Mode: «Chic aus zweiter Hand»

Bis zu 24 Kollektionen lancieren grosse Kleiderketten jährlich und fördern so eine «Fast Fashion». Wer trägt Schuld an diesem Konsumrausch? Und: Gibt es so etwas wie nachhaltige Mode überhaupt?

Text: Kaspar Meuli

Isa Donelli
Der 2016 gegründete Verein «Sipy» organisiert Kleidertausch-Events der besonderen Art im Kanton Genf: Alle, die an einem Event teilnehmen, bekommen eine Karte, auf der die Anzahl mitgebrachter Kleidungsstücke notiert wird. Die Teilnehmenden dürfen dann mit exakt gleich vielen Kleidungsstücken nach Hause gehen, wie sie selbst mitgebracht haben. Bei der Auswahl können sie sich jedoch Zeit lassen, denn die Karte ist für alle zukünftigen Events von «Sipy» gültig. Mittlerweile zählt dessen Lager rund 18 000 Kleidungsstücke.
© Ephraim Bieri/Ex-Press/BAFU

Sie nennen sich Abigail, Leoobalys oder Sara Desideria, haben Spass an neuen Kleidern und halten das Geschäft mit der Fast Fashion am Laufen. Auf Youtube führen die jungen Frauen einem Teenager-Publikum ihre jüngsten Shoppingschnäppchen vor (Eigenwerbung: «Heftige Teile von H&M, Zara, New Yorker usw.»). Das beliebte Videoformat nennt sich «Haul», englisch für «Beute». Die Filmchen werden Zehntausende von Malen angeklickt und tragen Titel wie «10kg XXL Primark Haul».

24 Kollektionen im Jahr

Um diesen Massenkonsum anzukurbeln, werden in den Filialen der globalen Modefirmen laufend neue Modelle eingeräumt. «Die grossen Ketten wollen den Kundinnen und Kunden ein sich stetig wandelndes Shoppingerlebnis bieten, deshalb lancieren sie 12 bis 24 Kollektionen im Jahr», weiss Nicole Ungureit. «Nur in der Fashionbranche werden Produkte in derart schnellem Rhythmus auf den Markt gebracht.» Die ausgebildete Design- und Bekleidungstechnikerin war als Produktionsmanagerin bei Hugo Boss tätig und hat danach an der Schweizerischen Textilfachschule einen Nachhaltigkeitsstudiengang mitentwickelt.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter: Noch vor zehn Jahren kamen nicht mehr als vier Kleiderkollektionen pro Jahr in die Läden. Heute sind es bis zum Sechsfachen – Fast Fashion eben. Die Modeindustrie leistet damit unserem verschwenderischen Umgang mit Kleidern Vorschub. Laut Greenpeace kauft in Deutschland jeder Mensch rund 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr – getragen werden sie nur noch halb so lange wie vor 15 Jahren. Die Modebranche steht also geradezu prototy­-pisch für das, was die gegenwärtige lineare Wirtschaftsweise ausmacht: nehmen – herstellen – nutzen – wegwerfen.

10 000 Liter Wasser pro Kilo

Die 2019 erschienene und vom BAFU finanzierte Studie «Umweltatlas: Lieferketten Schweiz» zeigt, dass entlang der Textillieferkette die vorgelagerten Zulieferer, zum Beispiel die Hersteller von Garn oder die Färbemittelproduzenten, am meisten Treibhausgase und Luftschadstoffe verursachen. Der Anbau von Baumwolle etwa verbraucht hingegen extrem viel Wasser. Pro Kilo hergestelltem Stoff sind es mehr als 10 000 Liter. «Kommt dazu, dass beim konventionellen Anbau grosse Mengen an Düngemitteln und Pestiziden zum Einsatz kommen», erklärt Laura Tschümperlin, die sich im BAFU unter anderem mit Textilien befasst. «Die negativen Auswirkungen des Baumwollanbaus führen in den Produktionsländern deshalb zu Wasserknappheit und zu einem dramatischen Verlust an Biodiversität.» Auch aus Rohöl hergestellte, synthetische Fasern, darunter vor allem Polyester, belasten die Umwelt. Zusätzlich gerät bei synthetischen Kleidern bei jedem Waschgang Mikroplastik in die Gewässer. Sind Mode und Nachhaltigkeit also ein Widerspruch in sich selbst? Und: Was kann die Kreislaufwirtschaft daran ändern?

