Bedrohte Lebensräume: Was passiert, wenn Natur und Wald sich verändern?

Der Klimawandel bedroht natürliche Lebensräume. So müssen sich Tiere und Pflanzen an Bedingungen anpassen, die sich mitunter drastisch verändern. Darum arbeiten Forschende in verschiedenen vom BAFU unterstützten Projekten daran, wertvolle Lebensräume besser zu schützen und Tieren und Pflanzen zu helfen, mit den Folgen des Klimawandels zurechtzukommen.

Text: Andrée-Marie Dussault

Beim Bietschtalviadukt an der Lötschberg-Südrampe – und an vielen weiteren Orten – braucht die Bahn den Schutz des Waldes.
© Gaëtan Bally/Keystone

«Unsere Art zu leben und das Land immer intensiver zu nutzen, übt grossen Druck auf die Umwelt aus», sagt Gian-Reto Walther, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Biodiversitätspolitik beim BAFU. «Dieser Druck wird noch zusätzlich verschärft durch die Risiken des Klimawandels – es drohen der Verlust von Lebensräumen, der Rückgang von Populationen und deren genetische Verarmung», stellt er klar. Die Übernutzung sei eine Gefahr für die natürlichen Lebensräume und jene Pflanzen und Tiere, die auf diese Lebensräume angewiesen sind. «Am stärksten betroffen sind Arten, die auf feuchte und kühle Lebensräume angewiesen sind.» So klettern manche durch die Klimaerwärmung in höhere Lagen, um wieder jene klimatischen Bedingungen zu finden, an die sie angepasst sind. Allerdings: «In höher gelegenen Regionen und gerade in den Alpen wird die Fläche dieser Gebiete immer kleiner. Folglich nimmt auch der für diese Arten verfügbare Lebensraum ab, was sie wiederum stärker gefährdet. So steigt das Risiko, dass Arten lokal aussterben.»

Gleichzeitig stellen gewisse Organismen eine Gefahr dar – in den Wäldern etwa invasive Pflanzen, Insekten, Pilze, Fadenwürmer, Bakterien oder Viren, sagt Aline Knoblauch, Co-Leiterin der Sektion Waldschutz und Waldgesundheit des BAFU. «Dazu gehören gebietsfremde, aber auch einheimische Organismen.» Etwa der Buchdrucker, ein einheimischer Käfer, der in der gesamten Schweiz vorkommt und geschwächte Fichten befällt. «Nach langen Trockenzeiten, die diesem Schädling gut bekommen, befällt er auch gesunde Bäume.»

Andere Schadorganismen reisen mit dem globalen Handel in neue Gebiete ein, auch in die Schweiz. In einigen Fällen können die höheren Temperaturen ihre Verbreitung begünstigen – und beschleunigen. Die Expertin nennt den Asiatischen Laubholzbockkäfer. Ein Befall dieses importierten Schädlings wurde im August 2022 im Kanton Luzern entdeckt. «Befallene einheimische Bäume und Sträucher können sich nicht wehren und sterben nach einigen Jahren ab. Und: Natürliche Feinde haben solche gebietsfremde Schädlinge in der Schweiz nicht.» Um solche Bedrohungen zu bekämpfen, führen das BAFU und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gemeinsam den Eidgenössischen Pflanzenschutzdienst (EPSD). Dessen Aufgabe: zu verhindern, dass Krankheiten und Organismen, die für die Pflanzen in der Schweiz gefährlich sind, eingeführt werden und sich hier verbreiten.

Chance: verschiedene Baumarten nutzen

Auch Nicole Viguier, Fachverantwortliche Naturgefahren beim Bahnunternehmen BLS Netz AG in Bern, befasst sich mit Risiken für den Wald – besonders mit Projekten im Schutzwald an der Lötschberg-Südrampe im Wallis, dem einzigen Wald der Schweiz, der bewässert wird. Seine Aufgabe ist es, das Gebiet vor Naturgefahren zu schützen. «Mit dem Klimawandel müsste dieser Wald noch stärker bewässert werden, gleichzeitig ist immer weniger Wasser verfügbar», sagt Viguier.

