Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel»: 50 Projekte für eine grosse Herausforderung

Die Anpassung an den Klimawandel fordert die gesamte Gesellschaft. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines ersten Pilotprogramms hat der Bund nun eine zweite Phase lanciert. Dabei werden praxistaugliche Lösungen zur Entschärfung der Probleme entwickelt.

Text: Mike Sommer

Vertrocknetes Maisfeld
Fatale Folgen des Klimawandels: Andauernde Hitzewellen zerstören landwirtschaftliche
Kulturen wie hier ein Maisfeld.
© Markus Forte | Ex-Press | BAFU

Der Klimawandel ist ein globales Phänomen, und seine Eindämmung erfordert weltweite Strategien und Massnahmen. Die Auswirkungen der Klimaveränderung hingegen sind zuerst und am direktesten auf lokaler Ebene spürbar: So können andauernde Hitzewellen vor allem in Städten die Gesundheit gefährden, und wegen fehlenden Wassers für die Bewässerung verdorren landwirtschaftliche Kulturen. Schmelzende Gletscher und der auftauende Permafrost bringen Berghänge ins Rutschen und bedrohen dadurch Siedlungsgebiete im Alpenraum. Auch wenn sich gebietsfremde Arten ausbreiten und einheimische Tiere oder Pflanzen verdrängen, steht unsere Gesellschaft vor der Frage, wie sie auf die klimabedingten Veränderungen reagieren soll. Antworten bedürfen einer systematischen Analyse. Zuerst gilt es, die durch Klimaveränderungen entstehenden Risiken und Chancen zu erkennen und zu bewerten. Darauf aufbauend lassen sich konkrete Massnahmen entwickeln, um Bedrohungen und Gefahren abzuwenden.

Pilotprojekte zur Anpassung

2013 haben sechs Bundesämter das Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» initiiert. Dahinter steht die Idee, dass Massnahmen zur Anpassung hauptsächlich von den Betroffenen vor Ort entwickelt werden sollen. Bei der Umsetzung von modellhaften Vorhaben zur Bewältigung der unmittelbaren Folgen des Klimawandels will der Bund die Kantone, Regionen, Gemeinden und weitere Trägerschaften unterstützen. Die von 2013 bis 2017 durchgeführte erste Phase des Programms umfasste bereits 31 Projekte (siehe Magazin «umwelt» 3 | 2017). Dazu gehörte zum Beispiel die Entwicklung einer «indexbasierten Graslandversicherung», mit der sich Landwirte gegen trockenheitsbedingte Ertragsausfälle bei der Futtermittelproduktion absichern können. Erarbeitet hat man auch Strategien zur Bekämpfung des Götterbaums – einer invasiven Art, die sich vor allem im Tessin ausbreitet. Im Rahmen eines anderen Projekts entwickelte zudem Sitten (VS) ein breit angelegtes Massnahmenprogramm zur Reduktion der Hitzebelastung im urbanen Raum. Die 2017 veröffentlichten Ergebnisse aus sämtlichen Projekten fielen sehr positiv aus. Sowohl die beteiligten Bundesämter als auch die Projektträger begrüssten denn auch eine Fortsetzung des Pilotprogramms.

Grosses Interesse

Inzwischen ist eine zweite Phase mit neuen Projekten in vollem Gang. 2018 konnten potenzielle Projektträger im gesamten Land wiederum ihr Interesse an einer Teilnahme anmelden. Von 133 Kandidaturen am Anfang des zweistufigen Auswahlverfahrens erhielten schliesslich 50 den Zuschlag und kommen damit in den Genuss einer finanziellen Unterstützung durch den Bund (siehe Box). Er beteiligt sich mit bis zu 50 Prozent an den Projektkosten, die in der Regel höchstens 230 000 Franken pro Vorhaben betragen dürfen. Die Projekte müssen bis Ende 2021 abgeschlossen sein, wobei anschliessend erneut eine Auswertung im Rahmen eines Abschlussberichts erfolgt.

Was hat sich gegenüber der ersten Phase des Programms im Zeitraum von 2013 bis 2017 geändert? «Wir haben die Themen noch präziser vorgegeben», erläutert Guirec Gicquel von der BAFU-Sektion Klimaberichterstattung und -anpassung als Leiter des Pilotprogramms. «Besonders wichtig ist uns, dass alle Projekte einen sektorenübergreifenden Ansatz verfolgen, der jeweils mehrere Fachgebiete miteinbezieht. Das Pilotprogramm soll komplexe Herausforderungen angehen, die sich nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren bewältigen lassen.» Viel Gewicht legt man wiederum auf die praktische Wirkung und Anwendbarkeit der Arbeiten. «Die Projekte sollen das Problembewusstsein erhöhen, die Kooperation aller betroffenen Akteure stärken und konkrete Verbesserungen ermöglichen», sagt Guirec Gicquel dazu.

