Hitze und Trockenheit im Sommer 2022

10.07.2023 – So ein warmes Jahr hat die Schweiz noch nie erlebt: 2022 war gespickt mit Rekorden. Und das hatte und hat immer noch weitreichende Folgen für Mensch und Natur. Eine Einordnung.

Gestrandete Boote stecken im Schlamm am ausgetrockneten Ufer des Lac des Brenets, einem Teil des Flusses Doubs, einer natürlichen Grenze zwischen Ostfrankreich und der Westschweiz im August 2022.
Gestrandete Boote stecken im Schlamm am ausgetrockneten Ufer des Lac des Brenets, einem Teil des Flusses Doubs, einer natürlichen Grenze zwischen Ostfrankreich und der Westschweiz im August 2022.
© KEYSTONE/Laurent Gillieron

2022 bricht Temperaturrekorde

2022 geht als das wärmste und sonnenreichste Jahr seit Messbeginn 1864 in die Geschichte ein. Während die Durchschnittstemperatur der Jahre 1991 bis 2020 bei 5,8 Grad lag, kletterte sie 2022 auf 7,4 Grad. Das ist vorläufiger Höhepunkt eines Wärmeschubs seit 2010: In dieser Zeitspanne liegen die sieben wärmsten Jahre seit Messbeginn. Insgesamt ist die jährliche Durchschnittstemperatur um 2 Grad angestiegen.

Schon der Winter 2021/2022 war auf der Alpensüdseite der zweitmildeste und auch der sonnigste seit Messbeginn. Ihn löste ein äusserst milder Frühling ab: Der Mai 2022 gilt als zweitwärmster seit Messbeginn. Der Sommer landete auf einem historischen zweiten Platz. Im Süden und Norden der Schweiz wurden Werte von über 36 Grad erreicht. Getoppt wurde er nur vom Jahrhundertsommer 2003.

Als heissester Tag des Schweizer Sommers gilt der 4. August in Genf mit 38,3 Grad, die längste Hitzeperiode erlebte Lugano mit 14 Tagen, an denen täglich 30 Grad oder mehr erreicht wurden. Mit 63 Hitzetagen brach Stabio TI sogar den Superrekord von 2003. Etwa in Genf und Basel wurden von April bis September die meisten Sonnenstunden aller Zeiten gemessen. Die hohen Temperaturen liessen am 25. Juli auch die Nullgradgrenze auf die Rekordhöhe von 5184 Meter steigen.

Im September wurde es dann unterdurchschnittlich kühl. Der Oktober setzte wiederum einen Wärmerekord und der Herbst 2022 wurde der drittwärmste seit Messbeginn.

Schnee- und Regenmangel liess die Pegel fallen

Im Jahr 2022 gab es wenig Niederschläge, insbesondere im März, Mai und Juli blieben sie aus. Insgesamt wurde es wegen der Regenfälle im Spätsommer jedoch nicht so trocken, wie die ersten Monate befürchten liessen. Nur in einzelnen Regionen war 2022 das niederschlagsärmste Jahr in den jahrzehntelanger Messreihen. Im Herbst gab es im Norden über-, im Süden unterdurchschnittlich viele Niederschläge.

Die Situation bis zum Spätsommer brachte ab Mitte Juni bis Mitte August vielerorts extremes Niedrigwasser – auch in grossen Flüssen wie Aare, Reuss, Limmat und Rhein. Der Bodensee hatte im Untersee zwischen dem 15. Juli und dem 20. August einen rekordniedrigen Wasserstand von 394,7 Meter über Meer. Historisch tief waren in den ersten acht Monaten 2022 auch die Pegel des Lago di Lugano und des Lago Maggiore. Ganze Gewässerabschnitte trockneten aus, und manche Quellen versiegten.

Rheinfall bei Neuhausen - 22.07.2022
Selbst an den grossen Flüssen macht sich die Trockenheit bemerkbar. Am Rheinfall, hier am 22. Juli 2022, floss weniger Wasser als im Hitzesommer 2018.
© Michèle Oberhänsli/BAFU

Gletscherschmelze verstärkt sich

Die Schweizer Gletscher haben 2022 so viel Eis verloren wie nie zuvor: 3 Kubikkilometer oder 6 Prozent des Eises sind geschmolzen. Das entspricht ungefähr dem Volumen des Zugersees. Somit setzt das Jahr neue Massstäbe, denn bislang galt als extrem, wenn 2 Prozent des Eises verloren gegangen waren. Mittlerweile sind kleine Gletscher fast verschwunden: Für den Pizolgletscher (SG), den Vadret dal Corvatsch (GR) und den Schwarzbachfirn (UR) wurden die Massenbilanzmessungen eingestellt.

