Häufigere Hitzewellen und Trockenperioden, mehr Naturgefahren: Der Klimawandel macht sich in der Schweiz immer stärker bemerkbar. Das Pilotprogramm des Bundes zur Anpassung an den Klimawandel sucht nach Lösungen, wie wir mit diesen Herausforderungen besser klarkommen.
Text: Kaspar Meuli
Das Klimasystem ist ein träger Dampfer, dessen Kurs sich nur langsam korrigieren lässt. Das Treibhausgas CO2 etwa bleibt über hundert Jahre lang in der Atmosphäre und schadet dem Klima weiter – auch wenn es uns gelingt, die in Paris beschlossenen Klimaziele zu erreichen. Deshalb braucht es bereits heute Massnahmen, um mit den neuen Bedingungen umzugehen. Dazu hat der Bundesrat unter anderem das beim BAFU angesiedelte Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» lanciert (siehe Box «von der Strategie zum Pilotprogramm»). Darin setzen Kantone, Regionen, Städte, Gemeinden und private Organisationen seit 2013 in bisher zwei Programmphasen insgesamt 81 Projekte um – zu Themen wie Hitzebelastung, Sommertrockenheit, Hochwasserrisiko oder Ausbreitung gebietsfremder Arten.
Praxisorientiert war etwa das Phase-2-Projekt «Baumaterialien für Städte im Klimawandel». Darin ermittelte das Projektteam mittels Simulationen, wie sich verschiedene Baumaterialien auf den Hitzeinseleffekt in Städten auswirken. Insgesamt untersuchte das Team 26 unterschiedliche Fassadenmaterialien und Bodenbeläge in 19 Farbvarianten mit Blick auf das städtische Mikroklima. So haben sich etwa hinterlüftete Fassaden in einer hellen Farbe als vorteilhaft herausgestellt. Die gewonnenen Informationen stehen nun Architekten und Stadtplanerinnen in der ganzen Schweiz online zur Verfügung. Damit haben sie es leichter, ihre Bauvorhaben klimaangepasst zu gestalten.
Rebberge höher hinaus
Ein weiteres Projekt namens «Weinbau im Kanton Neuenburg» zeigt, wie sich Winzer auf das sich verändernde Klima einstellen können: Sie könnten andere Traubensorten anpflanzen, Merlot zum Beispiel statt Pinot Noir, oder die Rebberge künftig in höheren Lagen anlegen. Allerdings sind noch nicht alle Fragen geklärt. Was geschieht etwa, wenn Winzerinnen höhergelegene Flächen beanspruchen wollen, die heute als Weiden genutzt werden? Und: Bleiben die Konsumenten den lokalen Weinen treu, wenn diese plötzlich anders schmecken? «Die Anpassung an den Klimawandel wirft neue interessante Fragen auf», sagt Guirec Gicquel, Fachspezialist beim BAFU und Leiter des Pilotprogramms. Fragen, denen sich die Gesellschaft, die Unternehmen und die Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen gemeinsam stellen müssen.
In das Pilotprogramm sind zehn Bundesämter involviert, und über 500 Personen aus staatlichen und privaten Organisationen helfen bei der Umsetzung der Projekte mit. Das Budget beträgt 9,4 Millionen Franken, wovon der Bund rund die Hälfte übernimmt. Eine erste Bilanz fällt aus Sicht von Programmleiter Gicquel durchwegs positiv aus: «Durch das Pilotprogramm wurden in der Schweiz verschiedene Ebenen der Anpassung verstärkt.» Dazu gehören das neu gewonnene Wissen, aber auch konkrete Handlungsempfehlungen sowie die Sensibilisierung der Menschen für das Thema. Bei der Projektauswahl wurde unter anderem ein Schwerpunkt auf einen «integralen Ansatz» gelegt. Will heissen: Der Anpassungsprozess soll von Beginn weg alle Akteure miteinbeziehen und alle betroffenen Bereiche gemeinsam betrachten. Dies zum Beispiel bei der Planung eines neuen Quartiers. «Wenn alle von Anfang an am selben Tisch sitzen, gelingt ein ganzheitliches Vorgehen viel einfacher», sagt Gicquel. «So lassen sich nicht nur Kompromisse finden, sondern es ergeben sich auch Synergien.»