Strategie gibt Themen vor

Das Pilotprogramm richtet sich in erster Linie an Kantone, Regionen und Gemeinden, steht aber auch Forschungs- und Bildungsinstitutionen, Unternehmen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen offen. Die eingereichten Projekte mussten sich einer der sechs zentralen Herausforderungen widmen, die der Bundesrat in seiner Anpassungsstrategie definiert hat. Es handelt sich dabei um folgende Themen:

  • grössere Hitzebelastung
  • zunehmende Sommertrockenheit mit Fokus auf die Landwirtschaft
  • steigendes Hochwasserrisiko, abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen
  • Veränderung von Lebensräumen, der Artenzusammensetzung sowie der Landschaft
  • Ausbreitung von Schadorganismen, Krankheiten und gebietsfremden Arten
  • Sensibilisierung, Information und Koordination als wichtige Voraussetzungen für das Gelingen von Anpassungsprozessen

In dieser zweiten Phase wird das Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» von insgesamt zehn Bundesstellen unterstützt. Dazu gehören – neben dem BAFU – die Bundesämter für Bevölkerungsschutz (BABS), Energie (BFE), Gesundheit (BAG), Landwirtschaft (BLW), Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz), Raumentwicklung (ARE), Wohnungswesen (BWO) sowie das Bundesamt für Strassen (ASTRA). Jedes Projekt wird von einem Experten oder einer Expertin aus einer dieser Fachstellen aktiv begleitet.

Wertvoller Wissenstransfer

«Wichtig ist uns auch, dass die Träger der verschiedenen Projekte miteinander Kontakt haben und sich inhaltlich austauschen», betont Guirec Gicquel. «Es gibt beispielsweise mehrere Projekte zur Reduktion der Hitzebelastung in den Städten – mit grossem Synergiepotenzial.» Zum Start der zweiten Programmphase fand im März 2019 eine Kick-off-Veranstaltung statt, an der Vertreterinnen und Vertreter sämtlicher Projekte und aller beteiligten Bundesämter teilnahmen. Weitere gemeinsame Workshops sind noch in diesem und im nächsten Jahr vorgesehen. «Solche Treffen fördern den Wissenstransfer unter den Projekten und zwischen den Kantonen und Gemeinden», stellt Guirec Gicquel fest. «Dies erhöht die Chancen, dass auch Vertreter von sehr unterschiedlich gelagerten Projekten thematische Überlappungen erkennen. Daraus können sich neue Lösungen, Kontakte, Formen der Zusammenarbeit und Synergien ergeben.»

Phase 2018 bis 2022

Die 50 Projekte des Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel» verteilen sich über die ganze Schweiz und behandeln ein breites Spektrum von Aspekten. Zu den Schwerpunkten gehört die Frage des Umgangs mit den Auswirkungen der zunehmenden Hitzebelastung in den Städten und Agglomerationen. So will der Kanton Aargau untersuchen, worauf bei der Siedlungsentwicklung zu achten ist, um die Folgen der Erwärmung zu mildern. Auf der Grundlage einer Analyse in vier Pilotgemeinden soll das Projekt Schlüsselfaktoren für eine hitzeangepasste Siedlungsentwicklung definieren und praxistaugliche Lösungen vorschlagen. Durch die geplante Aufbereitung der Resultate sollen auch andere Gemeinden von den gewonnenen Erkenntnissen profitieren, sodass sie diese in ihre Planungsprozesse integrieren können.

Die Anpassung an die vermehrt auftretende Sommertrockenheit ist im Kanton Graubünden Thema eines Projekts der drei Gemeinden Flims, Laax und Falera sowie des örtlichen Energieversorgers und der regionalen Tourismusbranche. In der wasserreichen Region Imboden-Surselva wirkt sich der Klimawandel stark auf die Hydrologie aus, indem etwa die Gletscher schmelzen, die Schneefallgrenze ansteigt und vermehrt Starkniederschläge auftreten. Die Projektpartner wollen nun abklären, welchen Beitrag ein neuer Mehrzweckspeicher zur Bewältigung der Wassermengenprobleme leisten könnte. Diese Analyse soll naturwissenschaftliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen und abklären, welche Synergien sich durch die Nutzung eines solchen Wasserspeichers für verschiedene Zwecke erzielen lassen.

Gleich 14 weitere Projekte drehen sich um den Themenschwerpunkt Sensibilisierung, Information und Koordination. Eines davon ist das Vorhaben «Clim-Expo», in dem das Umweltkompetenzzentrum «Fondation La Maison de la Rivière», Westschweizer Hochschulen sowie die Gemeinde Château d’Œx (VD) zusammenarbeiten. Sie wollen eine breite Sensibilisierungskampagne entwickeln, um das Bewusstsein dafür zu fördern, wie sich der Klimawandel auf das Leben und den Alltag auswirken wird. Hauptziel ist ein Austausch zwischen den wissenschaftlichen Partnern und der lokalen Bevölkerung, die eng in das Projekt einbezogen wird.

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Letzte Änderung 04.09.2019

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