Von einem nicht aufzulösenden Widerspruch würde Laura Tschümperlin nicht sprechen, doch was die Hochgeschwindigkeitsmode betrifft, redet sie Klartext: «Umwelt- und sozialverträgliche Fast Fashion ist eine Illusion.» Doch die Kreislaufwirtschaft bewege die Mode in die richtige Richtung. «Sie macht Mode auf zwei Arten nachhaltiger: Zum einen, weil sie die Nutzungsdauer der Kleider verlängert, zum anderen, weil Stoffe rezykliert werden» (siehe Grafik S. 39). Schon heute wird in der Schweiz zumindest ein Teil der gekauften Kleidung im Sinne der Kreislaufwirtschaft von Trägerin zu Trägerin weitergegeben oder rezykliert. Gemäss Erhebungen des BAFU werden in der Schweiz rund 6,5 Kilogramm Textilien pro Person und Jahr gesammelt. Bis zu zwei Drittel davon können als tragbare Kleider wiederverkauft werden. Der Rest wird grösstenteils zu Putzlappen oder zu Rohmaterial für Füll- und Dämmstoffe weiterverarbeitet.

«Noch besser wäre allerdings, wenn aus alten Kleidern nicht Putzlappen oder Dämmstoffe würden, sondern Recyclinggarne, die wieder zur Herstellung von neuen Kleidern dienen», sagt Laura Tschümperlin. Zurzeit sind die meisten Kleidungsstücke für diese Art von Recycling jedoch ungeeignet. Sie sind nicht sortenrein hergestellt, sondern bestehen aus Mischgeweben. Und bei Mischgeweben ist das Recycling technisch kompliziert, und die bisherigen Verfahren sind teuer und energieintensiv. Eine ernüchternde Bilanz zieht auch die Ellen MacArthur Foundation, die sich der Förderung der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat. Sie schreibt, global gesehen werde weniger als 1 Prozent des zur Kleiderproduktion verwendeten Materials in rezyklierter Form für neue Kleider genutzt. Der Wert der Materialien, die aus diesem Grund verloren gehen, beträgt rund 100 Milliarden Franken im Jahr.

«Gutes Material, zeitloses Design»

Zeit für ein erstes Zwischenfazit: Damit Mode umweltverträglicher wird, reicht es nicht, dass Bekleidung rezykliert wird. Der Schlüssel liegt anderswo: Wir müssen weniger, aber hochwerti­gere Kleidungsstücke erstehen. «Circular Fashion beginnt beim Produkt», sagt Nicole Ungureit von der Schweizerischen Textilfachschule. «Voraussetzung dafür, dass sich Kleider lange tragen lassen, sind gutes Material, zeitloses Design und eine gute Passform.»

«Wer tatsächlich nachhaltig konsumieren will, muss sich fragen, ob er oder sie ein Kleidungsstück wirklich braucht», sagt Laura Tschümperlin vom BAFU, «und man sollte sich überlegen, ob nicht auch ein Secondhand-Stück infrage kommt.» Diese Ansicht teilen mittlerweile gar Hollywoodstars. Die Schauspielerin Chloë Sevigny beispielsweise erklärte kürzlich in einem Interview, sie kaufe 99,9 Prozent ihrer Kleider secondhand: «Ich liebe Vintage!»

Kleider lassen sich aber nicht nur gebraucht erwerben, sie lassen sich auch tauschen. Und beim Neukauf gilt: nach Modellen suchen, die einem derart gut gefallen, dass man sie gar nicht mehr hergeben will und sie deswegen möglichst lange pflegt und flicken lässt. Genau diese Einstellung stand auch am Anfang des 1993 gegründeten Schweizer Modelabels «erfolg». Firmengründerin Sandrine Voegelin erklärt: «Wir wollen zeitlose Modelle entwerfen, die unsere Kundinnen und Kunden über viele Jahre oft und gerne tragen.»

