Interview: «Mobilität, Wohnen und Ernährung sind wichtige Faktoren»

Starkregen, Hitze, Dürren: Dass solche extremen Wetterphänomene häufiger werden, ist eine sichtbare Folge des Klimawandels. Sonia Seneviratne hat am letzten Bericht des Weltklimarats IPCC mitgearbeitet. Die Umweltwissenschaftlerin an der ETH Zürich erklärt, weshalb wir dringend handeln müssen.

Interview: Carole Extermann

Sonia Seneviratne
Sonia Seneviratne wurde in Lausanne geboren und ist heute Professorin für Landklima-Dynamik am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Im Jahr 2023 erhielt sie als eine der am meisten zitierten Forschenden in den Geowissen­schaften die Auszeichnung «Highly Cited Researcher». Die Umweltspezialistin kümmerte sich für den letzten IPCC-Bericht um den Teil zu extremen Klimaphänomenen wie Starkniederschlägen, Dürreperioden und Hitzewellen.
© Caroline Minjolle | Lunax

Sonia Seneviratne, die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung unterschätzt den eigenen Treibhausgas-Fussabdruck. Laut einer kürzlich erschienenen Studie* denken gerade mal zehn Prozent der Befragten, sie verhielten sich schädlicher als der Durchschnitt. Wie kommt das?

Der Klimawandel wird bei Weitem nicht immer richtig eingeschätzt. Die Probleme mit der Erderwärmung gehen nicht weg, sondern sind dauerhaft. Aber die Auswirkungen der Klimakrise sind für die breite Öffentlichkeit weniger augenfällig als beispielsweise der Ausbruch eines Krieges oder ein Erdbeben mit Hunderten von Opfern. Wegen dieser selektiven Wahrnehmung konzentrieren sich die Menschen lieber auf die Anstrengungen, die sie schon geleistet haben. Es ist auch nicht leicht zu verstehen, was auf dem Spiel steht und wo der grösste Handlungsbedarf besteht. Konkret: Bei der Klimakrise ist das Hauptproblem die Nutzung der fossilen Energieträger Erdöl, Kohle und Erdgas. Wer auf Plastiktüten verzichtet, vermeidet zwar eine Verschmutzung der Umwelt, doch hat dies keinen Einfluss auf das Klima, anders als eine Flugreise oder der tägliche Gebrauch des Benzinautos. Wichtig ist, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welches Verhalten auch wirklich eine Wirkung hat.

Sind in dem Fall Footprint-Rechner ein gutes Instrument, um zu ermitteln, wo man den eigenen Konsum anpassen sollte?

Wie man’s nimmt. Der Treibhausgas-Fussabdruck wird als Messwert manchmal kritisiert, vor allem wenn er den Eindruck einer rein individuellen Verantwortung vermittelt. Interessant ist nämlich: Die Hälfte des Fussabdrucks wird durch unseren Wohnort bestimmt, und auf den haben wir keinen direkten Einfluss – ausser am Abstimmungswochenende. Aber ja, die andere Hälfte hängt direkt von unseren Entscheidungen ab: Mobilität, Wohnen und Ernährung sind gewichtige Faktoren. Der Footprint-Rechner kann also durchaus hilfreich sein, wenn er zum Handeln anregt oder dazu, sich vertieft mit den klima­wirksamsten Lebensbereichen auseinanderzusetzen.

Wollen Sie mit Ihrer Mitarbeit am IPCC-Bericht auch für klima­bezogene Herausforderungen sensibilisieren?

Ja, definitiv. Der IPCC-Bericht wird von einer Umweltexpertengruppe im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitet. Das Hauptziel besteht darin, den Stand der Wissenschaft zum Klimawandel regelmässig auszuwerten, da sich die Dinge rasch entwickeln. Während meines Studiums vor dreissig Jahren wurden die Umweltwissenschaften an der ETH Zürich erst gerade eingeführt. Damals war die Lage noch nicht so eindeutig. Man ging davon aus, die Krise würde sich mit dem Erschöpfen des Erdöls quasi von selbst lösen. Vieles war noch unbewiesen, der Klimawandel war noch eine natur­wissenschaftliche und keine gesellschaftliche Frage.

Und heute?

Heute besteht kein Zweifel mehr. Die Treibhausgasemissionen und die beobachtete Erderwärmung samt ihren Konsequenzen gehen direkt auf den Menschen zurück. Daher ist es dringend nötig, rasch Massnahmen zu ergreifen. Die Hitzewelle im Jahr 2003 hat wesentlich dazu beigetragen, uns den Klimanotstand bewusst zu machen. Ich denke, diese Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Klimakrise uns hier und jetzt und direkt betrifft. Die vielen weiteren extremen Wetterereignisse der letzten Jahre haben dieses Bewusstsein noch geschärft.

Mit solchen Extremereignissen befassen Sie sich auch in Ihrer Forschung. Was haben Sie herausgefunden?

Ich konzentriere mich auf die Wechselwirkung zwischen Vegetation und Klima. Zum Beispiel auf den engen Zusammenhang zwischen Dürre­perioden und der steigenden CO2-Konzentration in der Luft: Erhalten die Pflanzen nämlich nicht genug Wasser, können sie das CO2 aus der Luft nicht mehr richtig absorbieren. Solche Prozesse und überhaupt die Konsequenzen extremer Wetter­phänomene werden generell zu wenig berücksichtigt. Eine solche Dynamik könnte dazu führen, dass sich die Erdatmosphäre innert kurzer Zeit sprunghaft erwärmt. Das würde wiederum zu wiederkehrenden Dürren und zu einem drastischen Vegetations­verlust führen.

Laut der Umfrage unter der Schweizer Bevölkerung zählen viele auf den technischen Fortschritt, um die Emissionen schneller zu senken. Ist diese Aussicht realistisch?

Kaum. Entsprechende Technologien sind noch im Entwicklungsstadium, beispielsweise sogenannte Negativemissionstechnologien, die etwa CO2 aus der Luft filtern und in Gestein einlagern. Angesichts der Dringlichkeit halte ich bereits bestehende Lösungen und Alternativen für wirkungsvoller. Dabei geht es nicht um einen totalen Stopp, sondern darum, einige Dinge zu ändern. Hier in der Schweiz haben wir beispielsweise eine vergleichsweise saubere, CO2-arme Stromversorgung. Darum sind Elektroautos eine gute Option. Heute verursacht der Autoverkehr über 25 Prozent der CO2-Emissionen der Schweiz. Um das zu ändern, könnte man etwa Werbung für Benzinautos verbieten, so wie man das für Tabak gemacht hat. Der letzte IPCC-Bericht zeigt zudem, dass erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft vielversprechend sind, da sie schon in kurzer Frist eine Verringerung der Emissionen möglich machen. So könnte die wachsende Stromnachfrage mit einem nachhaltigen Ausbau erneuerbarer Energien aufgefangen werden. Was den nächsten IPCC-Bericht angeht, wäre es interessant, die Sozialwissen­schaften stärker zu berücksichtigen. Um besser zu verstehen, warum der Wandel nur so zaghaft verläuft und was uns Menschen daran hindert, unser Verhalten drastisch zu ändern – und unseren Lebensraum, die Erde, heute und in Zukunft zu bewahren.

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Letzte Änderung 03.04.2024

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