Strassenverkehr: Besser schlafen dank Tempo 30

29.05.2019 - Strassenlärm ist für Menschen nicht nur lästig, sondern gefährdet auch ihre Gesundheit. Das BAFU setzt sich unter anderem für Temporeduktionen als Lärmschutzmassnahme ein. Denn sie können den motorisierten Verkehr sowohl in Wohnquartieren als auch auf den Hauptstrassen beruhigen.

Text: Sophie Bader

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In der Berner Gemeinde Köniz hat die Schaffung einer Tempo-30-Zone den Verkehrsfluss verstetigt.
© Ephraim Bieri | Ex-Press | BAFU

Lärm macht krank. Am gefährlichsten ist der ­allgegenwärtige Strassenlärm. Gemäss neuesten Zahlen des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) in Basel sterben in der Schweiz jährlich rund 450 Menschen an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Strassenlärm verursacht sind. Im Vergleich dazu kamen 2017 gemäss Zahlen des ­Bundesamtes für Statistik (BFS) 230 Menschen bei Unfällen auf Schweizer Strassen ums Leben. Hierzulande ist am Tag jede siebte und in der Nacht jede achte Person an ihrem Wohnort von schädlichem oder lästigem Strassenverkehrslärm betroffen. Bei einer Gesamtbevölkerung von 8,3 Millionen (Stand 2015) entspricht dies tagsüber also rund 1,1 Millionen und nachts 1 Million Personen.

Lärm ist aber nicht nur ein Problem für jede Einzelperson, sondern auch für die ganze Gesellschaft. Allein die volkswirtschaftlichen Kosten des Lärms durch den Strassen-, Schienen- und Flugverkehr werden in der Schweiz für das Jahr 2015 auf 2,6 Milliarden Franken geschätzt, wobei 2,1 Milliarden auf den Strassenlärm entfallen.

«Halbierung des Verkehrs»

Strassenlärm wird mit verschiedenen Mitteln bekämpft. Dabei stehen Massnahmen im Vordergrund, die das Problem an der Quelle angehen. Lärmarme Strassenbeläge oder Temporeduktionen mindern die Lärmemissionen deutlich, wovon die gesamte Anwohnerschaft profitiert. Demgegenüber schirmen Lärmschutzwände die Betroffenen in den unteren Etagen zwar ab, doch bleiben die höher gelegenen Wohnungen den Emissionen nach wie vor direkt ausgesetzt.

In der Schweiz leben rund 90 Prozent der Personen, die unter übermässigem Strassenlärm leiden, in Städten und Agglomerationen. In den zentrumsnahen Gebieten ist die Lärmbekämpfung an der Quelle aufgrund der begrenzten Raumverhältnisse noch wichtiger. Doch für Schutzvorrichtungen wie Lärmschutzwände hat es oft zu wenig Platz. Seit einigen Jahren wird die Einrichtung von Tempo-30-Zonen oder -Strecken deshalb immer wichtiger. Sophie Hoehn, Chefin der Sektion Strassenlärm beim BAFU, bezeichnet sie als «einfache, effiziente und kostengünstige Massnahme, die sofort zu einer spürbaren Verbesserung der Lärmsituation im betroffenen Gebiet führt». Wenn Tempo 30 statt 50 gelte, lasse sich der durchschnittliche Schallpegel um rund 3 Dezibel (dB) reduzieren, was umgerechnet einer Halbierung des Verkehrs entspreche.

Weniger «sportliche» Beschleunigung

Der Startschuss zu einer vertieften Auseinandersetzung mit Tempo 30 zur Lärmreduktion erfolgte 2015. Bereits damals war eine kontroverse öffentliche Debatte im Gang und die Verunsicherung sogar bei kantonalen Lärmschutzfachstellen bisweilen gross: Wie hoch ist der effektive Nutzen der Lärmreduktion bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h? Und welche Folgen hat diese allenfalls auf den Verkehrsfluss? Um die Debatte zu versachlichen, erarbeitete die Eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung (EKLB) ein Grundlagenpapier. Es sollte Kantonen und Gemeinden als Argumentationshilfe bei der Schaffung solcher Strecken und Zonen dienen. Im Fazit hält der Bericht fest, dass man durch die Temporeduktion «eine Lärmminderung von mehreren Dezibel» erreichen könne. Auf übersichtlichen Tempo-30-Strecken wird nämlich tendenziell weniger gebremst und lautstark beschleunigt, was die Lärmemissionen deutlich senkt. Dies sorgt insbesondere für mehr Ruhe in der Nacht und somit für einen besseren Schlaf.

Derselbe Bericht weist auch auf die Schaffung einer Tempo-30-Zone in der Berner Gemeinde Köniz hin, welche die Sicherheit für Fussgängerinnen und Fussgänger sowie Radfahrende verbessert und gleichzeitig den Verkehrsfluss verstetigt hat (siehe Box).

Inzwischen liegen nun auch konkrete Messdaten vor, welche die Wirksamkeit von Tempo-30-Massnahmen bezüglich Lärmreduktion bestätigen. Unter Federführung des Schweizerischen Verbandes der Verkehrsingenieure und -experten (SVI) und gemeinsam mit dem Kanton Waadt führt die Stadt Lausanne einen wissenschaftlich begleiteten ­Versuch durch. Seit Frühling 2017 und noch bis Mitte 2019 gilt auf den zwei sanierungsbedürftigen Hauptverkehrsstrassen Avenue de Beaulieu und Avenue Vinet jeweils zwischen 22 und 6 Uhr Tempo 30. Die ersten Resultate sind eindeutig: Perioden mit sehr hohem Geräuschpegel über 70 dB liessen sich um 80 Prozent reduzieren. In der Nacht wurde der Lärmpegel im Durchschnitt um 3,1 dB (Avenue de Beaulieu) beziehungsweise um 2,5 dB (Avenue Vinet) vermindert. Zudem gibt rund die Hälfte der betroffenen Anwohnerschaft an, sie hätte die Auswirkungen der Geschwindigkeitsbegrenzungen wahrgenommen.

