19.05.2022 – Wildbienen produzieren zwar keinen Honig, sind aber enorm fleissige und unersetzliche Bestäuber von Wild- und Kulturpflanzen. Über 600 Arten leben in der Schweiz, doch ihre Bestände nehmen massiv ab: Den Insekten mangelt es an Nahrung und Nistressourcen. Die Wildbienen sind dringend auf unsere Unterstützung angewiesen.
Wer sind die Wildbienen?
Über die Wildbienen hört man die wildesten Geschichten: Mal sollen sie die letzten noch lebenden Urahnen der Honigbiene sein, mal Abkömmlinge von geflüchteten Honigbienen. Als gäbe es nur eine einzige Bienenart – mit versprengter Familie.
Dabei sind neben der Westlichen Honigbiene (Apis mellifera) weltweit über 16‘000 Bienenarten beschrieben, wovon 615 auch in der Schweiz vorkommen. Dieser Artenreichtum geht oft vergessen, vielleicht, weil die Wildbienen keinen Honig produzieren und nicht so auffällig in Erscheinung treten wie die staatsbildende Honigbiene. Die meisten Wildbienen leben als Einzelbrüter. Sie werden nur vier bis sechs Wochen alt, bauen in dieser Zeit ein Nest und versorgen ihre Larven.
Über ein Drittel der Bienenarten der Schweiz sind eng an bestimmte Pflanzen gebunden: Sie sammeln den Pollen ausschliesslich von einer Pflanzenart, -gattung oder -familie und können also nur dort existieren, wo ihnen solche Blüten reichlich zur Verfügung stehen.
Neben Futter in ausreichend grossen Mengen brauchen die Wildbienen geeignete Kleinstrukturen für ihre Nester. Je nach Art wird in selbstgegrabenen Gängen im Boden, in vorhandenen Hohlräumen, in Totholz, Pflanzenstängeln oder in verlassenen Schneckengehäusen genistet; einige Arten bauen ihre Nester aus mineralischem Mörtel oder Pflanzenharz an Steine oder Pflanzen an.
Nist- und Futterplatz müssen nahe beieinander liegen, damit die Bienen überleben können. Denn die meisten Wildbienen fliegen maximal 300 Meter weit – das aber bis zu 50 Mal am Tag. Eigentlich könnten sie viel weiter fliegen. Dann aber bleibt ihnen zu wenig Zeit, um ausreichend Nahrung für den Nachwuchs zu beschaffen.
Zu wenig Futter, zu wenige Nistplätze, zu viele Gifte
Die fortschreitende Zersiedelung der Landschaft verbunden mit einer vielfach monotonen Gestaltung von Gebäuden, Infrastrukturen und Umschwung sowie die intensive Landwirtschaft machen den Bienen das Überleben schwer. In den stark gedüngten Wiesen und Monokulturen finden sie zu wenig Nahrung; auch mangelt es an ungenutzten Randflächen, offenen Bodenstellen, Hecken, Steinhaufen etc., wo sich die Bienen einen Nistplatz einrichten können.
Schliesslich werden viele Bienen (und weitere Insekten) von Breitband-Insektiziden und anderen Pestiziden getötet, die in der Landwirtschaft weit verbreitet und punktuell auch in Privatgärten oder Gemeinden eingesetzt werden. Studien haben gezeigt, dass diese Gifte die Fortpflanzung, das Immunsystem und die Gehirnentwicklung der Honigbienen nachweislich negativ beeinträchtigen.
Der Lebensraum und die Nahrungsquellen werden nicht erst heute zerstört; Insektizide sind nicht erst seit gestern im Einsatz. Nein, wir blicken auf eine lange, für die Bienen lebensbedrohliche Entwicklung zurück. Die Bienenbestände in der Schweiz gehen seit den 1960er Jahren massiv zurück und bereits 1994 kam die „Rote Liste der gefährdeten Bienen der Schweiz“ zum Schluss, dass 45 Prozent unserer Bienenarten gefährdet sind. Seither hat sich die Situation weiter verschlechtert, wie die Erhebungen im Rahmen der neuen Roten Liste bereits heute zeigen (Publikation 2022 geplant).
In der Schweiz sind 21‘176 Insektenarten bekannt. Damit machen die Insekten über die Hälfte aller nachgewiesenen Arten (Tiere, Pflanzen und Pilze) unseres Landes aus. Für die Umwelt und für uns Menschen sind die Insekten eminent wichtig. Sie tragen zur Bodenfruchtbarkeit bei, bestäuben Wild- und Nutzpflanzen, halten Schädlinge in Schach und sind die Basis der Ernährungspyramide.
So ernährt sich rund die Hälfte unserer Vogelarten von Insekten und fast alle Vögel brauchen Insekten zur Aufzucht der Jungen. Es erstaunt deshalb nicht, dass in den letzten 20 Jahren parallel zum Insektenschwund der Bestand von insektenfressenden Vogelarten um 60 Prozent abgenommen hat.
Blühende Wiesen und vitaminreiche Teller
Dieser negative Trend muss nicht nur gestoppt, sondern umgedreht werden. Und zwar rasch. Denn wir brauchen die Wildbienen: 80 Prozent unserer wilden Blütenpflanzen und drei Viertel der weltweit meistgehandelten Nahrungspflanzen werden von Bienen, Schwebfliegen und Käfern bestäubt. Ohne sie gäbe es keine blühenden Obstbäume und keine bunten Blumenwiesen.
Wir müssten uns mit einer monotonen, vitaminarmen Nahrung begnügen – weitgehend ohne Früchte, Beeren und Gemüse; auch Schokolade, Kaffee und Tee fehlten. Und die Baumwolle als wichtigster Kleidungsrohstoff würde ebenso wegfallen.
Lange hielt man die Honigbiene für den wichtigsten Bestäuber. Die Forschung zeigt uns, dass die Wildbienen in vielen Fällen effizienter bestäuben. Weiter wissen wir heute, dass die Bestäubung und folglich die Ernte am erfolgreichsten sind, wenn die Kulturen von vielen Bienenarten besucht werden. Denn die Arten ergänzen sich in ihren Leistungen: Sie fliegen zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten, sind bei verschiedenen Wetterbedingungen aktiv und gehen bei der Nahrungssuche unterschiedlich vor.
Schliesslich spielt auch die Anatomie eine Rolle: Bohnen zum Beispiel werden nur durch langrüsselige Insekten wie z.B. Gartenhummeln bestäubt. So hat jede Bienenart ihre Funktion und Aufgabe und kann nicht einfach durch eine andere ersetzt werden.
Jeder kann etwas für die Bienen tun
Ob im eigenen Garten, rund ums Vereinslokal oder auf dem Firmengelände – überall lassen sich Naturflächen mit einheimischen Blütenpflanzen und Nistmöglichkeiten für die Bienen schaffen. Selbst auf einem kleinen Balkon kann man ihnen mit nektarreichen Kräutern und Wildblumen Nahrung bieten. Potenzielle Niststrukturen sind beispielsweise Pflanzenstängel, Stein- und Asthaufen, offene Bodenflächen, sandige Stellen oder unversiegelte Naturwege.
Die Angebote werden von vielen Arten genutzt: In naturnahen Gärten des Mittellands wurden schon über 100 Bienenarten beobachtet. Und von blüten- und strukturreichen Naturflächen profitieren viele weitere Insekten.
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Letzte Änderung 16.05.2019