Win-win-Situationen: «Erprobte Kreislaufmodelle»

Gartenerde aus der Zuckerproduktion, Teppiche als Mietobjekte, Licht als Dienstleistung: Die Kreislaufwirtschaft bietet vielfältige Win-win-Situationen für die Wirtschaft und die Umwelt. Noch aber wird ihr Potenzial zu wenig genutzt.

Text: Nicolas Gattlen

«One man’s trash is another man’s treasure», besagt ein englisches Sprichwort, zu Deutsch etwa: Was für den einen bloss Abfall ist, kann für den anderen sehr wertvoll sein. Sägemehl, Baumrinden und Landerde sind Beispiele. Die Ricoter Erdaufbereitung AG, Marktführerin bei den Gartenerden im Schweizer Detailhandel, produziert aus solchen Nebenprodukten der Forst- und Landwirtschaft über 200 000 Kubikmeter Gartenerde pro Jahr. «Wir bringen hochwertige Naturprodukte, die früher ungenutzt deponiert oder verbrannt wurden, in den Kreislauf zurück», sagt Geschäftsführer Beat Sutter.

Landerde ist eine wertvolle Komponente

Ricoter wurde 1981 als Tochterfirma der Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld gegründet. Deren Geschäftsführer hatten erkannt, dass die Erde, die an den Zuckerrüben haftet und beim Rüben­waschen in grossen Mengen anfällt, aufbereitet und als Gartenerde in den Verkauf gebracht werden kann, statt auf den umliegenden Feldern verteilt zu werden. «Landerde ist ausserdem eine wertvolle Komponente für Torfersatz», erklärt Beat Sutter. Der Abbau von Torf ist in der Schweiz seit 1987 verboten, nicht aber der Import. Im Ausland verursacht er massive Umweltschäden: So werden unter anderem Treibhausgase frei, weil sich der Torf rasch zersetzt. Deshalb hat der Bundesrat 2012 ein Ausstiegskonzept beschlossen, das auf freiwilligen Massnahmen der Branche beruht und mittlerweile in einer Branchenvereinbarung verankert ist. Ricoter brachte bereits in den 1990er-Jahren erste Torfersatz-Produkte auf den Markt; seit 2014 sind sämtliche ihrer Erden für den Hobbymarkt torffrei und kreislauffähig.

Nun will die Firma das Angebot für den professionellen Zierpflanzen- und Gemüseanbau erweitern. Dabei gelte es, auch die Ökobilanz der Komponenten des Torfersatzes zu berücksichtigen, erklärt Sutter. Eine vom BAFU finanzierte Studie zeigt, dass etwa Kokosfasern eine vergleichsweise hohe Umweltbelastung verursachen, auch weil die Produktion zumeist in Ländern wie Indien oder Sri Lanka stattfindet und lange Transportwege nötig sind. «Wir wollen die Kokosfasern ersetzen und testen derzeit Alternativen mit verschiedenen Pflanzenfasern», sagt Sutter. «Dahinter stecken auch ökonomische Überlegungen. Kokosfasern sind teuer, weil sie von weit her kommen. Wenn es uns gelingt, sie durch Nebenprodukte der regionalen Forst- oder Landwirtschaft zu ersetzen, können wir ökologisch und preislich interessantere Produkte anbieten.»

