Digitale Transformation: «Der Umgang mit Datenbanken braucht eine radikale Art zu denken»

Carolin Desirée Töpfer, Programmiererin und Spezialistin für Datenschutz und IT-Sicherheit, sieht in der Digitalisierung grosses Potenzial für den Umweltschutz. Sie ortet aber fehlenden politischen Willen, um dieses auch konsequent auszuschöpfen. Ein Gespräch über Chancen und Risiken der digitalen Welt, die Bedeutung von Umwelt-Apps und Naturerlebnisse am Schreibtisch.

 Interview: Peter Bader und Denise Fricker

Carolin Desirée Töpfer
Carolin Desirée Töpfer ist Strategieberaterin und Geschäftsführerin der cdt digital GmbH. Die 30-Jährige unterstützt vor allem KMU bei der digitalen Transformation. Auf ihrem Blog digitalisierung-jetzt.de und in Workshops und Vorträgen beleuchtet sie zudem die komplexen technischen Seiten sowie die sozialen Aspekte der Digitalisierung. Im Oktober 2018 unterzeich­nete Carolin Desirée Töpfer zusammen mit mehr als 100 Jugendvertreterinnen und -vertretern einen offenen Brief an die deutsche Bundesregierung unter dem Motto #DieZukunftSindWir zur Frage der Generationengerechtigkeit in Bezug auf die deutsche Energiepolitik. Carolin Desirée Töpfer lebt in Potsdam (D), arbeitet aber ortsunabhängig. Ihr Reisetagebuch findet sich auf Instagram: @justme_cdt.
© Matthias Rüby

Frau Töpfer, wann waren Sie am Computer zum ersten Mal glücklich?

Carolin Desirée Töpfer: Schon früh. Meine Eltern hatten mir einen geschenkt, damit ich darauf Referate schreiben oder andere Dinge für die Schule erledigen konnte. Ich habe ihn aber bald in der Freizeit genutzt, mich dafür interessiert, wie das funktioniert mit der Tastatur, dem Bildschirm und dem Rechner.

War auch schnell klar, dass Sie die digitale Welt zu Ihrem Beruf machen wollen?

Nein. Ich habe zwar schon früh damit begonnen, Websites zu bauen oder mich mit Datenbanken zu beschäftigen. Aber obwohl ich in manchen Jobs bei verschiedenen Arbeitgebern dafür zuständig war, Prozesse oder Netzwerke zu optimieren, blieb es lange Zeit nur ein Hobby. Ich bin in einer technikaffinen Familie aufgewachsen, mein Vater ist Ingenieur. Aber ich merkte erst unter den Kommilitonen im Politikstudium und in der Arbeitswelt so richtig, dass meine Technikbegeisterung eine echte Zusatzqualifikation ist.

Was fasziniert Sie an der Digitalisierung?

Zum einen das Tüfteln. Wenn ich einen Computer zusammenbaue und er funktioniert nicht, dann arbeite ich eben weiter, bis alles läuft. Das Gleiche gilt beim Programmieren. Zum anderen die totale Transparenz. Das heisst: Beim Umgang mit Datenbanken braucht es eine radikale und präzise Art zu denken – anders als im Alltag, wenn beispielsweise in einem Gespräch im Nachhinein etwas anders gemeint gewesen sein könnte.

Ist die Digitalisierung gut für die Menschheit?

Es kommt darauf an, wie die Menschheit damit umgeht. Viele reagieren mit Panik beim Gedanken, dass Technik und Maschinen Aufgaben von Menschen übernehmen. Eine gute Balance zwischen Digitalem und Analogem im Job wäre aber angebracht. Angst hat selten geholfen.

Eine gesunde Portion Skepsis ist aber durchaus angebracht.

Auf jeden Fall. Allerdings hatten viele weder in der Schule noch am Arbeitsplatz die Möglichkeit, sich mit Technik und Digitalisierung auseinanderzusetzen. Das schürt Ängste. Natürlich darf man sich gegen digitale Techniken entscheiden, dann muss man sich aber vorgängig damit beschäftigt haben. Ich zum Beispiel nutze zu Hause keine Sprachassistenten, weil ich weiss, wie die funktionieren und was sie alles speichern. Viele hatten aber nie die Möglichkeit, sich diese Grundlagen zu erarbeiten. Dabei geht es nicht nur um die Medien- und Digitalkompetenz von Schulpflichtigen, sondern auch Personen ab 40 Jahren müssten sich regelmässig weiterbilden.  

Ist die Digitalisierung gut für Natur und Umwelt?

Sie kann es sein, davon bin ich überzeugt. Es ist einfach eine Frage der Umsetzung. In Kalifornien zum Beispiel wird viel getan für umweltfreundliche Lösungen in Sachen Energie, Mobilität oder Recycling. Ein ansässiger «Clean-Tech-Fund» sorgt dafür, dass entsprechende Start-ups auch bei Politikerinnen und Politikern vorstellig werden können, damit die Lösungen tatsächlich umgesetzt werden. Ein solches Vorgehen ist aber eine Ausnahme. Viel öfter erleben wir: Es gibt viele tolle Ideen, etwa für energieeffiziente Mobilität, doch es fehlt der politische Wille für die Umsetzung. Wir hängen ja zum Beispiel noch sehr am klassischen Auto. Oftmals fehlen auch die nötigen Investment- oder Fördergelder für eine grossflächige Umsetzung innovativer Lösungen.
Es macht einen bedeutenden Unterschied, ob ein umweltfreundliches Konzept in einer Stadt umgesetzt wird – oder in einem ganzen Land oder etwa gar auf einem ganzen Kontinent.

