29.11.2023 - Von saftig grün zu trocken braun: Eine Studie zeigt, wie sich der Klimawandel bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf die Schweizer Landschaften auswirken könnte. Diese Veränderungen und ihre Folgen werden stark davon abhängen, wie wir uns an den Klimawandel anpassen.
Text: Julien Crevoisier
«Wenn wir nicht zusätzliche Massnahmen ergreifen, um die globalen CO2-Emissionen rasch zu senken, besteht die Gefahr, dass die Temperaturen in der Schweiz bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um ganze vier Grad Celsius höher liegen als im Zeitraum von 1981 bis 2010», sagt Johann Dupuis, Projektleiter beim BAFU. Das zeigen die Schweizer Klimaszenarien CH2018. Ein solcher Temperaturanstieg würde die Landschaft, in der wir leben, einschneidend verändern.
Um die Auswirkungen einer solchen Erwärmung besser zu verstehen, haben Forschende der WSL, der Universität Lausanne, der Universität Bern und der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz die Entwicklung von zwei typischen Schweizer Landschaften modelliert – je ein Gebiet im Mittelland und eines in den Bergen. Daraus entstanden zusammen mit dem Atelier Ikonaut und geleitet vom BAFU fotorealistische Simulationen, die den Anstieg um vier Grad veranschaulichen.
Als typische Landschaft im Mittelland wurde eine kleine Stadt an einem See geschaffen, die von bewaldeten Hügeln umgeben ist. Am Horizont sind die Alpen zu erkennen. Dabei liess sich das Forscherteam laut Johann Dupuis von der Drei-Seen-Region inspirieren. Das Berggebiet wiederum ist dem Val d’Entremont im Wallis nachempfunden. Allerdings hat das Team die Region so angepasst, dass der Gipfel des Mont Vélan direkt über dem Dorf Liddes thront.
So entstanden fiktive Bilder, die zeigen, wie sich die Landschaft in der Realität verändern könnte. Allerdings sollten sie nicht als präzise Vorhersagen betrachtet werden, da einige Parameter mit Unsicherheiten behaftet sind. «Die Bilder sind einerseits das Ergebnis einer Computersimulation, die besonders die Veränderung der Waldflächen und der Pflanzengemeinschaften visualisiert», erklärt Christophe Randin von der Universität Lausanne, Co-Leiter des Projekts. «Andererseits sind Feldstudien mit eingeflossen, über die wir auch gesellschaftliche Faktoren und die langfristige Raumplanung berücksichtigen konnten.»
Was passiert im Klimawandel mit unseren Landschaften?
Was passiert, wenn wir zu spät handeln?
Die online zugänglichen 360-Grad-Bilder zeigen den Zustand der Beispiel-Landschaften heute und wie ihre Entwicklung in zwei unterschiedlichen Szenarien aussieht. Auf dem Mittelland-Panoramabild heute dominiert Grün: Üppige, grüne Wiesen, auf den Feldern wächst Weizen, Kühe grasen umgeben von Obstbäumen am Fuss eines bewaldeten Hügels. Klickt man aber auf den «4°C reaktiv»-Button offenbart sich ein anderes Bild: Hier sind die meisten Flächen grau-braun und nur die bewässerten Parzellen grün. Der Wasserstand des Sees ist ordentlich gesunken, dennoch mussten an den Ufern Hochwasserschutzbauten errichtet werden. Wälder gibt es immer noch, doch sie sind weniger dicht, und Trockenheit, Krankheiten sowie Hangrutsche setzen ihnen zu. Auf den Weiden werden die Kühe mit Sonnensegeln geschützt. Und die Gebäudefassaden sind mit Klimaanlagen ausgerüstet – sichtbar an den charakteristischen Kästen mit den eingebauten Propellern. So könnte das Schweizer Mittelland aussehen, wenn die Temperaturen um vier Grad ansteigen und Anpassungsmassnahmen zu spät kommen.
Frühzeitig anpassen, um die Folgen abzufedern
Besser sieht es im zweiten, dem sogenannten proaktiven Szenario aus. Zwar sind die Folgen der Erwärmung für die Landschaft immer noch deutlich sichtbar, doch hier hat sich die Gesellschaft entschieden, frühzeitig Anpassungsmassnahmen umzusetzen, vor allem mittels naturbasierter Lösungen. So hat man etwa die Landwirtschaft mit klimaangepassten Kulturen diversifiziert und die Böden produktiv erhalten. Damit bleibt die Agrarlandschaft vielfältig und weniger durch die Trockenheit angegriffen. «Wir könnten zum Beispiel statt Weizen Sorghum anbauen und Kartoffeln durch Süsskartoffeln ersetzen», schlägt Silvia Tobias vor, Co-Leiterin des Projekts und Leiterin des Zentrums Landschaft der WSL.
