OECD-Bericht: Die Schweiz auf dem Prüfstand

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Schweizer Umweltpolitik unter die Lupe genommen. Diese Aussensicht hilft, Lücken im Vollzug zu schliessen und neue Lösungsansätze aufzugreifen.

Text: Pieter Poldervaart

Renaturiertes Flussufer als Naherholungsgebiet
In Frauenfeld (TG) ist in den Murg-Auen ein Naherholungsgebiet entstanden: Die OECD-Experten lobten den innovativen Schweizer Ansatz bei der Renaturierung von Flüssen.
© Markus Forte | Ex-Press | BAFU

Der wirtschaftliche Erfolg eines Landes hängt von vielen Faktoren ab. Nebst gut ausgebildeten Arbeitnehmenden, innovativen Unternehmen, einem verlässlichen Finanzsystem und einer effizienten Verwaltung zählen nicht zuletzt auch soziale und politische Stabilität sowie eine gesunde Umwelt dazu. Aus diesem Grund kümmert sich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), deren Mitglied die Schweiz seit der Gründung 1961 ist, auch darum, wie effektiv die Umweltpolitik ihrer Mitgliedsstaaten ist. In einem Turnus von zehn Jahren untersucht die Organisation die Anstrengungen zum Schutz der Umwelt ihrer heute 35 Mitglieder. Im Herbst 2017 wurde der Umweltprüfbericht zur Schweiz veröffentlicht – zum dritten Mal nach 1998 und 2007. Das Prüfverfahren soll dokumentieren, wo ein Land die nationalen Umweltzielsetzungen erreicht hat und wo es den internationalen Verpflichtungen nachgekommen ist. «Darüber hinaus werden die unterschiedlichen Umweltanstrengungen der Länder transparent gemacht», erklärt José Romero, der in der BAFU-Abteilung Internationales für den Bericht zuständig ist. Dadurch würden Vergleiche möglich und es liessen sich beispielsweise anderswo gemachte Pionierleistungen übernehmen. Mithilfe der von der OECD-Prüfkommission formulierten Empfehlungen sollen die Länder dazu motiviert werden, Verbesserungen in der Umweltpolitik umzusetzen. Und schliesslich will die OECD auch kontrollieren, ob die Empfehlungen ihres letzten Berichts tatsächlich umgesetzt worden sind.

Der Besuchsmarathon

Das Prozedere, nach dem die OECD-Prüfer vorgehen, ist klar strukturiert und stellt sicher, dass alle wichtigen Umweltthemen beleuchtet und sämtliche wesentlichen Stakeholder miteinbezogen werden. Konkret lief das Prüfverfahren in mehreren Schritten so ab: Als Erstes erhielt das BAFU im April 2016 einen Fragenkatalog zugestellt, den es drei Monate später mit einem 500-seitigen Dokument beantwortete – dies allerdings nicht etwa im Alleingang. «Das Thema Umwelt ist ein enorm weites Feld, weshalb wir 25 weitere Bundesstellen, von Energie über Landwirtschaft bis hin zu Raumentwicklung und dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, konsultiert haben», berichtet José Romero. Bei der Beantwortung der Fragen sei auch immer wieder darauf geachtet worden, die Eigenheiten des Schweizer Föderalismus zu verdeutlichen. In einem zweiten Schritt bereiste Ende 2016 eine OECD-Delegation die Schweiz. Während einer Woche absolvierten die Expertinnen und Experten einen eigentlichen Besuchsmarathon und interviewten Spezialisten der Bundesverwaltung, unterhielten sich mit Vertretern und Vertreterinnen von Kantonen und Gemeinden, sprachen mit Wirtschafts- und Umweltverbänden, besuchten die Akademien der Wissenschaften und diskutierten auch mit eidgenössischen Parlamentariern. Diese Treffen wurden zwar vom BAFU organisiert, doch um die Vertraulichkeit zu gewährleisten, nahmen an den Gesprächen mit den aussenstehenden Umweltprüfern keine Vertreter der Schweizer Umweltbehörde teil.

Auch Missverständnisse

Anfang 2017 erhielt das BAFU einen ersten Entwurf der Schlussfolgerungen des Berichts und der damit verbundenen Empfehlungen zur Stellungnahme. Dabei gab es auch Überraschungen. Als wenig zielführend beurteilte das BAFU den Vorschlag, in der Schweiz sei ein «Gesetz über die Berge» zu erlassen, wie dies etwa Frankreich mit einigem Erfolg getan habe. «Ein solches Gesetz ist bei uns schlicht überflüssig», begründet Romero; deshalb habe man die OECD auch von dieser Empfehlung abgebracht. «Die Schweiz hat den Schutz der Bergregionen schon in verschiedenen Gesetzen sowie in ihrer Regionalpolitik integriert.» Die Umweltexpertinnen und -experten der OECD machten aber wohlbegründete Empfehlungen, die schliesslich nach einer Anhörung der Schweizer Delegation am OECD-Sitz in Paris unter der Leitung der BAFU-Direktion definitiv verabschiedet wurden. Dazu gehört etwa der Vorschlag, das umweltverträgliche öffentliche Beschaffungswesen sei zu stärken, indem Ziele formuliert und deren Erreichung überprüft würden.

