Gene Drive im Naturschutz: Büchse der Pandora oder Allheilmittel?

Die moderne Gentechnologie stellt für bestimmte Bereiche des Artenschutzes interessante Lösungsansätze in Aussicht. Es zeichnet sich allerdings ab, dass gentechnische Eingriffe auch in Zukunft wohl nur eine untergeordnete Rolle im Artenschutz spielen werden.

Text: Gregor Klaus

artikel-8
© AdobeStock

Amphibien sind die ältesten landlebenden Wirbeltiere der Erde. Heute sind sie in höchster Gefahr. Ihre Lebensräume sind grösstenteils zerstört, und der Klimawandel setzt ihnen zu. Seit den 1990er-Jahren hat sich das Amphibiensterben zudem nochmals deutlich beschleunigt. Ursache sind Chytrid-Pilze, die die Haut befallen und meist zum Tod der Tiere führen. Neusten Forschungsresultaten zufolge hat sich der Pilz von Korea aus mit dem Tierhandel über die ganze Welt verbreitet, wo er massenweise Populationen von Fröschen, Kröten und Lurchen dezimiert oder auslöscht. Weit über 100 vorwiegend tropische Arten sind mittlerweile komplett verschwunden. Damit handelt es sich vermutlich um den grössten Verlust von Wirbeltieren, den jemals eine einzelne Krankheit verursacht hat.

Gentech-Hilfe für Amphibien?

Die todbringende Pilzepidemie scheint kaum aufhaltbar. Auch in Europa haben die Pilze die kleinen und fragmentierten Amphibienpopulationen einbrechen lassen. Während Frösche in Terrarien mit Fungiziden behandelt werden können, ist der Schutz der Tiere in freier Wildbahn bisher nicht risikofrei gewährleistet. Rettung könnte in ­naher Zukunft aus einer überraschenden Ecke ­kommen: von der Gentechnologie mit ihren neusten Er­rungenschaften und Anwendungsmöglichkeiten.Sie präsentiert Verfahren, um dem Rückgang der biologischen Vielfalt beizukommen, die wie eine Bastelanleitung leicht umsetzbar erscheinen und dadurch enorm interessant wären. So auch in Bezug auf die tödlichen Chytrid-Pilze: Man nehme eine Genschere wie CRISPR/Cas, schneide diejenigen Gene aus dem Erbgut, die die Amphibien anfällig für die Pilze machen, oder setze gleich ein Resistenzgen ein, platziere eine Genscheren-­Fabrik im Genom, die die Mendelsche Vererbungslehre umgeht und dafür sorgt, dass alle nachkommenden Generationen diese Veränderung vererbt bekommen (ein sogenannter Gene Drive, siehe Grafik, Artikel «Potenzial mit schwer abschätzbaren Risiken»), produziere ein paar dieser Tiere und setze sie in der Natur aus – und schon wäre die Art, wenn auch genetisch verändert, gerettet, weil der Pilz ihr nichts mehr anhaben könnte.

Gene Drives lassen träumen

Bis Schritt «Produktion von ein paar Tieren» ist dies keine Science-Fiction; weltweit wird an Gene Drives und deren Anwendungen geforscht. Die Ideen zur Rettung der Biodiversität gehen den Biotech-Forschenden der modernen Gentechnologie nicht aus: Man könnte doch auf all den Inseln dieser Welt die eingeschleppten Ratten und Mäuse, die dort die endemischen Arten bedrohen, derart genetisch manipulieren, dass beispielsweise die Weibchen unfruchtbar werden und der Bestand ohne Einsatz von Gift und Fallen kollabiert. Oder Korallen und andere Organismen genetisch so stärken, dass sie mit dem Klimawandel zurechtkommen. Ebenfalls möglich wäre, in kleinen Populationen von bedrohten Arten mithilfe der Genschere die genetische Vielfalt zu erhöhen. Denkbar, aber nicht zielführend ist sogar, ausgestorbene Arten wiederzubeleben (siehe Box).

Das mag in den Ohren von Naturschützern, die seit 100 Jahren versuchen, die biologische Vielfalt zu erhalten, vielversprechend klingen. Die Naturschutz-Community nimmt die Techniken und Möglichkeiten interessiert zur Kenntnis, steht ihnen aber auch kritisch gegenüber. So haben 30 bekannte Naturschützer wie etwa Jane Goodall und Paul Watson 2016 dazu aufgerufen, poten­ziell gefährliche Technologien wie Gene Drive, die weder in Bezug auf ungewollte Konsequenzen noch auf ihre ethischen und sozialen Auswirkungen vollständig getestet wurden, nicht als Naturschutz-Instrument zu propagieren. Das Risiko des Selbstläufers liegt vor allem in einer möglichen Hybridisierung der veränderten Organismen mit anderen Arten. Und was, wenn die freigesetzten Ratten und Mäuse mit ihrem Gene Drive die Inseln verlassen und aufs Festland gelangen? Ganze Ökosysteme könnten damit aus den Fugen geraten, so die Befürchtung.

Einheitliche Richtlinien

Gernot Segelbacher, Co-Vorsitzender der «Conservation Genetics Specialist Group» der Weltnaturschutzorganisation IUCN und Professor für Wildtierökologie an der Universität Freiburg (D), findet den Aufruf von Jane Goodall und Paul Watson gut und wichtig, plädiert aber auch dafür, die Gefahren von Gene Drive nicht zu dramatisieren und Berührungsängste abzubauen. Es sei nun wichtig, einheitliche Richtlinien auszuarbeiten und kontrollierte Experimente in einem geschützten Umfeld durchzuführen, um Erfahrungen zu sammeln und Risiken und Chancen abschätzen zu können. Noch sei technisch nicht alles sattelfest. So operiert die natürliche Selektion gegen die Gene Drives. «Mit ersten naturschutzrelevanten Freisetzungsexperimenten ist frühestens in 10 Jahren zu rechnen», hält Segelbacher fest.

