Ammoniak aus der Landwirtschaft: In Gülle und Fülle

Aus den Ställen und Güllelagern sowie bei der Gülleausbringung verflüchtigen sich jedes Jahr 42 000 Tonnen Stickstoff in Form des Gases Ammoniak in die Luft. Der Bund will diese Emissionen der Landwirtschaft drastisch senken. Agroscope und BAFU haben sich auf die Suche nach konventionellen und unkonventionellen Lösungen gemacht.

Text: Christian Schmidt

Eigentlich wäre zu erwarten, dass es auch hier, wie so oft auf Bauernhöfen, nach Gülle riecht, also nach Schwefelwasserstoff beziehungsweise faulen Eiern, Ammoniak und verschiedenen anderen chemischen Verbindungen. Aber nichts davon liegt in der Luft. Und das ist schon einmal ein Zeichen dafür, dass im Versuchsstall «Waldegg» zwischen Wängi und Aadorf im Kanton Thurgau vieles richtig gemacht wird. Die Leiterin des Projekts, Sabine Schrade, wird das Lob später aber relativieren und darauf hinweisen, dass es sich hier ja um einen Aussenklimastall handle, also um einen Stall mit flexiblen Fassaden anstatt geschlossenen Wänden. Die stete Zufuhr an Frischluft verdünne die Gase. Aber wie auch immer: Hier zeigt sich, wie die Landwirtschaft in Zukunft riechen könnte – zum Vorteil der Natur und der Menschen.

Hightech im Viehstall

Gebaut hat den Versuchsstall das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung (Agroscope) mit Unterstützung des BAFU. Ziel war es, an dem Standort Forschung zu verschiedensten Themen und insbesondere zu Emissionen zu betreiben – weshalb der Stall auch in zwei identische Abteile aufgeteilt ist. Das eine wird jeweils den aktuellen Forschungsfragen angepasst, das andere bleibt baulich unverändert und dient als Referenz.

Zwischen den beiden Abteilen des Stalls steht ein grauer Container. Sabine Schrade scrollt auf einem Bildschirm. Zahlen, Tabellen, Kurven. Sie kann sich hier die Milchleistung anschauen oder wie viele Schritte jedes Tier heute schon gegangen ist, aber sie kontrolliert noch mehr: Eine Reihe von Analysegeräten, von Agroscope und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) gemeinsam betrieben, zeigt ihr, welche Gase sich in welcher Konzentration in der Luft befinden. Unter den Gasen erweckt wiederum eines ihre besondere Aufmerksamkeit: Ammoniak.

Überdüngte Ökosysteme

Das Gas, bestehend aus einem Atom Stickstoff und drei Atomen Wasserstoff, entsteht in der Landwirtschaft, wenn sich Harn und Kot von Nutztieren miteinander vermischen. Das passiert insbeson­dere bei der Stallhaltung, wo den Tieren im Vergleich zur Weide nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung steht. Im Kot und auf dem verschmutzten Boden lebende Bakterien produzieren ein Enzym namens Urease, das den Harnstoff aufspaltet. Bei der Aufspaltung entstehen grosse Mengen an Ammoniak-Stickstoff: schweizweit 42 000 Tonnen – und damit rund 70 Prozent mehr, als das Umweltziel für die Landwirtschaft vorsieht. 

Einmal in der Luft, wird Ammoniak durch Winde verteilt und in die Ökosysteme eingetragen, wo es zur grossflächigen Überdüngung mit Stickstoff beisteuert. Als Folge des Stickstoffüberschusses verarmt das Artenspektrum von ökologisch wertvollen Biotopen wie Trockenwiesen und Hochmooren. In den Wäldern verursachen übermässige Stickstoffimmissionen Nährstoffungleichgewichte bei Bäumen, was zu erhöhter Anfälligkeit gegenüber Krankheitserregern und Sturmschäden führen kann. Auch der Mensch reagiert. Ammoniak bildet mit anderen Luftschadstoffen Feinstaub und trägt so zur gesundheitlichen Belastung der Bevölkerung bei. 

Bauliche Massnahmen

Im Versuchsstall suchen die Forschenden nach Wegen, wie sich die Ammoniakbildung so gut wie möglich reduzieren lässt. Basierend auf der modularen Bauweise hat Agroscope die Laufflächen in einem Abteil mit einem Quergefälle und einer Abflussrinne versehen, damit der Harn schneller von der Lauffläche abfliesst. Als weitere Massnahme wurden die Fressplätze der einzelnen Tiere mit Bügeln voneinander getrennt und gegenüber dem Laufbereich leicht erhöht. Dies hindert die Tiere daran, im Fressbereich Kot und Harn abzusetzen. Als Folge verringert sich die Grösse der stark verschmutzten Fläche und damit die Entstehung von Ammoniak. «Mit dem Quergefälle und der Harnabflussrinne können wir den Ammoniakausstoss im Stall um gut 20 Prozent senken», hat Sabine Schrade herausgefunden. Der Bund hat diese Erkenntnisse inzwischen bereits in sein Strukturverbesserungsprogramm aufgenommen. Einen Grossteil der Mehrkosten für diese baulichen Anpassungen – pro Kuhplatz zwischen 330 und 500 Franken – tragen Bund und Kantone.

Doch diese baulichen Massnahmen allein genügen nicht, um das Umweltziel Landwirtschaft zu erreichen, das heisst eine Reduktion der jährlichen Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft auf 25 000 Tonnen Stickstoff. Der Bund hat deshalb entschieden, dass ab 2022 alle Güllelager abgedeckt werden müssen und die Gülle – wo es die Topografie erlaubt – nicht mehr mit Pralltellern, sondern nur noch mit Schleppschlauch-, Schleppschuh- oder Schlitzdrillverfahren ausgebracht werden darf. 

