Die Vielfalt und Qualität der Schweizer Landschaften bergen für die Regionalentwicklung ein Potenzial. Verschiedene Projekte zeigen, wie ihre Inwertsetzung zum Wohlstand einer Region beiträgt.
Text: Carole Berset

© Stiftung Pusch
Die Schweizer Landschaften bilden ein reiches und vielfältiges Natur- und Kulturerbe. Als Spiegel geologischer, historischer und kultureller Besonderheiten sind sie auch von grosser Bedeutung für den Tourismus und die Lebensqualität der Menschen in vielen Regionen. Heute stehen die Landschaften aber stark unter Druck. Regional charakteristische Landschaftselemente und Lebensräume für Tiere und Pflanzen gehen zunehmend verloren.
Seit 2002 beteiligt sich der Bund finanziell am Programm «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung». Das Programm dient als Anreiz für lokale, regionale und kantonale Akteure, neue Ansätze und Methoden zu testen und so Lösungen vor Ort auszuprobieren. Einer der fünf thematischen Schwerpunkte, die in der letzten Periode, also 2020–2024, festgelegt wurden, war den Beiträgen gewidmet, die die Landschaft im regionalen Kontext leistet. Dieser wurde vom BAFU zusammen mit sechs anderen Bundesämtern geleitet.
Für den Themenbereich «Landschaft ist mehr wert» wurden acht Projekte ausgewählt, unter anderem in den Regionen Valsot (GR) und Sittertobel (SG). «Mit den Projekten soll gezeigt werden, dass die Landschaft sowohl einen Mehrwert generieren als auch die Wertschätzung für die Qualitäten der Regionen verstärken kann», sagt Daniel Arn, Mitarbeiter in der Abteilung Biodiversität und Landschaft im BAFU. «In der Schweiz ist das Valposchiavo in Graubünden seit über 20 Jahren ein Pionier in diesem Bereich. Die Standortmarke ‹100 % Valposchiavo› zertifiziert Lebensmittelprodukte, die vollständig in der Region hergestellt worden sind. So werden einheimische Ressourcen stärker genutzt und in Wert gesetzt.» Ein zentrales Kriterium ist im Übrigen die Innovation. Auf Klangspaziergängen im Limmattal (ZH) beispielsweise wird das Rauschen des Flusses hervorgehoben aus dem Hintergrundrauschen des Verkehrs und das Bewusstsein für den Wert eines guten Klangraums in Siedlungsgebieten geschärft.
Man kann nur schützen, was man kennt
Im Projekt «Inscuntrar» von Pro Terra Engiadina wurden Einheimische und Gäste zum gesellschaftlichen und ökonomischen Mehrwert der intakten Landschaften der Bündner Gemeinde Valsot befragt. Dabei arbeitete die Stiftung mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zusammen. «Das Projekt sollte messen, welchen Wert die Menschen der Landschaft beispielsweise unter den Aspekten der Schönheit, Kohärenz und Komplexität, aber auch als Erholungsraum beimessen», erklärt Angelika Abderhalden, die für das Projekt verantwortlich war.Parallel zu diesen Befragungen wurde die «Valsot-App» entwickelt. Interessierte finden darin das Wanderwegnetz und Informationen zu Geschichte, Biodiversität, Struktur und Veränderung der Landschaft in der Region. «Die Landschaft stellt einen Mehrwert und ein Kulturerbe dar, die oft schwierig zu erfassen sind. Das Projekt will sie in Wert setzen, denn häufig wird nur geschützt, was man kennt. Wird eine Beziehung zur Landschaft geschaffen, fühlt man sich stärker betroffen von den Herausforderungen, die mit ihrer Entwicklung und ihrem Schutz verbunden sind.» Neben einem Nachhaltigkeitsweg entstand im Rahmen des Projekts auch ein System, das misst, was die Landschaft für die Standortattraktivität leistet.

© Stiftung Pusch
Wertschätzung für nahe Landschaften steigern
Das Sittertobel (SG) mit seinen tiefen Einschnitten und Wasserfällen ist ein Gebiet von nationalem Interesse, aber auch wichtig als Naherholungsraum. Das Projekt «Tobelwelt Sitter für alle» sollte die Menschen in der Stadt St. Gallen und in der Gemeinde Wittenbach für die Bedeutung naturnaher Landschaften in direkter Siedlungsnähe sensibilisieren. «Vier Exkursionen und Arbeitseinsätze in der Natur wurden organisiert, damit die Bevölkerung die nahe Landschaft bewusster wahrnehmen und wertschätzen kann», sagt Doro Anderegg, Projektverantwortliche bei der Vereinigung REGIO Appenzell AR–St. Gallen–Bodensee, die zusammen mit der Stiftung Pusch – Praktischer Umweltschutz Projektträgerin ist.
Eine Voraussetzung für die Durchführung des Projekts war die Mitwirkung der relevanten Akteure. «Wichtig war vor allem der Einbezug der Naturschutzverbände, die auch Vorbehalte äusserten, weil wir eine mögliche Konkurrenz darstellten.» Mit Unterstützung von Behörden und Vereinen hat die Stiftung Pusch drei Naturpfade realisiert, die auf ihrer App «Naturpfade» gezeigt werden. Die Menschen in St. Gallen und Wittenbach konnten damit Natur- und Landschaftselemente vor ihrer Haustüre entdecken.
Das Projekt wollte nicht nur sensibilisieren, sondern Gemeinden und Raumplanungsverantwortliche auch ermutigen, sich künftig für mehr Biodiversität einzusetzen. In Wittenbach wurde ein Pflege- und Aufwertungskonzept für eine Siedlung erarbeitet. In neu entstandenen Grünpartnerschaften können die Anwohnerinnen und Anwohner kleine Grünflächen wie beispielsweise Blumenwiesen am Strassenrand finanzieren.
Inspirierende Beispiele
Die Modellvorhaben konnten dank innovativen Lösungen das Potenzial der Landschaften ihrer Region nutzen. «Alle Vorhaben sind einzigartig», sagt Daniel Arn. «Das Projekt der Valsot-App in Graubünden ist ein interessantes Beispiel für die Regionalentwicklung. Es zeigt, dass es erst im Anschluss an die Definition der besonderen Qualitäten eines Ortes möglich ist, ein Tourismusangebot zu gestalten, welches das Wirtschaftswachstum der Region fördert. Die für ‹Tobelwelt Sitter für alle› in St. Gallen geschaffenen Synergien lehren, wie wichtig der Einbezug unterschiedlicher Akteure und Ansichten für eine möglichst grosse Projektreichweite ist.» Das Programm des Bundes will die aus den Modellvorhaben gewonnenen Erfahrungen an andere Regionen weitergeben. «Der vom BAFU in Zusammenarbeit mit dem SECO publizierte Bericht zeigt diese Erkenntnisse auf», sagt Daniel Arn. «Er ist eine konkrete Hilfe für die Entwicklung von Projekten in anderen Regionen.»
Eine kohärente Landschaftspolitik
Um die Schweizer Landschaften und ihre Qualität zu erhalten, zu fördern und eine kohärente Landschaftspolitik sicherzustellen, hat der Bundesrat das Planungsinstrument «Landschaftskonzept Schweiz» verabschiedet. Dieses Instrument betrachtet die Landschaft sowohl als Wohn-, Arbeits- und Erholungsraum, aber auch als räumliche Basis für die Biodiversität.
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Letzte Änderung 25.09.2024