Im Dialog: Der Rhein ist Teil ihres Lebens

Für die 16-jährige Murielle Frei aus Ettingen (BL) und den 72-jährigen Raymond Vöstel aus Bad-Säckingen in Deutschland ist der Rhein mehr als nur ein Fluss. Er ist Sportplatz, Erholungsort – und vor allem eine Lebensader, zu der man Sorge tragen muss.

Gespräch: Lisa Stalder

© Severin Bigler/Lunax/BAFU

Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz am Rhein?

Murielle Frei: Der Rhein ist enorm vielfältig, es gibt viele schöne Orte. Besonders gut gefällt mir das Birsköpfli gleich beim Depot der Basler Pontoniere, wo wir dieses Interview führen. Das Gebiet, wo die Birs in den Rhein mündet, wurde erst kürzlich renaturiert. Aber als Pontonierin ist mein Lieblingsplatz natürlich nicht am, sondern auf dem Rhein (lacht).

Raymond Vöstel: Mein Lieblingsort ist beim Vereinsheim des Fischereivereins Bad-Säckingen knapp 40 Kilometer flussaufwärts von hier. Dieses liegt direkt am Wasser, vollkommen idyllisch und ruhig. Das ist es, was ich suche, wenn ich angeln gehe. Ich muss nicht unbedingt etwas fangen, aber ich will mich erholen können.

Sie beide haben aus unterschiedlichen Gründen einen engen Bezug zum Rhein. Fangen wir mit Ihnen an, Murielle. Sie sind als Jungpontonierin auf dem Wasser unterwegs. Warum haben Sie eine traditionelle Sportart gewählt und was fasziniert Sie daran?

MF: Mein Vater ist seit seiner Jugend im Pontonierverein aktiv. Ich und meine Geschwister gingen oft mit und kamen so bereits früh mit diesem wunderschönen und abwechslungsreichen Sport in Berührung. Ich lerne dadurch den Rhein sehr genau kennen, lerne mit den Strömungen umzugehen, sie zu lesen. Denn man muss sich immer bewusst sein, dass der Sport auf einem Gewässer ein gewisses Risiko birgt.

Raymond, Sie sind Fischer und setzen sich seit vielen Jahren für den Schutz des Rheins ein. Wie ist diese Liebe zum Fluss entstanden?

RV: Ich stamme aus dem Saarland und wuchs nicht am Rhein auf. Aber ich hatte Verwandte in Strassburg, die ich oft besuchte und die mich an die Fischerei heranführten. So fand ich eine Leidenschaft, die mich bis heute begleitet. Als ich dann in den 1980er-Jahren nach Bad-Säckingen zog, trat ich dem Fischereiverband bei und hatte dort jede erdenkliche Funktion inne.

Murielle Frei ist 16-jährig, wohnt in Ettingen (BL) und besucht das Gymnasium. Durch ihre Familie kam sie bereits früh mit dem Pontoniersport in Berührung, seit zwei Jahren ist sie nun auch selbst regelmässig auf dem Rhein anzutreffen. Murielle Frei ist Mitglied der Basler Pontoniere und hat im vergangenen September die Jungpontonier-Prüfung bestanden. In ihrer Freizeit spielt sie zudem Volleyball, schwimmt und reitet.

Raymond Vöstel stammt aus Bad-Säckingen in Baden-Württemberg (D) und ist 72 Jahre alt. Beim Landesfischereiverband Baden-Württemberg betreute er als Kreisvorsitzender während vieler Jahre die Fischereiverbände im Landkreis Waldshut. Er war zudem während langer Zeit in der ARGE Hochrhein tätig, einer internationalen Vereinigung von Fischerei- und Naturschutzorganisationen, die sich für den Erhalt des Hochrheins einsetzt.

Wie unterscheidet sich der Rhein Ihrer Jugend vom Rhein von heute?

RV: Der Rhein war schon damals so einladend, dass man reinsprang, ohne sich Gedanken zu machen. Ob das eine gute Idee war, weiss ich allerdings nicht. Damals war das Augenmerk noch nicht so stark auf die Wasserqualität gerichtet und die Gewässer wurden nicht entsprechend untersucht. Ich wage zu behaupten, dass sie nicht schlechter dran waren als heute. Es wurde zwar mehr Abwasser in die Gewässer geleitet, dafür gab es zu jener Zeit wohl weniger Schadstoffe aus der Indus­trie, weniger Medikamentenrückstände und noch kaum Mikroplastik in unseren Gewässern.

