In Städten und Agglomerationen ist die Hitzebelastung besonders hoch. Sie beeinträchtigt die Erholung in der Nacht und das Wohlbefinden am Tag und kann sogar lebensbedrohend sein. In verschiedenen Pilotprojekten werden Lösungen entwickelt, wie sich übermässige Erhitzung vermeiden lässt.
Text: Nicolas Gattlen

Über die Architektur der Europaallee wird in Zürich gern und oft gestritten. Einig ist man sich darüber, dass die Verantwortlichen bei der Planung des neuen Wohn- und Geschäfts- quartiers beim HB Zürich die Hitzeproblematik vernachlässigt hatten. Wer sich im Sommer auf die autofreie Einkaufsmeile begibt oder in einem der vielen Restaurants arbeitet, bekommt dies nun zu spüren: Oft ist es in der Europaallee glühend heiss. Laut Thomas Stoiber, dem Co-Leiter Klima und Mobilität bei der Baudirektion des Kantons Zürich, ist es dort um zwei bis drei Grad wärmer als im Umland der Stadt oder in durchgrünten Stadtquartieren, im Extremfall gar zehn Grad heisser. Und nachts liegt die Temperatur oft immer noch um die 16 bis 20 Grad – drei bis sieben Grad höher als im Umland.
Warum die Europaallee im Sommer zum Glutofen wird, lässt sich einfach erklären: Alle Bodenflächen sind asphaltiert oder mit Betonplatten belegt. Selbst an einem sonnigen Tag mit verhältnismässig angenehmer Lufttemperatur von 26 Grad erwärmt sich der Boden auf 42 Grad. Zusätzlich aufgeheizt wird die Allee durch die teils dunkel eingefärbten Betonfassaden: Wie der Asphalt können auch sie das Sonnenlicht kaum reflektieren und speichern viel Wärmeenergie, die sie bis tief in die Nacht an die Umgebung abgeben. Die geschlossenen Häuserzeilen verhindern zudem, dass die Hitze aus dem Quartier entweichen kann – einzig der Westwind bringt manchmal etwas Abkühlung. Auch fehlt es an grossen Laubbäumen, die Schatten spenden und der Luft Wärme entziehen, wenn über ihre Blätter Wasser verdunstet.
Stadthitze zunehmend ein Problem
Die Europaallee ist nur eine von vielen «Hitzeinseln» in der Stadt Zürich, wie die Klimaanalysekarte des Kantons zeigt. Überall dort, wo ein Grossteil der Flächen versiegelt ist und wo geschlossene Häuserzeilen sowohl die Durchlüftung am Tag als auch die Zufuhr von nächtlicher Kaltluft blockieren, ist die Wärmebelastung besonders hoch. Und sie dürfte in Zukunft weiter zunehmen. Bis Mitte des Jahrhunderts wird die Sommertemperatur gemäss den Klimaszenarien CH2018 des Bundes um bis zu 4,4 Grad steigen, wenn die globalen Treibhausgasemissionen ungebremst weiter zunehmen. Und was bislang eine Ausnahme war, dürfte ab Mitte des Jahrhunderts normal sein: mehrere Tage lang andauernde Hitzewellen, in denen das Thermometer nachmittags weit über 30 Grad klettert und nachts nicht unter 20 Grad sinkt.
«Um ihre hohe Wohn- und Lebensqualität erhalten zu können, müssen sich die Städte und Agglomerationsgemeinden an die neuen Bedingungen anpassen», erklärt Guirec Gicquel, Fachspezialist beim BAFU und Leiter des Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel». In diesem Pilotprogramm haben verschiedene Schweizer Städte und Kantone mit Unterstützung des BAFU erprobt, wie sie der steigenden Hitze beikommen können. Die Ansatzpunkte reichen von Raumplanungsinstrumenten und Leitlinien für das Bauwesen über sich weniger stark erhitzende Strassenbeläge und Baumaterialien bis hin zu Hitzeplänen und Hitzewarnungen.
