Elektrosensibilität: Neu gibt es ein medizinisches Beratungsnetz

Zwar lassen sich die ursächlichen Zusammenhänge wissenschaftlich nicht bestätigen, unbestritten ist aber, dass die Symptome elektrosensibler Menschen real sind. Mit einem neuen Beratungsnetz soll die medizinische Versorgung der Betroffenen verbessert werden. Die Massnahme geht auf einen Beschluss des Bundesrats zurück.

Text: Carole Berset

Bruno Cardona
Bruno Cardona erholt sich im Wald in der Nähe von Delémont.
© Saskja Rosset | Lunax

Sie haben Kopfschmerzen, Konzentrationsschwächen und Gedächtnisprobleme: Rund fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung bezeichnen sich als elektrosensibel. «Dieser Wert variiert je nach Studie zwischen einem und zehn Prozent», sagt Maurane Riesen, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BAFU. Ein Bericht der nationalen französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt und Arbeitsschutz (ANSES) von 2018 wertete die bestehenden Studien aus uns schätzt diesen Wert ebenfalls auf rund fünf Prozent.

Allerdings: Ein kausaler Zusammenhang zwischen der empfundenen Elektrosensibilität und der Exposition in elektromagnetischen Feldern – oder umgangssprachlich in Elektrosmog – liess sich bisher nicht wissenschaftlich nachweisen. Klar ist aber: Die Leiden Betroffener sind real und äussern sich in einer Vielzahl von Symptomen wie Hautrötungen, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Übelkeit, Herzrasen oder Verdauungsstörungen. Laut dem Bericht der ANSES werden am häufigsten hochfrequente Quellen wie WLAN-Netze, Mobiltelefonie und Mobilfunkantennen sowie niederfrequente Quellen wie Stromleitungen und elektrische Anlagen als Gründe für das Auftreten dieser Leiden angegeben.

Weltweit hat die Schweiz eine der strengsten Regelungen zum Schutz der Bevölkerung vor solcher nichtionisierender Strahlung. Im Jahr 2000 hat der Bundesrat die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NiSV) in Kraft gesetzt, in der unter anderem die von der internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung empfohlenen Grenzwerte über­nommen wurden. Zudem wird das Vorsorgeprinzip angewendet, um die Strahlenbelastung dort zu begrenzen, wo sich Menschen meist während längerer Zeit aufhalten. Etwa in Wohnungen, Schulen, Spitälern oder an ständigen Arbeitsplätzen. Dennoch fühlen sich nicht alle elektrosensiblen Personen ausreichend geschützt.

Ein wenig beachtetes Leiden

«Nach einem Test, bei dem ich mich während einer gewissen Zeit keiner Strahlung exponierte, wurde mir bewusst, wie sehr Elektrosmog in meiner Umgebung mich beeinträchtigt – und zwar so stark, dass ich kein normales Leben mehr führen kann», sagt Bruno Cardona, Hypnosetherapeut und Geobiologe sowie Vorstandsmitglied des Vereins «Alerte Romande aux Rayonnements Artificiels», der für die Gefährdungen durch Strahlung sensibilisieren will. «Meine Blutwerte waren normal und mein Hausarzt sagte mir, dass er nichts für mich tun könne. Erst 2021 untersuchte eine spezialisierte Ärztin mein Krankheitsbild. Es war eine Erlösung für mich, endlich verstanden zu werden und Hilfe für mein Leiden zu bekommen.»

Nach wie vor sind die Mechanismen hinter der Elektrosensibilität aber nicht geklärt. Anerkannte medizinische Diagnosekriterien oder Messwerte gibt es nicht, ebenso wenig eine anerkannte Diagnose von Elektrosensibilität. Darum stehen Ärztinnen und Ärzte dieser Problematik und den Betroffenen oft hilflos gegenüber. «Ich habe eine lange und einsame Irrfahrt durch die medizinischen Instanzen hinter mir, in der meine Symptome und deren Ursache oft nicht anerkannt wurden, sogar von meinen Angehörigen. Im Nachhinein wurde mir klar, dass die Medizinerinnen und Mediziner für diese Art von Symptomen einfach nicht ausgebildet waren», sagt Cardona. Die persönliche Situation Betroffener kann für sie sehr belastend sein, auch finanziell. «Wir glauben, dass ein Netzwerk von speziell ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten Personen, die sich als elektrosensibel bezeichnen, eine bessere medizinische Betreuung bieten kann, sodass sich ihr Wohlbefinden verbessert», sagt Maurane Riesen vom BAFU. «Weil sie die Auswirkungen in ihrem Alltag derart stark spüren, ändern manche Betroffene ihr Leben von Grund auf, um elektromagnetische Strahlung zu vermeiden.»

Verbesserung der medizinischen Versorgung

«Für mich ist eine strenge elektromagnetische Hygiene notwendig», sagt Bruno Cardona. «Seit drei Jahren habe ich kein Handy mehr und weder WLAN noch kabelgebundenes Ethernet zu Hause. Ich habe die Seitenwände meiner Wohnung gegen die WLAN-Netze der Nachbarschaft abgeschirmt. Und auch die Aussenwände gegen die Strasse hin sind geschützt, damit der Elektrosmog der Umgebung nicht in meine Wohnung eindringen kann. All dies bedeutet auch, dass mein Sozialleben stark eingeschränkt ist.» Auch strahlen­abweisende Kleidung wie Kappen, Schlauchschals, Overalls oder Handschuhe für das Tippen auf einer PC-Tastatur sind für Cardona unverzichtbar.

