Invasive Gebietsfremde Arten: Böse Überraschungen vermeiden

23.11.2016 - Der Bundesrat hat im Mai 2016 eine Strategie für den Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten verabschiedet. Sie soll verhindern, dass sich solche Pflanzen und Tiere mit fatalen Folgen ausbreiten.

Text: Hansjakob Baumgartner 

Einst war er hochwillkommen: Die Dolden des Riesenbärenklaus zierten bereits um 1890 europäische Parkanlagen, und Imker pflanzten das Gewächs aus dem Kaukasus bis ins späte 20. Jahrhundert verbreitet als Bienenweide. Heute ist es ein gefürchtetes Unkraut – oder korrekter ausgedrückt eine invasive gebietsfremde Art. So werden Tiere und Pflanzen bezeichnet, die man mit oder ohne Absicht aus fernen Ländern bei uns eingeführt hat, wo sie sich effizient vermehren und ausbreiten. Sie haben das Potenzial, einheimische Arten zu verdrängen, und stellen so eine Bedrohung für die Biodiversität dar. Einige sind zudem gesundheitsgefährdend oder können wirtschaftliche Schäden anrichten.

Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianu)
Der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianu) gehört zu den invasiven gebietsfremden Arten.
© BAFU

Les fleurs du mal

Der Riesenbärenklau passt gut in dieses Profil. Er enthält fototoxische Substanzen: Wird die Haut von ihnen benetzt und danach der Sonne ausgesetzt, können sie schmerzhafte Verbrennungen auslösen. An Ufern von Fliessgewässern, entlang von Strassen und Schienen, in Wäldern oder auf Ruderalflächen bildet die Pflanze mancherorts Reinbestände. Allenthalben wird deshalb versucht, das absichtlich eingeführte Gewächs wieder loszuwerden, so auch im Kanton Graubünden. Im Auftrag des Amtes für Natur und Umwelt (ANU) stechen Zivildienstleistende die Pflanzen samt Wurzelstock ab. Wo dies zu mühsam oder gar unmöglich ist, zum Beispiel bei steinigen Böden, beschränkt man sich darauf, die Blüten mit den Samen zu entfernen. Grosse Bestände werden gemäht. Danach sind die betroffenen Flächen bis zum ersten Frost monatlich zu kontrollieren und gegebenenfalls erneut zu mähen. Alle Pflanzenteile gelangen in die Kehrichtverbrennungsanlage. Sämtliche Informationen über die Graubündner Standorte der invasiven gebietsfremden Pflanzen sind in einem Geografischen Informationssystem (GIS) erfasst, das 2015 total 1320 aktuelle und ehemalige Standorte des Riesenbärenklaus verzeichnete. Davon waren 673 eliminiert, und auf weiteren 108 Flächen hatten die Bestände seit 2010 abgenommen. «Die vielen eliminierten Riesenbärenklau-Standorte zeigen, was man mit einer langjährigen Bekämpfung erreichen kann», steht im Jahresbericht 2015 des ANU.

Kanadische Goldrute (Solidago canadensis)
Kanadische Goldrute (Solidago canadensis)
© Markus Forte, Ex-Press-BAFU
Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica)
Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica)
© Markus Forte, Ex-Press/BAFU
Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera)
Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera)
© Markus Forte, Ex-Press/BAFU

