Kunstlicht – ein Störfaktor für Tiere und Pflanzen

Die Erfindung der Glühlampe war ein Segen. Doch nun zeitigt der Zuwachs an künstlicher Beleuchtung weltweit negative Folgen für Menschen, Tiere und Pflanzen. Eine neue Vollzugshilfe des Bundes, Dunkelkorridore in Genf und viele weitere Initiativen zeigen Auswege auf.

Text: Mirella Wepf

© Gerard Lacz Images/Keystone

Frisch geschlüpfte Meeresschildkröten kriechen strandaufwärts zu den beleuchteten Ferienhotels statt ins Meer. In nebligen Nächten kreisen Zugvögel orientierungslos und bis zur Erschöpfung um beleuchtete Türme. An einer einzigen Strassenleuchte sterben in einer Sommernacht rund 150 Insek­ten. Das sind nur drei von zahllosen nach­gewiesenen Vorkommnissen, die zeigen, dass sich künstliche Beleuchtung negativ auf die Tierwelt auswirken kann.

Die Dunkelheit verschwindet

Die Anzahl künstlicher Lichtquellen, die für Tiere gefährlich sein können, steigt rasant. Satellitenbilder dokumentieren dies eindrücklich. Global nimmt die Erhellung der nächtlichen Landschaft jedes Jahr um zwei bis sechs Prozent zu. In der Schweiz haben sich die gegen oben gerichteten Lichtemissionen zwischen 1994 und 2020 mehr als verdoppelt. Schon 1994 konnte hierzulande nur noch auf 28 Prozent der Fläche eine natürliche Dunkelheit beobachtet werden, 2009 noch auf 18 Prozent. Im Mittelland ist seit 1996 kein Quadratkilometer mit Nachtdunkelheit mehr auffindbar, im Jura seit 2008.

Folgenlos bleibt diese Entwicklung nicht. Denn Kunstlicht kann nicht nur den Lebensraum von nachtaktiven Tieren beeinträchtigen, sondern stört auch die innere Uhr von tagaktiven Lebewesen. «Besonders problematisch sind schlecht ausgerichtete Leuchten, die nach allen Seiten abstrahlen», sagt Christopher Gerpe, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BAFU. Wenn dieses Streulicht bei Nebel oder Bewölkung von den Schwebeteilchen in der Luft reflektiert wird, entstehen über Siedlungs­gebieten weithin sichtbare Lichtglocken. Eine mittelgrosse Stadt kann so den Himmel in einem Umkreis von 20 Kilometern und mehr erhellen. Das ist insbesondere für Zugvögel gefährlich: Sie fliegen in die Lichtglocken hinein und finden erst spät oder gar keinen Ausweg aus dieser Falle.

Auch die Lichtfarbe ist ein relevanter Faktor.

Leuchten haben oftmals einen hohen Anteil an blauem, kurzwelligem Licht. Das erhöht die Blendwirkung und begünstigtdie Streuung in der Atmosphäre. Blaues Licht hat auch weitere nachteilige Auswirkungen, zum Beispiel zieht es Insekten stärker an oder es verändert den Hormonhaushalt des Menschen.

Schon vor bald 20 Jahren publizierte die unabhängige Forschungs- und Beratungsgemeinschaft für Stadtökologie, Wildtierforschung und Kommunikation SWILD im Auftrag der Stadt Zürich die erste deutschsprachige Studiensammlung zu diesem Thema. Der viel beachtete Grundlagenbericht zeigte eindrücklich, wie stark sich die künstliche Beleuchtung ökologisch auswirkt. Beispielsweise finden Glühwürmchen keine Geschlechtspartner mehr, weil die Weibchen, die mit ihrem leuchtenden Hinterleib die Männchen anlocken, in der Nähe von beleuchteten Strassen oder dekorativen Lämpchen im Garten nicht mehr genügend sichtbar sind. Vögel verlieren die räumliche Orientierung oder singen zu Unzeiten und verbrauchen dadurch unnötig Energie. Auch zahlreiche Fisch- und Amphibienarten werden von Licht angezogen. Dagegen steigt in Seen ein grosser Teil des Zooplanktons nur bei Dunkelheit in die Nähe der Wasseroberfläche auf. Diese winzig kleinen Tierchen ernähren sich dort von Algen und sind selber eine wichtige Futterquelle für Fische. In Agglomerationen, wo die künstliche Beleuchtung vielfach allgegenwärtig ist, wird dieser natürliche Wander­zyklus des Planktons gestört.