Der Tag, der am Rhein vieles veränderte, war der 1. November 1986. Damals brannte es im Chemikalienlager im Industriegebiet von Schweizerhalle und belastetes Löschwasser gelangte in den Rhein. Das Leben im Fluss wurde auf weiten Strecken ausgelöscht. Murielle, Sie waren da noch gar nicht geboren, ist die Katastrophe bei Ihrer Generation noch Thema?

MF: Ja, das Thema ist zumindest hier in Basel immer noch präsent. Ich habe sowohl von meinen Eltern wie auch in der Schule viel darüber gehört. Unsere Lehrerin hat uns Bilder gezeigt von toten Fischen, die damals im Rhein trieben. Seither hat sich vieles verändert, das Bewusstsein ist grösser geworden. Das heisst aber nicht, dass eine solche Katastrophe nicht wieder passieren könnte.

Raymond, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie von der Katastrophe erfahren haben?

RV: Natürlich, so etwas vergisst man nicht. Für uns Fischer war das ein enormer Schlag. Wir versuchen stets alles, was mit dem Wasser zu tun hat, gesund zu erhalten. Und dann passiert eine solche Katastrophe und macht die Arbeit vieler Jahrzehnte auf einen Schlag zunichte. Der Rhein war danach während Jahren tot. Fische, Pflanzen, Kleinstlebewesen: alles vernichtet. Da kam eine grosse Wut in mir hoch.

Die Katastrophe hat dann auch ein Umdenken in Sachen Gewässerschutz ausgelöst. In den letzten 20 Jahren wurden am Hochrhein diverse Massnahmen zur Aufwertung des Lebensraums umgesetzt.

RV: Für mich ist klar, dass Renaturierungsmassnahmen wie jene entlang des Hochrheins zu den wichtigsten Zukunftsprojekten überhaupt gehören. Darf ich kurz ausholen?

Selbstverständlich.

RV: Fischereivereine haben neben dem Recht zu fischen auch die Pflicht, Jungfische oder Fischbrut in die Gewässer einzusetzen. Das kostet viel Geld und ist nicht unproblematisch. Tiere aus einer Fischzucht können zum Beispiel Krankheiten in sich tragen, die sie dann verbreiten. Wenn der Fluss aber dank Revitalisierungen wieder seine ursprüngliche Form annimmt, dann brauchen wir uns über diesen Fischeinsatz gar keine Gedanken mehr zu machen. Dann kommen sie nämlich automatisch und vermehren sich auch so wie gewünscht. Die Revitalisierungsmassnahmen, die entlang des Hochrheins bereits umgesetzt wurden, sind vorbildlich. Besonders die Arbeitsgemeinschaft Hochrhein leistet grossartige Arbeit.

MF: Mitten in der Stadt sind die Renaturierungsmassnahmen häufig nicht gleich sichtbar wie ausserhalb. Aber gerade hier beim Birsköpfli wurden in den letzten Jahren Steine im Fluss platziert und Kiesbänke geschaffen, damit Fische laichen können. Wenn ich mit dem Boot, dem Weidling, unterwegs bin, muss ich einen Umweg machen (lacht).

Rhein in Basel
Auf dem Rhein in Basel. Dank vieler ökologischer Aufwertungsprojekte geht es diesem wichtigen Fluss heute deutlich besser als früher.
© Severin Bigler/Lunax/BAFU

Wenn der Flussraum aufgewertet wird, nutzen ihn allerdings mehr Leute. Ist das in Ihren Augen ein Problem?

MF: Ich glaube, es gibt noch immer Leute, die sich nicht um die Umwelt scheren und sich entsprechend verhalten. Sie lassen ihren Abfall am und im Wasser liegen, obwohl drei Meter weiter ein Abfallkübel wäre. Aber die Mehrheit ist sensibilisiert und trägt Sorge.

RV: Ich muss hier die Jungen ein wenig in Schutz nehmen. Als ich als Wasserwart tätig war, habe ich immer wieder Rentnerinnen und Rentner erlebt, die ihre leeren Getränkedosen und Plastiksäcke einfach liegenliessen. Junge machen das viel weniger. Bei der jetzigen Generation ist es in den Köpfen drin, dass das nicht mehr geht.

MF: Bei uns war der Umweltschutz auch in der Schule Thema. Es ist schon so, dass sich meine Generation stark damit auseinandersetzt. Schliesslich wollen wir weiter auf dieser Erde leben können.

Auch der Klimawandel setzt den Gewässern zu. Mit welchen Gefühlen beobachten Sie diese Entwicklung?