Onlinebörse für Nebenprodukte

Der Rückführung von Abfall- und Nebenstoffen in den Wirtschaftskreislauf hat sich auch das Schweizer Start-up RethinkResource verschrieben. Es bietet mit «Circado» einen Onlinemarktplatz, auf dem industrielle Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie gehandelt werden, europaweit und branchenübergreifend. «Vieles, was die Industrie heute in der Biogasanlage oder Müllverbrennung entsorgt, könnte anderweitig genutzt werden», sagt Firmengründerin Linda Grieder. Bei ihrer Beratungsarbeit habe sie festgestellt, dass das Interesse der Industrie an der Kreislaufwirtschaft «sehr gross» sei, es aber einen effizienten und transparenten Markt für Nebenprodukte brauche. Transparent, damit die Unternehmen überhaupt realisierten, dass ihre Nebenprodukte nicht Abfall, sondern gefragte Rohstoffe seien. Und effizient, weil die Firmen sonst weiterhin ihre sogenannten Nebenströme auf die einfachste Art loswürden: ab in die Verbrennung. Auf der 2018 gestarteten Online-Plattform wurden schon mehrere Deals abgeschlossen, etwa zwischen einem deutschen Fruchtsafthersteller und einem englischen Kosmetikproduzenten, der aus Obstkernen Pomaden herstellt. Um die kritische Grösse erreichen zu können, möchte Linda Grieder in einem nächsten Schritt einen grossen Nebenstrom auf die Plattform bekommen, zum Beispiel Biertreber, der in Europas Brauereien zu Millionen Tonnen anfällt und zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten bietet.

Auf lokaler Ebene sind industrielle Tauschmodelle nichts Neues: Im finnischen Industriepark Harjavalta etwa übergeben einander Metall-, Chemie- und Kraftwerke seit über 50 Jahren ihre Nebenprodukte zur Weiterverwertung. Mittlerweile existieren weltweit Dutzende solcher Ökoparks mit symbiotisch miteinander verbundenen Industrien. Das BAFU hat dazu 2014 den Bericht «International Survey on eco-innovation parks» publiziert, der 168 solcher Öko-Parks präsentiert. Viele davon wurden am Reissbrett entworfen. Kooperationen lassen sich aber auch auf einem historisch gewachsenen Gebiet etablieren. Der Kanton Genf etwa liess in einer Studie das Potenzial für industrielle Symbiosen im Kantonsgebiet ausloten und fördert den Austausch von Material, Wasser und Energie zwischen den Betrieben.

Symbiosen im Unternehmen

Symbiosen lassen sich in vielen Fällen auch innerhalb eines Unternehmens schaffen. Überschüssige Wärme in einer Produktionsanlage kann als Energie in benachbarten Anlagen weiterverwendet werden; Nebenprodukte aus dem einen Betrieb dienen als Rohstoff für einen anderen. Über die Umwelttechnologieförderung des BAFU hat ein Konsortium jüngst die Softwareplattform CELERO entwickelt. Sie hilft den Firmen, ihren Abfall zu minimieren und übrig gebliebene Materialien in anderen industriellen Prozessen zu verwenden oder an weitere Unternehmen aus der Region zu verkaufen. Derzeit wird das Online-Tool mit ausgewählten Anwendern getestet. Auch das vom BAFU initiierte Netzwerk Ressourceneffizienz Schweiz (Reffnet) unterstützt Firmen bei der Verbesserung der Ressourceneffizienz und stellt Beratungsdienste zur Verfügung.

Noch nutzen wir die Rohstoffe zu wenig effizient und produzieren zu viele Abfälle, bilanziert die Arbeitsgruppe «Ressourcen Trialog». Die Gruppe – vom Kanton Aargau mitinitiiert und mit Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung (darunter das BAFU) – hat sich 2017 in ihren «Leitsätzen für eine nachhaltige Ausrichtung der Schweizer Abfall- und Ressourcenwirtschaft» unter anderem darauf geeinigt, dass Rohstoffe künftig «optimal in Kreisläufen zirkulieren». Ein Schlüsselfaktor sei es, bei der Produktion auf Ökodesign zu setzen. Denn häufig lassen sich die Verbundmaterialien – zum Beispiel bei Computern – nur mit grossem Aufwand oder gar nicht trennen. Auch Schadstoffe erschweren die Rückführung in den Kreislauf. Dabei stehen Konsumenten und Produzenten gleichermassen in der Verantwortung.