Zahlreiche invasive Arten

2006 listete das BAFU 107 invasive gebietsfremde Arten auf, die Probleme für die Umwelt verursachen: 51 Tiere, 7 Pilze, 1 Bakterium und 48 Pflanzen. Erfasst sind zum Beispiel amerikanische Krebse, die Ende des 19. Jahrhunderts die Krebspest nach Europa brachten. Die Seuche raffte den grössten Teil der hiesigen Krebsfauna dahin. Des Weiteren hat sich die als Überträgerin des Dengue-Fiebers berüchtigte Tigermücke bereits im Tessin etabliert. Der Asiatische Laubholzbockkäfer ist ein gefürchteter Forstschädling, und die Asiatische Körbchenmuschel hat im Rhein bei Basel sämtliche einheimischen Muschelarten zum Verschwinden gebracht. Die internationale Naturschutzorganisation IUCN hält die Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten für «eine der grössten Bedrohungen für Umwelt und Wirtschaft des Planeten». Die volkswirtschaftlichen Schäden werden allein in den USA auf jährlich 120 Milliarden Dollar geschätzt. Hierzulande ist das Problem derzeit noch weniger akut. «In den allermeisten Fällen befinden wir uns in einem vergleichsweise frühen Stadium der Ausbreitung, sodass eine Bekämpfung in der Regel noch mit vernünftigem Aufwand möglich ist», sagt Gian-Reto Walther von der BAFU-Sektion Arten und Lebensräume. Je früher man aktiv werde, desto eher gelinge es, die Ausbreitung einzudämmen.

Früh handeln

Dies zeigt zum Beispiel der Fall des aus Lateinamerika stammenden Grossblütigen Heusenkrauts. 2002 entdeckten zwei Biologen die Pflanze in einem Waldweiher bei Laconnex (GE). Die benachrichtigten Behörden reagierten sofort. Sämtliche Pflanzen wurden ausgerissen und verbrannt. «Dank der Erkenntnisse aus dem grenznahen Ausland, den wachsamen Augen zweier Spezialisten und dem beherzten Einschreiten der Behörden vor Ort liess sich die Art rasch unter Kontrolle bringen», sagt Gian-Reto Walther. Unweit des Fundorts stand zu jener Zeit ein Gartengeschäft, das die Pflanze im Sortiment führte. Inzwischen ist das Grossblütige Heusenkraut eine verbotene Art, die in der Schweiz nicht mehr vermehrt, verkauft oder anpflanzt werden darf – so wie 10 weitere Pflanzen, zu denen auch der Riesenbärenklau gehört. Das zunehmende Vorkommen invasiver Arten hat schon seit einigen Jahren eine Vielzahl von Akteuren auf Bundes und Kantonsebene sowie private Organisationen tätig werden lassen. Allerdings sind diese Aktivitäten vielfach wenig koordiniert, und bisher fehlte ein gesamtschweizerischer Rahmen. Aufgrund eines parlamentarischen Vorstosses hat der Bundesrat diese Lücke geschlossen, indem er im Mai 2016 die nationale Strategie zu invasiven gebietsfremden Arten verabschiedete. 

Asiatische Körbchenmuschel (Corbicula fluminalis)
Asiatische Körbchenmuschel (Corbicula fluminalis)
© Erwin Jörg, www.neozoen.ch
Asiatischer Lauholzbockkäfer  (Anoplophora glabripennis)
Asiatischer Lauholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis)
© Markus Forte, Ex-Press/BAFU
Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii)
Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii)
© Erwin Jörg, www.neozoen.ch

