02.09.2020 - Der Grünraum ums Haus ist für viele Kleinkinder ein wichtiger Ort zum Spielen. Doch die Böden vieler älterer Grundstücke sind mit Blei belastet. Verschlucken Kleinkinder regelmässig solche Erdkrümel, kann dies schädlich sein. Das BAFU empfiehlt deshalb verschiedene Massnahmen – auch für den Gemüseanbau.
Text: Pieter Poldervaart
Eigentlich sollte die Erde im Garten von Matthias Gfeller lehmig sein – das weiss der studierte ETH-Ingenieur. Doch als er im Frühling 2019 daranging, im Garten seines Einfamilienhauses in Winterthur (ZH) Gemüsebeete anzulegen, erlebte er eine unangenehme Überraschung: Schon bald stiess er auf ungewöhnlich schwarze und sandige Schichten, dazwischen knirschte immer mal wieder ein Glasbrocken unter seinem Spaten. «Ich war irritiert und schickte zwei Erdproben zur chemischen Untersuchung ein», sagt der 64-Jährige. Das Ergebnis war eindeutig: Die Richt- und Prüfwerte der Verordnung über Belastungen des Bodens (VBBo) für die Schwermetalle Zink und Blei waren deutlich überschritten und auch die Cadmiumbelastung erhöht. Auf Gemüse verzichten und stattdessen eine Blumenwiese ansäen oder Sträucher pflanzen war für Matthias Gfeller keine Option. Wo er drei Hochbeete und ein Gewächshaus anlegen wollte, schaufelte er deshalb im vergangenen Sommer die obersten 40 Zentimeter Erdkrume weg und liess sie durch unbelasteten Humus ersetzen. Das Auswechseln von rund 15 Kubikmetern Erde kostete ihn neben viel Schweiss auch gut 6000 Franken. Dafür kann er jetzt Salat und Gemüse nach Wunsch anpflanzen und ohne Bedenken geniessen.
Giessereisand als Billigdünger
Was an der Winterthurer Sonnenbergstrasse ans Tageslicht kam, hat seine Ursprünge ziemlich sicher in den Giessereien von Firmen wie Rieter oder Sulzer. «Ich nehme an, dass die früheren Bewohner des Hauses Giessereisand nach Hause nahmen. Dieser lockert den schweren Boden und enthält zudem viel Phosphor, einen willkommenen Dünger», erklärt Matthias Gfeller. Die damaligen Hobbygärtner wussten jedoch nicht, dass sie mit dem Nährstoff auch Gifte in den Boden einbrachten, die anschliessend wohl zum Teil auch auf ihrem Teller landeten.
Winterthur ist kein Einzelfall. Giessereien und damit auch Giessereisand gab es in der Schweiz bis vor ein paar Jahrzehnten an zahlreichen Standorten. Doch auch ohne dieses Gewerbe können Böden zu hoch mit Blei und weiteren Schadstoffen belastet sein. Zwischen 2011 und 2016 liess beispielsweise der Kanton Freiburg in der Altstadt von Freiburg den Boden von 97 Parzellen analysieren. Davon waren 34 gar nicht oder nur leicht kontaminiert, während 37 Grundstücke Belastungen über dem sogenannten Prüfwert der VBBo aufwiesen, was ein potenzielles Gesundheitsrisiko bedeutet. Bei 26 Parzellen wurde sogar der Sanierungswert überschritten. Eine dieser Flächen wurde saniert. Weil ein Gesundheitsrisiko bestand (insbesondere durch Aufnahme der Erde), hat der Kanton Freiburg die Eigentümer und Mieter der entsprechenden Parzellen gebeten, Vorkehrungen zu treffen, damit Kinder keinen direkten Kontakt mit belastetem Boden haben. Er hat ihnen zudem Nutzungsempfehlungen für den Gemüseanbau bereitgestellt. So sollte man Wurzelgemüse wie Sellerie und Karotten konsequent schälen oder darauf – ebenso wie auf Salate – ganz verzichten, weil diese Nahrungsmittel relativ viele Schadstoffe aufnehmen.