Auch die Waldbewirtschaftung würde angepasst: «Um die Wälder im Mittelland zu stärken, sollten einige potenziell dürreresistenten Arten bevorzugt werden, etwa die Flaumeiche, die Kastanie oder die Winterlinde. Dagegen leiden die heute noch häufigen Buchen zunehmend unter Dürren und werden sich wahrscheinlich ganz aus dem Mittelland in höhere Lagen zurückziehen, wo sie günstigere Bedingungen vorfinden.» Ebenfalls verändern wird sich die Verbreitung der Fichte, heute noch die in der Schweiz am weitesten verbreitete Baumart. Auch sie wird vermutlich nur noch in den Bergen gedeihen. «Die Zukunft der Fichte in tiefen Lagen ist schon jetzt ungewiss», sagt auch Christophe Randin. «Derzeit wächst sie auf einer Höhe von 1000 bis 1700 Metern. In Zukunft dürfte sie einige Hundert Meter höher anzutreffen sein.»
Für die Veränderungen sensibilisieren
Darüber hinaus finden sich in den Visualisierungen auch weniger auffällige, aber dennoch wichtige Details. Beispielsweise haben die Seeufer im proaktiven Szenario ihr natürliches Aussehen behalten, da zum Schutz vor Hochwasser nicht Betondämme errichtet, sondern das Gebiet renaturiert wurde. Zudem sorgen begrünte Dächer und Fassaden für kühlere Temperaturen drinnen und draussen sowie für ein verbessertes Stadtbild.
Das Forschungsteam hofft, mit diesen Visualisierungen die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Denn durch frühzeitiges Handeln lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landschaft abschwächen. Dennoch hängen diese Veränderungen, ihre Folgen sowie mögliche Anpassungen dagegen vor allem von der Bekämpfung der Klimaerwärmung ab – und damit von der Senkung der Treibhausgasemissionen. «Es wäre sinnvoll, uns jetzt schon auf Worst-Case-Szenarien vorzubereiten», sagt Silvia Tobias. «Allerdings möchten wir primär eine andere Botschaft vermitteln, nämlich, dass wir am besten alles daransetzen, damit es erst gar nicht so weit kommt.»
Das Ziel der Schweizer Klimapolitik besteht denn auch darin, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Und auch das Landschaftskonzept Schweiz zielt auf eine qualitätsorientierte Entwicklung der Schweizer Landschaften ab. Zudem kann jede und jeder Einzelne dazu beitragen, die Qualität der Landschaft für zukünftige Generationen zu verbessern – indem wir den eigenen CO2-Fussabdruck verringern, vor allem was Mobilität und Energieverbrauch angehen.
Szenarien der Landschaft +4 °C im Mittelland/Berggebiet
Immer weniger Wasserreserven
Die Alpen, die als Wasserschloss Europas gelten, leiden bereits heute unter den Auswirkungen des Klimawandels. Am deutlichsten zeigt sich dies am Rückzug der Gletscher: Laut einem Szenario, das auf Modellierungen des Teams von Matthias Huss, dem Leiter des Schweizerischen Gletschermessnetzes, basiert, werden die Eisflächen in der Schweiz bis zum Ende des 21. Jahrhunderts fast vollständig verschwinden. Das würde bedeuten, dass einerseits deutlich weniger Wasser für die Bewässerung zur Verfügung steht und andererseits der Boden instabil wird. «Die Gletscher würden beträchtliche Mengen an Sedimenten zurücklassen», sagt Christophe Randin. «Auch wenn sich einige Bäume und Pflanzen allmählich in höhere Lagen verschieben und so teilweise zur Stabilisierung des Bodens beitragen, dürfte das Risiko steigen, ganze Täler evakuieren zu müssen», fügt Silvia Tobias hinzu.
Im Mittelland dürfte der allgemeine Rückgang der Wasserstände von Seen und Flüssen zu häufigeren und intensiveren Hochwassern führen, da die Flüsse nicht mehr kontinuierlich durch die Schnee- und Eisschmelze gespeist werden, sondern durch Starkniederschläge. Um sich darauf vorzubereiten, empfehlen Fachleute, im Uferbereich Feuchtgebiete, Sandböden oder Gehölze als Pufferzonen anzulegen, wie es die Bilder im proaktiven Szenario des Projekts «4°C oder mehr: Wie wird die Schweizer Landschaft im Jahr 2050 und 2100 aussehen?» illustrieren. So oder so wird die Wasserknappheit für Stadt und Land eine grosse Herausforderung. «Neben der Viehzucht und der Landwirtschaft wird auch die Stadtplanung betroffen sein», sagt Christophe Randin. «Diese begünstigt zurzeit die bauliche Verdichtung der Städte, sollte aber auch eine bessere Integration von Grünflächen vorsehen, um Gebäude und Aussenbereiche zu kühlen.»
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Letzte Änderung 07.02.2024