Auswirkung auf Pflanzen

Auch Pflanzen leiden unter Lichtemissionen. Denn sie nehmen das Licht mithilfe von Fotorezeptoren wahr und steuern dadurch Prozesse wie das Wachstum der Stängel oderxdie Entwicklung ihrer Früchte. Störlicht in der Mitte der Dunkelphase kann bei den einen Pflanzen die Blütenbildung verhindern, bei anderen dagegen anregen. In Versuchen zeigte sich, dass bei manchen Arten bei 24-stündigem Dauerlicht die Fähigkeit, Fotosynthese zu betreiben, erlahmt. Im Alltag zu beobachten ist zudem folgendes Phänomen: In unmittelbarer Nähe von Strassenleuchten tragen Bäume im Herbst ihre Blätter häufig länger als an dunklen Orten. Zudem blühen die Bäume dort früher, und das macht sie wiederum anfälliger für Frostschäden.

Trotz all dieser bekannten Auswirkungen sei es nicht ganz einfach, generelle Aussagen über die Auswirkungen der künstlichen Beleuchtung auf die Natur zu machen, erklärt BAFU-Experte Gerpe. «Man geht aber davon aus, dass insbesondere spezialisierte Arten, die stark an ein Leben in der Nacht angepasst sind, beeinträchtigt werden, während licht­tolerante Arten sich eher anpassen können.» Die Folgen: Die Artenvielfalt geht zurück und wichtige Lebensräume drohen zu verarmen.

Fische im Lichtkegel

Fische in Fliessgewässern und Seen reagieren sensibel auf künstliches Licht. Besonders betroffen sind beispielsweise Flussbarsche und Rotaugen, deren nächtliche Melatonin-Produktion bereits bei einer Beleuchtungsstärke von rund 1 Lux fast vollständig unterdrückt wird. Melatonin beeinflusst unter anderem das Wander- und Fressverhalten von Tieren sowie das Fortpflanzungsbild von Pflanzen.

© Bert Willaert/Nature Picture Library

Sensible verlieren, Tolerante gewinnen

Typische Beispiele für Gewinner und Verlierer der Lichtverschmutzung gibt es bei den Fledermäusen: Während sich die Zwergfledermaus an den Insektenschwärmen bei Strassen- und Gartenleuchten den Magen vollschlägt, meiden die meisten der 30 Fledermausarten in der Schweiz das Licht. Um vom Tagesschlafplatz zu den Jagdplätzen zu gelangen, fliegen lichtsensible Fledermäuse an unbeleuchteten Hecken oder Baumreihen entlang. Das offene Land meiden sie. Doch mit den wachsenden Lichtemissionen und der Zersiedelung der Landschaft drohen diese wichtigen Flugkorridore zu verschwinden. «Der aktuelle Rückgang der Langohren im Kanton Zürich korreliert stark mit zunehmender Lichtverschmutzung», hält die Stiftung Fledermausschutz in ihrem Merkblatt «Effekte künstlicher Beleuchtung auf Fledermäuse» fest.

Ein weiteres Problem: Viele Fledermausarten schlafen in Dachstöcken oder in Nischen von Gebäudefassaden. Werden die Ausflugöffnungen dieser Schlupfwinkel beleuchtet, fliegen die Tiere verspätet oder gar nicht zur Jagd aus. Dadurch verkürzt sich die Zeit, in der sie Insekten jagen können. Das schwächt die Population und gefährdet die Aufzucht der Jungtiere. Manchmal werden beleuchtete Tagesschlafverstecke sogar ganz aufgegeben. Betroffen sind meist ohnehin schon stark bedrohte Fledermausarten wie Mausohren und Hufeisennasen, die oft Dachstöcke von Kirchen nutzen. «Um die sensiblen Arten zu schützen und der Homogenisierung der Arten entgegenzuwirken, sollte die künstliche Beleuchtung nach dem Vorsorgeprinzip so weit wie möglich begrenzt werden», sagt Gerpe. «Fühlen sich Menschen von neuen Lichtquellen gestört, können sie eine Beschwerde einreichen. Bei Tieren werden Störungen, wenn überhaupt, meist erst spät festgestellt, wenn bereits erhebliche Beeinträchtigungen von Populationen bestehen.»

Lichtverschmutzung bedroht die Bestäubung

In jüngster Zeit gerät auch die Gefährdung der Insekten immer stärker in den Fokus. Heute gibt es deutlich weniger Insektenarten und weniger Exemplare pro Art als noch vor einem Vierteljahrhundert. Dieser Rückgang
ist wissenschaftlich breit dokumentiert. Dadurch fehlen diese Tiere in der Nahrungskette und als Bestäuber von Wild- und Nutzpflanzen. Gründe für den Insektenschwund gibt es einige – einer davon ist die Lichtverschmutzung.