«Wirksam, günstig, verhältnismässig»

Darüber hinaus hat das Bundesgericht im März 2018 Geschwindigkeitsreduktionen auch auf stark befahrenen Strassen als grundsätzlich zulässig und für die Lärmbekämpfung als wirksam beurteilt. In einem rechtlich wegweisenden Entscheid erlaubte es Tempo 30 auf der Sevogelstrasse in Basel und bestätigte damit den kantonalen Entscheid. Dabei handelt es sich um eine verkehrsorientierte Strasse, die vornehmlich dem Durchgangs- und nicht dem Anwohnerverkehr dient. Bisher war die rechtliche Umsetzung von Tempo 30 auf solchen Strassen umstritten. Die Bundesrichter beurteilten die Temporeduktion als eine «wirksame, günstige und somit verhältnismässige Massnahme zur Lärmbekämpfung». Kurz darauf behandelte das Bundesgericht vergleichbare Fälle aus der Stadt Zürich und bestätigte den Basler Entscheid.

Obschon also bereits viele Fakten auf dem Tisch liegen, ist der lokale Widerstand gegen die Einführung von Tempo 30 nach wie vor beträchtlich. Sophie Hoehn vom BAFU findet dies bedauerlich: «Insbesondere auf breiten Strassen mit guter Sicht und ohne bauliche Massnahmen lassen sich Lärm­emissionen mit Tempo 30 besonders wirksam reduzieren.» Denn dadurch sinkt der akustische Mittelungspegel, der dem Durchschnitt von sich ständig verändernden Teilgeräuschen unterschiedlicher Lautstärke entspricht, und laute Brems- und Beschleunigungsphasen fallen nahezu weg.

Erstmals liefert nun eine neue Studie Grundlagen zur Beurteilung der Lärmauswirkungen einer auf 30 Stundenkilometer (km/h) begrenzten Geschwindigkeit. Sie ist unter Federführung des Verbandes der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) entstanden, wobei das BAFU und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) den Auftrag dazu erteilt haben. Zur Optimierung der Lärmreduktion in Zonen mit einer solchen Tempobegrenzung lassen sich anhand der Studie drei Erkenntnisse ableiten: Erstens ermöglichen eine freie 30-km/h-Zone oder ein Streckenabschnitt mit diesem Tempolimit bereits eine beträchtliche Geschwindigkeits­reduktion. «Zweitens ist es sinnvoll, einen guten Verkehrsfluss ohne unnötige Anpassungen der Fahrbahn sicherzustellen, da solche laute Beschleunigungs- und Verlangsamungsphasen verursachen», erläutert Sophie Hoehn. Drittens verringere eine freie 30-km/h-Zone «sportliche» oder «aggressive» Beschleunigungsvorgänge, die eine Lärmzunahme bewirken. Sophie Hoehn ist deshalb überzeugt, dass Tempo 30 in der Schweiz auch als Lärmschutzmassnahme zunehmend akzeptiert wird.

Im Fluss mit Tempo 30

Die Gegnerschaft von Tempo-30-Zonen führt sehr oft ins Feld, dass diese den Verkehrsfluss deutlich erschweren und ihn zu Spitzenzeiten gar zum Erliegen bringen. Etwas ganz anderes lässt sich seit Jahren in Köniz (BE) beobachten. Mitten durch die Gemeinde mit rund 40 000 Einwohnerinnen und Einwohnern führt die Schwarzenburgstrasse. Auf dieser Kantonsstrasse verkehren täglich fast 20 000 Fahrzeuge.

Unter herkömmlicher Tempo-50-Signalisation mit Fussgängerstreifen kam es regelmässig zu massiven Staus. Zwischen 2000 und 2004 erfuhr das Zentrum durch den Bau von Restaurants und Einkaufsläden eine Aufwertung und Verdichtung. Dazu gehörte auch die Schaffung einer Tempo-30-Zone auf einer Länge von rund 300 Metern. In der Mitte der Fahrbahn ist heute ein relativ breiter Streifen gekennzeichnet, doch auf Fussgängerstreifen hat man verzichtet. «Eine Lärmreduktion stand bei der Einführung von Tempo 30 nicht im Vordergrund», sagt Ueli Weber, der damals zuständige Projektleiter. «Es ging uns vielmehr um ein gleichberechtigtes Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden.»

Seither hat sich der Verkehrsfluss sichtlich verbessert, und es kommt zu deutlich weniger Staus. Ueli Weber begründet dies mit dem Wegfallen des durch Fussgängerstreifen ausgelösten Stop-and-go-Fahrens. Zudem realisieren Fahrzeuglenkende bei einer Strassenraumgestaltung mit Tempo 30 eher, dass sie sich in einem Ortszentrum befinden, und nehmen deshalb Rücksicht. Ueli Weber ist denn auch überzeugt: «Das Schaffen von Tempo-30-Zonen geht nicht zulasten des Verkehrsflusses.»

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Letzte Änderung 29.05.2019

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