Wo die Schweiz am schönsten ist

Das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) enthält die landschaftlichen Perlen der Schweiz. Ihre besonderen Werte sollen erhalten und auch künftig sorgsam weiterentwickelt werden. Nur so können sie ihre Trümpfe als Wohn- und Lebensraum, als einzigartige Zeugen für die Kultur- und Erdgeschichte sowie für die Erholung und den Tourismus klug ausspielen.

Text: Hansjakob Baumgartner

Vierwaldstättersee
Das Gebiet um den Vierwaldstättersee (Blick vom Pilatus Richtung Rigi und Bürgenstock) gehört ebenso zum BLN...
© Andreas Gerth

Für eine erste Annäherung empfiehlt sich eine Schifffahrt auf dem Bielersee. Wir gleiten vorbei an einer Landschaftskulisse mit malerischen Winzerdörfern und Rebbergen, die von Wiesen, Gehölzen und Felsen durchsetzt sind. Oben grünt Laubwald, und mittendrin steht wie ein Wächter der Kirchturm von Ligerz (BE). In diesem Dorf landen wir an. Wir flanieren durch die Hauptgasse – vorbei an steinernen Weinbauernhäusern, die noch aussehen wie vor 500 Jahren. Die anschliessende Wanderung durch die Rebberge folgt streckenweise dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Auf den eingestreuten Trockenwiesen blühen Orchideen. Mit etwas Glück ist eine Viper zu erspähen, die sich auf einer Mauer der Rebterrassen sonnt.

Südliches Flair

In der sonnigen Landschaft fühlt man sich in den Süden versetzt. Mehrere wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten gelangen hier an ihre nördliche Verbreitungsgrenze. Ein Kontrastprogramm bietet der Aufstieg durch die feucht-kühle Twannbachschlucht (BE). Das linke Bielerseeufer ist eine der ältesten Kulturlandschaften der Schweiz. Es war bereits um 3500 v.Chr. von Pahlbauern besiedelt. Später kamen Kelten und Römer. Hier begegnen sich die burgundische und die alemannische Sprachkultur, deren Miteinander die Gestalt der Dörfer geprägt hat. Es gibt viele Gründe, diese Landschaft als ein schützenswertes Natur- und Kulturgut unseres Landes zu behandeln. Sie hat denn auch einen festen Platz im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN).

Waadtländer Jura
…wie die Passhöhe des Col du Marchairuz im Waadtländer Jura.
© Marcus Gyger

Einzigartig, landestypisch, schön

162 Objekte zählt das Inventar. Darin aufgelistet sind einzigartige Landschaften wie der Creux du Van im Jura (NE/VD), ein von Gletschern, Regen und Frost kreiertes Gesamtkunstwerk der Natur. Weiter enthält das BLN von jedem hiesigen Landschaftstyp mindestens ein repräsentatives Objekt – zum Beispiel die vergletscherte Gebirgslandschaft des Val de Bagnes, wo sich die Walliser Hochalpen von ihrer eindrücklichsten Seite zeigen. Ebenfalls aufgelistet sind einige wertvolle Erholungslandschaften wie das Gebiet Albiskette-Reppischtal mit dem Wildnisreservat Sihlwald am Stadtrand von Zürich. Und schliesslich finden sich im BLN national bedeutende Geotope: Das berühmteste ist der geologische Aufschluss der Glarner Hauptüberschiebung der helvetischen Decken im Gebiet Lochsiten. Bezüglich Grösse reicht das Spektrum vom Pfluegstein ob Herrliberg (ZH) – einem Findling so gross wie ein Einfamilienhaus – bis zum Objekt Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet (BE/VS) mit einer Gesamtfläche von annähernd 100 Quadratkilometern. Alle BLN-Gebiete zusammen umfassen 19 % der Landesfläche. Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) fordert für sie die «ungeschmälerte Erhaltung» oder zumindest «grösstmögliche Schonung». Damit ist nicht ein absolutes Veränderungsverbot gemeint – wohl aber die Pflicht zu besonderer Sorgfalt bei der Planung und Umsetzung von raumwirksamen Projekten.

