Biologische Sicherheit: Die Sicherheitskultur in Labors auf dem Prüfstand

Wiederkehrende Seuchen und Epidemien, die viel Elend mit sich brachten, sind im Lauf der Zeit mit immer komplexeren biotechnologischen Mitteln bekämpft worden. Im Umgang mit Mikroorganismen, die der menschlichen und tierischen Gesundheit sowie der Umwelt Schaden zufügen können, hat sich in der Schweiz eine eigentliche Sicherheitskultur entwickelt. Die Konfrontation mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV 2 war eine Bewährungsprobe.

Text: Lucienne Rey

Labor Spiez - Arbeiten mit hohem Risiko
Im Labor Spiez (BE) können Arbeiten mit hohem Risiko durchgeführt werden.
© zVg

Im Land der Bauern und Hirten gerieten bedrohliche Viehseuchen rascher ins Visier der Obrigkeit als Epidemien in der Bevölkerung. Auf die Dauer aber beschlich die Landesväter ob der Vorzugsbehandlung der Vierbeiner doch ein ungutes Gefühl: «Nachdem schon seit 14 Jahren die Viehseuchenpolizei durch ein eidgenössisches Gesetz geordnet und (…) mit gutem Erfolge gehandhabt wird, (…) dürfte es an der Zeit sein, den Bund auch da ein Wort mitsprechen zu lassen, wo es sich um die Erhaltung von tausenden und tausenden Menschenleben handelt», hielt der Bundesrat in seiner
Botschaft vom 1. Juni 1886 zum geplanten Bundesgesetz «betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien» fest. Ein Jahr später trat dieses in Kraft – und behielt bis in die 1970er-Jahre seine Gültigkeit.

Hell und desinfiziert

Noch vor der Politik hatte auch die Wissenschaft begonnen, sich eingehend mit Krankheitserregern zu befassen. Folgerichtig erliess der Bund Ende Juni 1900 die «Verordnung betreffend Pestlaboratorien und die Vornahme von Untersuchungen in Fällen von Pestverdacht zur Feststellung der Diagnose». Bakteriologische Untersuchungen von pestverdächtigem Material dürften – so hiess es – nur in einem ausschliesslich hierfür bestimmten hellen Arbeitsraum durchgeführt werden, der «sicher mit einem besonderen Schlüssel abschliessbar sein» müsse. Das Tragen von Schutzkleidern und Überschuhen wurde ebenso geregelt wie die «mit 5-prozentiger Kresolseifenlösung getränkte Filzvorlage», auf welcher die Schuhsohlen vor dem Hinausgehen «wiederholt abgewischt werden» sollten.

Von den vergleichsweise detaillierten Regelungen für Pestlabors abgesehen, folgte der Bund dem Subsidiaritätsprinzip und überliess den Kantonen die Aufsicht über die Laboratorien. Liest man das «Reglement für die Laboratorien der Hochschule von Bern» vom 20. August 1902, drängt sich der Schluss auf, dass die Sicherheit im Umgang mit krank machenden Keimen und Chemikalien damals hauptsächlich von der Sorgfalt und Kompetenz der Hochschullehrer abhing: «Der Professor ist für die Folgen von arger Nachlässigkeit im Betrieb des Laboratoriums (…) persönlich verantwortlich», hält Paragraf 4 fest.

Epidemien als Dauersorge

Die Arbeit mit krank machenden Mikroorganismen birgt zwar gewisse Risiken, doch kommt die Wissenschaft nicht darum herum. Denn Epidemien und Viehseuchen lassen sich nur bekämpfen, indem ihre Erreger erforscht und Gegenmittel entwickelt werden – etwa in Form von Impfungen. Trotz beachtlicher Erfolge, wie dem Sieg über die Kinderlähmung, bleiben ansteckende Krankheiten eine Dauersorge der Gesellschaft: 1918 raffte die sogenannte Spanische Grippe in der Schweiz über 20 000 überwiegend jüngere Menschen dahin; in ihren jährlichen Varianten führt auch die saisonale Grippe weiterhin zu zahlreichen Todesfällen. Im Jahr 1963 zwang in Zermatt (VS) eine auf veraltete Sanitärinstallationen zurückgeführte Typhus-Epidemie mehrere Hundert Angesteckte ins Krankenbett und kostete drei Personen das Leben. In neuerer Zeit brachten das HI-Virus und die Erreger von SARS, MERS und nicht zuletzt Covid-19 grosses Leid über viele Menschen.