Im Jahr 2017 wurde bekannt, dass künstliches Licht nachtaktive Insekten ganz direkt beim Bestäuben von Pflanzen stört. Eine Forschungs­gruppe um die Biologin Eva Knop untersuchte die Bestäubung auf unbewirtschafteten Flächen in den noch relativ dunklen Naturpärken Gantrisch und Diemtigtal in den Voralpen. Das Team beobachtete, dass nachts insgesamt fast 300 Insektenarten die Blüten von rund 60 Pflanzenarten besuchten – jedoch nur, wenn keine künstliche Beleuchtung die Tiere dabei störte. Auf Versuchsflächen mit eigens aufgestellten Strassenleuchten lagen die Nachtbestäuber-Besuche dagegen um 62 Prozent tiefer. Als Folge davon produzierten die Pflanzen weniger Samen und Früchte.

Diese Ergebnisse haben Knop dazu bewogen, das Thema weiterzuverfolgen: «Es wäre natürlich spannend zu sehen, ob solche Effekte auch bei Nutzpflanzen auftreten», sagt die Biologin. Die Erforschung dieser komplexen ökologischen Prozesse befinde sich allerdings noch immer in der Pionierphase. «Als wir vor sieben Jahren anfingen, wussten wir nicht einmal, dass es derart viele Nacht­bestäuber gibt», erzählt Knop, die heute für die Universität Zürich und Agroscope tätig ist. Anfang 2021 konnte sie dann gemeinsam mit einem ihrer Doktoranden zeigen, dass künstliches Licht in der Nacht das Bestäubungsverhalten der Insekten sogar während des Tages beeinflusst (siehe Infobox: «Lichtverwirrte Bestäuber» ).

Mit weiteren Experimenten versucht Knop nun besser zu verstehen, wie das Zusammenspiel zwischen Pflanzen, Befruchtern, Pflanzen­fressern und Lichteinflüssen funktioniert. Produzieren künstlich beleuchtete Pflanzen weniger oder eher mehr Blüten? Verändern sich die Nektarmengen oder die Geschmacks- und Duftstoffe, die viele Pflanzen gegen Schädlinge einsetzen? Da ihre jüngsten Ergebnisse noch nicht publiziert sind, will die Forscherin keine Details preisgeben, aber soviel verrät sie:
«Das Kunstlicht scheint tatsächlich einen Effekt auf die Entwicklung und das Erscheinungs­bild der Pflanzen auszuüben.»
 

Lichtverwirrte Bestäuber

Erst seit wenigen Jahren ist dank der Arbeit der Schweizer Biologin Eva Knop bekannt, dass zahlreiche Blüten in der Schweiz auch nachts von Insekten bestäubt werden. Strassenbeleuchtungen und andere Lichtquellen haben einen Einfluss auf diese Interaktionen zwischen Insekten und Pflanzen. So haben Experimente nachgewiesen, dass die Bestäu­bungsrate in beleuchteten Arealen sinkt, da einige der Blütenbesucher das Licht meiden. Teilweise werden Pflanzen, die an Standorten mit künstlicher Beleuchtung stehen, am Tag von anderen Insekten besucht als an Standorten mit natürlichen Lichtverhältnissen – so etwa der Wald-Storchschnabel oder die Flocken­blume. Zudem hat das künstliche Licht einen Einfluss auf pflanzenfressende Insekten und Frassschäden. Zusammen mit ihrem Forschungsteam plant Knop nun weitere Untersuchungen, um herauszufinden, ob und wie das nächtliche Licht das Erscheinungsbild von Pflanzen verändert.

Licht als Element der Raumplanung

Der Verlust der Nachtdunkelheit bietet laut der Forscherin Eva Knop Anlass zur Sorge: Sie rechnet vor: «Man geht davon aus, dass fünfzig Prozent der wirbellosen Tiere nachtaktiv sind. Wenn wir diesen Tieren die Dunkelheit wegnehmen, verlieren sie ihren Lebensraum.» Es sei zu befürchten, dass die künstliche Beleuchtung die Ökosysteme ebenso stark schädige wie beispielsweise die räumliche Zerstörung von Lebensräumen.

Das Bewusstsein für die grosse Bedeutung der nächtlichen Dunkelheit für Flora und Fauna ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen. 1996 wurde die Schweizer Sektion von «Dark Sky» gegründet, einer Non-Profit-Organisation, die sich für umweltschonende Beleuchtungssysteme und naturnahe Dunkelheit einsetzt. Seit 2019 verfügt der Verein über das Verbandsbeschwerderecht und kann somit bei Bauvorhaben wirkungsvoll für Natur- und Heimatschutzanliegen eintreten.