Das Pilotprogramm untersuchte auch, inwiefern hohe Temperaturen und Hitzewellen unsere Gesundheit beeinträchtigen. «Spätestens seit dem Sommer 2003 ist bekannt, dass der Hitzestress gerade für ältere Menschen lebensbedrohend sein kann», sagt Gicquel. Damals stieg im Grossraum Paris das Thermometer auf fast 40 Grad, und mehr als 15000 betagte Menschen starben zumeist einsam in ihren Wohnungen. Für die Schweiz hat das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut geschätzt, dass in jenem Sommer etwa 1000 Personen im Zusammenhang mit der Hitze gestorben sind. Das Institut hat nun erfasst, was zu dieser hitzebedingten Sterblichkeit führt: Neben dem Alter erhöhen auch ein niedriger sozioökonomischer Status, eine schlechte Gebäudekühlung durch die Architektur, Innenraumtemperaturen über 24 Grad und fehlender Schatten im Aussenraum das Sterberisiko. Diese Resultate veranlassten den Bund, ein neues Hitzewarnsystem zu etablieren. «Heute warnt MeteoSchweiz die Bevölkerung, wenn an mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen eine mittlere Tagestemperatur von 25 und mehr Grad zu erwarten ist», sagt Gicquel.

Wie sich Hitzeinseln verhindern lassen
In Städten und Agglomerationen ist die Hitzebelastung besonders gross, denn die vielen versiegelten Flächen absorbieren die Sonnenstrahlung und heizen die Umgebung auf. Die Stadtplanung kann diesen Hitzeinseleffekt reduzieren, indem sie den Aussenraum klimaangepasst gestaltet. Bereits im Jahr 2018 hat das BAFU einen Bericht publiziert, der zahlreiche Beispiele aus dem In- und Ausland aufführt, die zeigen, wie das gelingen kann. Darauf aufbauend werden Planungsgrundlagen, städtebauliche Leitsätze und Massnahmen formuliert. Viele davon wurden in der Schweiz bereits umgesetzt oder verbreitet.
Wie schlimm ist Hitze im Schulzimmer?
Auch der Schulbetrieb leidet unter den Hitzeperioden. Das Projekt «Schulen trotzen der Hitze» untersuchte in den Gemeinden Montreux und Locarno, wie hoch die Hitzebelastung in Schulgebäuden ist und wie die Hitze die Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Dabei zeigte sich: Weil es aussen bei den Gebäuden zu wenige Bäume gibt, die Schatten spenden, wurde es in allen untersuchten Gebäuden zeitweise über 26 Grad heiss.
Diese hohen Temperaturen beeinträchtigen die Konzentration und Produktivität der Schülerinnen und Schüler, sie fühlen sich müde und unwohl. Die Hitze in urbanen Räumen zu reduzieren, ist umso wichtiger, weil sie sehr viele Menschen betrifft: 83 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben heute in Gebieten mit städtischem Charakter, also in Städten und Agglomerationen. Und auch künftig soll das Bevölkerungswachstum vor allem in die urbanen Räume gelenkt werden. So sieht es beispielsweise der Richtplan des Kantons Zürich vor, um die ländlichen Landschaften, die Agrarflächen, die Biodiversität und das Klima zu schützen. Wenn aber baulich verdichtet wird, steigt der Druck auf Freiräume, Frischluftschneisen und das Stadtgrün. So zeigen Untersuchungen in Zürich, dass es trotz zahlreicher Neuanpflanzungen durch die Stadt immer weniger Bäume im Stadtraum gibt, vor allem auf Privatgrundstücken. Einer der Gründe: Bei einer baulichen Verdichtung werden oft grossräumige Untergeschosse wie etwa Tiefgaragen gebaut. Damit bleibt nicht mehr genug Wurzelraum für die Bäume. Wie sich Bäume und Grünflächen schützen und neue Grünanlagen schaffen lassen, zeigt das Pilotprojekt «Bäume und Natur in der Stadt». In diesem Projekt wurde für Porrentruy (JU) ein Richtplan erarbeitet, der als Grundlage für verbindliche Regeln dienen soll. Ziel ist es, dass die verschiedenen, häufig privaten Akteure den Klimawandel bei ihren Bauvorhaben berücksichtigen müssen. Zum Wohl der ganzen Stadt.
Interviews

«Vor allem grössere Gemeinden suchen nach Lösungen»
Daniela Bächli arbeitet als Fachberaterin Siedlungsentwicklung & Freiraum beim Kanton Aargau und leitete das Pilotprojekt «Hitzeangepasste Siedlungsentwicklung Aargau».
Daniela Bächli, ist die Sommerhitze in der Agglomeration und in den kleineren Landgemeinden erträglicher als in den grossen Städten?
Die Hitze ist dort tagsüber ähnlich drückend und unangenehm. Der grosse Unterschied zeigt sich nachts. Kleine bis mittelgrosse Gemeinden sind meist besser durchlüftet als die dicht bebauten Städte. In der Nacht kühlen sie deshalb effektiver ab. Darum verzeichnen sie auch weniger Tropennächte – Nächte, an denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt.