Auch das Veterinärwesen bleibt gefordert. Hierzulande verursachte beispielsweise der Zug der Maul- und Klauenseuche von 1938 bis 1940 beträchtliche wirtschaftliche Schäden. In der Folge wurde 1942 das Eidgenössische Vakzine-Institut in Basel gegründet. Es war weltweit eines der ersten, das einen Impfstoff gegen diese gefürchtete Krankheit herstellte. Seit 1992 wird das frühere Vakzine-Institut als Institut für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern (BE) weitergeführt.

Anmelden, registrieren, bewilligen

Mit einem knappen Verweis auf die Verantwortlichkeit der Laborleitung – wie im Berner Reglement von 1902 – ist es heute nicht mehr getan, wenn es darum geht, die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt vor den Schäden durch Krankheitserreger und andere möglicherweise gefährliche Organismen und Stoffe zu schützen.

Wer beispielsweise einen Krankheitserreger  erforschen will, muss sein Projekt beim BAFU und der dort angesiedelten Kontaktstelle Biotechnologie anmelden oder bewilligen lassen – so sieht es die Einschliessungsverordnung (ESV) vor. Dazu braucht es eine Risikobewertung, die zum einen vom untersuchten Organismus und zum anderen von der Tätigkeit abhängt: Für Tätigkeiten der Klassen 1 und 2 mit keinem oder bloss einem geringen Risiko ist einzig die Anmeldung erforderlich. Für die Klassen 3 und 4 braucht es eine Bewilligung, und Tätigkeiten der Klasse 4 mit einem hohen Risiko sind in der Schweiz gegenwärtig dem IVI sowie dem Labor Spiez und zwei Laboratorien in Genf und Zürich vorbehalten. Nur sie verfügen derzeit über die geforderten und in der ESV klar definierten Sicherheitsmassnahmen auf dieser Stufe.

«Wir prüfen, ob die Risikobewertung richtig vorgenommen wurde», erklärt Andrea Johner, eine der Zuständigen für die Beurteilung der Meldungen bei der Kontaktstelle Biotechnologie. «Wenn alles korrekt ist und es sich nicht um ein übermässig komplexes Projekt handelt, brauchen wir für die Prüfung etwa eine Stunde.»

Dabei interessieren unter anderem folgende Fragen: Welche Gefahr geht von den verwendeten Organismen aus? Werden die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmassnahmen im Labor eingehalten? Wie werden die Abfälle inaktiviert und entsorgt? Längst nicht immer sind die erforderlichen Angaben vollständig, weiss die Fachfrau zu berichten. Das Nachfragen und Kontrollieren sei dann mitunter aufwendig und könne tagelang dauern. Jeder Risikoklasse und Tätigkeit werden spezifische Sicherheitsmassnahmen zugeordnet, deren Umsetzung und Kontrolle vor Ort allerdings in der Kompetenz der Standortkantone liegen.

Sämtliche angemeldeten Projekte werden in der Datenbank «Ecogen» aufgeführt – auch dies eine Forderung der ESV. Derzeit umfasst sie knapp 3000 laufende Tätigkeiten, die überwiegende Mehrheit davon aus der Klasse 2 mit einem geringen Risiko.

Mehrarbeit wegen Covid-19

Mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie ist für die Kontaktstelle Biotechnologie und für die Fachleute der Kontrollstellen schlagartig mehr Arbeit angefallen: «Normalerweise erhalten wir jährlich 400 Projekte zur Beurteilung, doch im Jahr 2020 erhöhte sich deren Zahl auf 600», sagt Andrea Johner. Allein mit SARS-CoV 2 befassen sich mindestens 150 der gegenwärtig in Ecogen aufgelisteten Projekte. Rasch könnten es noch mehr werden. So gibt es zahlreiche Diagnostikfirmen, die zum Beispiel an Flughäfen Schnelltests durchführen oder anbieten möchten. Je nach Art der Tests handelt es sich dabei um eine Tätigkeit der Klasse 2.

Während der Covid-Pandemie bestätigte sich auch, wie gut das geltende Recht an die aktuelle Situation angepasst ist und dazu dient, die Sicherheit zu gewährleisten. Noch vor Kurzem wären Selbsttests juristisch nämlich nicht statthaft gewesen, weil der Nachweis von Krankheitserregern grundsätzlich unter die ESV fällt und einer Anmeldung bedarf. Im Herbst 2019 aber wurde – nicht zuletzt im Hinblick auf die Eindämmung von HIV – die «Eigenanwendung von Medizinprodukten zur In-vitro-Diagnostik» von der ESV ausgenommen. «Denn wer sich zu Hause selbst testet, geht ja ein minimales Risiko ein», erläutert Graziella Mazza von der Sektion Biotechnologie des BAFU. Diese Revision kam nun auch der Bekämpfung von SARS-CoV 2 und den massenhaft eingesetzten Selbsttests entgegen.