«Nachhaltige Textilien Schweiz»

Generell ist in der Textilbranche einiges in Bewegung: 2018 wurde die Initiative «Nachhaltige Textilien Schweiz» ins Leben gerufen, in deren Rahmen die Branche sowie das BAFU und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) gemeinsam Lösungen für eine nachhaltige Textilwertschöpfungskette in der Schweiz erarbeiten wollen. International ist zu beobachten, dass die Modebranche auch auf den Druck von NGOs wie Greenpeace reagiert. So haben sich 80 Modemarken von H&M, Zara und C&A über Nike und Adidas bis zu Coop in der Schweiz verpflichtet, bis 2020 Schadstoffe durch ungefährliche Substanzen zu ersetzen. Doch dieser Fortschritt wird relativiert, so eine Greenpeace-Studie, wenn Modemarken «weiterhin ignorieren, dass der übermässige Konsum von Bekleidung das eigentliche Problem ist, das angepackt werden muss».

Um nachhaltiger Mode zum Durchbruch zu verhelfen, brauche es zuerst einen «Reset», ein «grundsätzliches Umdenken», insistiert Nicole Ungureit. Doch vielleicht hat diese Neuorientierung ja bereits begonnen. «Wenn grosse Unternehmen damit werben, dass sie nachhaltige Mode machen», sagt die frühere Hugo-Boss-Kaderfrau, «ist das ein Zeichen dafür, dass in der Gesellschaft ein Wertewandel stattfindet.»

Licht im Dschungel

Für Konsumentinnen und Konsumenten ist es nicht einfach, sich in der Flut von Informationen über nachhaltig produzierte Kleider zu orientieren. Um einen Überblick über Marken, Läden sowie Labels zu gewinnen, sind Websites wie getchanged.ch und labelinfo.ch hilfreich.

Kleider Leben weiter

Geben Sie Ihren Kleidern, Schuhen und Accessoires mehrere Leben, statt sie zu entsorgen. Behalten Sie die Bekleidung in Kreisläufen, indem Sie sie teilen, wiederverwenden, reparieren, wiederaufbereiten und nach einer möglichst langen Nutzungsdauer rezyklieren.

Teilen

Leihen oder mieten statt besitzen

  • Fastnachtskleider und -accessoires  (z. B. Kostümverleih)
  • Festkleidung (z. B. Kleihd, miet.ch)
  • Schwangerschaftsmode und Babykleider-Verleih (z. B. Vetlok, Babybox, Biboutic)
  • Kleidung für Freizeitaktivitäten (Schneeschuhe, Schutzbrille, Gartenhandschuhe, Wanderhose, Reisetasche usw. von Nachbarn, Freunden oder sharely.ch)

Wiederverwenden

Secondhand

  • Kleider gratis weitergeben (privat, Brocki, Altkleidersammlung)
  • Kleidertausch, -börsen (z. B. Walk-in Closet)
  • Kleider verkaufen (Flohmarkt, Secondhand-Läden oder Plattformen, z. B. kleiderkorb.ch, kleiderberg.ch)

Reparieren

  • Löcher und Risse flicken, lose Knöpfe annähen, Knie- oder Ellenbogen-Flicken anbringen
  • Schuhbändel oder abgelaufene Absätze ersetzen

Wiederaufbereiten

  • Umnähen, neu einfärben
  • Alte, kaputte Kleider umfunktionieren (z. B. zu Kissenbezug, Tasche, Necessaire, Mütze)
  • Stoff zerschneiden zu Putzlappen

Sammlung & Recycling

  • Einschmelzen von synthetischen Fasern für neue Kleidung
  • Recycling von Wolle für neue Kleidung oder Decken
  • Zerfaserung zu Isolier- und Dämmmaterial

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 04.12.2019

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