Zu viele Honigbienen in den Städten

Die städtische Imkerei boomt. Doch laut einer Studie der Forschungsanstalt WSL sind die Honigbienenstöcke in Schweizer Städten nicht unproblematisch. Die Imkerei kann negative Folgen für Wildbienen und andere Bestäuber haben.

Text: Annegret Mathari

Eine Bienenzucht auf einem Dach in Zürich. Werden die Tiere hier genügend Nahrung finden – ohne andere Bestäuber wie Wildbienen zu verdrängen?
© GAETAN BALLY | Keystone

Die städtische Bienenzucht ist beliebt: Sie nahm in den vergangenen Jahren in vielen europäischen und Schweizer Städten zu. Welche Folgen dieses Wachstum hat, untersuchten Marco Moretti und Joan Casanelles-Abella, Biologen an der Eidgenössischen Forschungs­anstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Sie zählten die Bienenstöcke in 14 Schweizer Städten und verglichen deren Nahrungsbedarf mit dem lokalen Blütenangebot. Dabei stellten sie fest, dass sich die Bienenstöcke in den untersuchten Städten zwischen 2012 und 2018 verdoppelt hatten, nämlich von 3139 auf 6370. «Wir waren überrascht, dass die Anzahl innert sechs Jahren so stark anstieg», sagt Casanelles-Abella. In Zürich etwa verdoppelte sie sich auf 1200 Bienenstöcke und in Lausanne stieg sie von 190 auf 455. Die beiden Forscher vermuten, dass die Menschen mit der Imkerei teilweise etwas gegen die Biodiversitätskrise unternehmen möchten. Denn Honigbienen würden oft als Schlüsselbestäuber wahrgenommen, schreiben die beiden Wissenschaftler in ihrer Anfang Jahr veröffentlichten Studie.

Zu wenig Blüten

Das Problem: Das Blütenangebot in den untersuchten Städten konnte nicht mit der grösseren Anzahl an Bienenkolonien mithalten, weil urbane Grünflächen wie Gärten und Hecken und damit verbunden das Angebot an Blüten nicht ebenso zunahmen. «In keiner der untersuchten Städte war die Imkerei ökologisch nachhaltig, weder 2012 noch 2018», sagt Marco Moretti. Vor allem Lugano, Zürich und Luzern hatten eine stark negative Bilanz.Es handelt sich um die erste Untersuchung in der Schweiz über die ökologische Tragbarkeit der städtischen Imkerei, und – neben London – um die zweite weltweit. Für ihre Studie hatten Moretti und Casanelles-Abella die Städte in Felder von einem Quadratkilometer unterteilt und jedes Jahr die Anzahl Bienenstöcke pro Feld gezählt. Zahlen zur städtischen Imkerei erhielten sie von den kantonalen Veterinärämtern – in der Schweiz müssen Bienenstöcke registriert werden. Daten zu Grünflächen bezogen sie über eine satelliten­gestützte Landkarte mit einer Auflösung von 10 Metern.Die beiden Forscher warnen vor einer weiteren Zunahme städtischer Bienenstöcke. Wenn die urbanen Grünflächen und damit das Blütenangebot nicht im selben Tempo vergrössert würden, stelle dies in naher Zukunft ein herausforderndes Szenario nicht nur für die Honigbienen dar, sondern gefährde insbesondere auch andere Bestäuber wie die Wildbienen, welche schon heute unter starkem Druck stehen. Moretti weist darauf hin, dass in einem einzigen Bienenstock 30 000 bis 50 000 Bienen leben. Wenn diese gleichzeitig nach Nahrung suchen und das Angebot an Blüten gering ist, besteht die Gefahr, dass sie Wildbienen verdrängen. Und Casanelles-Abella führt aus: «Viele Menschen wissen nicht, dass Honigbienen und Wildbienen um Blüten konkurrieren, oder sie wissen nicht, dass es viele Wildbienenarten gibt, gut 600 allein in der Schweiz.»

