Vereint gegen die Plastikverschmutzung

Kein Ort der Welt, kein Lebensraum und kaum ein Organismus sind frei von Plastik. Nun hat sich die Weltgemeinschaftin einem historischen Entscheid geeinigt,die Verbreitung von Kunststoffen in der Umwelt zu reduzieren. Bis 2024 soll eine rechtsverbindliche internationale Plastik-Konvention beschlossen werden. Was müsste sie beinhalten, damit eine Trendwende gelingt?

Text: Nicolas Gattlen

Bergeweise Plastik. Diese PET-Flaschen auf einem Schweizer Werkhof werden immerhin recycelt. Doch das gilt nur für neun Prozent des Kunststoffs weltweit.
© Christian Beutler | Keystone

Jubel brandet auf, als Espen Barth Eide in Nairobi den Hammer aus recyceltem Kunststoff senkt. Mit dem Hammerschlag besiegelt der Präsident der 5. Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) an diesem 2. März 2022 die Annahme einer historischen Resolution: Die UN wollen den Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt beenden und bis 2024 ein rechtsverbindliches Instrument vorlegen. «Die Plastikverschmutzung hat sich zu einer Epidemie ausgewachsen», erklärt Espen. «Mit der heutigen Resolution sind wir offiziell auf dem Weg zur Heilung.»Der Entscheid war überfällig: Laut Schätzungen der UN werden jährlich 400 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert und nur neun Prozent davon recycelt. Etwa zwölf Prozent des Kunststoffabfalls werden verbrannt, der grosse Rest landet auf Deponien oder wird direkt in der Umwelt entsorgt. Geschätzte zwölf Millionen Tonnen Kunststoffe gelangen jährlich in die Meere – Tendenz steigend. Für Meerestiere und Vögel sind Kunststoffabfälle eine tödliche Gefahr: Sie verwechseln die Plastikteile mit Nahrung, erleiden Verstopfungen und innere Verletzungen, verhungern mit vollem Bauch. Auch Kleinstlebewesen sind betroffen. Zooplankton, das Mikroplastik ausgesetzt ist, wächst langsamer und produziert weniger Nachwuchs. Neben dem Plastik selbst können auch chemische Zusatzstoffe in Plastik wie Weichmacher die Tiere schädigen oder deren Fortpflanzung beeinträchtigen.

Eine Argonauten-Molluske hat sich an einem Stück Plastik festgebissen.
© Alex Mustard/NATURE PICTURE LIBRARY

In den Alpen und der Arktis schneit es Plastik

Aber nicht nur die Meere sind betroffen. Kunststoffe finden sich überall in der Umwelt: in Böden, Flüssen und Seen, ja sogar in der Luft, wo sie zum Feinstaub beitragen. Über den Wind wird Mikroplastik und Mikrogummi von Reifenabrieb auch in weit entfernte Gebiete verfrachtet, bis in die Arktis. Dominik Brunner, Spezialist für atmosphärische Modellierungen am Eidgenössischen Forschungsinstitut für Materialwissenschaften und Technologie Empa, hat diese Art der Verbreitung erstmals genau untersucht. Mithilfe von Wind- und Wetterdaten konnte er den Weg von Mikropartikeln nachzeichnen, die sich auf einer schneebedeckten Bergspitze in Österreich ablagerten. Etwa 30 Prozent der Plastikteilchen stammten aus einem Radius von 200 Kilometern, vorwiegend aus Städten. Aber auch aus den Meeren gelangt Mikroplastik über die Gischt der Wellen in die Luft. Rund 10 Prozent der Partikel wurden über eine Distanz von 2000 Kilometern auf den Berg geweht – teilweise vom Atlantik aus. Rechnet man die gemessenen Partikel auf die Schweiz hoch, so rieseln jährlich 43 Trillionen – eine Trillion ist eine Milliarde Milliarden – feinster Plastikteilchen auf unser Land. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, an der auch die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) beteiligt war. 

Was Kunststoffe besonders problematisch macht, ist ihre Langlebigkeit. Sie zerfallen zwar in immer kleinere Teile, bauen sich aber kaum oder nur sehr langsam in der Umwelt ab. In den Böden und Gewässern sammeln sich so über die Jahre grosse Mengen an feinsten Kunststoffpartikeln an. Mit kaum bekannten Folgen. Dass Mikroplastik jüngst sogar in der Blutbahn von Menschen gefunden wurde (siehe Box), verschärft die Sorgen. Ein weiteres Problem ist, dass viele Kunststoffe gefährliche Chemikalien enthalten.

