Schweizer Städte und Gemeinden sollen grüner werden. Doch wie? Und welches sind die richtigen Bäume und Pflanzen dafür? Drei Fachleute erzählen von ihren aktuellen Projekten.
Text: Maja Schaffner
Wo wie viel Grün spriessen soll, daran arbeiten die Beteiligten vielerorts noch. Hier stellen wir drei Menschen vor, die sich beruflich für mehr Grün in der Stadt engagieren. Mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. So verfügt die Stadt St. Gallen mit dem Leitbild «Grünes Gallustal» heute über eine sehr umfassende grüne Vision. Luzern trägt das Label Gold von Grünstadt Schweiz und handelt nach dessen Grundsätzen. Und Yverdon-les-Bains arbeitet im Rahmen eines vom Bund geförderten Modellvorhabens für nachhaltige Raumentwicklung daran, dass alle Menschen in fünf Minuten von ihrer Wohnung oder ihrem Arbeitsplatz aus einen attraktiven grünen Aussenraum erreichen.
In fünf Minuten beim nächsten Erholungsraum
Ihre Arbeit bei der Stadt Yverdon-les-Bains ist vor allem eines: «Vielfältig!» Was Julie Riedo offensichtlich gefällt. Als Projektleiterin für öffentliche Räume kümmert sie sich um ganz unterschiedliche Dinge. Das reicht von der Neumöblierung – etwa mit Bänkli, Liegemöbeln, Sonnenschirmen oder einem Pétanque-Platz – über Begehungen oder Online-Umfragen, um die Bedürfnisse der Bevölkerung aufzunehmen, oder die naturnahe Neugestaltung ganzer Flächen bis hin zum Richtplan für die nächsten Jahre.
Ein Teil dieser Tätigkeiten wird im Rahmen eines sogenannten Modellvorhabens für nachhaltige Raumentwicklung vom Bund unterstützt. Der Name des Projekts: «Espaces publics à 5’ de chaque Yverdonnois·e». «Unsere Idee ist, die Lebensbedingungen und damit auch die Gesundheit der Menschen in bestehenden und neuen Stadtvierteln zu verbessern», erklärt Riedo. «Unter anderem dadurch, dass sie draussen aktiv sind.» Und zwar, ohne dass die Stadtbevölkerung dafür extra in die grossen Naherholungsgebiete am Stadtrand fahren muss. Dies ist besonders für gehbehinderte Menschen oder Personen, die Care-Arbeit leisten, wichtig. Auch für die Projektleiterin selbst sind nahe Grünräume unentbehrlich, damit sie im Alltag täglich draussen Zeit verbringen kann.
Für die Stadtplanerin stehen stets die Menschen im Vordergrund und ihr ist wichtig, dass die Stadt allen gehört. «Um allen Menschen den Aufenthalt im Freien schmackhaft zu machen, muss der öffentliche Raum auch attraktiv sein», sagt sie. Dazu sollen in Zukunft auch Kunst und kulturelle Anlässe oder Begegnungsmöglichkeiten beitragen. Und natürlich Grün in allen Varianten: Stadtbäume entlang der Strasse, begrünter Erholungsraum, Flächen zum Gärtnern und Ernten, Orte, an denen die Biodiversität bewusst gefördert wird, und Landschaft, die besonders visuell erfreut. Im Projekt wurden 150 lokale Flächen identifiziert, die ganz oder teilweise neu gestaltet werden könnten. Julie Riedo: «Das Ziel ist, dass alle Menschen, die in der Stadt wohnen oder arbeiten, rasch einen Erholungsort erreichen können, der das bietet, was sie suchen.»
Stets mitten im Geschehen
Organisieren, koordinieren und kommunizieren – das ist Valentin Brändles Ding. Bei Stadtgrün Luzern setzt er seine Fähigkeiten bei Neugestaltungen und Sanierungen von Grünanlagen ein. Zurzeit leitet er, neben weiteren Aufgaben, vier Projekte. Eines davon ist ein neuer Biodiversitätsschaugarten. «Er soll die Bevölkerung inspirieren, wie sich Flächen naturnah gestalten lassen», sagt Brändle. Im 3670 Quadratmeter grossen Areal wird es unter anderem ein Feuchtgebiet, Wildstaudenbeete, Trockensteinmauern, einen Minirebberg und einen Gemeinschaftsgarten geben.
Die neue Grünanlage ist ein Gemeinschaftsprojekt von Stadtgrün, der Dienstabteilung Umweltschutz und der Quartierbevölkerung: Gärtnerinnen und Gärtner aus verschiedenen Stadtgrün-Teams werden mit ihren Lernenden Natursteinplätze und Trockensteinmauern bauen, die stadteigene, biozertifizierte Gärtnerei steuert die Pflanzen bei und die Quartierbewohnerinnen und -bewohner dürfen mithelfen, diese einzupflanzen.
