Wie reagieren unsere Waldbäume auf den Klimawandel? Dies versuchen Forschende der WSL am Beispiel der Rotbuche und der Flaumeiche herauszufinden. In einem Modell-Ökosystem gehen sie unter anderem der wichtigen Frage nach, welchen Einfluss Hitze und Trockenheit auf die Photosynthese der Bäume haben.
Text: Sarah C. Sidler

der Zukunft zu erforschen.
© Raisa Durandi/LUNAX
Die futuristisch anmutenden Glaskuben auf dem Gelände der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf (ZH) fallen von Weitem auf. Beim genauen Hinsehen wird klar, dass die Konstruktionen so gedeckt sind, dass kein Regenwasser in die Modell-Ökosystemanlage (MODOEK) fällt. Zudem sind bei einigen Kammern einzelne Seitenwände leicht geöffnet, damit sich die Luft in den Kammern nicht zu sehr aufheizt. In diesen wachsen rund sechsjährige Flaumeichen und Rotbuchen.
«Wir versuchen der grossen Frage auf den Grund zu gehen, welche Baumarten fit für die Zukunft sind», sagt Marcus Schaub von der WSL. Er ist als Gruppenleiter Ökophysiologie für diese Forschungsanlage verantwortlich. Seit 1992 haben Forschende damit die Möglichkeit, die Wasser-, Kohlestoff- und Nährstoffkreisläufe der Versuchsbäume zu messen. Gespannt öffnet Schaub die Tür einer der Glaskammern und schiebt ein oranges Kabel zur Seite, damit er die darin wachsenden Bäumchen gut sieht. Nur ein Teil von ihnen sieht aus wie gesunde junge Bäume im Freien. Sie wirken stabil – und sind rund einen Drittel grösser als die anderen, die eher feinastig und schmal wachsen.
Die Rotbuche leidet, der Flaumeiche geht’s gut
Das aktuelle Forschungsprojekt in der MODOEK-Anlage läuft seit acht Jahren. Der Wissenschaftler Christoph Bachofen betreut es mit. «Wir wollen unter konstanten, kontrollierten Bedingungen herausfinden, wie sich diese Buchen- und Eichenarten verhalten», sagt er. Die Hitzetrockenheit ist ein wachsendes Risiko für unsere Wälder. Nicht alle Baumarten kommen mit den steigenden Temperaturen und sinkenden Niederschlägen zurecht.
Die Forschenden haben sich für diese Versuchsbäume entschieden, weil man bereits weiss, dass die Rotbuche nördlich der Alpen in Hitzesommern starke Hitzeschäden aufweist. Dagegen ist die Flaumeiche eine trockenangepasste Art, gedeiht sie doch in West-, Mittel- und Südeuropa. «Diese Baumart wird mittelfristig im Wallis wohl die Waldföhre ersetzen, wie ein Bewässerungsexperiment der WSL im Pfynwald zeigt», sagt Schaub. Eignet sich diese Eichenart also als Schweizer Zukunftsbaum?

© Raisa Durandi/LUNAX
Um das herauszufinden, werden in den 16 Glaskammern hinter der WSL vier klimatische Bedingungen geschaffen. In den vier Standardkammern mit dem Namen «Control» wird den Bäumen unlimitiert Wasser zur Verfügung gestellt. Da die gläsernen Gebäude mit Betonwannen untermauert sind, lässt sich der Wassergehalt in der Erde exakt messen. Die Temperatur ist in diesen Kammern dieselbe wie im Freien. In vier weiteren Glashäusern erhalten die Bäume stets nur halb so viel Wasser, wie die Exemplare in den Kontrollkammern benötigen. Ein weiterer Viertel der Bäume wächst in einer fünf Grad wärmeren Umgebung. Dort sorgen Heizlüfter in der Mitte der Kammern dafür, dass immer fünf Grad mehr als in der natürlichen Umgebung herrschen.
Die extremsten Bedingungen müssen die Bäumchen im letzten Viertel der Anlage aushalten. Sie bekommen nicht nur halb so viel Wasser, sondern müssen auch mit einer fünf Grad höheren Lufttemperatur auskommen. «Damit wollen wir herausfinden, was passiert, falls diese Bedingungen in den nächsten 100 bis 200 Jahren eintreten», sagt Christoph Bachofen.
Versuch zeigt: Wassermangel ist das grössere Problem
Dass solche Bedingungen sich auf die Bäume auswirken, wird in der Versuchsanlage augenscheinlich: Die Bäumchen in den extremsten Kammern mit der simulierten Hitzetrockenheit sehen kümmerlich aus, sind sie doch nur knapp einen halben Meter hoch. Während die Eichen die Anzahl Blätter verringern, haben die Buchen die Grösse der Blätter verkleinert. Die allermeisten sehen kränklich aus. Die Ränder der Blätter krümmen sich leicht bräunlich. Und doch leiden einige mehr als andere. Das sieht man am Befinden der Bäume, die pro Kammer in den acht unterschiedlichen Abteilungen wachsen. Hier wachsen teils Einzelbäume und teils Gruppen. «Mit diesen verschiedenen Kombinationen wollen wir den Effekt der Artenzusammensetzung untersuchen», erklärt Bachofen. Was macht die Konkurrenz zwischen den einzelnen Exemplaren aus? Wer profitiert? Wer wird unterdrückt? Oder helfen sich die Bäume sogar untereinander aus?
