer Gemüsekammer ist bedroht. Stellenweise ist der Boden durch den Torfschwund als Folge der Mineralisierung schon um mehr als 2 Meter abgesackt. Weil die Drainagen immer näher an die Oberfläche rücken, werden manche Felder nur noch ungenügend entwässert.

Hinzu kommt, dass beim Zersetzen des Torfs das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt wird. Aus landwirtschaftlich genutzten Moorböden entweichen hierzulande jährlich schätzungsweise 0,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Dies entspricht 1,5 Prozent der gesamten Schweizer Treibhausgas-Emissionen. Durch das Auftragen von geeignetem abgetragenem Boden aus Baustellen lässt sich der Abbau des Torfkörpers bremsen. Gänzlich gestoppt werden kann er aber nicht, denn eine klimaneutrale landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden ist nahezu unmöglich.Deshalb sollte man aus einer Gesamtsicht über die künftige Nutzung solcher Böden entscheiden, findet Ruedi Stähli vom BAFU – insbesondere, wenn eine Erneuerung der Drainagen anstehe. Ist das landwirtschaftliche Ertragspotenzial so hoch, dass sich Investitionen in eine Bodenverbesserung und in neue Drainagen lohnen? Oder wäre es sinnvoller, die betroffenen Böden wieder vernässen zu lassen und damit im Dienste der Biodiversität in wertvolle Feuchtbiotope zu verwandeln? Auch die Regulierungsfunktion liesse sich damit stark aufwerten: Anstatt Treibhausgase zu emittieren, könnten sich wiedervernässte Moorböden zu CO2-Senken entwickeln.

Klassischer Bodenschutz

Um die Ökosystemleistungen unserer Böden zu erhalten, müssen diese in Zukunft auch besser vor schädlichen Belastungen – etwa durch Schadstoffe, Agrochemikalien, Erosion und Verdichtung – geschützt werden. Der klassische Bodenschutz bleibt denn auch wichtig. Ziel der Bodenstrategie ist eine schonende Nutzung der Böden, die auf ihren Zustand und ihre Empfindlichkeit Rücksicht nimmt.

Zur Umsetzung der Bodenstrategie sind auch die rechtlichen Grundlagen und deren Vollzug zu überprüfen. Die bestehenden Gesetze sind zwar durchaus zweckmässig, doch oft hapert es bei der Umsetzung. Das gilt etwa bei Bauvorhaben, bei der Bewilligung und Kontrolle von Terrainveränderungen, bei den Massnahmen zur Ammoniakreduktion in der Landwirtschaft oder bei Veranstaltungen auf der «grünen Wiese».Hauptursache für das Vollzugsdefizit sind oft fehlende Ressourcen der Vollzugsbehörden, was wiederum mit der ungenügenden Wertschätzung der Böden und ihrer Funktionen in der Politik zu tun hat. Es ist deshalb ein weiteres Handlungsfeld der Bodenstrategie, Bevölkerung sowie Entscheidungsträger und -trägerinnen für die Bedeutung lebendiger Böden für die Zukunft der Menschheit zu sensibilisieren.

Die ökologischen Funktionen des Bodens

Produktionsfunktion: Rechnet man die Sömmerungsweiden im Berggebiet hinzu, dient mehr als ein Drittel unserer Böden der Nahrungsmittelproduktion. Und im Wald wachsen jährlich über 8 Millionen Kubikmeter wirtschaftlich nutzbares Holz nach.

Regulierungsfunktion: Der Boden ist die Schaltstelle der natürlichen Kreisläufe. Er nimmt die Grundstoffe des Lebens auf, wandelt sie um und macht sie für die Organismen wieder verfügbar. Schadstoffe werden abgebaut, was das Grundwasser vor Verunreinigungen schützt. Böden speichern Wasser, halten es bei Starkniederschlägen zurück und dämpfen damit die Abflüsse. Auch im Klimageschehen spielen sie eine wichtige Rolle: Im Humus ist weltweit doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert wie in der Atmosphäre.

Lebensraumfunktion: Böden dienen den Pflanzen als Wurzelraum und sind damit Basis aller Landlebensräume. Sie beherbergen aber auch die überaus artenreiche Unterwelt der Flora und Fauna: Etwa ein Viertel aller bekannten Arten lebt im Boden – die Mikroorganismen nicht eingerechnet.

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Letzte Änderung 01.09.2021

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