Brändle bezeichnet sich als «Bindeglied zwischen Politik, Fachebene und Öffentlichkeit». Er beantragt Planungs- und Realisationskredite, schreibt Planung und Umsetzung aus, koordiniert die Fachleute, die die Projekte planen und umsetzen und das Entstandene pflegen. Besonders wichtig ist ihm, die Bevölkerung frühzeitig über geplante Vorhaben zu informieren und sie einzubeziehen.
In der Stadt Luzern setzen sich politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie die Mitarbeitenden der Unterhaltsteams und der Produktionsgärtnerei schon seit Langem mit Herzblut für die Stadtnatur ein. Seit 2019 wurden 46 000 Quadratmeter gemeindeeigene Grünflächen mit Wildblumenwiesen, Wildstauden, Stein- und Asthaufen sowie Kleingewässern naturnah umgestaltet. Die stadteigene Gärtnerei produziert für den Eigengebrauch jährlich über 180 000 Blütenpflanzen, Sträucher, Wildstauden und Bäume nach biologischen Aspekten. Dies sind nur einige der Gründe, weshalb die Stadt Luzern das Label Grünstadt Schweiz erhalten hat: im Jahr 2017 Silber, 2022 Gold. Den Zertifizierungsprozess – von den Vorbereitungen über die Dokumentation bis zum Audit – hat Valentin Brändle koordiniert.
Eine Vision für mehr Grün in der Stadt
Lukas Indermaur mag seine Arbeit. Als Geschäftsleiter des WWF St. Gallen engagiert er sich für die Natur und kann sich nichts Sinnstiftenderes vorstellen. «In St. Gallen setzen wir uns schon lange für den Baumschutz ein», sagt der Biologe. «Wir haben zum Beispiel erreicht, dass eine riesige, 150 Jahre alte Stieleiche unter Schutz gestellt wurde.» Er und seine Mitstreitenden stellten allerdings fest, dass der städtische Baumbestand immer lückiger wurde.
«In St. Gallen fehlte ein integrales Konzept für Stadtnatur, Klimaanpassung und Freiraumförderung», sagt Indermaur. So entstand die Idee für «Grünes Gallustal», ein detailliertes und umfassendes grünes Leitbild, initiiert vom WWF St. Gallen und geleitet vom Büro GSI Architekten. Herausgekommen ist ein 14 Bände umfassendes Werk, das aufzeigt, wo in St. Gallen welches Grün-Potenzial schlummert – und wie sich dieses konkret realisieren liesse.
«Unser Ziel ist, die Natur in die Stadt zurückzuholen», erklärt Indermaur. Rund 25 Prozent der Stadtfläche sollen von Bäumen beschattet sein. Ausserdem sollen dort möglichst viele verschiedene Pflanzen wachsen. Denn naturnahes Grün macht den öffentlichen Raum auch für den Menschen attraktiver. «Eine Win-win-win-Situation», ist Indermaur überzeugt.
Im Leitbild «Grünes Gallustal» fallen besonders die vielen Visualisierungen auf. Das Video und die zahlreichen Vorher-nachher-Bilder sollen laut Indermaur bei der Bevölkerung den Wunsch wecken, dass die grüne Vision Wirklichkeit wird. Das gelingt offenbar: «Erste Modellprojekte sind auf Initiative der Bevölkerung und der Stadt bereits angestossen oder umgesetzt worden», freut sich der Naturschützer. Ein Beispiel ist das sogenannte Areal Bach, eine Zwischennutzung, die aus einer öden Brache einen grünen Begegnungsort machte. Aktuell geht der WWF St. Gallen gezielt auf private Grundeigentümer zu und versucht, auch sie für eine naturnahe Begrünung zu gewinnen.
Aus der Praxis für die Praxis
«Biodiversität und Landschaftsqualität im Siedlungsgebiet: Empfehlungen für Musterbestimmungen für Kantone und Gemeinden»
Die BAFU-Publikation unterstützt Kantone und Gemeinden darin, das Thema Biodiversität und Landschaftsqualität im Siedlungsgebiet stärker in ihre Rechtsgrundlagen und Planungsinstrumente zu integrieren. Die Broschüre enthält Musterbestimmungen, die von den zuständigen Fachpersonen in den kantonalen und kommunalen Verwaltungen nach Bedarf übernommen und angepasst werden können.
Weiterführende Informationen
Letzte Änderung 12.06.2024