Evaluation des BLN

Doch sind die ausgewählten Gebiete bisher auch tatsächlich vor schädlichen Eingriffen bewahrt worden? 2002 liess die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) das BLN evaluieren und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: Es sei «nicht gelungen, wertvolle Landschaften vor dem Nutzungsdruck der Industrie- und Freizeitgesellschaft zu schützen», lautete das Fazit. Und: «Die Erfolgskontrolle […] zeigt auf, dass das übergeordnete Ziel des BLN […] bisher insgesamt nicht erreicht werden konnte.» Die Gründe dafür lägen nicht zuletzt am Ziel selbst, befand die GPK. So hochgesteckt dieses ist, so vage war es bis anhin definiert. Was bedeutet «ungeschmälerte Erhaltung» im Einzelfall? Was genau ist in einem bestimmten BLN-Gebiet «grösstmöglich zu schonen»? Zeichnet sich das Objekt vor allem durch wertvolle Lebensräume wie Moore, Trockenrasen, Auen oder naturnahe Wälder aus? Ist es beispielhaft für eine traditionelle bäuerliche Landnutzung? Steht der Erlebnisreichtum der Landschaft als Erholungsgebiet im Vordergrund oder sein Wert als erdgeschichtlicher Zeuge? Je nach speziellen Qualitäten eines Gebiets sind raumwirksame Projekte anders zu beurteilen. Denn sie müssen das Gebot der ungeschmälerten Erhaltung oder der grösstmöglichen Schonung in Bezug auf die objektspezifischen Schutzziele erfüllen. Letztere waren im BLN bis anhin jedoch nicht bestimmt.

Ein Meilenstein

Als Ergebnis der Evaluation hat man das Inventar überarbeitet. Jedes Objekt wurde detailliert beschrieben – vom Charakter seiner Landschaft über die Geologie, die Geomorphologie und die vorhandenen Lebensräume bis hin zur kulturellen Prägung. Die Gründe für die nationale Bedeutung wurden aufgelistet und die Schutzziele konkret formuliert. «Die Überarbeitung des BLN ist ein Meilenstein», freut sich Thomas Kuske von der BAFU-Abteilung Arten, Ökosysteme, Landschaften. «Sie schafft neue Voraussetzungen für den Schutz und die angestrebte Weiterentwicklung der besonders wertvollen Landschaften und Naturdenkmäler.» Die zuständigen Bundes- und Kantonsbehörden verfügen nun über solide Grundlagen für die Beurteilung von Vorhaben in BLN-Objekten.

Zudem machen die ausführlichen Beschreibungen das Einzigartige oder besonders Typische der BLN-Gebiete viel greifbarer. «Damit erhöht sich die Akzeptanz für einen sorgsamen Umgang mit ihnen», sagt Thomas Kuske.

Umfangreiche Bundesaufgaben

Parallel zur Überarbeitung des Inventars wurde die zugehörige Verordnung revidiert. In der Pflicht steht vor allem der Bund. Bei allem, was er in einem BLN-Gebiet baut, subventioniert oder bewilligt, muss er gewährleisten, dass die objektspezifischen Schutzziele ungeschmälert erhalten oder allenfalls grösstmöglich geschont werden. Seine Aufgaben mit Auswirkungen auf Natur und Landschaft sind umfangreich. Der Bund plant und baut Nationalstrassen sowie Anlagen für den Bahn- und Luftverkehr. Er subventioniert Wald- und Alperschliessungen oder Massnahmen zum Hochwasserschutz, genehmigt Hochspannungsleitungen und konzessioniert Luftseilbahnen.

Einige dieser Aufgaben hat er an die Kantone delegiert. Dies betrifft namentlich Bewilligungen für Bauten ausserhalb von Bauzonen oder für Waldrodungen. In diesen Fällen ist das BLN auch für die Kantone unmittelbar bindend.