Pilotprojekte als Initialzündung
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis der ersten Programmphase 2013 bis 2017: Da Klimaanpassung viele Bereiche gleichzeitig betrifft, von der Siedlungsplanung über die Bauwirtschaft bis zum Pflanzen von klimaangepassten Stadtbäumen, kann der erste Schritt mancherorts eine Herausforderung darstellen. Nicht zuletzt, weil es an Ressourcen fehlt. «Deshalb sind die Pilotprojekte so wichtig», sagt Gicquel. «Sie dienen als Initialzündung und zeigen, dass Anpassung in kleinen Schritten erfolgen kann.»
Das veranschaulicht auch eines der Vorzeigeprojekte der ersten Programmphase, «ACCLIMATASION: Eine klimaangepasste Stadtentwicklung für Sitten». Dieses begann im Walliser Hauptort mit der Aufwertung des Cours Roger Bonvin, einer kaum benutzten Autobahnüberdachung. Sie wurde durch Wasserflächen und Bäume in Pflanzkübeln attraktiver gestaltet – besonders für heisse Tage. Was 2016 im Austausch mit der Quartierbevölkerung und mit bescheidenen Mitteln anfing, mündete in einen Prozess, der sich mittler- weile auf die ganze Stadt auswirkt. Heute setzt Sitten vielseitige städtebauliche Massnahmen um, die den Hitzeinseleffekt vermindern und die Lebensqualität verbessern. Und die Stadt besitzt einen Masterplan für die Hitzeminderung und hat einen Wettbewerb für klimaangepasste Stadtentwicklung durchgeführt.
Inspiration für andere
Als Finale des nationalen Pilotprogramms findet im Mai 2023 eine grosse öffentliche Abschlussveranstaltung statt. Danach gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse zu verbreiten. Denn die Pilotprojekte sollen möglichst in der ganzen Schweiz Nachahmer und Nachahmerinnen finden. Was sich in einer Region bewährt hat, könnte andere bei der Klimaanpassung inspirieren helfen. «Künftig braucht es weiterhin neue und innovative Lösungen, aber es wird vermehrt auch darum gehen, gute Lösungen möglichst breit anzuwenden», sagt Gicquel. Doch auch wenn die Anpassung immer wichtiger wird und verstärkt werden muss: «Der wichtigste Pfeiler der langfristigen Klimastrategie des Bundesrats bleibt nach wie vor die Verminderung von Treibhausgas-Emissionen.»
Fazit
Auch in der Schweiz wird der Klimawandel zunehmend spürbar. Einerseits gilt es, diesen zu bremsen, andererseits müssen wir uns an dessen Auswirkungen anpassen – etwa an zunehmende und längere Trockenperioden. Wie das gehen kann, untersuchen die Projekte des Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel».
«Wir sind mit Risiken konfrontiert, die wir kaum kennen»
Das Klima verändert sich, und wir kommen nicht darum herum, uns anzupassen. Doch was bedeutet das? Drei Fragen an Guirec Gicquel, den Leiter des Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel».
Guirec Gicquel, welches sind die grössten Risiken des Klimawandels für uns in der Schweiz?
Eines der drängendsten Probleme sind die heisseren und trockeneren Sommer. Vor allem in Siedlungsräumen beeinträchtigt die Hitze bereits jetzt unser Wohlbefinden und die Gesundheit vieler Menschen. Mit der zunehmenden Trockenheit werden sich zudem die Ernteerträge und damit unsere Nahrungsmittelversorgung verändern. Wir sind also mit Risiken konfrontiert, die wir kaum kennen – etwa auch mit einer zunehmenden Waldbrandgefahr auf der Alpennordseite. Auch die Biodiversität wird sich weiter verändern. Nicht nur steigt die Gefahr, dass Tier- und Pflanzenarten verschwinden, sondern auch, dass sich Krankheiten und invasive gebietsfremde Arten ausbreiten. In der bergigen Schweiz sind wir zudem mit dem Risiko konfrontiert, dass Erdrutsche, Steinschläge oder Felsstürze häufiger werden.