Indessen ändert sich das Klima rasch und der Wald kann sich nicht schnell genug anpassen, um seine Schutzfunktion zu gewährleisten. Denn damit er seine Aufgabe erfüllen kann, darf der Wald keine Löcher in seinem Gefüge haben: Er benötigt ein dichtes Netz aus Baumstämmen, um Lawinen, Steinschlag oder Erdrutsche aufzuhalten, erklärt die Geologin. «Unser Ziel ist deshalb, die Baumarten so zu diversifizieren, dass der Wald starker Hitze besser standhält.» Waldföhre, Schwarzföhre, Blumenesche, Hasel, Douglasie – Viguiers Team erstellte ein Verzeichnis von Bäumen, die an diesen Walliser Standort angepasst sind: Sie halten Hitze aus, aber auch Kälte und Schnee. «Arten, deren Äste unter dem Gewicht winterlicher Niederschläge einbrechen, haben wir von Anfang an ausgeschlossen.» Sie betont, wie wichtig es ist, verschiedene Baumarten zu nutzen. Das mindert das Risiko für den gesamten Wald, falls sich mit der Zeit herausstellen sollte, dass einige davon die Wirkungen des Klimawandels nicht vertragen oder besonders anfällig für Schädlinge sind.

Ein invasiver Feigenkaktus wächst in den Ermitage-Reben in der Nähe von Sion.

Vorsicht: invasive Pflanzen

Wegen ihrer Anpassungsfähigkeit können gebietsfremde Arten in verschiedensten Lebensräumen invasiv werden, also einheimische Arten unter Druck setzen. Beispiele sind etwa Kakteen, die sich im Wallis rasch ausbreiten und das Gleichgewicht der Ökosysteme stören. Ein weiteres Beispiel ist die Chinesische Hanfpalme. «Ihre starke Ausbreitung in stadtnahen Wäldern südlich der Alpen bedroht die einheimischen Arten und damit die Ökosystemleistungen – also für uns lebenswichtige Leistungen, die der Wald erbringt, etwa als Schutzwald, der vor Steinschlag oder Erdrutschen schützt», sagt Boris Pezzatti, Wissenschaftler an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Cadenazzo (TI). Er koordiniert seit 2019 ein Pilotprojekt zur Verbreitung der Hanfpalme in der Schweiz.

Die gebietsfremde Palme tauchte in der Schweiz erstmals vor über zweihundert Jahren am Lago Maggiore auf und breitete sich später besonders dank dem Bau- und Garten-Boom seit den 1960er-Jahren aus. Sie profitierte vom Klimawandel und davon, dass der Wald weniger von der lokalen Bevölkerung genutzt wurde. «Heute gibt es diese Palmen auch in Schutzwäldern oberhalb städtischer Gebiete und in Auenwäldern, die für die Biodiversität wichtig sind und deren vielfältige Populationen es zu erhalten gilt – ohne Arten zu verlieren.»

Der Forscher hat beobachtet, dass dort, wo die Palmen in einer hohen Dichte vorkommen, die Artenvielfalt in der Kraut- und in der Strauchschicht zurückging. «Nicht nur die Vielfalt der heimischen Pflanzen und Gehölzarten war reduziert, auch die Zusammensetzung der Insektengemeinschaften hatte sich verändert.» So hatte die Artenvielfalt der pflanzenfressenden Arthropoden abgenommen, dagegen gab es mehr sogenannte Detrivoren, also Arten, die sich von organischem Abfall wie toten Organismen oder abgestorbenen 

Geschützte, aber fragile Gebiete

Selbst Gebiete, die gesetzlich geschützt sind, um die Biodiversität oder bestimmte Arten zu erhalten, leiden unter der Klimaerwärmung. Dies bestätigt Veronika Stöckli, Geschäftsleiterin des Unternehmens Bergwelten 21, das Projekte zu Schutzgebieten im Graubünden durchgeführt hat. «Man könnte annehmen, dass ein unberührtes natürliches Ökosystem resilient gegenüber äusseren Gefahren ist, etwa einer Hitzeperiode. Doch das gilt nicht im Klimawandel, auch weil die Ökosysteme durch die Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung geschwächt sind.»

