Konferenz Eurosoil: Grosse Bühne für ein vernachlässigtes Thema

Im August 2020 hätte in Genf die von der Schweiz organisierte internationale Boden-Konferenz Eurosoil stattfinden sollen. Elena Havlicek von der BAFU-Sektion Boden gehört zum Organisationskomitee. Im Interview spricht sie darüber, warum der Boden von Politik und Bevölkerung zu wenig Aufmerksamkeit erhält und welche Herausforderungen der Bodenschutz mit sich bringt.

Interview: Zélie Schaller

Elena Havlicek
Elena Havlicek verfolgte und koordinierte nach dem Studium der Meeresbiologie und einem Doktorat in Bodenkunde an der Universität Neuenburg interdisziplinäre Forschungsprojekte in den Bereichen Ökologie, Archäologie und Soziologie. Sie lehrte Ökologie und Bodenwissenschaften an den Hochschulen in Neuenburg und Lausanne sowie an der Fachhochschule in Genf. Seit 2008 ist sie beim BAFU unter anderem für die internationale Bodenpolitik zuständig, leitet die Europäische Bodenpartnerschaft und hat einen Lehrauftrag an der Universität Neuenburg. Die dreifache Mutter lebt mit ihrem Partner in der Region Neuenburg und ist seit Kurzem auch Grossmutter.
© Flurin Bertschinger | Ex-Press | BAFU

Verschmutzung, Entwaldung, Intensivkulturen und Verstädterung laugen die Böden aus, verursachen Artensterben und beeinträchtigen die Lebensmittelproduktion sowie die Wasserqualität. Lassen sich diese Schäden überhaupt wieder rückgängig machen?

Elena Havlicek: Zum Teil gibt es einfache Techniken, um bestehende Probleme der Bodendegradation zu beheben. So verringert beispielsweise eine Gründüngung zwischen zwei Anbaukulturen die Erosion, die Auswaschung von Nährstoffen und die Austrocknung. Eine weitere Lösung ist die Phytoremediation: Gewisse Pflanzen können Schwermetalle in grossen Mengen aufnehmen und den Boden so entgiften. Jede Renaturierung benötigt aber ihre Zeit. Nach menschlichen Zeitmassstäben gehört der Boden zu den nicht erneuerbaren Ressourcen. Deshalb müssen wir ihm Sorge tragen.


Video-Interview mit Elena Havlicek über die Absage der Konferenz Eurosoil 2020

Interview auf französisch mit deutschen Untertiteln.


Die Wissenschaft schlägt laufend Alarm. Weshalb wird das Problem nicht auch ausserhalb von Fachkreisen diskutiert?

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich eine fachlich fundierte Bodenkunde entwickelt. Wir verfügen aber noch immer über zu wenig Daten zum Thema. Ohne gute Grundlagen ist die Kommunikation zu den wichtigen Funktionen der Böden schwierig. Überdies wecken die Lebewesen im Boden kaum Empathie. Nur wenige Leute haben etwa eine emotionale Bindung zu Regenwürmern – es ist schwieriger, sich für sie einzusetzen als etwa für Wale oder Delfine.

Dennoch ist der Boden von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft. Warum setzen sich Politik und Zivilgesellschaft nicht vertieft mit dem Problem auseinander?

Im Gegensatz zu anderen Umweltbelastungen äussert sich die Überbeanspruchung der Böden kaum sichtbar. Ausserdem hat die Problematik erst spät den Weg in die Medien gefunden. Glücklicherweise wird sie heute öfters thematisiert. Aber nicht nur die Landwirtschaft ist gefordert, sondern auch Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Entscheide in der Raumplanung, bei der Ernährung oder beim Bauen haben langfristige Folgen für unsere Böden.

Ist die Eurosoil-Konferenz ein Mittel, um dieses vernachlässigte Thema in den Mittelpunkt zu rücken?

Das Hauptziel ist ein Wissensaustausch unter Fachleuten. Tatsächlich möchten wir jedoch auch die Aufmerksamkeit der Medien auf die vielfältigen Leistungen der Böden und ihren Wert lenken. Bei der Veranstaltung werden neue Ergebnisse und Fortschritte der angewandten Pedologie – also der Bodenkunde – vorgestellt. Auf dem Programm stehen Präsentationen, Workshops und Feldbegehungen.

Das Symposium versteht sich als interdisziplinär. Welche Akteure und Bereiche werden vertreten sein?

Erwartet werden bis zu 1500 Teilnehmende, namentlich aus den Bereichen Pedologie, Biologie, Physik, Architektur, Städteplanung, Agrarwissenschaft und Politik. In verschiedenen Fachbereichen ist der Boden ein entscheidendes Element. Er spielt eine land- und forstwirtschaftliche Rolle und trägt auch zum Kampf gegen den Klimawandel bei.

Dem Namen nach ist Eurosoil eine europäische Konferenz. Kommen aussereuropäische Referentinnen und Referenten trotzdem zu Wort?

Ja – Fachleute aus Entwicklungsländern erhalten finanzielle Unterstützung, damit sie teilnehmen können. Die Bodenproblematik ist ein global relevantes Thema. Das Ziel für die nachhaltige Entwicklung 15.3 der UN-Agenda 2030 ist vor allem die Linderung und Regeneration von Landdegradierungsprozessen auf dem ganzen Planeten. Die Schweiz importiert etwa 50 Prozent ihrer Lebensmittel und ist somit von ausländischem Boden abhängig. Auch wenn der Boden ein nationales Gut ist, sind seine Funktionen grenzüberschreitend. Wir müssen alle an einem Strang ziehen.