Einfacher trennen

Wie man mit Ökodesign und schadstofffreien Materialien das Recycling erleichtern kann, zeigt das holländische Teppichunternehmen Desso. Es hat einen Teppichrücken entwickelt, von dem sich das Garn und andere Fasern einfach trennen und wiederaufbereiten lassen. Der rezyklierbare Rücken wird aus Kalk gefertigt, einem Abfallprodukt der Trinkwasserindustrie. Bereits seit 2008 nimmt Desso alte Teppiche zurück und verwendet das Garn für die Produktion von neuen Waren. Allerdings zeigte sich bald, dass die Rücklaufquote die Erwartungen nicht erfüllt: Sie lag 2014 unter 5 Prozent, weshalb das Unternehmen zusätzlich ein Miet- und Leasingmodell lancierte. Angeboten werden etwa 5- bis 7-Jahres-Verträge für Konzerthallen, Kreuzfahrtschiffe, Büros und Hotels. Desso behält so die Kontrolle über die gebrauchten Teppiche, kann aus dem rezyklierten Material neue Waren produzieren und die Kosten für den Einkauf von Rohstoffen senken.

Bleibt das Produkt im Eigentum des Herstellers, steigt für ihn der Anreiz, Dinge zu fabrizieren, die lange haltbar sind und weniger Ressourcen verbrauchen. Denn er kann selbst von den Investitionen in die Kreislaufwirtschaft profitieren, während beim Verkauf von langlebigen, rezyklierbaren Produkten primär die Kundinnen, Rezyklierer und Servicetechniker profitieren. Philips etwa bietet seit 2012 Licht als Dienstleistung an. Der Kunde wählt lediglich die Helligkeit und die Nutzungsdauer der Beleuchtung; die Anordnung, Montage und Wartung der Leuchten sowie die anfallenden Stromkosten werden von Philips übernommen. Durch ein optimales Beleuchtungsmanagement und Produktdesign kann das Unternehmen seine Marge steigern.

Dienstleistung statt Verkauf

Solchen Geschäftsmodellen, die den Fokus auf das Angebot einer Dienstleistung anstelle eines Produkts richten, wird eine grosse Zukunft vorausgesagt. Nicht in jedem Fall aber führen sie zu einer ökologischen Verbesserung. So zeigt eine Studie über die Entwicklung des öffentlichen und des privaten Verkehrs in New York, dass Uber mit seinen Ride-Sharing-Diensten den Stau (und die Luftverschmutzung) in der Metropole verstärkt. Offenbar steigen viele Leute vom ÖV auf Uber-Taxis um.

Dennoch dürften die Sharing-Angebote mittelfristig zu einer Reduktion des Autobestands beitragen. Warum? «Das ist trivial», erklärt der Auto­vermieter Erich Sixt im «Spiegel». «Es ergibt wirt­schaftlich keinen Sinn, sich ein eigenes Auto zu kaufen, das 90 Prozent der Zeit ungenutzt rumsteht.» Künftig werde das Auto mehr nach Nutzung bezahlt, eine Trendwende sei schon klar erkennbar.

Impulse für Schweizer Kreislaufwirtschaft

Im Februar 2019 hat sich ein Team aus Vertreterinnen und Vertretern diverser Organisationen zusammengeschlossen, um der Kreislaufwirtschaft unter dem Namen «Circular Economy Switzerland» zusätzlichen Schub zu verleihen. Bereits werden sechs Projekte umgesetzt, darunter die Plattform «Circular Economy Entrepreneurs», auf der sich Firmen austauschen und vernetzen können. Auch der vom BAFU mitinitiierte Verein «Go for Impact» versteht sich als «Impulsgeber» für ein ressourceneffizientes Wirtschaften in der Schweiz. Er will den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Behörden fördern, Orientierungshilfen bieten und den Transfer von Wissensgrundlagen in die Wirtschaft unterstützen.

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Letzte Änderung 04.12.2019

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