Zudem: Schutzgebiete wie ein Tannenwald, ein Fluss oder eine Wiese sind häufig zu klein, um ein vollständiges Ökosystem zu bilden, auch weil sie meist von Arealen eingeschlossen sind, die intensiv genutzt werden. «So bleibt der Druck auf Tiere und Pflanzen hoch. Selbst wenn es beispielsweise in der Nähe eines Weihers ein weiteres Gewässer mit kühlerem Wasser gibt, können Pflanzen und Tiere nicht davon profitieren, wenn eine Strasse, eine Eisenbahn oder intensive Landwirtschaft ihnen den Zugang versperrt.»

Dennoch sind Schutzgebiete entscheidend für das Überleben bestimmter Arten. Das gilt etwa für die Pelzanemone und den Deutschen Backenklee: Beide Pflanzenarten sind bedroht und wären ganz verschwunden, wenn es sie nicht im Schutzgebiet Rohanschanze (GR) gäbe. Solche Schutzzonen zeigen auch, wie die Natur ohne menschliche Eingriffe aussähe. «Zwar wäre unser heutiges komfortables Leben ohne Eingriffe in die Natur nicht möglich gewesen, aber wir sind dabei zu weit gegangen», sagt Forscherin Stöckli. «Durch Übernutzung der Ressourcen und Bodenspekulation gerät die Umwelt zu stark unter Druck.»

In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem damit, die anfälligsten und seltensten Ökosysteme und Arten zu identifizieren und herauszufinden, welchen Risiken sie im Klimawandel ausgesetzt sind. «Werden sie fünf Grad mehr überleben oder schon bei einem Temperaturanstieg von einem Grad sterben? Anschliessend gilt es, die Risiken in und um betroffene Gebiete zu verringern – also geschützte Areale zu vergrössern und zwischen ihnen Korridore für Tiere und Pflanzen zu schaffen», sagt Stöckli. Zudem könnten Strukturen gebaut werden, die den Tieren mehr Schatten spenden.

Und: Man müsse die Situation ständig beobachten, um zu sehen, wie die Natur auf die Veränderungen reagiert. Wichtig sei es ebenfalls, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Denn der Wert der Natur werde nicht richtig eingeschätzt, glaubt sie. «Schon als Kind müssen die Leute lernen, wie wichtig es ist, dass Wasser, Luft und Erde sauber sind, damit sie sich dann in ihrem Berufsleben daran erinnern – und entsprechend handeln

Nicole Viguier: Fachverantwortliche Naturgefahren bei der BLS Netz AG und Leiterin der Projekte im Schutzwald Lötschberg-Südrampe.

Ein Schutzwald, der Trockenheit standhält

Wie wird der Schutzwald der Lötschberg-Südrampe (VS) resistenter gegen die Auswirkungen des Klimawandels? Schweizer Forschende suchen auf diese Frage eine Antwort. Ein Gespräch mit Projektleiterin Nicole Viguier.

Frau Viguier, was genau untersuchen Sie in Ihrem Forschungsprojekt?

Wir wollen herausfinden, welche Baumarten hohe Temperaturen und lange Trockenzeiten aushalten. Dazu haben wir eine Bestandesaufnahme des Waldes der Lötschberg-Südrampe im Wallis gemacht und die dort vorkommenden Baumarten identifiziert. Im nächsten Schritt wollen wir in einem Versuch drei Flächen mit einer vergleichbaren Baumverteilung untersuchen. Die erste Fläche wird wie bisher bewässert. Der zweite erhält die Hälfte des Wassers, die dritte schliesslich wird gar nicht bewässert.

Wie sieht denn diese Baumverteilung aus, die Sie ansprechen?