Giftiger als gedacht
Im Fall von Freiburg war kaum Giessereisand die Ursache für die teils hohen Bleiwerte. Die Belastung könne von atmosphärischen Ablagerungen aus der Zeit stammen, in der das Benzin Blei enthielt, aber auch vom Ausbringen von Asche oder vom Verbrennen von bleihaltigem Abfall im Freien, fasst ein Ende 2017 erschienener Bericht die Ergebnisse zusammen. Während das dem Benzin zugesetzte Antiklopfmittel Blei relativ grossflächig über die Atmosphäre in die Böden gelangte, findet sich die Asche aus den Hausfeuerungen konzentriert wieder: Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts war es in der Schweiz üblich, mit Holz und Kohlebriketts zu heizen. Die zurückbleibende Asche diente vor allem in den Städten als willkommener Dünger auf dem kleinen Acker im Hinterhof, weil hier – anders als auf dem Land – der Mist fehlte. «Da die Belastung vor allem in den Gärten alter Liegenschaften auftritt, ist Asche von verbranntem Holz und Briketts die einzig plausible Ursache», meint Rolf Kettler von der Sektion Altlasten beim BAFU. Schadstoffe wie Blei, Quecksilber oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) konzentrierten sich so während Jahren.
Bis in jüngster Zeit ging man davon aus, dass die dadurch erreichten Bleikonzentrationen für den Menschen unproblematisch sind. Entsprechend grosszügig waren mit 1000 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde auch die in den 1990er-Jahren festgelegten Sanierungswerte in der VBBo und der Altlasten-Verordnung (AltlV).
Doch kürzlich liess das BAFU vom Schweizerischen Zentrum für angewandte Humantoxikologie (SCAHT) die derzeit geltenden Sanierungswerte für diverse Bodenschadstoffe neu evaluieren. Den Anlass dazu gaben Studien, die zeigen, dass Blei von der Wissenschaft heute wesentlich toxischer eingestuft wird als noch vor zwei Jahrzehnten.
Kleinkinder besonders gefährdet
Tatsächlich bestätigte eine Risikobeurteilung des SCAHT, «dass es für Blei keine sichere untere Wirkungsschwelle gibt», wie der wissenschaftliche SCAHT-Mitarbeiter Nicolas Roth erklärt. Problematisch sei, dass sich Blei besonders kritisch auf das sich entwickelnde Gehirn von Föten, Säuglingen und Kleinkindern auswirken könne. «Schon bei niedrigen Expositionen können die Entwicklung des Denkens und die geistige Leistungsfähigkeit eingeschränkt werden», sagt der Toxikologe. Dazu kommen eine schädigende Wirkung auf die Chromosomen und der Verdacht, dass Blei und seine Verbindungen krebserregend sind. Schliesslich sind Kinder besonders betroffen, weil sie nur ein Drittel des aufgenommenen Bleis wieder ausscheiden, Erwachsene hingegen fast alles.
Das SCAHT geht davon aus, dass ein Kleinkind beim Spielen auf dem Gartenboden täglich 250 Milligramm Erde verschluckt, etwa wenn es die Finger in den Mund steckt. Zusätzlich erfolgt die Bleiaufnahme auch über schlecht gewaschene Nahrungsmittel, Hausstaub oder Spielzeug. «Bei einer kontinuierlichen Exposition kann sich das Schwermetall vor allem in den Knochen anreichern», erklärt Nicolas Roth. Das SCAHT empfiehlt deshalb, den Sanierungswert von heute 1000 auf 83 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde zu senken. Weil aber auch weitere Kriterien – wie etwa die Kostenfolge oder die technische Machbarkeit – zu berücksichtigen sind, schlägt das BAFU einen Wert von 300 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde vor. «Dieser Wert ist aus toxikologischer Sicht vertretbar und ermöglicht eine Lösung, die im Vollzug praktikabel ist», erläutert Rolf Kettler vom BAFU.