Unersetzliche Bestäuber

Wildbienen produzieren keinen Honig, sie sind jedoch als Bestäuber von Wild- und Kulturpflanzen unersetzlich. Lange galt die Honigbiene als der wichtigste Bestäuber. Inzwischen weiss man jedoch, dass Wildbienen in vielen Fällen wirksamer bestäuben. Zudem sind die Bestäubung und damit die Ernte am erfolgreichsten, wenn die Kulturen von vielen verschiedenen Bienen­arten besucht werden. Neben der Westlichen Honigbiene (apis melli­fera) sind weltweit mehr als 16 000 Bienenarten bekannt. Die Bestände nehmen jedoch auch in der Schweiz stark ab, weil es ihnen an Nahrung und Nistmöglichkeiten fehlt. Zum Rückgang der Wildbienenarten trug in den vergangenen 50 Jahren die intensive Landwirtschaft mit einem hohen Pestizideinsatz und hohen Stickstoffemissionen bei.

Wie wichtig die Wildbienen für den Menschen sind, zeigt die Tatsache, dass 80 Prozent unserer wilden Blütenpflanzen und drei Viertel der weltweit meistgehandelten Nahrungspflanzen von Bienen, Schwebfliege und Käfern bestäubt werden. Bis zu 479 Millionen Franken direkten Nutzen erzielt die Blütenbestäubung durch Bienen jährlich nach Angaben des BAFU. Unsere Nahrung wäre ohne Bestäubung vitaminarm – weitgehend ohne Früchte, Beeren und Gemüse.

Fehlende Regulierung

Nun ist die städtische Honigbienenzucht noch relativ neu. In der Schweiz handelt es sich dabei vor allem um eine Freizeitbeschäftigung ohne wesentliche kommerzielle Interessen. Die einzelnen Imkerinnen und Imker haben meist nur wenige Bienenstöcke, aber die Summe dieser einzelnen Stöcke macht es aus. Es fehle eine Regulierung im Hinblick auf tragbare Dichten der Kolonien, schreiben darum die beiden WSL-Forscher in ihrer Studie.

Eine Möglichkeit, für eine nachhaltigere urbane Bienenhaltung zu sorgen und damit die Wildbienen zu schützen, sieht Casanelles-Abella in Imkerei-Vereinen, wie es sie in vielen Regionen der Schweiz bereits gibt. Solche Vereine könnten künftige Imkerinnen und Imker für das Thema sensibilisieren und beraten. So sollten Personen, die in der Stadt eine Bienenhaltung starten wollten, beispielsweise wissen, wie viele Bienenstöcke es in der Umgebung bereits gibt. Auch aus Sicht des BAFU ist eine Sensibilisierung zur Bienenhaltung in Städten wünschens­wert. «Es ist auch im Interesse der Imker, dass die Dichte der Bienenstöcke nicht zu gross ist, um eine Übertragung von Parasiten und Pathogenen zu vermeiden», sagt Debora Zaugg vom BAFU.

Casanelles-Abella plädiert dafür, dass obligatorische Mindestabstände zwischen den Honigbienenkolonien eingehalten werden. Auch Karten zu den Orten, wo sich Wildbienen in den Städten aufhalten, wären laut den Wissenschaftlern nützlich. Damit wüsste man, wo Wildbienen geschützt werden sollen, um den Stress – hervorgerufen durch die Konkurrenz zu Honigbienen – zu verringern. Zudem sollten Imkerinnen und Imker dafür verantwortlich sein, dass ausreichend Blüten vorhanden sind, und wenn nötig zusätzliche Blumen anpflanzen. Denn die Bienenhaltung sei eine Tierzucht, betont Casanelles-Abella. Die Forscher der WSL könnten sich beispielsweise die Schaffung eines Labels für Honigproduzenten vorstellen, die sich für den Umweltschutz einsetzen.

Schutz von Grünräumen

An zahlreichen Orten können Naturflächen mit einheimischen Blütenpflanzen und Nistmöglichkeiten für Wildbienen geschaffen werden, etwa im eigenen Garten, um das Vereinslokal oder auf dem Firmengelände. Mögliche Niststrukturen bieten auch unversiegelte Naturwege und sandige Stellen. Im Mittelland wurden in naturnahen Gärten mehr als 100 Bienenarten beobachtet. Auch in Zürich besteht laut einer weiteren, im Mai 2021 veröffentlichten WSL-Studie mit 195 Arten eine breite Vielfalt von Wildbienen. Sie treten dort jedoch in geringer Anzahl und nur an einzelnen Orten auf. Nur eine Minderheit der Arten kommt in der ganzen Stadt vor. Die Autoren, zu denen auch Casanelles-Abella und Moretti zählen, sprechen von Cold und Hot Spots der Wildbienenartenvielfalt. Die höchste Vielfalt (Hot Spots) wurde in Gärten und Brachflächen beobachtet. Für das BAFU ist es wichtig, dass die Städte biodivers bleiben, wie Debora Zaugg hervorhebt. Das Bundesamt setzt sich daher für naturnahe urbane Räume ein. Laut den Autoren der Studie führen eine weniger intensive Bearbeitung von Grünflächen etwa durch Mähen sowie ein ausgeprägter Reichtum an Blumenarten zu einer grösseren Anzahl und Dichte von Wildbienen. Der Schutz solcher Grünflächen sollte daher eine Priorität sein. Ausserdem wirken sich naturnahe Lebensräume auch positiv auf die Lebensqualität der Menschen in städtischen Siedlungen aus (siehe Box).