Wir brauchen eine grosse Vielfalt von Bäumen – wir haben ein Dutzend Hauptbaumarten und rund 15 sekundäre Baumarten und Sträucher aufgelistet, die wir testen wollen. Denn wir wissen weder wie stark sich der Klimawandel auswirken wird, noch welche Bedrohungen durch Schädlinge er zur Folge hat oder wie die einzelnen Arten darauf reagieren werden. Diese Untersuchungen zu resilienten Bäumen werden uns ermöglichen, Naturgefahren auch in Zukunft zu begrenzen. Wir werden die Bäume aufmerksam überwachen, um zu sehen, wie sie sich verhalten.

Wird sich das Ökosystem des Waldes nicht ändern, wenn er aus anderen Baumarten besteht?

Wahrscheinlich, ja. Aber keine der hinzugefügten Baumarten war völlig neu im Wald, jeweils einige wenige Exemplare gab es schon. Die verschiedenen Arten müssen sowohl an den Standort als auch an höhere Temperaturen und längere Trockenperioden angepasst sein. Zudem: Wir arbeiten eng mit einem lokalen Forstingenieur und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL zusammen – und profitieren bei der Auswahl der Arten von ihrer Erfahrung.
 

Das Tessin ist ein Paradies für die hübschen Hanfpalmen, hier beim Funicolare in Locarno. In den Wäldern ist die Palme aber problematisch.

Die Hanfpalme: schön anzuschauen, aber invasiv

Boris Pezzatti ist der Koordinator einer Schweizer Studie, die untersucht, wie sich die Ausbreitung der Hanfpalme auf der Alpensüdseite auswirkt. Ein Gespräch über einen ästhetischen, aber mehr als lästigen Eindringling.

Herr Pezzatti, wo liegt das Problem mit der Hanfpalme?

Grundsätzlich können gebietsfremde Arten durchaus nützlich sein, weil sie sich an den Klimawandel anpassen können. Doch diese Arten können auch invasiv werden und einheimischen Tieren und Pflanzen schaden sowie die Schutzfunktion des Waldes beeinträchtigen. Bei der Hanfpalme kann vor allem ihre Dichte problematisch sein. Die Art an sich ist nicht aggressiv, nicht wie beispielsweise ein Knöterich, der stärker wird, wenn man ihn abschneidet. Und: Die Hanfpalme trägt erst nach 15–20 Jahren Früchte, und ihre Samen überleben nur ein, zwei Jahre im Boden.

Das klingt, als wäre es nicht allzu schwierig, die Palme unter Kontrolle zu bringen.

Wie man’s nimmt. An den kritischsten Stellen lassen sich gezielte Entfernungsaktionen durchführen. Doch jedes Jahr gelangen erneut Palmsamen aus privaten Gärten in die Wälder. Zwar gibt es einen gesetzlichen Rahmen, der Eigentümerinnen und Eigentümer dazu verpflichtet, die Blütenstände oder Früchte abzuschneiden – aber das ist schwer durchsetzbar und unmöglich zu kontrollieren. Da die Bevölkerung die Palme sehr schätzt und diese zu einem Sinnbild für die Alpensüdseite geworden ist, wäre es eine mögliche Lösung, ähnlich ästhetische, aber nicht invasive Palmenarten zu fördern.

Kann die Hanfpalme denn nicht selbst auch zur Schutzfunktion des Waldes beitragen?

Nein. Sie kann den Boden nicht stabilisieren, wie es die einheimischen Arten tun. Ihre Wurzeln sind fest, aber kurz, kürzer als 1,5 Meter. Sie haben keine Verzweigungen und sind etwa so dünn wie ein kleiner Finger. Dagegen haben die einheimischen Bäume ein komplexeres Wurzelwerk mit holzigen Wurzeln, die länger und dicker sind – und dadurch den Boden viel stärker zusammenhalten.

Fazit

Der Klimawandel bedroht die Lebensräume einheimischer Tiere und Pflanzen und begünstigt gleichzeitig die Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. Darum suchen Forschende nach Wegen, um einheimische Arten zu schützen und so die Biodiversität zu erhalten.

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Letzte Änderung 10.05.2023

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