Da aber auch diese Massnahmen voraussichtlich nicht genügen werden, um die Vorgaben zu erreichen, hält das BAFU nach weiteren Möglichkeiten Ausschau. In einem ersten Schritt hat es eine Recherche durchgeführt mit dem Ziel, neue und folglich noch nicht in der Praxis angewandte Techniken zur weiteren Reduktion der Ammon­iak­emissionen ausfindig zu machen. Ausgeführt hat die Recherche Selina Etzensperger, Chemikerin und Hochschulpraktikantin in der BAFU-Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien. 

Positive Überraschungen

Die Fachfrau stiess im In- und Ausland auf findige Köpfe, die zwei verschiedene Techniken zur weiteren Senkung der Ammoniakemissionen entwickelt haben. «Das überraschte uns sehr positiv.» Die eine der beiden Techniken fusst auf dem sogenannten Strippingverfahren, einem technisch aufwendigen Prozess. Dabei wird das Ammoniak aus der Gülle herausgewaschen und anschliessend gebunden, damit es nicht wieder als Gas freigesetzt werden kann. Ergebnis des Prozesses ist einerseits eine ammoniakreduzierte Gülle, andererseits Ammoniumsulfat, ein kristallförmiger Kunstdünger, der sich mit dem Düngerstreuer ausbringen lässt.

Die andere Technik basiert auf dem Prinzip der Umkehrosmose, was Selina Etzensperger unter «Konzentrationsverfahren» zusammenfasst. In einem ersten Schritt werden alle Feststoffe herausgefiltert, gemäss Hersteller rund ein Viertel des Volumens. Ergebnis ist eine nährstoffreiche Dünngülle. Dieser wird im nächsten Schritt mittels einer mehrfachen Umkehrosmose – wobei Membranen Nährstoffe und Wasser voneinander trennen – möglichst viel Flüssigkeit entzogen. Damit wird das Volumen nochmals um die Hälfte reduziert. Endprodukt sind einerseits die herausgefilterten Feststoffe, die als Dünger oder Einstreu verwendet werden können, andererseits entsteht ein Nährstoffkonzentrat mit minimalem Wasseranteil, das ebenfalls als Dünger dient. 

Werden die Kapazitäten der beiden Techniken voll ausgenützt, lassen sich zwischen 50 und 98 Prozent des Stickstoffs – und damit des Ammoniaks – aus der Gülle entfernen und dann gezielt als Dünger nutzen. 

Weiterer Forschungsbedarf

Bis die beiden Verfahren in der Schweiz eingesetzt werden können, wird es allerdings noch dauern. «Beide befinden sich in verschiedenen Phasen der Entwicklung», sagt Selina Etzensperger. «Erste Systeme sind bereits einsatzbereit, andere stehen kurz vor der Marktreife, dritte stecken noch im Patentverfahren.» Zudem seien die meisten Anlagen in ihrer Kapazität auf wesentlich grössere Höfe ausgelegt als der durchschnittliche Schweizer Betrieb. Für Etzensperger jedoch kein Grund, an der Einsetzbarkeit zu zweifeln: «Ich kann mir vorstellen, dass sich in Gegenden mit grosser Tierdichte mehrere Bauern zusammentun und eine zentral gelegene Anlage gemeinsam betreiben. Das heisst, sie bringen ihre Gülle zur Anlage, wo sie dann verarbeitet wird.» 

Weil vieles noch unklar ist, sieht Selina Etzen­-s­perger ihre Abklärungen primär als eine Bestandsaufnahme. «Wir müssen jetzt schauen, wie es weitergeht.» Das bestätigt auch Simon Liechti, stellvertretender Chef der Abteilung Luftrein­haltung und Chemikalien beim BAFU: «Wir haben mit dem Rechercheauftrag einen Ballon in die Luft gelassen, nun beobachten wir, wohin er fliegt.» Die beiden neuen Verfahren, Stripping und Umkehrosmose, seien aber sicher bedenkenswert und es lohne sich, diese weiterzuverfolgen. «Da sind innovative Leute an der Arbeit, einiges Know-how ist schon vorhanden, und laut den Herstellern lässt sich mit diesen Techniken ein grosser Teil der Ammoniakemissionen verhindern», sagt Liechti. Ob die technisch aufwendigen Lösungen auch aus ökonomischer Sicht machbar seien – die Verfahren sind energieintensiv, und pro Kubikmeter behandelter Gülle betragen die Investitionskosten zwischen 0,2 und 1,4 Euro –, müsse noch genauer untersucht werden.

Bleibt die Frage, weshalb das Ammoniakproblem nicht viel einfacher und ohne teure Technik gelöst wird, etwa mit einer entsprechenden Verminderung des Nutztierbestands, da sowohl der Fleisch-  wie auch der Milchkonsum in der Schweiz rückläufig sind. Doch für Liechti greift dies allein zu kurz: «Eine Reduktion des Tierbestands ist ebenfalls mit Kostenfolgen verbunden für die produzierenden Bauern und Bäuerinnen.» Und: «Die Fragen der Produktionsintensität und der Tierzahlen können die einzelnen Bürgerinnen und Bürger durch ihr Konsumverhalten und ihre Essgewohnheiten beeinflussen. Die Thematik ist auch Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Diskussionen.» Vielleicht, so Liechti weiter, würden Letztere ja auch weitere Akteure dazu anregen, technische Massnahmen zu entwickeln, damit die Schweiz das Umweltziel für Ammoniak erreichen kann.

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Letzte Änderung 24.02.2021

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