Im schweisstreibenden Klimaworkshop

Wie viel ist eigentlich ein Kilo CO2? Welche alltäglichen Handlungen stossen welche Mengen dieses Treibhausgases aus? Und: Wie könnten wir unseren eigenen Energieverbrauch und CO2-Ausstoss senken? Um solche Fragen geht es im Klimaworkshop für Berufs- und Kantonsschulklassen. Dabei treiben die Teenager mit Strom von einem Velo einen Beamer an oder tragen das Gewicht eines SUV.

Text: Santina Russo

Klimaworkshop Schüler erzeugt Strom
Schüler Nalawi erzeugt mit dem Velo Strom und treibt damit einen Beamer an. Es läuft ein Kurzfilm über den Klimawandel.
© Marion Nitsch | Lunax

Konstantin strampelt. «Nicht aufhören, weiter», spornt ihn Workshop-Leiter Christof Seiler an. Das Pedalen auf dem Velo treibt einen kleinen Generator an, dessen Strom eine Glühbirne zum Leuchten bringt. So anstrengend sieht das gar nicht aus und Konstantin wirkt fit, doch sobald der Kanti-Schüler zu langsam pedalt, flackert die Glühbirne. «Fühl mal», sagt Christof nun und streckt Konstantins Klassenkollegin Elena die Birne entgegen. «Ganz warm», sagt sie. Das ist bei der LED-Birne anders, die Christof als Nächstes an den Strom vom Velo anschliesst. Diese bleibt beim Leuchten kalt. Darum muss Konstantin für die LED nur 6 Watt erzeugen, für die alte Glühbirne aber 60 Watt, wie Elena am angeschlossenen Messgerät abliest. «Alles, was warm wird, braucht gleich viel mehr Energie», sagt Workshop-Leiter Christof in die Runde.

Was wie viel Strom braucht, ist nur eines der Themen, die im Klimaworkshop für Kantons- und Berufsfachschulen zur Sprache kommen. Vor allem geht es um Klimagase wie Methan und CO2 und wie sie die Erderwärmung verursachen. «Das ist ein enorm wichtiges Thema, das aber an vielen Berufsschulen nach wie vor nur marginal behandelt wird», sagt Stefan Brehm. Er ist selbst Berufsschullehrer, hat den Workshop zusammen mit Interaktionsleiter Christof Seiler entwickelt und ist auch heute, an diesem Nachmittag Mitte Februar, als Co-Leiter mit dabei. «Wichtig war uns, dass wir dieses Thema möglichst anschaulich behandeln.» Christof ergänzt: «Im Workshop befassen sich die Schülerinnen und Schüler aktiv mit der Thematik. Sie erhalten Denkanstösse und erarbeiten selbst Ideen, um ihren CO2-Ausstoss zu senken und ihren Alltag klimabewusster zu gestalten.»

Rätseln ums Klima

Seit 2020 führen die beiden Leiter solche Workshops durch, inzwischen 30- bis 40-mal pro Jahr – heute mit der Fachmittelschul-Klasse 2A der Kantonsschule am Brühl in St. Gallen. Der Kursraum befindet sich im ZHAW-Gebäude K.118 in Winterthur, das übrigens komplett aus wiederverwendeten Bauteilen besteht. Hier haben es sich die Schülerinnen und Schüler der Wand entlang auf dem Boden bequem gemacht. «Macht mal die Augen zu», bittet Christof. Er öffnet eine neue Mineralwasserflasche, es zischt. «Was hat das Geräusch verursacht, wie heisst dieses Gas?» Darauf kommen die 17- bis 18-Jährigen im Nu: CO2 natürlich. Im Wasser ist es harmlos, aber fürs Klima ist es derart schädlich – wie das?

Ein kurzer Film gibt einen Überblick: Etwa abgeholzte Regenwälder, schmelzendes Polareis oder die zunehmende Süsswasserknappheit werden thematisiert. Ebenso das 1,5- Grad-Ziel und was alles passiert, wenn wir es nicht erreichen. Der Beamer, der den Film an die Wand projiziert, läuft wiederum mit Strom vom Velo: Inzwischen ist Schüler Nalawi im Sattel und erzeugt die nötigen 50 Watt.

Danach wird gerätselt. Die Schülerinnen und Schüler bilden Zweiergruppen und ordnen Kärtchen mit verschiedenen Handlungen nach ihrem CO2-Ausstoss. Was ist schlimmer – 10 000 Kilometer mit einem Benzin-Offroader fahren oder ein Jahr lang fleischlastig essen? Und für wie viel CO2 ist das Streamen auf dem Handy verantwortlich, etwa im Vergleich mit einem Flug nach Sidney? Waren die Teenager am Anfang des Nachmittags noch eher zurückhaltend, sind sie nun voll mit dabei und lebhaft am Diskutieren.