Hitzebedingte Todesfälle stiegen an

Die Anzahl hitzebedingter Todesfälle von Mai bis September 2022 wurde auf 474 Menschen geschätzt. Zur Einordnung: Generell gelten hierbei als die häufigsten, direkten Todesursachen Herzkreislaufstörungen, Erkrankungen der Atemwege und Nieren, die sich bei hohen Temperaturen verschlimmern können.

Die sogenannten hitzebedingten Todesfälle hatten somit einen Anteil an der Gesamtsterblichkeit von 1,7 Prozent. 2022 gab es mehr hitzebedingte Todesfälle als in den rekordheissen Jahren 2017 und 2019 mit 399 und 338 Hitzetoten. Sehr viel höher waren die Zahlen jedoch 2003, als mit 1402 Todesfällen knapp dreimal mehr Menschen in Folge der Hitze starben als 2022. Ein Grund dafür könnte sein, dass es 2022 auf der Alpennordseite weniger Tropennächte gab als 2003.

Indikator hitzebedingte Todesfälle (admin.ch)

Durchschnittliche sommertemperatur
Die Sommertemperatur (Mittel Juni bis August) in der Schweiz der letzten 100 Jahren. Nur 2003 war der Sommer wärmer als 2022.
© BAFU

Wassersysteme gerieten aus dem Lot

Hohe Temperaturen stressten die Wasser-Ökosysteme

Wassertemperaturen von 25 Grad und mehr waren im 2022 in Schweizer Seen, Bächen und Flüssen keine Seltenheit. So warm war für mehrere Tage sogar der Rhein bei Basel. Bei solchen Temperaturen reduziert sich der Sauerstoffgehalt und die Stoffkonzentrationen erhöhen sich. Das führte an einigen Seen zu verstärkter Algenblüten und etwa am Untersee des Bodensees zu ungenügenden Sauerstoffverhältnisse.

Für Fische und teilweise auch Krebse war diese Situation problematisch. Wassertemperaturen über 25 Grad können etwa für Fische lebensbedrohlich werden. Im Sommer 2022 waren insbesondere Bachforellen, Groppen, Äschen und Barben betroffen. Zum Beispiel starben in der Thur im Kanton Zürich über alle Arten hinweg rund 1,5 Tonnen Fische. Während der Hitzemonate organisierten Fischereiaufsichten Notabfischungen. Generell blieb 2022 aber das grosse Fischsterben aus, das im Frühsommer im schlimmsten Fall erwartet worden war.

Es herrschte grosse Wasserknappheit

Die Trockenheit liess im Sommer das Wasser knapp werden. Vereinzelt versiegten sogar Quellen. Grundwasserspiegel und Pegel von Fliessgewässern sanken auf historisch tiefe Stände. In neun Kantonen kam es zu Versorgungsengpässen in der Wasserversorgung, die aber über die Netzwerke in der Wasserversorgung ausgeglichen werden konnten. Manche Alpen etwa im Kanton Schwyz erhielten im Juli eine Notwasserversorgung. Tankwagen kamen in vereinzelten Gemeinden in den Kantonen Tessin und Neuenburg zum Einsatz. 19 Kantone, insbesondere in der Zentralschweiz, im Jurabogen sowie auf der Alpensüdseite, riefen zum Wassersparen auf. Auch öffentliche Schwimmbäder wurden geschlossen.

Für die landwirtschaftliche Bewässerung durften in 14 Kantonen über mehrere Monate nur noch eingeschränkt Oberflächengewässer genutzt werden.

Wegen des tiefen Pegelstandes der Gewässer und anhaltender Trockenheit werden die Bachforellen aus dem Heischer Dorfbach in Hausen am Albis im August 2022 umgesiedelt.
Wegen des tiefen Pegelstandes der Gewässer und anhaltender Trockenheit werden die Bachforellen aus dem Heischer Dorfbach in Hausen am Albis im August 2022 umgesiedelt.
© KEYSTONE/Ennio Leanza

Niedrigwasser beeinträchtigte die Wasserwirtschaft

Die niedrigen Pegelstände hatten grosse Auswirkungen auf die Wasserkraft und die Schifffahrt. Viele Wasserkraftwerke mussten zumindest kurzzeitig den Betrieb unterbrechen. Die Wasserkraftanlagen produzierten insgesamt 15,2 Prozent weniger Elektrizität als im Vorjahr. Betroffen waren 13 Kantone. Das sind fünf Kantone mehr als im Sommer 2018.