Wie können wir uns gegen diese Gefahren schützen?
Um Hitzewellen zu begegnen, brauchen wir eine klimaangepasste Siedlungsentwicklung. Kurzfristig müssen wir Risikogruppen wie ältere und kranke Menschen mit Hitzemassnahmenplänen gezielt schützen. Was die Trockenheit angeht, ist es vor allem wichtig, die Wassernutzung für betroffene Gebiete neu auszurichten und zu priorisieren. Zudem muss sich auch die Landwirtschaft anpassen, indem sie Kulturen anbaut, die wenig Wasser brauchen. Um die Biodiversität zu erhalten, müssen wir mehr Schutzgebiete anlegen und diese miteinander vernetzen. Und wir müssen in den Bergen das Monitoring ausbauen, um instabile Hänge frühzeitig zu erkennen.
Gibt es denn auch Chancen, die mit diesen schwierigen Klimabedingungen zusammenhängen?
Ja, auch die gibt es. Wenn die Winter wärmer werden, gibt es etwa weniger Verkehrsunfälle oder Frostschäden. Und wir benötigen weniger Energie, um zu heizen. Zudem verbessern längere, trockenere Sommer die Standortbedingungen für manche Geschäftsbereiche: Sie führen etwa dazu, dass sich der alpine Sommertourismus ausbauen lässt oder dass sich die Qualität der einheimischen Weine verbessert.
Von der Strategie zum Pilotprogramm
Der Bundesrat hat 2012 die Strategie «Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz» verabschiedet. Diese formuliert Ziele und Grundsätze auf Bundesebene, identifiziert für neun Sektoren die Handlungsfelder und beschreibt die sektorübergreifenden Herausforderungen. Die betrachteten Sektoren sind: Wasserwirtschaft und Hydrologie, Waldwirtschaft, Landwirtschaft, Gesundheit, Energie, Tourismus, Umgang mit Naturgefahren, Biodiversitätsmanagement sowie Raumentwicklung. Das Ziel der Anpassungsmassnahmen ist nicht nur, Risiken zu minimieren und die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt zu steigern, sondern auch die Chancen zu nutzen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben. Die Massnahmen, um die Strategie umzusetzen, sind in zwei Aktionsplänen zusammengefasst. Eine dieser Massnahmen ist das Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel». Dieses beinhaltet Projekte in der ganzen Schweiz, die verschiedene Massnahmen umsetzen und untersuchen. In der ersten Phase von 2014 bis 2016 wurden 31 Projekte umgesetzt, Phase 2 läuft seit 2018 mit 50 weiteren Projekten und wird 2023 abgeschlossen.
Die Schweiz hilft international
Die Folgen des Klimawandels variieren je nach Weltregion stark. Betroffen sind vor allem die Länder im globalen Süden, wo zunehmende Trockenheit und Extremereignisse die Armut verstärken können. Sozial und wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen leiden besonders stark. Die Schweiz setzt sich daher für eine langfristig klimaverträgliche Entwicklung ein.
Unter anderem unterstützt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA konkrete Anpassungsmassnahmen, stellt Wissen für ein integriertes Klimarisikomanagement zur Verfügung und unterstützt nationale Planungsprozesse zur Klimaanpassung.
Auch über internationale Finanzierungsmechanismen achtet die Schweiz darauf, dass die für den Klimaschutz aufgewendeten Gelder den schwächsten Personen, Gemeinschaften und Regionen langfristig dienen. Sie war zu diesem Zweck aktiv an der Schaffung des Grünen Klimafonds (Green Climate Fund) beteiligt, der heute ein zentrales Instrument der internationalen Klimafinanzierung ist. Sein Ziel ist die Finanzierung klimafreundlicher Massnahmen von Entwicklungsländern.
Weiterführende Informationen
Letzte Änderung 10.05.2023