Spezielle Strassenbeläge reduzieren den Verkehrslärm, müssen aber häufiger ersetzt werden als herkömmliche Beläge. Eine Studie des BAFU hat nun die Umweltauswirkungen der verschiedenen Beläge berechnet. Sie kommt zum Schluss: Lärm- und Klimaschutz müssen sich nicht widersprechen.
Text: Roland Fischer
Lärm ist nicht einfach nur lästig. Lärm kann ernsthaft krank machen. So steigt durch lärmausgelöste Stressreaktionen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, wie eine gross angelegte Schweizer Studie 2019 zeigte: Pro Jahr erkranken in der Schweiz durch Strassenlärm ganze 2500 Personen neu an Diabetes und 450 Menschen sterben gar vorzeitig an den Folgen Strassenlärms. Insofern muss man diesen zu den schädlichen Umwelteinflüssen zählen, die es einzudämmen gilt. «Und zwar möglichst an der Quelle, das ist eine gesetzliche Verpflichtung», sagt Sophie Hoehn, Leiterin der Sektion Strassenlärm beim BAFU. Eine der besten Massnahmen dafür – neben Temporeduktionen – sind sogenannte lärmarme Beläge, auch «Flüsterbeläge» genannt.
Lärmschluckender Asphalt
Solche erstmals in den 1980er-Jahren entwickelten Asphalte enthalten viele kleine Hohlräume und sorgen dafür, dass das Rollgeräusch eher geschluckt als reflektiert wird. Die Strasse wird buchstäblich zu einem Schwamm, der Schall in sich aufsaugt. Die besten dieser Beläge reduzieren den Lärm um bis zu neun Dezibel, wenn sie frisch aufgetragen sind, und nach zehn Jahren immer noch um drei bis vier Dezibel. Damit halbieren sie den Verkehrslärm. Doch: Die Flüsterbeläge verlieren mit der Zeit ihre akustische Wirkung, darum muss man sie öfter wechseln. Das ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht von Belang, sondern auch schlecht für die Ökobilanz. Denn jede bauliche Massnahme sorgt gehörig für CO2-Emissionen.Sollte die Tendenz also doch eher zu Belägen gehen, die möglichst lange haltbar sind? Grob betrachtet ist das ein klassischer Trade-off: Geht auf der einen Seite die Waagschale durch den verminderten Lärm hoch, geht sie auf der anderen Seite durch das häufigere Ersetzen runter. Wie also lässt sich dies lösen?
Mehr Klarheit verschaffte Fachleuten jüngst eine Untersuchung des BAFU zusammen mit drei Kantonen, in der die Ökobilanzen der Beläge ermittelt und miteinander verglichen wurden. «Mit standardisierten Methoden lassen sich alle Umweltauswirkungen in Belastungspunkte umrechnen», erklärt Sophie Hoehn. Für Flüsterbeläge hatte das bis jetzt noch niemand gemacht, so verbreitete sich die Vorstellung, dass diese nicht ökologisch seien. Hoehn wollte Fakten schaffen, auf die man sich verlassen kann, und gab darum eine umfassende Studie in Auftrag. Das bedeutete durchaus ein gewisses Risiko: «Wir wussten ja nicht, auf welche Seite der Zeiger ausschlagen wird.» Umso mehr freut sie sich über das Ergebnis: Gesamtökologisch betrachtet haben lärmarme Beläge keinen Nachteil verglichen mit konventionellen Strassenbelägen. Im Gegenteil: Sie schneiden tendenziell sogar besser ab. Denn auf lärmarmen Belägen ist der Rollwiderstand geringer und das sorgt für eine CO2-Reduktion im Betrieb: Man fährt nicht nur leiser, sondern auch leichter und damit klimaschonender über solche Strassen. Auch dies floss in die Ökobilanzen ein. Solch komplette Ökobilanzen zu erstellen, lohne sich, sagt Hoehn. «Nun wissen wir, dass wir mit den Flüsterbelägen gleichzeitig dem Lärmschutz, dem Klimaschutz und dem Umweltschutz gerecht werden», sagt Hoehn.
An der Quelle ansetzen
Die Lärmexpertin hofft nun, dass die Studie in die Entscheide in den Baudepartementen einfliesst. Sie ist zuversichtlich: «Die Dinge ändern sich in den Kantonen. Bei anstehenden Strassensanierungen werden immer öfter lärmarme Beläge in Betracht gezogen.» Wäre es also angemessen, in Ortschaften, in denen Menschen vor Lärm geschützt werden müssen, immer lärmarme Beläge zu verlegen? Nicht in jeder Strasse, relativiert Hoehn, schliesslich würden die Grenzwerte nicht überall verletzt. «Aber wir hoffen, dass man ab jetzt, wenn Strassen saniert werden müssen, vermehrt auf Massnahmen setzt, die an der Quelle ansetzen.» Und das heisst eben genau da, wo der Reifen über die Strasse rollt. Am effektivsten wäre darum ihrer Meinung nach eine ausgewogene Kombination von Tempo 30 und lärmarmen Belägen. Auch Lärmschutzwände und Schallschutzfenster blieben valable Massnahmen, aber wie bei allen Umweltbelastungen gilt auch bei Lärm: Besser ist es, die Emissionen gar nicht erst entstehen zu lassen, als sich nachher mit ihren negativen Auswirkungen herumschlagen zu müssen.
Präzise Lärmberechnung
Wie laut ist es wo? Das lässt sich mit dem richtigen Material und unter geeigneten Bedingungen vor Ort messen. Doch einfacher, schneller und kostengünstiger ist es, ein Modell zu entwickeln, mit dem sich die Lärmbelastung errechnen lässt. Auch um die Wirkung von Lärmbegrenzungsmassnahmen zu bestimmen oder die zu erwartenden Lärmsituationen etwa bei Neubauten abzuschätzen, muss der Lärm prognostiziert werden. Doch die bisherigen Berechnungsmodelle bilden manche Effekte nur ungenügend ab, insbesondere die Auswirkungen von Massnahmen an der Quelle wie lärmarme Beläge oder Geschwindigkeitsreduzierungen, oder wenn elektrisch angetriebene Fahrzeuge die Strassen befahren. Nun hat die Empa im Auftrag des BAFU ein neues Strassenlärmberechnungsmodell namens sonROAD18 entwickelt, das das alte Modell StL86+ ersetzt, das zuvor seit über 30 Jahren verwendet wurde. Damit lässt sich nun etwa die Zahl der Personen, die von Massnahmen zur Senkung des Strassenlärms profitieren, noch exakter prognostizieren.
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Letzte Änderung 03.04.2024