Um Berührungsängste der Naturschützer und das ungestüme Vorgehen der modernen Gentechnologie zu kanalisieren, müsse man sich gemeinsam an einen Tisch setzen, fordert Gernot Segelbacher. Die IUCN hat bereits eine Task Force einberufen, die sich intensiv mit CRISPR und Gene Drives befasst. Ziel ist es, Naturschutz und Gentechnologie unter einen Hut zu bringen. Dennoch glaubt Segelbacher, dass Gene Drive auch bei erfolgreichen Experimenten und Feldversuchen nicht mehr als eine Randerscheinung im Naturschutz sein wird. Kerngeschäft sei auch in Zukunft der Schutz der Lebensräume, deren Vernetzung und damit die Förderung der darin lebenden Arten.

Vom Labor in die Natur

Benedikt Schmidt von der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch) ist gegenüber Heilsversprechungen grundsätzlich skeptisch. «Es ist ein grosser Schritt vom Labor in die Natur. Was im Labor funktioniert, geht in einer komplexen Umwelt nicht unbedingt.» Forschende der Gentechnologie würden bei der Präsentation ihrer Lösungsansätze die Wechselwirkungen, die ein Ökosystem ausmachen, einfach ausblenden. «Gerade Wirt-Parasit-Beziehungen sind auf genetischer Ebene höchst dynamisch», so der Evolutionsbiologe. «Gene Drive ist eine statische Lösung, gegen die die Krankheitserreger schnell Resistenzen entwickeln werden.»

Schmidt sieht auch ganz praktische Probleme. Angenommen, man hätte einen Feuersalamander geschaffen, der gegen die Chytrid-Pilze resistent sei. Was dann? Es müssten Hunderttausende von Tieren gezüchtet und mit Lastwagen quer durch Europa transportiert und ausgesetzt werden, um alle Populationen zu immunisieren. Das sei ein gewaltiger logistischer Aufwand, der weit grösser sei als die Schaffung eines resistenten Salamanders, so Schmidt.

Ganzes Set an Bedrohungen

Viel wichtiger sei es, den Amphibien bessere und vor allem mehr Laichgewässer und intakte feuchte Landlebensräume zur Verfügung zu stellen. Denn Amphibien würden mit einem ganzen Set von Bedrohungsfaktoren konfrontiert. Bereits die Verbesserung eines Faktors könne die Widerstandskraft einer Population gegen den Pilz deutlich stärken. In den USA haben sich beispielsweise Amphibienpopulationen trotz Bedrohung durch die Chytridpilze erholt, nachdem standortfremde Fische eliminiert worden waren, die den Laich der Amphibien oder Jungtiere fressen. Kommt hinzu, dass Forscher vor Kurzem festgestellt haben, dass sich einige Amphibienpopulationen in Lateinamerika wieder positiv entwickeln und dass dafür offenbar eine zunehmende Resistenz dieser Arten gegen die Pilze verantwortlich ist. In vielen Fällen dürfte die Natur schlichtweg schneller sein.

Dennoch erkennt Benedikt Schmidt auch Chancen in der Gentechnik. Sinnvoll findet er allenfalls einen Eingriff in das Genom extrem seltener und bedrohter Arten, beispielsweise beim Lanzas Alpensalamander, der nur in Norditalien auf wenigen Quadratkilometern vorkommt. Ein Pilzbefall könnte die Art ausrotten. Doch insgesamt sei der Mehrwert der genetischen Manipulation für den Schutz der Biodiversität marginal, findet Schmidt. Auch beim Bund sieht man das so – in der aktuellen Strategie Biodiversität Schweiz spielen Eingriffe mittels Gentechnik grundsätzlich keine Rolle und kämen höchstens als Ultima Ratio infrage.

Kehrt das Mammut zurück?

Seit Jahrzehnten arbeiten Forschende an der Auferstehung des Mammuts, das vor rund 4000 Jahren ausgestorben ist. Schwedischen Forschern ist es nun gelungen, das Erbgut zweier Mammute komplett zu entschlüsseln. Einmal entschlüsselt, könnte mit einer Genschere wie CRISPR/Cas das Erbgut von nahen, noch lebenden Verwandten gemäss dem Mammut-Bauplan umgeschrieben werden. Was sich einfach anhört, ist praktisch undurchführbar: Denn das Erbgut des Mammuts unterscheidet sich von demjenigen des Indischen Elefanten in ein paar Millionen Positionen. Forschende beschränken sich deshalb darauf, besonders mammuttypische Merkmale wie das zottige Fell und die Anlage für wärmespeicherndes Fett hervorzubringen. «Ein Mammut wird das rudimentäre Mischwesen mit zweifelhafter genetischer Identität deshalb nie werden», sagt Hans Romang, Chef der Abteilung Arten, Ökosysteme, Landschaften beim BAFU, und fügt an: «Die Forschungserfolge sind beeindruckend. Mit Blick auf den Rückgang der Arten weltweit vergessen wir aber bitte nicht: Unsere Arten brauchen Raum zum Leben – Artenförderung ist Lebensraumförderung, nicht Wiederbelebung.»

 

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 29.05.2019

Zum Seitenanfang

https://www.bafu.admin.ch/content/bafu/de/home/themen/biotechnologie/dossiers/magazin2019-2-dossier/buechse-der-pandora-oder-allheilmittel.html