Grundlagen, Prävention, Bekämpfung

Die Strategie umfasst die drei Bereiche wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen, Prävention sowie Bekämpfung, welche über einen Wirkungskreislauf miteinander verbunden sind (siehe Grafik). Dabei soll die Prävention verhindern, dass invasive Arten über haupt in die freie Wildbahn gelangen. Wer eine gebietsfremde Art in Umlauf bringt, ist verpflichtet, sicherzustellen, dass sie keinen Schaden anrichtet. Geschieht dies dennoch, so gilt es, eine Invasion möglichst früh zu erkennen. Hat sich eine invasive Art bereits festgesetzt, muss sie systematisch bekämpft werden. Ein Massnahmenkatalog listet sowohl bestehende Aktivitäten wie auch zusätzlich als nötig erachtete Massnahmen auf, die vier Aufgabenbereiche umfassen: Einstufung: Ist eine bestimmte Art gesundheitsschädlich? Bedroht sie die Biodiversität? Kann sie wirtschaftliche Schäden anrichten? Sind wirksame Bekämpfungsmethoden verfügbar? Aufgrund wissenschaftlicher Abklärungen dieser Fragen erfolgt eine Einstufung hinsichtlich des invasiven Potenzials. Die niedrigste Gefahrenstufe gilt für Arten, von denen aufgrund ihrer Überlebensfähigkeit, Ausbreitung und Vermehrung sowie möglicher Wechselwirkungen mit anderen Arten anzunehmen ist, dass von ihnen kein Risiko ausgeht. Am anderen Ende der Skala finden sich die Arten mit dem grössten Schadenspotenzial, welche Menschen und Güter bedrohen und die biologische Vielfalt stark beeinträchtigen können. Je nach Einstufung wird der Handlungsbedarf definiert: Bei eher harmlosen Arten reicht ein vorschriftsgemässer Umgang, bei anderen ist dafür zu sorgen, dass sie keine schützenswerten Lebensräume besiedeln können. Bei Risikoarten wird eine vollständige Tilgung aller Vorkommen angestrebt. Ist dies mit vertretbarem Aufwand nicht möglich, muss verhindert werden, dass sie sich in neue Gebiete ausbreiten. Rechtliche Rahmenbedingungen: Handlungsbedarf besteht auch bezüglich der rechtlichen Grundlagen. So regeln die heute gültigen Gesetze im Umweltbereich meist nur den beabsichtigten Umgang mit Organismen beziehungsweise die aktive Aussetzung und Haltung. Schadenstiftende Arten werden aber oft ungewollt eingeschleppt. «Wir prüfen auch weiter- gehende Instrumente wie beispielsweise eine Melde- und Bekämpfungspflicht für ausgewählte Arten oder verstärkte Kontrollen», erklärt Gian-Reto Walther. Koordiniertes Handeln: Um Doppelspurigkeiten, Lücken und Wirkungsdefizite zu vermeiden, haben insbesondere die Kantone den Wunsch nach einer besseren nationalen Koordination geäussert. Die Strategie erfüllt dieses Anliegen, indem sie für alle Massnahmen die Abläufe definiert und die zuständigen Gremien vorschlägt. Dabei baut man auf Bestehendem auf. Für die Erarbeitung von nationalen Vorgaben ist der Bund zuständig, für den Vollzug sind es die Kantone.  Internationale Verpflichtungen: Eine nationale Strategie muss im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen stehen und somit auf die Aktivitäten in den Nachbarstaaten abgestimmt sein. 

NeozythenGrafik

Die Vorbeugung zahlt sich aus

All das ist nicht gratis. Für sofort umsetzbare Massnahmen wird der Bund mittelfristig jährlich 5 Millionen Franken aufwenden müssen, etwa gleich viel wie die Kantone. Noch keine Schätzungen gibt es bezüglich der Kosten von Massnahmen, für die eine Anpassung der Rechtsgrundlagen erforderlich ist. Mit diesem Geld lassen sich böse Überraschungen und damit viel höhere Folgekosten vermeiden. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat in einer Gefährdungsanalyse abgeschätzt, was eine unkontrollierte Ausbreitung des Schmalblättrigen Greiskrauts kosten würde. Die Pflanze aus Südafrika ist für Menschen und Weidetiere giftig. Derzeit gedeiht sie in der Schweiz an Strassenrändern, auf Böschungen und Brachen. Im Rahmen der nationalen Gefährdungsanalyse haben Fachleute untersucht, welche Folgen eine denkbare Massenausbreitung auf Agrar- und Weideflächen hätte. Stark befallenes Grasland könnte nicht mehr beweidet werden, und Vergiftungsfälle bei Nutztieren wären nicht ausgeschlossen. Allenfalls wären Milch- und Fleischprodukte sowie Honig auf mögliche Rückstände des Greiskrauts zu prüfen und ein aufwendiges Bekämpfungsprogramm zu lancieren. Bis man die Situation in einem solchen Ausnahmefall wieder im Griff hätte, könnten Kosten im Umfang von rund 1 Milliarde Franken anfallen. Die Umsetzung der Massnahmen, wie sie die Strategie zu invasiven gebietsfremden Arten vorsieht, soll dafür sorgen, dass ein solches Szenario in der Schweiz nicht Realität wird.

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Letzte Änderung 23.11.2016

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