Die Antwort auf die letzte Frage lautet: Nein. Im Gegenteil: Die Baumarten machen sich das Wasser streitig – und die Eichen gewinnen. Dies ist klar ersichtlich im nächsten Glashaus, wo die Bäume zwar genug Wasser erhalten, jedoch ständig fünf Grad höheren Temperaturen ausgesetzt sind. Gruppenleiter Marcus Schaub begutachtet auch in dieser Kammer das Wachstum der Bäumchen. Hier sind die Eichen fast drei Meter hoch – etwa doppelt so hoch wie die Buchen. Trotzdem sehen sie nicht überlebenstauglich aus. Ihre Stämmchen sind so dünn, dass sie hochgebunden werden müssen.
Faktor Zeit spielt eine wichtige RolleDie WSL-Forschenden schauen auch in ihre Versuchsbäume hinein. In den neusten Studien untersucht die Doktorandin Janisse Deluigi, wie sich die Photosynthese der Versuchsbäume an die erhöhten Temperaturen anpasst. Wie schnell können die Blätter CO2 aufnehmen und Feuchtigkeit abgeben? Diese Frage ist existenziell, denn als erste Reaktion auf Hitze und Trockenheit schliessen die Bäume die Spaltöffnungen in den Blättern, um nicht zu viel Wasser zu verlieren. Doch gleichzeitig sollten sie über die geöffneten Spaltöffnungen CO2 aufnehmen, welches sie für die Zuckerbildung – also als Nahrung für das Wachstum – benötigen. So kommt der Baum in Extremsituationen in ein Dilemma: Er muss sich quasi entscheiden, ob er verdursten oder verhungern will.
«Die gute Nachricht aus den neusten Forschungsergebnissen lautet: Wenn ein Baum genug Zeit hat, kann er seine optimale Temperatur von 24 Grad für die Photosynthese um drei Grad nach oben anpassen», berichtet Bachofen. Wie viel Zeit er dafür benötigt, wird noch erforscht. Was aber passiert, wenn sich die Durchschnittstemperatur um fünf Grad nach oben verschiebt und der Baum zu wenig Zeit hat, um die ideale Temperatur für die Photosynthese entsprechend anzupassen? «Der Wald wird sich mehrheitlich selbst regulieren können», sagt Marcus Schaub. Der Wald ist fähig, sich mit der Zeit natürlich anzupassen, aber es gibt auch ein Risiko, dass Leistungen, die er erbringt – etwa seine Schutzfunktion – teilweise verloren gehen. Mit der aktiven Anpassung durch waldbauliche Massnahmen soll dieser Leistungsverlust minimiert werden.
Von der einzelnen Zelle bis hin zum gesamten Ökosystem – wie die Waldmonitoringstrategie der WSL den Wald auf verschiedenen Forschungsebenen untersucht
- Ebene 1:Experimente mit Baumsetzlingen in voll kontrollierten Klimakammern an der WSL in Birmensdorf (ZH), um die Mechanismen und Prozesse als Reaktion auf die äusseren Umweltbedingungen besser zu verstehen.
- Ebene 2: Experimente mit jungen Bäumen in den halboffenen Kammern der MODOEK-Anlage (siehe Haupttext).
- Ebene 3: Das auf über 20 Jahre angelegte Bewässerungsexperiment im Pfynwald zwischen Leuk und Siders (VS). Dort werden die bis zu 120 Jahre alten Bäume auf einer Hektare zum Teil bewässert, und mittels Sprühnebel wird das sogenannte Dampfdruckdefizit verringert. Dieses hat einen grossen Einfluss auf die Wasserverdunstung aus den Pflanzen und bezeichnet die Differenz zwischen der tatsächlichen Wassermenge in der Atmosphäre und der Wassermenge, die maximal darin enthalten sein könnte.
- Ebene 4: Die langfristige Waldökosystemforschung LWF untersucht den Wald seit 1994 an 19 ausgesuchten Waldstandorten in der Schweiz. Dort werden etwa der Streufall der Bäume, der Zustand der Kronen, der Saftfluss durch den Stamm und die Bodenatmung aufgezeichnet.
- Ebene 5: Der Zustand ganzer Waldökosysteme wird aufgenommen.
- Ebene 6: Aufgrund von Daten aus Stichproben veröffentlicht das Landesforstinventar unter anderem Ergebnisse zu Waldfläche, Zuwachs, Nutzung, biologischer Vielfalt und Schutzwaldqualität.
- Ebene 7: All diese Daten werden in Vorhersagemodellen zusammengeführt, um ein mögliches Bild vom Wald der Zukunft zu erhalten.
Weiterführende Informationen
Letzte Änderung 25.09.2024