Schweizerhalle: Ein Brand gibt die Initialzündung zur Störfallvorsorge

Der Brand im Chemikalienlager im Industriegebiet von Schweizerhalle (BL) vom 1. November 1986 verursachte verheerende ökologische Schäden. Auf mehreren Hundert Kilometern wurde das Leben im Rhein ausgelöscht, und es dauerte Jahre, bis sich der Fluss wieder erholt hatte. Indes gab dieser Chemieunfall auch den Anstoss zur Störfallverordnung. Sie trägt massgeblich dazu bei, die Risiken beim Umgang mit und dem Transport von gefährlichen Stoffen zu mindern.

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© Keystone

Nachtschwärmer, die zu später Stunde vom Freitag auf den Samstag, 1. November 1986, in Pratteln und Muttenz unterwegs waren, erfuhren als erste von der Katastrophe: Kurz nach Mitternacht ging bei der Feuerwehr die Meldung ein, wonach in der Lagerhalle 956 im Industriekomplex «Schweizerhalle» ein Brand ausgebrochen sei. Löschkorps aus zahlreichen Basler Gemeinden rückten aus, und schon bald standen 160 Feuerwehrmänner im Einsatz. Sie sahen sich einem wahren Inferno gegenüber: Fässer unbekannten Inhalts explodierten, Feuerbälle von über 50 Metern schossen in den nächtlichen Himmel, und manch ein Feuerwehrmann mochte sich fragen, ob ihn seine Schutzausrüstung tatsächlich ausreichend vor Schaden bewahren werde.

Stinkende Luft, geschlossene Fenster und Türen

Wer in der näheren Umgebung bei offenem Fenster schlief, wachte ob eines penetranten Gestanks auf, der von den Betroffenen als eine Mischung von faulen Eiern, Knoblauch und verwesenden Pflanzen beschrieben wurde. In Kleinbasel und im unteren Baselbiet riss ab vier Uhr der auf- und abschwellende Heulton der Sirenen die Menschen aus dem Schlaf. Die Polizei fuhr durch die Quartiere und forderte über Lautsprecher alle auf, die Fenster ihrer Wohnungen zu schliessen und die Häuser nicht zu verlassen.

Widersprüchliche Informationen

Erst kurz vor sieben Uhr war der Brand eingedämmt, und es konnte Entwarnung gegeben werden. Entgegen der bisherigen Empfehlungen wurden die Jugendlichen aus der Region Basel aufgefordert, die Schule zu besuchen. Die widersprüchlichen Informationen verärgerten viele Eltern, und auch aus dem angrenzenden Ausland wurde Kritik laut. Denn die Menschen in Südbaden (D) und im Elsass (F) hatte man gar nicht erst zu warnen versucht; etliche Grenzgänger auf dem Weg zur Arbeit wurden an der Grenze wieder nach Hause geschickt - von Zöllnern, die Gasmasken trugen.

Die Firmenleitung von Sandoz - Eigentümerin der abgebrannten Halle - versicherte, die eingelagerten Substanzen seien grösstenteils harmlos. Der Krisenstab, der den Beschwichtigungen nicht so richtig trauen mochte, schickte eine Polizeistreife auf ornithologische Mission: Im Hardwald zwischen Muttenz und Basel sollten sie die Vögel beobachten, die auf Umwelteinflüsse besonders sensibel reagieren. Doch den Beamten fiel nichts Besonderes auf; sie fanden keine toten Tiere, und im Wald zwitscherte es wie gewohnt.

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© Keystone

Die Schäden im Rhein

Wie gross die Verheerungen waren, die der Brand in der Umwelt angerichtet hatte, stellte sich wenige Stunden später heraus. Im Lauf des Samstags wurde nämlich bekannt, dass 20'000 Kubikmeter mit hochgiftigen Chemikalien, wie zum Beispiel Pestiziden, Herbiziden und Quecksilberverbindungen  belastetes Löschwasser in den Rhein geleitet worden waren. Dessen Wasser hatte sich beunruhigend rot verfärbt. Der dafür verantwortliche Farbstoff war im Gegensatz zu den anderen Stoffen aber ungiftig.

