Aktualisierte Vollzugshilfe: Neue Vollzugshilfe bringt Dunkel ins Licht

25.11.2020 - Wo die Menschheit die Nacht durch Kunstlicht zum Tag macht, bringt sie sich nicht nur um das Erlebnisdes Sternenhimmels. Die zunehmende Lichtverschmutzung beeinträchtigt neben der Tier- und Pflanzenwelt auch die menschliche Gesundheit. Eine neue Vollzugshilfe des BAFU will diese negativen Folgen von Kunstlicht vermeiden.

Text: Lucienne Rey

Andermatt während eines Lichtmonitorings um drei Uhr morgens. Das Monitoring erfolgte im Auftrag des Amts für Umweltschutz Uri.
© Bild: Lichtmonitoring Andermatt | inNET Monitoring AG

Die einen stört es in ihrer Nachtruhe. Für die anderen ist es «Ausdruck ihrer Lebensfreude und Teil ihrer Persönlichkeitsentfaltung», weshalb sie gar bis vors oberste Gericht ziehen, um sich bei der Aussenbeleuchtung ihres Hauses nicht einschränken zu müssen: So geschehen im Jahr 2013, als der nachbarschaftliche Zwist um die ganzjährig strahlende Illumination eines Einfamilienhauses in Möhlin (AG) zu einem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts über Lichtemissionen führte. Es befand, die Weihnachtsbeleuchtung sei auf den Zeitraum vom 1. Advent bis zum 6. Januar zu beschränken, und die ganzjährige Zierbeleuchtung sei nach 22 Uhr abzuschalten.

Doch nicht nur Privatpersonen übertreiben es gelegentlich mit dem schönen Schein. Ein Jahr nach der Causa Möhlin wies das Bundesgericht die Schweizerischen Bundesbahnen SBB an, die nächtliche Beleuchtung auf dem Bahnhof Oberrieden See (ZH) auf das für die Sicherheit notwendige Mass zu beschränken.

Einheitliche Beurteilungsgrundlage

Nicht zuletzt für ein Gericht – aber auch für Bewilligungsbehörden – ist es wichtig, auf verlässliche Beurteilungsgrundlagen zurückgreifen zu können. In der Schweiz gibt es bislang keine Grenz- oder Richtwerte, die festlegen, wie hell das Licht einer Beleuchtungsanlage sein darf. «Mit der neuen Vollzugshilfe Lichtemissionen wollen wir sicherstellen, dass Beanstandungen nach den gleichen Kriterien beurteilt werden», bestätigt Saskia Bourgeois Stöckli von der Sektion Nichtionisierende Strahlung beim BAFU. Ausserdem bietet die Vollzugshilfe für den Bau neuer und für den Ersatz bestehender Beleuchtungsanlagen Empfehlungen, die unnötige Lichtemissionen vermeiden sollen.

Bereits die vorherige Vollzugshilfe aus dem Jahr 2005 zählte rechtliche und technische Vorkehrungen gegen Lichtemissionen auf. «Neu ist, dass die aktualisierte Version auch Richtwerte enthält», präzisiert die Fachfrau beim BAFU. Handfeste Zahlen ermöglichen es somit, zu überprüfen, «ob das von aussen (von Lichtquellen in der Umwelt) in einen Wohnraum gelangende künstliche Licht für die Menschen im Sinne des Umweltschutzgesetzes (USG) lästig ist», hält die neue Vollzugshilfe fest. Entscheidend ist dabei, wie stark der Wohnraum ab 22 Uhr – also in der Zeit der Nachtruhe – aufgehellt wird. Mitberücksichtigt wird dabei auch die Umgebung. Denn in einer ländlichen, schwach besiedelten, dunklen Umgebung fällt Kunstlicht ungleich mehr ins Auge als in einem städtischen Zentrum, wo es ohnehin schon heller ist.

Reduktion an der Lichtquelle

Das Umweltschutzgesetz (USG) – das nebst dem Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) die rechtlichen Leitplanken für den Umgang mit der Lichtverschmutzung setzt – fordert in Artikel 11 Absatz 1, künstliches Licht sei mit geeigneten Massnahmen an der Quelle zu begrenzen.

Entsprechend ist der Vollzugshilfe zufolge bei der Beurteilung von Lichtemissionen zunächst einmal zu klären, ob eine Beleuchtung überhaupt erforderlich ist. Diese Frage steht am Anfang eines 7-Punkte-Plans zur Begrenzung von Lichtemissionen. Sodann sind die Helligkeit und das Lichtspektrum der Beleuchtung sowie deren Platzierung und Ausrichtung zu prüfen. All diese Aspekte werden vorzugsweise im Rahmen eines Beleuchtungskonzeptes ausgelotet, um die der Situation angemessenen Lampen auszuwählen und diese an den am besten geeigneten Standorten anzubringen.

Ein wesentliches Element, um Lichtemissionen effektiv zu begrenzen, ist schliesslich die zeitliche Steuerung der Beleuchtung. Hier bergen technologische Fortschritte wie die Kombination von LED mit intelligenten Steuerungsmechanismen grosses Potenzial für die Zukunft.

