Die neue «5L»-Generation der Cargozüge ist meilenweit entfernt von den lauten Güterwagen mit Bremsklötzen aus Grauguss. Dank Scheibenbremsen und radial einstellbaren Radsätzen lassen sich die neuen Güterzüge einfacher und schneller rangieren und sind nahezu gleich leise wie Personenzüge.
Text: Stefan Hartmann
Für viele geplagte Anwohnerinnen und Anwohner von Bahnanlagen tönt die neue Generation der Güterwagen wie Musik in den Ohren. Die Cargozüge mit Zisternen-, Container- und Taschenwagen (für Lkws) sind mit einer Vielzahl von innovativen Komponenten ausgestattet. Sie gleiten praktisch genauso geräuscharm vorbei wie moderne Personenzüge. «5L» steht für leise, leicht, laufstark, logistikfähig und life-cycle-kostenorientiert (siehe Grafik S. 53). Seit Mitte Sommer 2017 steht ein solcher Pilotgüterzug mit 16 Containerwagen (Typ Sgnss) im regulären Güterverkehr in der Schweiz im Einsatz, ab Mitte 2018 auch international.
«Vorderhand sind die leisen Güterwagen erst die Vorboten einer fernen Zukunft», erklärt Fredy Fischer, Chef der Sektion Eisenbahnlärm beim BAFU. «Anders als bei Personenzügen, bei denen in den letzten Jahrzehnten erhebliche Anstrengungen zu lärmarmem Rollmaterial unternommen wurden, erfolgt die entsprechende Entwicklung beim Güterverkehr nur zögerlich.» Ein Hauptgrund dafür sind die Kosten. Die Drehgestelle heutiger Güterwaggons haben starre Radachsen, eine Technologie, deren Anfänge in den 1950er-Jahren liegt. Diese Drehgestelle und die alte Bremsmechanik mit Graugusssohlen verursachen den übermässigen Lärm.
Anwohnende vor Lärm schützen
Im Jahr 2000 waren hierzulande 265 000 Menschen von Bahnlärmbelastungen über den Grenzwerten betroffen. Dank grosser Investitionen des Bundes in Schallschutzwände sind inzwischen zwei Drittel der lärmgeplagten Anwohner besser vor Lärm geschützt. Zudem hat man alle Schweizer Güterwaggons mit leiseren Bremsbelägen ausgerüstet – statt über Graugusssohlen verfügen sie seit den letzten Jahren über Komposit-Bremssohlen (K-Sohlen) aus Kunstharz. Dies hat bereits zu einer Halbierung der Schallenergie – beziehungsweise zu einer Lärmreduktion von bis zu 10 Dezibel – geführt.
Grundsätzlich ist beim Lärm der Güterzüge die Laufleistung relevant, also die von den Güterwagen zurückgelegte Distanz. Gegenwärtig erfolgen in der Schweiz gemäss Erhebung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) knapp 78 % der gesamten Laufleistung mit lärmarmen Wagen (K-Sohle). Allein beim Schweizer Roll-material beträgt der Anteil 96 %. Bei den ausländischen Wagen, die vor allem aus Deutschland stammen, ist der Anteil im zweiten Halbjahr 2016 markant auf 53 % gestiegen. Der Rest der Güterwagen fährt immer noch mit lauten Graugusssohlen. Diese rauen die Lauffläche der Räder auf, was zu Vibrationen führt und damit Lärm verursacht. Ab 2020 sind Graugusssohlen in der Schweiz nicht mehr zugelassen. Dann dürfen nur noch Wagen mit leisen Kunststoff-Bremssohlen oder Scheibenbremsen fahren. Will man den alpenquerenden Gütertransitverkehr weiter von der Strasse auf die Schiene bringen, wie es die Politik verlangt, so gilt es, den Güterzuglärm zusätzlich einzudämmen. Eine entsprechende Massnahme ist unter anderem das Projekt «5L».