Steckbrief: Schweizer Wildbienen

Im Gegensatz zu der staatenbildenden Honigbiene sind die meisten Wildbienenarten Einzelbrüter. Sie werden vier bis sechs Wochen alt, bauen in dieser Zeit ein Nest und versorgen ihre Larven. Mehr als ein Drittel der Wildbienenarten in der Schweiz sammeln ausschliesslich von einer Pflanzenart oder -gattung Pollen. Sie können also nur dort leben, wo ihnen entsprechende Blüten zur Verfügung stehen. Dabei ergänzen sich die Wildbienenarten: Sie fliegen zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten und sind bei verschiedenen Wetterbedingungen aktiv. Für ihre Nester brauchen Wildbienen geeignete Kleinstrukturen. Je nach Art nisten sie in selbst gegrabenen Gängen im Boden, in Hohlräumen, in Totholz, Pflanzenstängeln oder verlassenen Schneckenhäusern. Damit die Wildbienen überleben können, müssen Nist- und Futterplätze zudem nahe beieinanderliegen. Denn die meisten Wildbienen fliegen höchstens 300 Meter weit. Sie könnten zwar weiter fliegen, hätten dann jedoch zu wenig Zeit, um ihren Nachwuchs mit Nahrung zu versorgen. Dagegen sind Honigbienen mobiler, sie entfernen sich bis zu 5 Kilometern von ihrer Kolonie.

BiodiverCity: Lebensqualität dank Vielfalt

Wichtig zu wissen: Wenn wir uns dafür einsetzen, die Biodiversität zu erhalten, schützen wir damit nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch uns Menschen. Denn die Vielfalt an Tieren, Pflanzen und Lebensräumen sowie ihr Zusammenspiel bilden unsere Lebensgrundlage. 

Zu den materiellen Beiträgen der Natur für den Menschen zählt der Weltbio­diversitätsrat IPBES neben der Produktion von Nahrungsmitteln auch regulierende Funktionen wie Bestäubung und Wasserreinigung. Sie sind Teil der Ökosystemleistungen, welche die Natur auch in den Städten erbringt. Zudem bieten Natur und Landschaft den Menschen nicht-materielle Beiträge wie 
eine hohe Lebensqualität. Sie sorgen für mehr Gesundheit und Erholung, stärken die Identität der Bevölkerung und den Wirtschaftsstandort. Innerhalb von Siedlungsgebieten sind Freiräume wichtige Treffpunkte, sie fördern den sozialen Austausch.

Schon heute leben 85 Prozent der Schweizer Bevölkerung in Gebieten mit städtischem Charakter. Die urbane Bevölkerung schätzt eine hohe Biodiversität im Siedlungsraum. Eine vielfältige und abwechslungsreiche Vegetation ist ästhetisch, fördert das Wohlbefinden und damit die Lebensqualität der Betrachterinnen und Betrachter ebenso wie die Biodiversität. Dies belegt eine Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. So beeinflusst etwa eine grosse Vielfalt an Bäumen und Büschen den Artenreichtum und die Artenzusammensetzung der Vögel positiv.

Die begünstigende Wirkung von Grünflächen auf das Stadtklima ist mit Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels besonders relevant. So bieten Bäume Schatten und filtern Schadstoffe aus der Luft, ausserdem mildern Grünräume und Gebäudegrün extreme Hitze. Nicht versiegelte Flächen erlauben zudem, dass Regenwasser versickern kann. Grünflächen und begrünte Dächer speichern Wasser und entlasten damit die Kanalisation.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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