Im Jahr 2005 publizierte das BAFU erstmals umfassende Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen. Im Oktober 2021 ist eine aktualisierte Fassung der Vollzugshilfe erschienen, die sich an kantonale und kommunale Behörden, Fachleute und weitere am Thema Lichtverschmutzung interessierte Personen richtet. Auch der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein setzt sich für eine Sensibilisierung ein: Seit 2013 bietet er mit der SIA-Norm 491 zur «Vermeidung unnötiger Lichtemissionen im Aussenraum» eine gute Checkliste, um neue Leuchten und den Betrieb von Beleuchtungsanlagen zu planen. Die Checkliste behandelt unter anderem die Ausrichtung der Lichtquellen, Lichtfarbe, Helligkeit und Energieverbrauch. Zudem haben auch zahlreiche Schweizer Städte – darunter Zürich, Luzern, Genf und Winterthur – die Zeichen der Zeit erkannt und verfügen mittlerweile über einen «Plan Lumière» (siehe Beitrag «Smart beleuchtet»).
 

Deutsche Ornithologen haben beobachtet, wie Störche unaufhörlich über Himmelstrahlern einer Diskothek kreisten. Für einen Vogel, der viele Hunderte oder sogar Tausende Kilometer pro Saison zurücklegen muss, bedeutet ein Abweichen von seiner üblichen Route zusätzliche Reisezeit – und damit unter Umständen seine Erschöpfung.

Rettende Dunkelkorridore

Um die Biodiversität langfristig zu erhalten, verfolgt der Bund mit der Strategie Biodiver­sität Schweiz das Ziel, ökologisch wertvolle Schutzgebiete zu erhalten und zu vernetzen. «Nebst der Verbindung von artenreichen Grünräumen und Gewässern wächst die Bedeutung von Dunkelkorridoren, da selbst physisch verbundene Lebensräume durch Lichtbarrieren zerschnitten werden können», erklärt Christopher Gerpe vom BAFU. «Dieser Aspekt muss künftig, zum Beispiel über die Programmvereinbarungen mit den Kantonen, aktiver angegangen werden.»

Der Kanton Genf übernimmt hier eine Vorreiterrolle: In der kantonalen Biodiversi­tätsstrategie hat Genf zusammen mit der Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur (HEPIA) und der Universität Genf methodische Grundlagen erarbeitet, um wissenschaftlich fundiert dunkle Zonen und Korridore zu identifizieren, die möglichst frei von künstlicher Beleuchtung gehalten werden sollten. Das sogenannte «schwarze Netz» soll Flora und Fauna besser schützen.

Die Karte dieses schwarzen Netzes ergänzt

die kantonalen Pläne der ökologischen Infrastruktur aus Gewässern und Grünflächen. «Unbeleuchtete Gebiete sind etwas schwieriger zu erfassen als Netzwerke aus Gewässern und Grünflächen», sagt Aline Blaser, die beim Kanton Genf das Thema Ökologische Infrastruktur betreut. «Mithilfe von Satellitenbildern lassen sich beleuchtete und dunkle Zonen jedoch kartieren. Kombiniert man dieses Modell mit den ökologischen Infrastrukturen, zeigen sich die Zonen, die für die nachtaktiven Arten besonders wichtig sind.»

Gestützt auf diese Erkenntnisse haben die Stadt Genf und weitere Gemeinden im Kanton im Rahmen ihres «Plan Lumière» Massnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung des schwarzen Netzes ausgearbeitet. So werden nun beispielsweise bereits bestehende Lichtquellen anders positioniert, andere gar ganz entfernt. Die Stadt Lausanne hat in Ergänzung zum «Plan Lumière» zudem einen «Plan des ombres» festgelegt, in dem Zonen bezeichnet werden, in welchen auf einen Einsatz von Licht zu verzichten ist. Allerdings: Diese bisherigen lokalen Initiativen können das Problem nicht für die ganze Schweiz lösen und reichen in der Summe noch zu wenig weit. Die Erhaltung dunkler Zonen, die miteinander gut vernetzt sind, wird immer drängender. 

Fazit

Lichtemissionen nehmen immer mehr zu, was für Tiere gefährlich sein kann. Das künstliche Licht stört nicht nur nachtaktive Lebewesen, sondern beeinflusst auch die innere Uhr von tagaktiven Pflanzen und Tieren. Es beeinträchtigt etwa Zugvögel, Fledermäuse, Fische, Amphibien, Insekten und sogar das Plankton in Seen.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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