Schüler vergleichen Klimaworkshop
Den Alltag klimabewusster gestalten – wie geht das? Die Schülerinnen überlegen sich Freizeitaktivitäten, die kein CO2 ausstossen.
© Marion Nitsch | Lunax

Unterstützung vom BAFU

«Dieser Ansatz, die Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag abzuholen, war für uns entscheidend, um das Projekt zu fördern», sagt Sévérine Haldi, Fachspezialistin Klimabildung beim BAFU. Sie entscheidet mit, welche Projekte über das Klimaprogramm Bildung des BAFU eine Finanzhilfe erhalten. «Toll finde ich, dass die Jugendlichen in den Workshops viel selbst spüren, etwa beim Stromerzeugen auf dem Velo», sagt Haldi. «Das sorgt für ein bleibendes Erlebnis.» Auch fiel ihr die Begeisterung der beiden Leiter auf. «Das ist sicherlich ein Erfolgsfaktor der Workshops.» Zudem haben Interaktionsleiter Christof und Lehrer Stefan ihr Projekt laufend weiterentwickelt. Inzwischen bieten sie beispielsweise auch Module an, die globale Klimagerechtigkeit oder kreative Ideen im Klimaschutz thematisieren.Über das Klimaprogramm Bildung unterstützt das BAFU weitere Bildungsprojekte, die Kompetenzen von Fachkräften und Auszubildenden für den Klimaschutz oder für die Anpassung an den Klimawandel fördern – das sind laufend rund 15 Projekte. «Die meisten richten sich an eine spezifische Zielgruppe», sagt Haldi. Zurzeit werden etwa ein Weiterbildungsprogramm zur Hitzeminderung in Städten, Schulungen für Gemeinden oder Climate Labs für Lernende in Unternehmen gefördert. «Die Bildungsprojekte haben einen starken Praxisbezug, um konkrete Möglichkeiten für die Umsetzung im Alltag aufzuzeigen», betont Haldi. «Beispielsweise können die Lernenden in den Climate Labs Ideen für den Klimaschutz in ihren Lehrbetrieben entwickeln und umsetzen.»

Einen SUV schleppen

Für Klasse 2A geht’s nun raus an die Sonne, wo so richtig Action angesagt ist: Die Gruppe soll das Gewicht eines SUV zehn Meter weit tragen. Da die Workshopleiter Christof und Stefan aus Überzeugung keinen solchen Grosswagen besitzen, brauchen sie einen Trick: Auf einer Rettungsplane tragen die Schülerinnen und Schüler acht ihrer Gspänli nacheinander je viermal zehn Meter hin und her, bis sie kumuliert das Gewicht eines SUV geschleppt haben – rund zwei Tonnen. Und: Das Ganze ist ein Rennen. Die Klasse tritt nämlich gegen die bisherige Rekordzeit aus dem Workshop an.

Das erste «Opfer» ist Klassenlehrerin Johanna Büche. Sie legt sich in die Plane, die acht Trägerinnen und Träger greifen sich je einen Zipfel davon und los geht’s, nun wird geschleppt, gerannt, gestolpert, gerufen, gelacht. «Los, los!» «Schneller, ihr schafft das», feuern Stefan und Christof ihre Schützlinge an. Am Anfang geht’s sehr schnell, doch mit der Zeit wird das Rennen und Tragen sichtlich anstrengender. Dafür läuft der Personenwechsel in der Plane immer routinierter. Und tatsächlich: Klasse 2A schlägt mit 2:56 Minuten den bisherigen Rekord von über drei Minuten. Alle sind ausgepowert, aber happy. «Mit dem viel leichteren Velo legt ihr diese Strecke in ein paar Sekunden zurück», kommentiert Stefan. Klar, das Ganze war nicht nur Spass, sondern auch eine Message: Ein so schweres Fahrzeug zu bewegen, benötigt viel Energie. 

Auch für Lehrerin Johanna Büche ist der heutige Nachmittag ein Highlight. «Es ist schön, die Klasse mal in einem völlig anderen Setting als in der Schule zu erleben.» Für sie ist klar: «Dadurch, dass sie hier viel selbst machen, bleibt das Thema Klimaschutz besser hängen als mit blosser Theorie.» Auch das Workshop-Velo haben Christof und Stefan mit nach draussen genommen. Mit seiner Hilfe gibt es nach der Anstrengung noch eine Erfrischung: Aus Saft, Beeren und Bananen mixen sich die Teenager einen Smoothie – zusammengerührt im Mixer, der am Lenker des Workshop-Velos befestigt ist. Vanessa steigt aufs Rad und sorgt mit etwas herumfahren in kaum einer Minute für Smoothie für alle. «Fein», sagt Konstantin. Während die anderen noch austrinken, schnappt er sich das Velo und fährt nochmal um den Block.

Schüler tragen SUV Gewicht Klimaworkshop
Die Gruppe kommt ganz schön ins Schwitzen, als sie das Gewicht eines SUV trägt. Workshop-Leiter Christoph Seiler (links) und Stefan Brehm (links im Hintergrund) feuern an.
© Marion Nitsch | Lunax

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Letzte Änderung 13.09.2023

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