Den ganzen Lebenszyklus im Visier

Wie aber lässt sich die Plastikverschmutzung eindämmen? «Kunststoffe in der Umwelt sind ein komplexes, globales Problem, das sich nur lösen lässt, wenn alle Akteure gemeinsam daran arbeiten», sagt Damaris Carnal, Mitarbeiterin in der Sektion Globales beim BAFU. «Die Plastik-Konvention bietet eine grosse Chance, eine Trendwende einzuleiten.» Die Schweiz werde sich aktiv für ein ambitioniertes Abkommen einsetzen, erklärt Carnal. In Nairobi hat man sich darauf geeinigt, dass die Konvention Massnahmen für den ganzen Lebenszyklus von Kunststoffen – von der Produktion über den Gebrauch bis zum Recycling und Abfallmanagement – enthalten soll. Wichtig sei, dass die Kunststoffe effizient genutzt und so lange wie möglich in materiellen Kreisläufen gehalten würden, sagt Damaris Carnal. Allerdings könne man nicht alle Kunststoffe materiell wiederverwerten. «Die Menge ist schlicht zu gross und es ist bei Weitem nicht alles recycelbar. Wir kommen nicht umhin, die Produktion und den Verbrauch von Kunststoffen zu reduzieren.»

Plastik im Menschen

Es war nur eine Frage der Zeit. Mikroplastik wurde bereits in Vögeln, Fischen, Muscheln und Garnelen nachgewiesen, weshalb es kaum jemanden überraschte, als die winzigen Kunststoffteilchen 2018 erstmals auch im Menschen entdeckt wurden. Genauer: im Stuhlgang von acht Teilnehmenden einer Studie der Universität Wien. Im Schnitt enthielt jede Stuhlprobe 20 Plastikteilchen, die zwischen einem Zwanzigstel und einem halben Millimeter gross waren. Das österreichische Umweltbundesamt testete die Stuhlproben auf zehn unterschiedliche Kunststoffe. Neun davon fand man in den Proben, vorwiegend PET (Polyethylenterephthalat) und PP (Polypropylen), das häufig für Verpackungen verwendet wird.

Nur knapp vier Jahre später folgte der erste und um einiges überraschendere Nachweis von Mikroplastik im menschlichen Blutkreislauf durch Forschende der Universität Amsterdam. Kunststoff passiert also nicht nur den Magen-Darmtrakt, er kann in einer bestimmten Partikelgrösse auch die Blutschranke überwinden. Die im Blut der 22 Probanden nachgewiesenen Plastikpartikel wiesen im Schnitt eine Grösse von 0,0007 Millimetern auf, was fast im Nanobereich liegt. Die gemessene Konzentration von 1,6 Mikrogramm pro Milliliter Blut entspricht etwa so viel wie einem Teelöffel Plastik in 1000 Litern Wasser. Überraschend waren auch die Funde, die britische Medizinerinnen und Mediziner des Castle Hill Hospitals in Leeds (GB) bei Operationen gemacht haben: Ende 2021 identifizierten sie erstmals Plastik-Kleinstpartikel im Lungengewebe – in 11 von 13 untersuchten Lungenproben. Besonders erstaunt hat die Forschenden, dass sich die Plastikpartikel nicht nur im oberen Teil der Lunge sammelten, sondern auch in den unteren Regionen, wo die Atemwege viel zarter und verästelter sind.

Wie sich die Plastikpartikel auf die Gesundheit auswirken, ist noch unklar. Forschende befürchten, dass sich ein Teil des Mikroplastiks in den Organen und Geweben festsetzt und dort allein durch seine Anwesenheit Entzündungen hervorruft. Das kennt man beispielsweise von den langen, dünnen Asbestfasern im Lungengewebe. Es gibt auch eine Parallele zur Luftverschmutzung: Russpartikel aus Kraftwerken, Fahrzeugabgasen und Waldbränden lagern sich in der Nase, den Bronchien und der Lunge ab und schädigen, in hoher Konzentration, die Atemwege. Winzige Feinstaubpartikel können gar in die Blutbahn gelangen und Entzündungen in den Gefässwänden auslösen, was eine Arteriosklerose, also eine krankhafte Verengung der Arterien, begünstigt.

Auch beim Plastik bereiten die kleinsten Partikel die grössten Sorgen. Es wird befürchtet, dass Nanoteile sogar in die Zellen eindringen und dort die Zellaktivität stören können. Allerdings ist der Nachweis von Nanoplastik äusserst schwierig: In der Luft, im Wasser, in Lebensmitteln, Blut oder Zellen lassen sich Nanopartikel mit den heutigen Analysemethoden nur schwer oder gar nicht identifizieren. «Wir wissen nicht, wieviel Nanoplastik überhaupt vorhanden ist», erklärt Empa-Forscher Bernd Nowack, der seit Langem die Stoffflüsse von synthetischen Mikro- und Nanopartikeln in die Umwelt untersucht. Sicher ist: Es werden täglich mehr.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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