Schattenseiten von zu viel Licht

Zum überwiegenden Teil widmet sich die Vollzugshilfe den nächtlichen Lichtemissionen. Deren schädliche Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt, aber auch auf die menschliche Gesundheit stehen seit Längerem im Blickpunkt von Umweltschutz und Medizin: «Insbesondere im Sommer ist die Beleuchtung für nachtaktive Tiere ein Problem», betont Saskia Bourgeois Stöckli. Insekten werden von Strassenlaternen angezogen und verbrennen mitunter an der Lichtquelle. Zugvögel, die im Frühling und Herbst in der Nacht unterwegs sind, werden durch «Lichtdome» in ihrer Orientierung gestört. Doch auch der Biorhythmus vieler Säugetiere gerät durch das Kunstlicht durcheinander. Selbst Pflanzen reagieren und werfen das Laub im Herbst später ab, wenn die Dauer des Tages mittels Beleuchtung künstlich verlängert wird.

Die technologische Weiterentwicklung hin zu LED ermöglichte in letzter Zeit immer grössere Helligkeiten bei gleichbleibendem oder sogar geringerem Stromverbrauch. Dadurch hat sich die Problematik in den letzten Jahren noch verschärft: Die gegen oben gerichteten Lichtemissionen beispielsweise haben sich zwischen 1994 und 2012 hierzulande mehr als verdoppelt.

Blendende Kollektoren und Stroboskop-Effekt

Neu ist bei der aktuellen Vollzugshilfe, dass sie gegenüber der vorangegangenen Version auch Anlagen berücksichtigt, die vor rund 15 Jahren noch kaum zu Problemen geführt hatten. So ist ein Kapitel den Begrenzungen der Lichtemissionen am Tag gewidmet, die etwa durch die Spiegelung des Sonnenlichts an Scheiben, Glas- und Metallfassaden oder an anderen künstlichen Flächen entstehen. Lästige Blendungen, ausgelöst durch reflektiertes Sonnenlicht an Solarkollektoren, wurden ebenfalls bereits vor dem Bundesgericht verhandelt.

Ein weiteres Thema stellen Windkraftanlagen dar; insbesondere bei Sonne und starkem Wind erzeugen die sich schnell drehenden Rotoren einen bewegten Schattenwurf (Stroboskop-Effekt), der eine Belästigung für Anwohnende darstellen kann. Zwar bestehen in der Schweiz bislang auch für dieses Problem keine Grenz- oder Richtwerte. Indes weist die Vollzugshilfe zur Beurteilung der Problematik auf Leitlinien aus Deutschland hin.

Vielen Ansprüchen genügen

Gewerbe- und Industrieanlagen, Sportplätze, Baustellen: Sie alle werden beleuchtet und von der neuen Vollzugshilfe behandelt. Licht ins nächtliche Dunkel bringen ausserdem Leuchtreklamen und Strassenlaternen. Auch ihnen sind deshalb eigene Kapitel mit Erläuterungen der technischen und planerischen Grundsätze gewidmet.

Ein wichtiger Grund für die Beleuchtung von Strassen und Plätzen besteht darin, die Sicherheit im Verkehr zu erhöhen oder Passantinnen und Passanten das unbehagliche Gefühl beim Gang durch eine dunkle Gasse zu ersparen. Dabei empfiehlt es sich, extreme Lichtkontraste zu vermeiden, damit ausgeleuchtete Zonen sich nicht zu stark von finsteren Winkeln abheben. Auch soll die Lichtintensität je nach Bedarf zeitlich variieren, um den unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Sogar das Lichtspektrum sollte mit Bedacht gewählt werden – wird doch warmweisses Licht von vielen als angenehmer empfunden als kühleres Licht mit höherem Blauanteil. Für den Fall, dass Beleuchtungen zu Reklamationen führen, schlägt die Vollzugshilfe für die Überprüfung ein Vorgehen anhand eines einfachen Schemas vor, das Schritt für Schritt auf die entsprechenden Ausführungen verweist.

Das rund 130 Seiten umfassende Werk verbindet theoretische Grundlagen mit Beispielen aus der Praxis und ergänzt die Ausführungen mit anschaulichen Diagrammen und Hinweisen auf weitere bestehende Regelwerke. In der Praxis sind es oft Gemeinden, die mit Beleuchtungsfragen konfrontiert sind. Ein achtseitiges «Merkblatt für Gemeinden» fasst die wichtigsten Punkte der Vollzugshilfe zusammen und ermöglicht den Verantwortlichen einen raschen Überblick. Als weiteres Werkzeug steht eine sogenannte Lichttoolbox zur Verfügung: ein Koffer mit Informationsmaterialien. Dieser dient zur Moderation von Workshops. Das Material hilft, Menschen für die Lichtverschmutzung zu sensibilisieren und Beleuchtungskonzepte zu erarbeiten, um unnötige Lichtemissionen zu vermeiden.

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Letzte Änderung 25.11.2020

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