Zudem war die Schifffahrt auf manchen Seen eingeschränkt: etwa im Kanton Waadt auf dem Lac de Joux, in Neuenburg auf dem Lac des Brenets und in der Ostschweiz auf dem Bodensee. Selbst der Rhein galt in manchen Bereichen zeitweise nicht mehr als befahrbar. Das war etwa der Fall in den Kantonen Basel und St. Gallen bei Rheineck und Thal.

Ein Super Puma-Helikopter der Schweizer Armee tankt Wasser aus dem Montsalvens-See während der Wasserversorgung der Alpen und Wälder im August 2022.
Ein Super Puma-Helikopter der Schweizer Armee tankt Wasser aus dem Montsalvens-See während der Wasserversorgung der Alpen und Wälder im August 2022.
© KEYSTONE/Cyril Zingaro

Der Wald steht unter Hitzestress

Waldbrände wüteten insbesondere auf der Alpensüdseite

Die Trockenheit machte die Schweizer Wälder anfällig für Feuer. Insgesamt wurden 131 Waldbrände gemeldet, geschätzt wird die Anzahl auf rund 150. Das ist weit mehr als in früheren Jahren: 2000 bis 2018 gab es in der Schweiz durchschnittlich 109 Waldbrände pro Jahr mit jeweils verbrannten Flächen von 168 Hektar. 2022 haben offiziell 325,28 Hektar Wald und Grasland unter Feuer gestanden, das entspricht der Fläche von 325 Fussballfeldern. Am stärksten betroffen war der Kanton Tessin mit 64 Waldbränden auf 258,57 Hektar Wald. Graubünden meldete 30 und das Wallis 15 Waldbrände.

Niederschlagsummer sommer 2022
© BAFU

Schon im Sommer wurden die Blätter braun

Braune Blätter wurden in Schweizer Wäldern 2022 bereits Anfang August beobachtet. Betroffen waren im Norden etwa Regionen wie die Ajoie im Jura und das Laufental im Kanton Basel-Landschaft. Der Effekt zeigte sich im Süden noch stärker – insbesondere im Wallis und Tessiner Mendrisiotto, wo bereits im August grossflächig ganze Wälder braun waren.

In der Landwirtschaft gab es Gewinner und Verlierer

Für die Landwirtschaft hatte das Hitzejahr unterschiedliche Auswirkungen. Gelitten hat die Alpwirtschaft etwa im Jurabogen oder in Teilen der Voralpen wie im Berner Oberland oder im Kanton Freiburg. Manche Alpwirtschaften mussten Tiere früher von der Alp abziehen oder Futter vom Tal auf die Alpen bringen.

Einbussen gab es bei Kartoffeln: die Ernte fiel um rund 10 Prozent kleiner aus als im Fünfjahresschnitt. Die Apfelernte blieb 6,5 Prozent unter dem Zehnjahresschnitt.

Das Jahr verlief positiver für die Produktion von Gemüse, vor allem aber von Obst und Beeren. Am meisten profitierte der Weinbaum mit Blick auf Qualität und Menge. Die Produktion stieg um 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wo die niedrigste Ernte seit 1957 eingefahren worden war.

Kühe auf einem durch die Hitze und den fehlenden Niederschlag gelb gewordenen Feld während einer Dürreperiode im Vallee de Joux im Waadtländer Jura im August 2022.
Kühe auf einem durch die Hitze und den fehlenden Niederschlag gelb gewordenen Feld während einer Dürreperiode im Vallee de Joux im Waadtländer Jura im August 2022.
© KEYSTONE/Jean-Christophe Bott

Der Sommer 2022 in den Medien 

Die Berichterstattung in Schweizer Medien über Hitze und Trockenheit nimmt kontinuierlich zu und steht immer stärker im Kontext des Klimawandels. 2022 sind hierzu mit 8517 Beiträgen mehr als je zuvor erschienen, von denen über ein Viertel eine Verbindung zum Klimawandel herstellte. In Bezug auf den Hitzesommer 2018 wurden 5843 Beiträge gezählt, wovon 16 Prozent den Klimawandel berücksichtigten.

Berichte im Rahmen von Hitze und Trockenheit beschäftigten sich 2022 hauptsächlich mit folgenden Themenblöcken: Gewässer, Temperaturextreme, Auswirkungen auf den Alltag, Waldbrände sowie Wirtschaft und Klimawandel. Gerade die Wirtschaft gewinnt dabei im Zeitverlauf an Bedeutung, indem zum Beispiel ein Fokus auf Energieproduktion oder Landwirtschaft gelegt wird. Das zeigt sich auch bei den Akteursgruppen, die in den Beiträgen erwähnt werden: Unternehmen ziehen 2022 erstmals gleich mit der Wissenschaft und tauchen noch häufiger auf als Schweizer Behörden und internationale Institutionen.

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Letzte Änderung 10.07.2023

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