Das mag einer der Gründe sein, warum sich viele Gemeinden im Unterschied zu den grossen Städten bislang noch wenig mit der zunehmenden Hitze auseinandergesetzt haben. Mit der gesetzlich geforderten baulichen Verdichtung dürfte die Hitzeproblematik nun aber auch für die kleineren Städte und Gemeinden wichtiger werden.
Zweifellos. Wir haben in unserem Pilotprojekt «Hitzeangepasste Siedlungsentwicklung Aargau» festgestellt, dass insbesondere die grösseren Gemeinden das Thema im Visier haben und nach Lösungen suchen, wie sie trotz einer dichteren Bauweise genügend Grünflächen, Bäume, offene Gewässer und Frischluftkorridore erhalten oder neu realisieren können. Wir haben dazu einen Leitfaden für Gemeinden und Planende entwickelt, der auf grosses Interesse stösst.
Wo sollten die Behörden ansetzen?
Wichtig ist, die hitzeangepasste Siedlungsentwicklung frühzeitig in der Planung zu berücksichtigen. Dann lassen sich vielfältige Synergien schaffen, zum Beispiel mit den Themen Freiraum- und Wohnqualität, Regenwasserbewirtschaftung, Energie oder Natur und Umwelt. Schliesslich sollten die Behörden in der allgemeinen Nutzungsplanung und bei Gestaltungsplänen grundeigentümerverbindliche Regelungen festschreiben. Für die konkrete Umsetzung wirken Handlungsempfehlungen oder finanzielle Anreize unterstützend. Die Gemeinde Ennetbaden etwa zahlt Privaten einen Beitrag, wenn sie auf ihren Grundstücken Bäume pflanzen. Die Gemeinden können aber auch ein wirksames Signal setzen, indem sie im öffentlichen Raum Bäume pflanzen.

«Die Massnahmen entfalten zusammen eine grosse Wirkung»
Thomas Stoiber ist Co-Leiter Klima & Mobilität bei der Baudirektion des Kantons Zürich und Leiter des Projekts «Klimaangepasste Arealentwicklung».
Thomas Stoiber, wie nehmen Sie die zunehmende Sommerhitze in der Stadt Zürich wahr?
Ich lebe in einer Dachwohnung in einem ziemlich dicht bebauten Quartier, da wird es ordentlich heiss. Besonders nachts kann die Hitze sehr unangenehm sein. Tagsüber bin ich viel mit dem Velo in der Stadt unterwegs. Wenn man über den Asphalt fährt, bekommt man die Hitze deutlich zu spüren. Auch den Kontrast, wenn man plötzlich unter hohen Laubbäumen durchfährt, nimmt man sofort wahr: Dann wird es spürbar kühler.
Die bestehende Stadtinfrastruktur lässt sich nur schwer ändern. Wenn Wohnareale neu entwickelt werden, hat man hingegen im Prinzip freie Hand, diese klimaangepasst zu gestalten. Allerdings steht dem der Wunsch nach Verdichtung und Rendite entgegen. Ein unlösbarer Zielkonflikt?
Nein. Mit unserem Pilotprojekt in Regensdorf konnten wir zeigen, dass sich dieser Zielkonflikt durchaus lösen lässt. Das Projekt untersuchte am Beispiel einer Überbauung auf der Nordseite des Bahnhofs Regensdorf, wie sich verhindern lässt, dass sich die Gebäude und Aussenräume übermässig erwärmen. Das Bauprojekt ist eingebettet in einen Gestaltungsplan, der für das 21 Hektar grosse Entwicklungsgebiet bereits Vorgaben zur Klimaanpassung enthält, geht aber darüber hinaus. Wir wollten gemeinsam mit dem privaten Bauherrn und der Gemeinde Regensdorf ein Vorzeigebeispiel für klimaangepasste Überbauungen schaffen.
Was sind die besonderen Merkmale der Überbauung?
Die Überbauung bietet etwa Arkaden an den Hochhäusern, beschattete Plätze in den Aussenräumen, Stichstrassen mit mehreren Baumreihen, ein begrüntes Dach auf dem Pavillon, begrünte Fassaden und verschiedene Wasserelemente, aber auch besonnte Flächen für die kalte Jahreszeit. Die Tiefgarage wurde so platziert, dass der Boden auf den freien Flächen inklusive der Vorzonen zu den Gebäuden tief genug ist, um mit Bäumen bepflanzt zu werden. Diese verschiedenen Massnahmen entfalten in ihrer Summe eine grosse Wirkung. Damit zeigen wir, dass sich eine hohe bauliche Dichte, gestalterische Qualität und Massnahmen gegen die Hitze nicht ausschliessen.