BLN-Bielerseufer
Das linke Bielerseeufer - im Bild Ligerz (BE) - hat einen festen Platz im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN).
© Michel Bhend

Der Fall in Twann

Die überarbeitete BLN-Verordnung präzisiert die Abläufe und Zuständigkeiten. Lässt sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung eines BLN-Gebietes bei der Erfüllung von Bundesaufgaben nicht ausschliessen, erstellt die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) als beratendes Fachgremium des Bundes ein Gutachten und unterbreitet der Entscheidbehörde einen Antrag. In den übrigen Fällen nehmen das BAFU beziehungsweise die kantonale Fachstelle für Natur- und Landschaftsschutz die Eingriffsbeurteilung zuhanden der verantwortlichen Behörde vor.

Diese führt anschliessend eine Interessenabwägung durch. Ein konkreter Fall für die Beurteilung einer Bundesaufgabe ist derzeit am Bielerseeufer hängig. Um Twann (BE) vom Durchgangsverkehr zu entlasten, soll die Nationalstrasse hier in einen Tunnel verlegt werden. Das Bauwerk selbst ist unbestritten, doch der Bau des Ostportals bedeutet einen starken Eingriff in die Landschaft. Das vom Kanton vorgelegte Projekt missachte das Gebot der grösstmöglichen Schonung, fanden die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) und der Berner Heimatschutz und reichten beim Bundesverwaltungsgericht dagegen Beschwerde ein. Dieses gab ihnen 2016 recht. Die Schutzorganisationen favorisieren – wie die ENHK und das BAFU – eine Variante, welche die Landschaft weniger beeinträchtigt, aber 168 statt 160 Millionen Franken kostet. Der Mehraufwand sei zur grösstmöglichen Schonung der national bedeutenden Landschaft in Kauf zu nehmen, argumentiert das Gericht.

Zu Rücksicht verpflichtet

Zwar ist das BLN nur für den Bund unmittelbar bindend, doch gemäss einem Entscheid des Bundesgerichts von 2009 dürfen auch die Kantone und Gemeinden das Inventar bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht ignorieren. Die Bundesverordnung verpflichtet damit auch die Kantone und Gemeinden zur Rücksicht. Namentlich sollen sie das BLN bei der kantonalen Richtplanung und in der nachgelagerten kommunalen Nutzungsplanung in geeigneter Weise berücksichtigen.

Entstehungsgeschichte: von der Rheinau zum BLN

An der Urne sind Volksinitiativen meist erfolglos, doch oft setzen sie dennoch etwas in Gang. So verhielt es sich auch mit dem Volksbegehren gegen das Kraftwerk Rheinau (ZH). Es unterlag 1954 in der Abstimmung, blieb aber nicht ohne Wirkung. Das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) ist ein indirektes Ergebnis davon. Als Gegenvorschlag zur Initiative hatte die nationalrätliche Kommission für einen Verfassungsartikel zum Schutz landschaftlicher Schönheiten der Schweiz plädiert, den Volk und Stände 1962 annahmen. Vier Jahre später trat das Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) in Kraft. Es ermächtigt den Bundesrat dazu, Inventare von Landschaften zu erstellen, deren Erhaltung im Interesse der Schweiz liegt. Bei der Erarbeitung des BLN konnte sich der Bund auf die Vorarbeit von Schutzorganisationen stützen. Heimatschutz (SHS), Alpenclub (SAC) und der Bund für Naturschutz – heute Pro Natura – hatten bereits 1959 eine unabhängige Kommission zur Inventarisation der Landschaften und Naturdenkmäler von natio­naler Bedeutung (KLN) eingesetzt. Der Bund nutzte deren 1963 vorliegendes Inventar als Grundlage für ein Bundesinventar gemäss NHG. Die Überführung des KLN-Inventars in das BLN dauerte 30 Jahre. In einem partizipativen Prozess wurden die einzelnen Objekte angepasst und die Perimeter festgelegt. Einige Objekte fielen aus der Auswahl, neue kamen hinzu. 1977 erschien die erste BLN-Serie, 1998 war das Inventar komplett.

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Letzte Änderung 10.04.2018

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