36 000 Parzellen betroffen
Der in der Vernehmlassung für die Revision der Altlasten-Verordnung vor-geschlagene Sanierungswert von 300 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde ist mit den Limiten in anderen europäischen Ländern vergleichbar. So gilt in Frankreich und Deutschland eine Höchstmarke von 400 mg/kg, während Italien mit 100 mg/kg oder Schweden mit 80 mg/kg strengere Sanierungswerte kennen.
Das BAFU hat Modellrechnungen durchgeführt, die auf Bodenuntersuchungen der letzten 30 Jahre basieren. Gestützt darauf, geht das Amt davon aus, dass 10 Prozent aller vor 1920 erstellten Häuser und 1 Prozent der Häuser mit Baujahren zwischen 1921 und 1960 einen Garten aufweisen, der mit mehr als 300 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde belastet ist. Damit betrifft dies schweizweit den Umschwung von schätzungsweise 36 000 Liegenschaften. Zieht man Bodenflächen wie Teiche oder Kiesplätze ab, wo Kinder keine Erde aufnehmen, beziffert das BAFU die für Kleinkinder relevanten Spiel-flächen auf insgesamt 900 Hektaren. «Gemäss dieser theoretischen Modellierung könnten mehrere Tausend Kleinkinder beim täglichen Spielen im Garten einer gesundheitsgefährdenden Bleibelastung ausgesetzt sein», stellt Rolf Kettler fest. Weniger problematisch sind Sportplätze und Parkanlagen, weil hier früher kaum Hausgärten angelegt waren. Die Grünbereiche von Kindergärten und Kinderspielplätzen hingegen müssten überprüft werden, empfiehlt der BAFU-Experte. Entscheidet man sich nach einer Bodenanalyse für den Ersatz der obersten Erdschicht durch sauberes Bodenmaterial, ist von Kosten von rund 140 Franken pro Quadratmeter auszugehen. Erfahrungen mit solchen Sanierungen gibt es bereits aus Dornach (SO): Im Gebiet um die ehemaligen Metallwerke ging während Jahrzehnten giftiger Schwermetallstaub nieder. Die Kantone Solothurn und Basel-Landschaft reagierten mit umfangreichen Boden- und Pflanzenuntersuchungen, gaben Empfehlungen zum selektiven Anbau von Gemüse ab und verlangten schliesslich eine Ende 2019 abgeschlossene Sanierung von 26 Hausgärten in der am stärksten belasteten Zone.
Blei im Hausgarten? Das können Sie tun.
Besitzerinnen und Mieter von alten Hausgärten, die möglicherweise zu viel Blei aufweisen, können sich schützen. Der direkte Kontakt mit dem Boden soll vor allem bei Kleinkindern vermieden werden. In ihrer oralen Phase lässt man sie im Freien mit Vorteil auf einer Decke spielen, um zu verhindern, dass sie belastete Erde über den Mund aufnehmen. Die Ansaat eines dichten Rasens kann die Aufnahme von Erde durch Ein- bis Dreijährige vermindern.
Gemüse und Salat aus dem eigenen Garten sollten gut gewaschen werden, ebenso wie die Hände nach Gartenarbeiten beziehungsweise jene der Kinder nach dem Spielen im Garten.
Weil ein Teil der Erde über die Schuhe ins Treppenhaus und in die Wohnung gelangt, sollte man regelmässig staubsaugen.
Wer sichergehen will, dass sein Hausgarten für Kleinkinder und für den Gemüseanbau unbedenklich ist, kann eine Bodenanalyse durchführen lassen und je nach Ergebnis einen Austausch der oberen 30 bis 50 Zentimeter Boden veranlassen.
Um den Eintrag von Blei und anderen Schadstoffen in die Gartenerde zu minimieren, sollte Asche als Kehricht entsorgt und nicht zum Düngen verwendet werden.
Alte Farbanstriche enthalten häufig hohe Bleirückstände. Behandeltes Altholz gehört generell in die Kehrichtverbrennung. Nur unbehandeltes, gut gelagertes Holz darf im Cheminée oder im Freien verbrannt werden.
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Letzte Änderung 02.09.2020