MF: Es ist schon unheimlich, wie sich die Situation in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich bin nun wirklich noch sehr jung, aber ich erinnere mich, wie es noch vor wenigen Jahren hiess: Der Rhein ist endlich 20 Grad warm, lass uns baden gehen. Im letzten August war das Wasser 26 Grad warm, und auch Mitte September lag die Wassertemperatur noch über 20 Grad. Das gibt einem schon zu denken.

RV: Eines muss uns klar sein: Die Situation, in der wir uns befinden, die lässt sich nicht mehr beheben. Wir können froh sein, wenn wir Mittel und Wege finden, um den Status quo beizubehalten. Wir werden mit Trockenperioden und Hochwassern leben müssen. Und mit der Tatsache, dass es gewisse Fische, wie beispielsweise die Äsche, bei uns im Rhein bald nicht mehr geben wird.

Was wünschen Sie dem Rhein für die Zukunft?

MF: Ich wünsche mir, dass der Fluss eine Lebensader bleibt und auch für künftige Generationen ein Erholungsgebiet sein wird. Aber dafür müssen wir alle unseren Beitrag leisten und auch auf gewisse Dinge verzichten.

RV: Die Renaturierungsmassnahmen müssen weiter vorangetrieben werden. Und zwar gemeinsam, egal, ob dazwischen eine Landesgrenze verläuft. Aber wenn ich Murielle so reden höre, dann verspüre ich Hoffnung, dass das gelingen wird. Ich glaube, dass die junge Generation die schwierige Aufgabe mit einer gewissen Selbstverständlichkeit angehen wird. Denn uns muss bewusst sein: Die Natur kommt ohne uns bestens zurande, aber wir sind ohne sie komplett verloren.

Tote Aale am Rheinufer
Ein Mann sammelt am Rheinufer tote Aale ein – eine Folge des Chemieunfalls Schweizerhalle.
© Gardin/Keystone

Ein grenzübergreifendes Projekt zum Schutz des Hochrheins

Es geschah am 1. November 1986: Damals geriet im Industriegebiet Schweizerhalle bei Basel eine Lagerhalle des damaligen Chemiekonzerns Sandoz in Brand und belastetes Löschwasser gelangte in den Rhein. Mit fatalen Folgen: Auf einer Strecke von mehreren Hundert Kilometern wurde das Leben im Fluss ausgelöscht. Es dauerte Jahre, bis es sich wieder erholt hatte. Diese Katastrophe löste ein Umdenken in Sachen Gewässerschutz aus und seither hat sich viel getan. 1998 wurde das erste ökologische Gesamtkonzept für den Hochrhein entwickelt, also für den Abschnitt zwischen dem Bodensee und Basel. Dies mit dem Ziel, den Hochrhein und seine Zuflüsse durch Renaturierungen aufzuwerten und die Massnahmen zwischen der Schweiz und Deutschland zu koordinieren. Nach 20 Jahren haben das BAFU und das Regierungspräsidium Freiburg Baden-Württemberg eine Zwischenbilanz gezogen und diese im Bericht «Gewässerökologie Hochrhein 2020» festgehalten.

Das Resultat lässt sich sehen: Auf dem gut 150 Kilometer langen Rhein-Abschnitt wurden in den letzten zwanzig Jahren über hundert ökologische Aufwertungsprojekte realisiert. Die meisten betrafen die Gewässerstruktur. An vielen Stellen wurden Uferverbauungen entfernt und flache Kiesufer geschaffen, die Land- und Wassertieren als Lebensraum dienen. So zum Beispiel bei der Einmündung der Thur oder der Wutach auf der deutschen Seite des Rheins. Ebenfalls wichtig waren die Reaktivierung einzelner Auen sowie die Sanierung der Fischaufstiege an bisher fünf der elf Wasserkraftwerke. «Obwohl wir am Hochrhein bereits viel erreicht haben, gibt es auch in Zukunft noch einiges zu tun», sagt Gregor Thomas, der beim BAFU für Revitalisierungen zuständig ist. Er nennt unter anderem nötige Massnahmen, um die freie Wanderung von Fischen zu gewährleisten, vor allem auch des Fischabstiegs, sowie die Geschiebesanierung, aber auch die Problematik invasiver Pflanzen- und Tierarten. Eine riesige Herausforderung sei der Klimawandel. «Dessen Folgen sind bereits jetzt stark spürbar», sagt Thomas. So führen höhere Wassertemperaturen etwa dazu, dass kälteliebende Arten wie die Äsche oder die Bachforelle im Hochrhein stark gefährdet sind.

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 10.05.2023

Zum Seitenanfang

https://www.bafu.admin.ch/content/bafu/de/home/themen/wasser/dossiers/der-rhein-ist-teil-ihres-lebens.html