Thema der Veranstaltung ist die Verbindung zwischen Mensch und Boden. Wie lässt sich diese stärken?

Es gibt drei prioritäre Aktionsbereiche: Kommunikation, Koordination und Kooperation. Dabei geht es darum, Erkenntnisse zu verbreiten und Studien voranzutreiben, indem wir Projekte koordinieren und Ziele definieren. Danach muss die Wissenschaft mit den Endnutzern zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist das Waadtländer Projekt Progrès Sol. 30 Bauernbetriebe erarbeiten gemeinsam mit Fachleuten aus den Bereichen Bodenkunde und Agronomie Methoden zur Strukturverbesserung der Anbauflächen und zur Eindämmung der Bodenbelastung. Angeboten wird das Programm vom Amt für Landwirtschaft des Kantons Waadt und der kantonalen Generaldirektion für Umwelt in Zusammenarbeit mit der Waadtländer Landwirtschaftsorganisation Prométerre und mit Unterstützung des Bundesamtes für Landwirtschaft.

Welche Massnahmen drängen sich in der Schweiz auf?

Es müssen dringend Daten erhoben werden. Derzeit sind nur 17 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Böden kartiert. Über den Bodenzustand sind noch immer keine systematischen Informationen verfügbar. Allerdings stellen gesunde Böden die Grundlage dar für eine gesicherte Lebensmittelproduktion und für die Bewältigung der unter anderem durch die Klimaerwärmung bedingten Herausforderungen. Im Sommer 2019 wurde das Kompetenzzentrum Boden geschaffen, um sowohl quantitativ wie auch qualitativ relevante Daten zu generieren. Unterstützt wird es von den Bundesämtern für Umwelt (BAFU), Landwirtschaft (BLW) und Raumentwicklung (ARE), und ab 2021 soll es voll einsatzfähig sein. Als unabhängiges Organ ist es ein Gewinn für die Landwirtschaft, die Raumplanung und den Hochwasserschutz.

Was unternimmt das BAFU für den Bodenschutz?

Es beteiligt sich am Aufbau des Kompetenzzentrums, hat eine nationale Bodenstrategie entwickelt und unterstützt die Kantone im Vollzug des Bodenschutzes. So arbeitet das BAFU an der Revision einer Vollzugshilfe zum Bodenschutz beim Bauen. In diesem Bereich hat sich die Technik in den letzten 15 Jahren stark weiterentwickelt. Ausserdem erarbeitet das BAFU Daten zum biologischen Zustand der Böden. Auf internationaler Ebene beteiligen wir uns in Kommissionen und kooperieren mit der Europäischen Umweltagentur.

Und was können die Bürgerinnen und Bürger tun?

Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger die parlamentarischen Debatten verfolgen, damit sie Politikerinnen und Politiker wählen können, die sich für den Bodenschutz einsetzen. Im Alltag sollten Personen, die ein Stück Land besitzen, auf Pflanzenschutzmittel verzichten, denn Kleingärten sind von der Schadstoffbelastung am stärksten betroffen. Die Stadtbevölkerung muss akzeptieren, dass Parks nicht immer unkrautfrei und Rasenflächen kurz geschnitten sind. Und man sollte weniger Plastikmaterial verwenden und dieses entweder einer Wiederverwertung zuführen oder im Abfalleimer entsorgen, denn Plastikteilchen landen auch im Boden, nicht nur im Meer.

Manchmal sammeln Schulklassen Plastikabfälle im Wald auf. Muss Bodenschutz in der Schule unterrichtet werden?

Ja, und zwar auf allen Klassenstufen. Lehrerinnen und Lehrer können insbesondere das vom BAFU entwickelte Lernangebot «Bodenreise.ch – unterirdisch unterwegs» einsetzen. Welche Tiere leben im Boden? Welche Bedeutung hat der Boden für die Pflanzen? Was heisst überhaupt «Boden»? Diesen und anderen Fragen begegnen die Kinder auf einer spielerischen Reise. Schon ein Kistchen mit Erde für den Gemüseanbau reicht aus, um ihre Neugierde und das Bewusstsein zu wecken. An den Hochschulen braucht es mehr pedologische Kurse, um spätere Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Städteplanerinnen sowie Bauingenieure für die Bedeutung und die verschiedenen Bodenfunktionen zu sensibilisieren.

Es gibt also noch viele und grosse Probleme. Bleiben Sie optimistisch?

Primär geht es darum herauszufinden, wozu Böden tatsächlich fähig sind. Ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen, die wesentlich von ihrer natürlichen Vielfalt abhängt, könnte heute eher ein Grund für Optimismus sein.

Fachpersonen treffen auf Bodennutzende

Die Eurosoil-Konferenz wird alle vier Jahre durchgeführt. Die Schweiz organisiert das von ihr mit­finanzierte Treffen vom 20. bis 24. August 2020 in Genf. Teilnehmen werden das BAFU, die Bundesämter für Landwirtschaft (BLW) und für Raumentwicklung (ARE) sowie Agroscope, die Bodenkundliche Gesellschaft Schweiz (BGS) und die Akademien der Wissenschaften. Am Symposium treffen Fachpersonen auf Bodennutzende wie etwa Landwirte und Bäuerinnen, die im Alltag mit einer Verschlechterung der Ökosystemleistungen von Böden konfrontiert sind. Ziel ist ein ganzheitlicher und nachhaltiger Umgang mit unseren Böden – und zwar sowohl in der Stadt und auf dem Land als auch im Wald – sowie die Erhaltung ihrer Biodiversität.

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Letzte Änderung 03.06.2020

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