Mensch und Tier im gleichen Boot

 Die ESV regelt nicht bloss den Umgang mit Krankheitserregern. Vielmehr habe die Schweiz, die sich ansonsten bei der Einteilung der zu regulierenden Organismen und Tätigkeiten an Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und an europäischen Richtlinien orientiere, auch gebietsfremde Organismen in die ESV aufgenommen, stellt Graziella Mazza fest. Ausserdem unterstehen dem ESV-Regime auch gentechnisch veränderte Organismen (GVO).

Die Erfahrungen der letzten gut 100 Jahre haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Behörden im Umgang mit potenziell gefährlichen Organismen eng zusammenarbeiten. So ist zwar die Kontaktstelle Biotechnologie beim BAFU angesiedelt. Aber es nehmen stets sowohl das BAFU als auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Stellung, bevor ein Entscheid gefällt wird. Je nachdem, ob es um Organismen geht, die eher der Umwelt gefährlich werden könnten oder der menschlichen Gesundheit, übernimmt entweder das BAFU oder das BAG die Federführung, während die jeweils andere Behörde ihre Stellungnahme abgibt.

Über die Artengrenzen hinweg arbeitet heute auch das IVI. Die Maul- und Klauenseuche, die im Jahr 1942 dessen Gründung veranlasst hatte, bleibt zwar im Fokus des Labors. Daneben erforschen seine Mitarbeitenden aber auch Viren, die Kamele, Schafe oder weitere Tiere befallen können. Neulich glänzte es gar durch eine Untersuchung, die im renommierten Wissenschaftsmagazin «Nature» veröffentlicht wurde: Den Forschenden war es gelungen, ein Hefebakterium als Plattform zu verwenden, um das Virus von SARS-CoV 2 künstlich nachzubauen und auf dieser Grundlage zu analysieren. Dieser Kunstkniff erleichtere es, schnell auf neu auftretende Viren zu reagieren, indem er die Echtzeit-Generierung und funktionelle Charakterisierung von neuen Virusvarianten während eines Ausbruchs ermögliche, halten die Forschenden fest. Eine Errungenschaft, die sich im weiteren Verlauf der Covid-Pandemie noch als hilfreich erweisen könnte.

Gesundheits- und Umweltschutz gehen Hand in Hand

Im Jahr 1971 wurde in der Bundesverfassung ein neuer Artikel 24septies eingefügt, der den Bund verpflichtet, Vorschriften zum Schutz der Umwelt und der Menschen gegen schädliche oder lästige Einwirkungen zu erlassen. Konkretisiert wurde diese Verpflichtung im Umweltschutzgesetz (USG), das am 1. Januar 1985 in Kraft trat.

Mehrere Verordnungen führen die Vorkehrungen und Massnahmen auf, die den Schutz von Mensch und Umwelt gewährleisten sollen: Wo auch immer mit gefährlichen Substanzen – und dazu gehören auch krank machende Organismen – umgegangen wird, soll die 1991 in Kraft getretene Störfallverordnung (StFV) vor Schädigungen durch unvorhergesehene Probleme in Anlagen oder mit Transportmitteln schützen. Wer mit potenziell gefährlichen Organismen arbeitet, den schützt die Verordnung vom 25. August 1999 über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Gefährdung durch Mikroorganismen (SAMV).

Die Freisetzungsverordnung (FrSV) von 2008 wiederum regelt den Umgang mit Organismen in der Umwelt. Sie soll Menschen, Tiere und die biologische Vielfalt vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen durch den Umgang mit Organismen, deren Stoffwechselprodukten und Abfällen bewahren. Die Einschliessungsverordnung (ESV) aus dem Jahr 2012 regelt den Umgang mit Organismen in geschlossenen Systemen wie Laboren oder Produktionsanlagen. Sie benennt die Organismen, welche die Gesundheit von Menschen oder Tieren sowie die Umwelt gefährden könnten, sowie die Tätigkeiten, welche je nach Risiko in vier verschiedene Klassen eingeteilt werden.

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Letzte Änderung 24.02.2022

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