Nachhaltige Chemie: Die Chemie sieht grün

Im Bereich Chemie tätige Unternehmen haben aus den Umweltkatastrophen gelernt und stellen immer mehr auf nachhaltige Produkte um. Das BAFU will diese Entwicklung weiter vorantreiben.

Text: Christian Schmidt

© BAFU

Ein gutes Beispiel für grüne Chemie? Josef Tremp, Leiter der Sektion Industriechemikalien beim BAFU, verweist auf die Herstellung von Propylenoxid, einem Ausgangsstoff für eine lange Reihe chemischer Produkte, etwa Polyurethan-Schaumstoffe, Lösungsmittel, Medikamente und Farben. Mit weltweit 9 Millionen Tonnen Jahresverbrauch ist Propylenoxid eines der wichtigsten Zwischenprodukte der Branche. Doch die Herstellung führte bis anhin zu einer massiven Umweltbelastung.

Nun haben mehrere Unternehmen gemeinsam eine neue Methode entwickelt, bei der nicht nur die Ausgangsmaterialien weniger giftig sind. Gleichzeitig lässt sich der Energieverbrauch reduzieren, «und es entstehen keine problematischen Nebenprodukte», so Tremp. Die Erfindung wurde in den USA mit dem «Presidential Green Chemistry Award» ausgezeichnet.

Umdenken nach Schweizerhalle

Josef Tremp freut sich über solche Verbesserungen. Er selbst hat während des Studiums den Grossbrand des Chemikalienlagers in Schweizerhalle (BL) miterlebt. «Das verschmutzte Löschwasser floss in den Rhein und zerstörte das Leben im Fluss weitgehend.» Die Aufarbeitung dieser und weiterer Katastrophen zeigten Wirkung. «In der Politik und in der chemischen Industrie begann ein Umdenken – aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung, die sich um ihre Gesundheit wie auch um den Zustand der Umwelt sorgte.» Themen wie Altlasten, Luftverschmutzung und Trinkwasserqualität prägten neu die Diskussion in den Medien. Daraus resultierte ein eigentlicher Paradigmenwechsel, der Anfang der Neunzigerjahre schliesslich zur Formulierung der grundlegenden Prinzipien der grünen oder nachhaltigen Chemie führte.

Produktivität verdreifacht

Zu welchen konkreten Ergebnissen hat dieses Umdenken geführt? «die umwelt» hat bei verschiedenen Firmen nachgefragt, was sie im Bereich grüne Chemie unternehmen. Die Auswahl erfolgte nicht zufällig, sondern orientierte sich an einer Vorauswahl der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft (SCG) sowie des Wirtschaftsverbands Chemie Pharma Biotech, scienceindustries. 4 der 6 angefragten Firmen reagierten. Darunter der in den Bereichen Chemikalien, Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel tätige Konzern DSM mit Sitz in Holland und weltweit 25 000 Mitarbeitenden. Für ThomasNetscher, am schweizerischen Standort Kaiseraugst (AG) im Bereich Forschung und Entwicklung tätig, sind umweltgerechte Produktionsmethoden Pflicht: «Wer sich in diesem kompetitiven Umfeld Vorteile sichern will, muss sich bezüglich Umwelt nachhaltig verhalten.» DSM hat sich im Rahmen der Produktepalette «Brighter Living Solutions» – sie reicht von speziell beschichteten Solarpanels bis zu nachhaltigen Futterzusätzen für die Landwirtschaft – das Ziel gesetzt, den Ausstoss an Treibhausgasen bis 2025 um 45 Prozent zu senken.

Ähnliche Ziele verfolgt die Firmenich International AG mit 7000 Mitarbeitenden, in Genf ansässig und weltweit Nummer zwei im Bereich Aromen und Duftstoffe. Maud Reiter, verantwortlich für die Entwicklung neuer Inhaltsstoffe, bezeichnet das Thema Nachhaltigkeit als «Teil unserer Firmen-DNA.» Beispiel: Für die Produktion der kürzlich entwickelten Parfumduftnote «Lilyflor» gelang es Firmenich, den Einsatz von umweltgefährdenden Lösungsmitteln auszumerzen, das Verhältnis zwischen Abfallmenge und produzierter Menge um 70 Prozent zu verbessern und gleichzeitig die Produktivität um 270 Prozent zu steigern.

Kompostierbarer Kunststoff

Auch die ganz Grossen der Branche mit über 100 000 Angestellten sind aktiv. Klaus Ruf, Geschäftsführer BASF Schweiz AG, bezeichnet Nachhaltigkeit als «Kern unseres Handelns». Um die Bedeutung des Themas darzulegen, hat BASF ein Instrument zur Steuerung sämtlicher ökonomischen, ökologischen und sozialen Prozesse entwickelt. Allein am schweizerischen Standort in Kaisten (AG) überprüft ein 9-köpfiges, interdisziplinäres Team alle Abläufe auf Verbesserungsmöglichkeiten. Eines der Ergebnisse dieser Anstrengungen: Mit «ecovio» hat BASF einen Biokunststoff entwickelt, der weitgehend auf natürlichen Ausgangsmaterialien basiert und kompostierbar ist.