«5L»-Zug hat viele Pluspunkte
2016 ist die Zahl der Lastwagenfahrten durch die Schweizer Alpen erstmals seit über 20 Jahren unter 1 Million gesunken. Im Vergleich zum Vorjahr hat sie um 3,4 % auf 975 000 Fahrten abgenommen. Parallel dazu ist der Marktanteil der Eisenbahn am alpenquerenden Güterverkehr auf 71 % angestiegen, womit er den höchsten Wert seit 2001 erreicht hat, als die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) sowie die schrittweise Erhöhung des Lkw-Gewichts auf 40 Tonnen eingeführt wurde.
Mit «5L»-Zügen wird der Cargobetrieb noch wirtschaftlicher. Sie verfügen neu über Scheibenbremsen, welche die Radsätze lärmarmer machen, was die Lärm-emissionen signifikant reduziert. Zum anderen sind die Radsätze im Drehgestell radial einstellbar und quietschen damit weniger in den Kurven. Bei herkömmlichen Güterwagen sind die Achsen starr am Drehgestell montiert, was in Kurven einen Widerstand verursacht. Dagegen folgen die Räder bei den radial einstellbaren Radsätzen des «5L»-Gütwerwagens den Kurven des Gleisverlaufs. Der geringere Widerstand bedeutet zum einen Ersparnisse bei der Traktionsenergie der Lokomotive und zum anderen weniger Materialverschleiss. Die Züge rollen in den Kurven runder und können somit auch schneller fahren.
Dies benötigt dann zwar mehr Energie, doch kann ein «5L»-Güterzug besser mit dem Personenverkehr Schritt halten, was relevant ist, sobald ein viertelstündiger Taktfahrplan eingeführt wird.
Eine europäische Entwicklung
Mit «5L»-Güterwaggons fängt man nicht bei null an, denn intelligente Waggontechnik war bereits vor einigen Jahren entwickelt worden – so etwa die Verwiegetechnik als Beladehilfe, die Überwachung des Containerverschlusszustands, die Fahrzeugidentifikation von Wagen, die Temperaturüberwachung der Ladung oder die Stromversorgung für Kühlcontainer.
Doch der «5L»-Zug geht einen weiteren Schritt in Richtung Automatisierung. Nur schon dank der automatischen Kupplungen lässt sich die Effizienz auf den Rangierbahnhöfen markant steigern. SBB-Cargo hat den «5L»-Güterzug zusammen mit europäischen Partnern entwickelt, vorab mit dem Technischen Innovationskreis für Schienengüterverkehr (TIS) sowie verschiedenen Komponentenherstellern. Dieses Projekt ist Teil des bis 2025 laufenden Bundesprogramms zur Sanierung der Eisenbahnwagen. Die Forschungen zum Eisenbahnlärm sind darin eingebettet, wofür insgesamt 20 Millionen Franken vorgesehen sind. Die Umrüstung der 16 zumeist über 10 Jahre alten Pilotwaggons erfolgt seit Ende 2016 durch die SBB-Service-Werkstätte für Güterwagen in Muttenz (BL).
4 Jahre auf dem Prüfstand
Die Komponenten werden von europäischen Industriepartnern bezogen. Das «5L»-Projekt wird vom BAFU koordiniert und vom BAV mit 3 Millionen Franken unterstützt. Darin eingeschlossen sind auch die für die Zulassung nötigen Tests und Messungen. Der Güterzug wird bis 2021 auf Herz und Nieren getestet, was einer Laufleistung von etwa 400 000 Kilometern entspricht.
«Wie das Projekt der ‹5L›-Waggons zeigt, ist technischer Fortschritt möglich, ohne über die Lebenszeit von 35 bis 40 Jahren mehr Kosten zu generieren», sagt Fredy Fischer. «Aufgrund der günstigen Unterhalts- und Betriebskosten sind die Cargobetreiber sogar in der Lage, Kosten zu sparen, was ihre Transporte gegenüber der Strasse konkurrenzfähiger macht.»
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Letzte Änderung 10.04.2018