Im Jahr 2019 veröffentlichte die vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eingesetzte Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung einen umfassenden Faktenbericht. Auf dieser Grundlage beschloss der Bundesrat 2020, ein Monitoring der nichtionisierenden Strahlung einzurichten und eine umwelt­medizinische Beratungsstelle für nichtionisierende Strahlung zu schaffen. Daraufhin hat das BAFU das Institut für Hausarztmedizin der Universität Freiburg beauftragt, das erste medizinische Beratungsnetz für nichtionisierende Strahlung aufzubauen, namens MedNIS. «Das Beratungsnetz hat seine Arbeit im September 2023 aufgenommen», erzählt Maurane Riesen. MedNIS besteht aus Ärztinnen und -ärzten aus der ganzen Schweiz, die eine Weiterbildung beim Netzwerk absolviert haben. Das Ziel: Haus­ärztinnen und -ärzte im Umgang mit elektrosensiblen Personen zu unterstützen und die Betreuung zu verbessern. «Zudem möchten wir die Forschung zu Elektrosensibilität voranbringen und medizinische und wissenschaftliche Grundlagen schaffen, um Betroffene besser behandeln zu können», sagt Riesen. «Wir planen, eine Gruppe von Personen zusammenzustellen, die sich bereit erklären, ihre medizinischen Informationen zu teilen. Das sollte helfen, diese Problematik besser zu verstehen.» 

Sowohl Betroffene als auch Ärztinnen und Ärzte begleiten

diana-walther

Diana Walther ist leitende Ärztin des neuen schweizerischen medizinischen Beratungsnetzes für nichtionisierende Strahlung MedNIS. Sie betont die Bedeutung einer Anlaufstelle mit ausgebildeten Fachleuten, an die sich sowohl Betroffene wie auch Hausärztinnen und -ärzte wenden können.

Diana Walther, wie kann das MedNIS-Beratungsnetzwerk die Situation von Patientinnen und Patienten verbessern?

Diana Walther: Elektrosensible Personen leiden häufig doppelt, denn zusätzlich zu den teils stark einschränkenden Symptomen wird ihr Leiden von Ärzten, Arbeitgeberinnen, Angehörigen und der Gesellschaft nicht immer anerkannt. Unser Ziel ist es, diesen Menschen einen Ort zu bieten, an dem sie ernst genommen und ganzheitlich betreut werden. Mit der Zeit wollen wir mithilfe der Rückmeldungen der Betroffenen und der Ärztinnen und Ärzte die Betreuung anpassen und verfeinern.

Warum ist ein solches Netzwerk auch für die Ärzteschaft wichtig?

DW: Dank MedNIS können Haus­ärztinnen und Hausärzte, die sich mit Elektrosensibilität nicht gut auskennen, ihre Patientinnen und Patienten an spezialisierte Mediziner überweisen. Oder Personen, die eine elektromagnetische Hypersensibilität bei sich vermuten, können sich an eine Ärztin oder einen Arzt aus dem Netzwerk wenden. Diese Konsultation wird als normale medizinische Leistung nach dem TARMED-Tarif abgerechnet und ist eine wertvolle Unterstützung für die weitere Betreuung Betroffener in der Hausarztpraxis.

Worin besteht die MedNIS-Weiterbildung für Ärztinnen und Ärzte des Netzwerks?

DW: Einen Tag lang werden unterschiedliche Aspekte thematisiert. Ein wichtiger Teil behandelt die Epidemiologie, die Symptome und die Geschichte der elektro­magnetischen Hypersensibilität. Dazu schauen wir uns die Strahlungs­quellen und die Expositionsmessungen sowie die gesetzlichen Grundlagen an. Zudem haben wir eine Liste mit empfohlener Fachliteratur zum Thema zusammengestellt. Ab 2024 planen wir einen Fortbildungstag pro Jahr sowie einen vierteljährlichen Qualitätszirkel. Darin treffen sich dann die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, um sich zur Betreuung Betroffener auszutauschen.

Welche Therapiemöglichkeiten für Elektrosensibilität gibt es heute?

DW: Ein wichtiger Teil ist, die Strahlungsexposition Betroffener zu reduzieren. Dabei muss die Verhältnis­mässigkeit gewahrt sein, damit die Betroffenen nicht etwa komplett sozial isoliert werden. Parallel dazu gilt es, ihren allgemeinen Gesundheits­zustand zu verbessern, um die Resilienz gegenüber elektro­magnetischen Feldern zu stärken. Ein erholsamer Schlaf, eine aus­gewogene Ernährung und regelmässige körperliche Aktivität tragen dazu bei, ein Gleichgewicht zu finden. Manchen Betroffenen können bestimmte Vitamine und Mineralstoffe oder andere Nahrungsergänzungsmittel helfen. Jede Situation muss aber einzeln beurteilt werden.

Weiterführende Informationen

Kontakt
Letzte Änderung 03.04.2024

Zum Seitenanfang

https://www.bafu.admin.ch/content/bafu/de/home/themen/elektrosmog/dossiers/neu-gibt-es-ein-medizinisches-beratungsnetz.html