Bachlauf
Die OECD bemängelt die Belastung von Bächen und Flüssen mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln (PSM).
© Markus Forte | Ex-Press | BAFU

Guter Dialog mit Finanzsektor

In einigen Bereichen liess es die OECD in ihrem Bericht, der am 27. November 2017 den Medien vorgestellt wurde, nicht mit wohlmeinenden Verbesserungsvorschlägen bewenden. Die Experten äusserten sich auch unumwunden kritisch. So hatte die OECD beispielsweise bereits 2007 in ihrem letzten Bericht gefordert, die Schweiz solle die Steuern auf Treibstoff erhöhen, um so die externen Kosten der Mobilität zu finanzieren, unter anderem hinsichtlich Gesundheits- und Umweltschäden. Im aktuellen Bericht heisst es dazu in vielsagender Kürze: «Die Schweiz hat der Empfehlung keine Folge geleistet.» Positiv würdigt die OECD hingegen das Engagement unseres Landes bei internationalen Initiativen für nachhaltigere Finanzsysteme. «Zudem hat die Schweiz einen Dialog mit dem Finanzsektor aufgebaut, um den Einbezug von Umweltkriterien in Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen der Akteure auf dem inländischen Finanzmarkt zu fördern», lobt der Bericht. Mehrere der insgesamt 42 Empfehlungen zielen auf einen besseren Vollzug der Schweizer Gesetzgebung ab. Der Bund, so der Bericht, solle die Umweltpolitik in den Kantonen dadurch stärken, dass sie harmonisiert und die vertikale Koordination verbessert würde, und er solle mehr in Ausbildung und Kommunikation investieren.

Fliessgewässer: mässige Bilanz

Vertieft geht die OECD auf zwei Themen ein, welche die Schweiz von sich aus als Schwerpunkte für die Prüfung vorgeschlagen hatte: Wasser und Biodiversität. Beim Zustand der schweizerischen Fliessgewässer ergab die Analyse der externen Expertinnen und Experten eine durchzogene Bilanz. Zwar loben sie den hohen Stand der Abwasserreinigung und heben die Vorreiterrolle der Schweiz bei der Reduktion von Mikroverunreinigungen in den kommunalen Abwasserreinigungsanlagen (ARAs) hervor. Und auch der innovative Ansatz bei der Renaturierung von Flüssen wird positiv erwähnt. Doch andererseits bemängelt die OECD die Belastung von Bächen und Flüssen mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln (PSM). Es brauche dringend Massnahmen, um die Einträge von Nährstoffen und PSM aus der Landwirtschaft in die Gewässer zu reduzieren. Und es sei auch nötig, die Überwachung der Wasserqualität auf kleine Flüsse und Seen auszudehnen.

Rückstand bei Biodiversität

Die OECD unterstreicht auch die Bedeutung der Gewässer als Ökosysteme und Vernetzungsgebiete für die Erhaltung der Biodiversität. Im letzten Jahrhundert hat die Schweiz einen signifikanten Anteil der früher weitverbreiteten Auen, Sümpfe und Trockenwiesen verloren. Dadurch ist heute von 235 unterschiedlichen Lebensräumen, die in der Schweiz existieren, die Hälfte gefährdet. Gemessen an internationalen Standards, fehlt es unserem Land an Flächen, die für den Naturschutz ausgeschieden sind. Besserung erhofft sich die OECD vom Aktionsplan, der am 6. September 2017 vom Bundesrat verabschiedet wurden. Die OECD ermutigt die Schweiz, ihre Anstrengungen weiterzuverfolgen, um die Biodiversität und den Landschaftsschutz in den Sektoralpolitiken wie der Land- und Forstwirtschaft, den Transportinfrastrukturen und den touristischen Anlagen noch stärker einzubringen. Im städtischen Bereich schlagen die Umweltprüfenden vor, mit neuen Finanzierungsinstrumenten Mittel bereitzustellen, um Grünflächen zu schaffen und Lebensräume zu vernetzen.

«Eine Motivationsspritze»

José Romero von der BAFU-Abteilung Internationales kann die Sorgen, die sich die OECD-Experten um den Verlust an Artenvielfalt machen, durchaus nachvollziehen: «Die Schweizer Bevölkerung ist sich der Probleme, vor die uns die schwindende Biodiversität stellen wird, noch viel zu wenig bewusst. Das zeigen auch unsere eigenen Umfragen.» Ganz generell, so bilanziert José Romero, dürfte die Aussensicht auf den Schweizer Umweltschutz dazu beitragen, die Anstrengungen in diesem Bereich zu verstärken. «Die Empfehlungen der OECD werden der Schweiz als Motivationsspritze dienen und uns dazu veranlassen, identifizierte Lücken in der Umweltpolitik zu schliessen.»

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Letzte Änderung 16.05.2018

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