Die Digitalisierung basiert auf energieintensiven Verfahren, Blockchains sind dafür nur ein Beispiel. Kann eine solche Entwicklung überhaupt nachhaltig sein?

Für Betreiber von Rechenzentren sind Energieeffizienz und Ökobilanz tatsächlich ein Problem. Auf Konferenzen spüre ich aber, dass die Bemühungen für stetig bessere ökologische Lösungen ebenso gross sind. Wenn es um Anbieter im Bereich Marketing oder Social Media geht oder um die Konsumenten, ist das Bewusstsein für den Material- und Energieverbrauch der dahinterliegenden Technik leider noch nicht so stark.

Wo sehen Sie denn die grössten Potenziale der Digitalisierung zugunsten des Umweltschutzes?

Einerseits in der Transparenz und Kommunikation. Nehmen Sie zum Beispiel die Schülerstreiks für das globale Klima: Die haben sich Anfang Jahr dank digitaler sozialer Medien weltweit rasend schnell ausgebreitet – und mit ihnen die Themen Energieeffizienz und CO2-Emissionen. Andererseits können Infrastruktur- oder Mobilitätsanbieter, die täglich Millionen von Menschen erreichen, viel ausrichten. Wenn sie sich dafür entscheiden, energieeffizient und ökologisch zu sein und auch ihre Kundschaft dafür zu sensibilisieren, statt einfach im Ausland Ausgleichszertifikate zu kaufen, kann das einen bedeutenden Impact auf die globale Ökobilanz haben. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben viel Potenzial, wenn es um umweltfreundliche Konzepte geht.

Können uns Apps zu umweltbewusstem Handeln anleiten?

Im Moment denke ich nicht, nein. Apps für einen umweltschonenden Konsum erreichen zwar immer mehr Menschen, trotzdem bleiben sie zurzeit noch Nischenprodukte. Fitness oder gesunde Ernährung sind als App-Themen einfach sexyer als Mülltrennung oder Energieeffizienz. Also müssen wir dafür sorgen, dass letztere Themen es auch werden. Denn es ist nicht nur wegen der Umwelt wichtig, sich mit ihnen zu beschäftigen, sondern auch, weil man damit ja Geld sparen und gesünder leben kann.

Was wäre zu tun?

Vertreter und Vertreterinnen von Politik und
Behörden, die viel Einfluss und mittlerweile auch Reichweite in den sozialen Medien haben, müssten noch wesentlich öfter auf solche Angebote hinweisen und für sie werben. Zusätzlich wäre bei vielen Apps eine attraktivere und deutlich niederschwelligere Art der Bedienung gefragt, mit der die Leute intuitiv klarkommen.

Sie sind derzeit daran, ein Virtual-Reality-Start-up aufzubauen. Was bedeutet es für unsere Beziehung zur Natur, wenn wir mittels Virtual Reality (VR) zu Hause am Schreibtisch in sie eintauchen können?

Wir wollen Virtual Reality vor allem im Bereich der Weiterbildung nutzen, etwa für Nothelferkurse. Dort geht es darum, Schwerverletzten zu helfen. Das sind Erfahrungen, die im realen Leben niemand machen will. Da erkenne ich das höchste Potenzial für Virtual Reality. In Sachen Umwelt sehe ich die grössten Möglichkeiten bei der Visualisierung von ökologischen Veränderungen: Wie hat sich eine Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten konkret gewandelt? Wie lebten Tiere in der Urzeit, und welche davon gibt es überhaupt noch? Welche Auswirkungen hat es auf die Natur, wenn es immer weniger Bienen gibt? Die Lerneffekte können dabei durchaus gross sein, auch für Personen, die sich sonst nicht sehr für die Thematik interessieren.

Die Gefahr einer Entfremdung von unmittelbaren Naturerlebnissen sehen Sie nicht?

Nein, ich bin da nicht so pessimistisch. Ich glaube, wir dürfen den Menschen diesbezüglich vertrauen. Es wird zwar immer einige geben, die lieber zu Hause bleiben und gamen, statt nach draussen zu gehen. Das war aber früher auch nicht anders – nur dass es damals eben Brettspiele waren.

Klingt ein bisschen verharmlosend.

Natürlich nehmen wir die Gefahren im Zusammenhang mit Virtual Reality ernst. Dabei geht es aber vor allem um Faktoren, welche die räumliche Wahrnehmung beeinflussen. Es gibt Menschen, die setzen sich eine VR-Brille auf und haben sofort das Gefühl, dass es sich um die reale Welt handelt – im Gegensatz zu denen, die sich zwar auch auf eine virtuelle Reise einlassen, sich aber jederzeit bewusst sind, dass sie es mit einer technischen Animation zu tun haben. Um Erstere müssen wir uns kümmern. Nicht nur, weil sie während einer Animation jedes Raumgefühl verlieren und dann stolpern und sich verletzen können. Es geht auch um eine gesunde Abgrenzung zur virtuellen Welt, was – um auf das Thema Umwelt zurückzukommen – durchaus wichtig ist, um einer Entfremdung vorzubeugen. Der Gebrauch gewisser VR-Brillen ist nicht umsonst erst ab 13 Jahren empfohlen. Solche Einschränkungen sollten wir ernst nehmen.

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Letzte Änderung 04.09.2019

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