Tonnenweise verendete Fische

Am Montag vermeldete der baselstädtische Fischereiaufseher, es seien über eine Tonne verendeter Äschen aufgesammelt worden. Zwischen Schweizerhalle und der gut 400 Kilometer flussabwärts liegenden Loreley vor Koblenz ging praktisch die gesamte Aalpopulation zugrunde. Auch 100 Kilometer weiter nördlich, kurz vor Mainz, wo die «Sandoz-Welle» des verunreinigten Wassers rund 5 Tage nach dem Brand eintraf, wurden noch tote Äschen und Forellen gefunden. In den Niederlanden schliesslich konnten die Auswirkungen der chemischen Schadstoffe vor allem an Insektenlarven und Schlammröhrenwürmern beobachtet werden; die Trinkwasserentnahme wurde jedenfalls bis Holland eingestellt.

Kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 hatte somit die zweite grosse Umweltkatastrophe in diesem Jahr den Glauben der Bevölkerung in die Technik weiter erschüttert.

Die Gallionsfigur des Rheins fühlt sich wieder heimisch

Den vergifteten Fischen galt eine grosse Sorge der Öffentlichkeit. Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins IKSR lancierte ein Jahr nach dem Brand das Sanierungsprogramm «Rhein 2000», das darauf abzielte, die Gewässerqualität so zu verbessern, dass sich das Leben im Fluss wieder erholen konnte. Das Aktionsprogramm «Lachs 2000» sollte ausserdem dem Edelfisch dazu verhelfen, im Fluss wieder heimisch zu werden; insbesondere wurden Fischpässe errichtet, um die Durchgängigkeit des Rheins zu verbessern, sodass die «Gallionsfigur des Rheins» seine Laichgründe erreichen kann. Seit dem Jahr 1990 steigen wieder Lachse aus der Nordsee über das Rheindelta auf, und seit 1994 vermehren sie sich in einigen Nebenflüssen auf natürliche Art. Das Programm «Lachs 2000» wurde in das Programm «Rhein 2020» übergeführt.

Aufwendige Bodensanierung

Obschon die Schädigung des Rheins im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, richtete der Brand in Schweizerhalle auch an Land erheblichen Schaden an.

In Schweizerhalle wurde der belastete Boden bis in eine Tiefe von 11 Metern ausgehoben und gewaschen. Am Standort verblieb eine Restbelastung von wenigen hundert Kilogramm des Pflanzenschutzmittels Oxadixyl. Andere Pestizide, die bei der Löschung des Brandes 1986 ebenfalls in den Untergrund gelangten, können im Grundwasser heute nicht mehr festgestellt werden.

Als zusätzliche Sicherungsmassnahme wurde der Platz der ehemaligen Lagerhalle mit einer Betonplatte abgedichtet. Zudem wird das Grundwasser am Standort gezielt abgepumpt. Heute finden sich nur noch niedrige Konzentrationen an Oxadixyl im Grundwasser des Unfallstandorts, im Bereich von wenigen millionstel Gramm pro Liter (µg/L). Die seit 1958 bestehende Rheinwasserversickerung im nahe gelegenen Trinkwassergewinnungsgebiet Hardwald sorgt ausserdem dafür, dass das Grundwasser des Unfallstandortes nicht zu den Trinkwasserfassungen der Oberen Hard fliessen kann. Die Fliessrichtung und die Qualität des Grundwassers werden laufend überwacht.

Bis anfangs 2017 wird das Amt für Umweltschutz und Energie Basel-Landschaft eine altlastenrechtliche Neubeurteilung des Unfallstandorts Schweizerhalle vornehmen und damit den weiteren Überwachungs- und Sanierungsbedarf abklären.

 

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Letzte Änderung 28.10.2016

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