Fabrice Gallou zählt zu den führenden Forschern bei Novartis und bezeichnet Nachhaltigkeit «als eine der zentralen Säulen» seiner Arbeit. Ähnlich wie BASF hat Novartis das Thema Nachhaltigkeit nicht als separates Standbein etabliert, sondern zu einem zentralen Bestandteil sämtlicher Aktivitäten gemacht. Dazu gehört, dass das Unternehmen ein internes Label entwickelt hat, um die Umweltverträglichkeit aller Projekte und Prozesse messen zu können. Um klarzumachen, dass dieses Engagement den gesamten Tätigkeitsbereich des Konzerns und somit jedes Produkt umfasst, verzichtet Novartis darauf, Beispiele zu nennen.

«Ziel noch nicht erreicht»

Für den BAFU-Chemikalienspezialisten Josef Tremp sind das erfreuliche Entwicklungen, aber die Ziele der nachhaltigen Chemie seien noch nicht erreicht. Es genüge nicht, nur bei der Gewinnung von Rohstoffen und bei der Produktion auf Energieeffizienz sowie Arbeitnehmer- und Umweltschutz zu achten, wie es heute etablierter Standard sei. «Nachhaltige Chemie beginnt bereits bei der Forschung. Wie ein Molekül aufgebaut wird, welche Eigenschaften und biologischen Wirkungen es hat, ob es in der Kläranlage oder in der Umwelt abbaubar ist, sind entscheidende Voraussetzungen für alle späteren Schritte», so Josef Tremp. Entsprechend sei es zentral, dass bereits die Hochschulen bei der Ausbildung der künftigen Chemikerinnen und Chemiker die richtigen Akzente setzen. Nur auf Basis einer gemeinsamen Anstrengung von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft liessen sich die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen derart gestalten, dass die nachhaltige Chemie möglichst gute Entwicklungschancen erhalte.  

Was ist nachhaltige Chemie?

Für den Begriff nachhaltige Chemie beziehungsweise grüne Chemie gibt es keine einheitliche Definition. Aus Sicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) umfasst nachhaltige Chemie (engl. «sustainable chemistry») die Planung, Herstellung und Verwendung von effizienten, wirksamen, sicheren und umweltverträglichen chemischen Produkten und Prozessen. Sie wird als Teil der nachhaltigen Entwicklung verstanden.

Paul Anastas und John Warner von der US-amerikanischen Umweltbehörde haben vor 20 Jahren zwölf Prinzipien vorgeschlagen, die zur Basis der grünen Chemie geworden sind. Zentraler Inhalt: Das Mass aller Dinge sind nicht mehr allein Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz, neu müssen auch negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschen minimiert sowie Ressourcen geschont werden.

Das BAFU hat sich zum Ziel gesetzt, die Anwendung dieser Prinzipien in der Schweiz weiter zu fördern. In einem ersten Schritt wurde die Fachhochschule Nordwestschweiz mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation beauftragt: Wer in unserem Land ist wo, wie und in welchem Ausmass in Sachen nachhaltiger Chemie aktiv? Entstehen soll ein Netzwerk, das den Austausch von Ideen, Erfahrungen und Know-how unter sämtlichen am Thema beteiligten Fachleuten ermöglicht. Weiter engagiert sich das BAFU zusammen mit der Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung (UNIDO), Deutschland und Österreich für das sogenannte Chemikalien Leasing, ein innovatives Geschäftsmodell im Rahmen der gewerblichen Verwendung von Chemikalien. Das Prinzip dabei: Die Hersteller verdienen nicht mehr, wenn sie mehr Chemikalien verkaufen. Ihr Gewinn errechnet sich aus dem von einer Chemikalie erbrachten Nutzen. Der Hersteller profitiert also, wenn weniger Chemikalien verbraucht werden (chemicalleasing.org).  

Ritterschlag für grüne Chemie

Die US-amerikanische Biochemikerin und Chemieingenieurin Frances H. Arnold hat für ihre Beiträge zur Entwicklung einer grünen chemischen Industrie den diesjährigen Chemie-Nobelpreis erhalten. Es gelang ihr erstmals, Enzyme gezielt in eine gewünschte Richtung zu entwickeln. Ihre massgeschneiderten Enzyme seien wichtige Werkzeuge bei der Herstellung verschiedener Substanzen wie Pharmazeutika geworden, wobei chemische Reaktionen nicht nur beschleunigt, sondern auch umweltfreundlicher würden, lobte das Nobelpreis-Komitee. Frances H. Arnold wurde 2015 von der ETH Zürich die Ehrendoktorwürde verliehen.

Ebenfalls geehrt wurde das Duo George P. Smith und Gregory P. Winter für Forschungstätigkeiten im Bereich von Antikörpern. sda

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Letzte Änderung 28.11.2018

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