«Frischeinseln sind gefühlt mehrere Grad kühler»
Maude Sauvain leitet im Auftrag des Kantons Genf das Pilotprojekt «Cool City».
Maude Sauvain, Sie leben und arbeiten in Genf, wo es im Sommer besonders heiss wird. Wie gehen Sie mit dieser Hitze um?
Ich bade abends in der Rhone. Das ist wunderschön und erfrischt ungemein. In den letzten Jahren wurden an den Ufern neue Zugänge geschaffen, von denen nun viele Stadtbewohnerinnen und -bewohner profitieren.
Mit dem Projekt «Cool City» prüfte der Kanton, wie sich im Stadtgebiet «Frischeinseln» schaffen lassen: Orte, wo sich die Bevölkerung während einer Hitzewelle abkühlen kann. Wie kam es dazu?
Im Prinzip weiss man ja, welche Massnahmen grundsätzlich kühlend wirken: etwa Baumpflanzungen, offene Gewässer, entsiegelte Böden. Beim Projekt «Cool City» ging es zunächst darum, jene Orte in Genf zu identifizieren, wo Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel dringend nötig sind. Dazu wurde eine frei zugängliche bioklimatische Karte erstellt, die es ermöglichte, die Aktionsräume zu priorisieren. Dann wollten wir prüfen, welche Massnahmen an einem bestimmten Ort den grössten klimatischen Nutzen entfalten für die Menschen, die sich dort aufhalten. Dazu haben wir unter anderem einen Schulplatz und einen Parkplatz umgestaltet.
An den beiden Standorten wurden auf Asphaltflächen grüne Inseln geschaffen. Welche Wirkung entfalten sie?
Die Resultate sind erfreulich. Die gefühlte Temperatur ist auf den Inseln um mehrere Grad tiefer als in der Umgebung. Bei der Parkplatz-insel wurde der Effekt durch Feldmessungen bestätigt. Auch zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler beziehungsweise die Bevölkerung diese «Frischeinseln» schätzen und über unsere Erwartungen hinaus rege nutzen – insbesondere den neugestalteten Parkplatz, der nun Schatten sowie Sitzgelegenheiten, Tische und Liegestühle zum Geniessen bietet.
Was hat Sie beim «Cool City»-Projekt am meisten überrascht?
Zu Beginn des Projekts im Jahr 2019 war das Thema Anpassung an den Klimawandel zwar einem Kreis von Interessierten und Wissenschaftlerinnen bekannt, jedoch weniger unter den Fachleuten der Raumplanung, die eine der Zielgruppen des Projekts ist. Dies hat sich im Laufe des Projekts zum Positiven gewandelt. Heute ist «Cool City» eine Art Synonym für die Integration von Klimafragen in ein Planungsprojekt und wird fast als Label betrachtet. Aber es gibt noch mehr zu tun: Es gilt, weitere «Frischeinseln» zu planen und deren Umsetzung zu erleichtern.
Gemeinsam geschaffene Klimaoasen
Wenn Sonne und Beton im Sommer aufeinandertreffen, wird es heiss – für manche «nur» unerträglich, für andere gar gesundheitsgefährdend. Deshalb hat der Kanton Aargau in 21 seiner Gemeinden an dicht besiedelten Orten kühle Oasen geschaffen. Gemeinsam mit der Bevölkerung pflanzten die Behörden schattenspendende Bäume, die bei Hitze und Trockenheit besonders gut gedeihen. Die Gemeinden schenkten sich jeweils symbolisch einen Baum und organisierten einen Austausch, um zu signalisieren: Die Klimakrise kann nur gemeinsam bekämpft werden.
Fazit
In Städten und Agglomerationen wird es im Sommer besonders heiss. Ein prominentes Beispiel ist die Europaallee beim HB Zürich, wo die Verantwortlichen bei der Planung die Hitzeproblematik vernachlässigt hatten. Nun untersuchen verschiedene Projekte mögliche Lösungen gegen die städtische Hitze. Die Ansatzpunkte beinhalten etwa Leitlinien für das Bauwesen, kühle Strassenbeläge und Baumaterialien oder aktualisierte Hitzepläne und -warnungen.
Letzte Änderung 10.05.2023